VGH Hessen

Merkliste
Zitieren als:
VGH Hessen, Beschluss vom 20.10.2011 - 3 A 554/11.Z - asyl.net: M20033
https://www.asyl.net/rsdb/M20033
Leitsatz:

Ist das minderjährige deutsche Kind eines Drittstaatsangehörigen auf Grund der Tatsache, dass es sich mit seiner deutschen Mutter im Bundesgebiet aufhält und dort lebt, nicht gezwungen, dem Drittstaatsangehörigen zur Durchführung des Visum- und Befristungsverfahrens nach erfolgter Ausweisung in den Drittstaat zu folgen, wird ihm in der Regel nicht der Kernbestand der Rechte, die ihm der Unionsbürgerstatus verleiht, verwehrt.

(Amtlicher Leitsatz)

Schlagwörter: deutsches Kind, Drittstaatsangehörige, Ausweisung, Unionsbürger, Unionsbürgerstatus, Kernbestand der Rechte, Visumsverfahren, Befristung,
Normen: GR-Charta Art. 24 Abs. 3, GG Art. 6, AEUV Art. 20,
Auszüge:

[...]

Der Kläger macht mit seinem Berufungszulassungsbegründungsschriftsatz weiter geltend, ihm stehe aufgrund der Tatsache, dass sein Kind Deutscher sei, aus unionsrechtlichen Vorschriften ein Anspruch auf Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis zu. Auch hiermit legt er ernstliche Zweifel an der erstinstanzlichen Entscheidung nicht dar. Dabei hat der Kläger bereits nicht hinreichend darlegen können, dass in seinem Fall Unionsrecht überhaupt zur Anwendung kommt. Der Kläger meint, aufgrund der Tatsache, dass er Vater eines deutschen Kindes ist, genieße dieses als Unionsbürger die damit verbundenen Rechte und er mithin als Familienangehöriger eines Unionsbürgers ebenso. Nach der jüngsten Rechtsprechung des EuGH (Urteil vom 08.03.2011, Rs. C-34/09 (Zambrano)) könne er sich auf die Rechte als Familienangehöriger eines Unionsbürgers berufen, auch wenn das Kind keine der Grundfreiheiten aus dem EG-Vertrag in Anspruch genommen habe. Die durch die Rücknahme der Aufenthaltserlaubnisse und Verweigerung der Neuerteilung eines Aufenthaltstitels bewirkte Ausreisepflicht bedürfe einer besonderen, unionsrechtlichen Vorgaben folgenden Rechtfertigung, bei der auch die Rechte des Kindes aus Art. 24 Abs. 3 der Charta der Grundrechte der Europäischen Union vom 12. Dezember 2007 (ABl. Nr. C 303 S.1 – GR-Charta) angemessen berücksichtigt werden müssten. Eine solche Entscheidung des Beklagten sei nicht zu erkennen. Es sei zwar offen, ob der Beklagte gemäß Art. 51 GR-Charta handelndes Organ sei, da es jedoch um den Eingriff in das Recht eines Unionsbürgerkindes aus Art. 24 Abs. 3 GR-Charta gehe, könne nicht zweifelhaft sein, dass der Beklagte dies bei seiner Entscheidung hätte berücksichtigen müssen, zumal dies ohnehin über Art. 6 GG hätte erfolgen müssen.

Der EuGH hat auch in dem Urteil vom 8. März 2011 (Rs. C-34/09 (Zamprano), juris) klargestellt, dass die Richtlinie 2004/38 über das Recht der Unionsbürger und ihrer Familienangehörigen, sich im Hoheitsgebiet frei zu bewegen und aufzuhalten, nicht auf einen Unionsbürger anwendbar ist, der noch nie von seinem Recht auf Freizügigkeit Gebrauch gemacht hat und der sich stets in dem Mitgliedsstaat, dessen Staatsangehörigkeit er besitzt, aufgehalten hat (vgl. EuGH, Urteil vom 08.03.2011 - C-34/09 - (Zamprano), juris; EuGH, Urteil vom 05.05.2011 - C-434/09 – (McCarthy), juris; BVerwG, Urteil vom 22.06.2011 - 1 C 11/10 - juris). In seiner Entscheidung vom 8. März 2011 (- C-34/09 - (Zamprano), juris) hat der EuGH allerdings weiter ausgeführt, dass Art. 20 AEUV dahingehend auszulegen ist, dass es einem Mitgliedstaat verwehrt ist, einem Drittstaatsangehörigen, der seinen minderjährigen Kindern, die Unionsbürger sind, Unterhalt gewährt, zum einen den Aufenthalt im Wohnsitzmitgliedsstaat der Kinder, dessen Staatsangehörigkeit sie besitzen, zu verweigern und ihm zum anderen eine Arbeitserlaubnis zu verweigern, da derartige Entscheidungen diesen Kindern den tatsächlichen Genuss des Kernbestandes der Rechte, die ihnen der Unionsbürgerstatus verleiht, verwehren würden (vgl. EuGH, Urteil vom 08.03.2011 - C-34/09 - juris).

Der Kläger hat nicht dargelegt, dass seinem Kind auf Grund der Tatsache, dass er gezwungen ist, zur Erlangung eines Aufenthaltstitels das Bundesgebiet zu verlassen und nur nach Durchführung des Visumverfahrens sowie nach Entscheidung über seinen Befristungsantrag hinsichtlich der bestandskräftig erfolgten Ausweisung einen Aufenthaltstitel zur Herstellung der familiären Lebensgemeinschaft erhalten kann, der Genuss des Kernbestandes der Rechte, die dem Kind der Unionsbürgerstatus verleiht, im Sinne der Entscheidung des EuGH vom 08.03.2011 - C-34/09 - verwehrt wird.

Kernbestand der Rechte aus Art. 20 AEUV ist bezogen auf Fallkonstellationen wie die vorliegende das Recht des Unionsbürgers, sich in den Mitgliedstaaten aufzuhalten, frei zu bewegen und Wohnsitz zu nehmen (Art. 20 Abs.2 a) und b) AEUV) (so auch Hess.VGH, Beschluss vom 07.07.2011 - 7 B 1254/11 -, juris). In dem der Entscheidung des EuGH vom 08.03.2011 - C-34/09 - (Zamprano) zugrunde liegenden Fall stand dieser Kernbestand in Frage, da die beiden minderjährigen Kinder belgischer Staatsangehörigkeit im Fall der Verweigerung einer Aufenthalts- und Erwerbserlaubnis an ihre kolumbianischen Eltern gezwungen gewesen wären, das Unionsgebiet gemeinsam mit ihren drittstaatsangehörigen Eltern zu verlassen.

So liegt der Fall hier jedoch nicht.

Der Kläger hat nicht dargelegt, dass sein minderjähriges Kind, das die deutsche Staatsangehörigkeit besitzt, durch die Ausreise seines Vaters und (vorübergehende) Abwesenheit im Kernbestand seiner Unionsbürgerrechte, sich in der Union aufzuhalten und sich dort frei zu bewegen, beeinträchtigt wird. In Anbetracht der Tatsache, dass sich das minderjährige Kind des Klägers mit seiner deutschen Mutter im Bundesgebiet aufhält, ist nicht ersichtlich, dass auch das Kind gezwungen wäre, das Unionsgebiet gemeinsam mit dem Kläger zu verlassen. Kommt mithin im Fall des Klägers Unionsrecht nicht zur Anwendung, hat er mit den von ihm angeführten unionsrechtlichen Rügen ernstliche Zweifel an der erstinstanzlichen Entscheidung nicht begründen können.

Selbst wenn davon auszugehen wäre, dass der von dem Kläger gestellte Antrag auf Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis vom 18. Januar 2010 streitgegenständlich ist und zudem mit diesem Antrag auch die Erteilung eines Aufenthaltstitels nach § 25 Abs. 5 AufenthG beantragt werden sollte, begegnet die erstinstanzliche Entscheidung gleichwohl keinen ernstlichen Zweifeln. Der Kläger hat nämlich nicht substantiiert dargelegt, aus welchen rechtlichen oder tatsächlichen Gründen seine Ausreise unmöglich ist und mit dem Wegfall des Ausreisehindernisses nicht in absehbarer Zeit zu rechnen ist. Allein die Tatsache, dass er Vater eines deutschen Kindes ist und sich zur Durchführung des Visumverfahrens bzw. des Verfahrens nach § 11 AufenthG für eine gewisse Zeit ins Ausland begeben muss, ist ohne Hinzutreten besonderer Umstände nicht ohne Weiteres als rechtliches Abschiebungshindernis anzusehen.

Soweit der Kläger in diesem Zusammenhang unter Hinweis auf § 25 Abs. 5 AufenthG auch ernstliche Zweifel an der mit dem Bescheid vom 28. Oktober 2010 verfügten Abschiebungsandrohung geltend macht, kann auf die oben gemachten Ausführungen verwiesen werden. Der Kläger hat das Vorliegen von Abschiebungshindernissen nicht hinreichend dargelegt, im Übrigen steht das Vorliegen von Abschiebungsverboten gemäß § 59 Abs. 3 Satz 1 AufenthG dem Erlass der Androhung nicht entgegen. [...]