Die Bedürftigkeit eines ausländischen, im Heimatland lebenden Studenten ist im Prozesskostenhilfeverfahren im Lichte des Haager Protokolls über das auf Unterhaltspflichten anzuwendende Recht auch anhand der wirtschaftlichen Verhältnisse seiner im Bundesgebiet lebenden Eltern zu beurteilen.
(Amtlicher Leitsatz)
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Die Beschwerde der Klägerin gegen die erstinstanzliche Auferlegung von Ratenzahlungen im Rahmen der Prozesskostenhilfe ist zulässig, aber im Ergebnis unbegründet.
1. Es ist schon nicht ersichtlich, dass die Klage hinreichende Aussicht auf Erfolg hat (§ 166 VwGO, § 114 Satz 1 ZPO). Der Visumerteilung stehen konkrete Zweifel an der Rückkehrbereitschaft der Klägerin entgegen.
Ein Visumantragsteller muss den Zweck und die Umstände des beabsichtigten Aufenthalts belegen (Art. 5 Abs. 1 Buchst. c SGK) und darf keine Gefahr für die öffentliche Ordnung darstellen (Art. 5 Abs. 1 Buchst. e SGK). Die Auslandsvertretung hat bei der Prüfung eines Antrags auf Erteilung eines einheitlichen Visums insbesondere zu beurteilen, ob das Risiko der rechtswidrigen Einwanderung besteht, ob er eine Gefahr für die Mitgliedstaaten darstellt und ob er beabsichtigt, vor Ablauf der Gültigkeit des beantragten Visums das Hoheitsgebiet zu verlassen (Art. 21 Abs. 1 Halbs. 2 VK). Sie muss das Visum nach Art. 32 Abs. 1 VK u.a. verweigern, wenn der Antragsteller als eine Gefahr für die öffentliche Ordnung eingestuft wird (Buchst. a Nr. vi) oder begründete Zweifel an der von dem Antragsteller bekundeten Absicht bestehen, das Hoheitsgebiet der Mitgliedstaaten vor Ablauf des beantragten Visums zu verlassen (Buchst. b). Der Visumantragsteller ist seinerseits verpflichtet, Angaben vorzulegen, anhand derer seine Absicht, das Hoheitsgebiet der Mitgliedstaaten vor Ablauf der Gültigkeitsdauer des beantragten Visums zu verlassen, beurteilt werden kann (Art. 14 Abs. 1 Buchst. d VK).
Es bestehen konkrete Anhaltspunkte für ernstliche Zweifel an der Rückkehrbereitschaft der Klägerin. Ihre Eltern befinden sich im Bundesgebiet. Ihr Vater investiert für seine Verhältnisse ganz erhebliche finanzielle Mittel in sie. Dies lässt auf eine intensive persönliche Bindung schließen, die wiederum einen beachtlichen Anreiz für den Verbleib im Bundesgebiet setzt. Nach dem unbestritten gebliebenen Vortrag der Beklagten hat die Klägerin keine Geschwister, die in Ghana leben. Über sonstige Familienangehörige ist nichts bekannt. Wirtschaftliche Bindungen der Klägerin an Ghana bestehen, soweit ersichtlich, nicht. Dass der Vater der Klägerin - teilweise im Voraus - erhebliche Aufwendungen für ihr Studium getätigt hat, lässt noch nicht darauf schließen, dass sie, wenn sich für sie nach Einreise in die Bundesrepublik Deutschland die Möglichkeit eines dauerhaften Verbleibs ergibt, nach Ghana zurückkehren wird. Ohnehin ist nicht erkennbar, mit welcher Ernsthaftigkeit sie ihr Studium dort betreibt. Die pauschalen Bekundungen der Universität zu ihren Berufsaussichten sind nicht geeignet, eine nennenswerte wirtschaftliche Perspektive in Ghana aufzuzeigen, zumal, worauf die Beklagte zu Recht hinweist, nicht nachvollziehbar ist, warum durch ein Studium der Soziologie und Sozialarbeit Berufsfelder in Banken, Handelskammern oder im Marketingbereich eröffnet werden. Der Senat hat die Klägerin mit Schreiben vom 18. Juni 2012 darauf aufmerksam gemacht, dass im Rahmen der Beschwerdeentscheidung auch ihre Rückkehrbereitschaft zu überprüfen ist.
2. Im Übrigen ist nicht erkennbar, dass die Klägerin außerstande ist, die Kosten der Prozessführung aufzubringen, ohne hierfür die von dem Verwaltungsgericht festgesetzten Raten zu zahlen (§ 166 VwGO, § 114 Satz 1, § 115 Abs. 2 ZPO).
a) Für die Frage der Bedürftigkeit kommt es nicht allein auf ihre eigenen Einkommens- und Vermögensverhältnisse an, sondern auch auf diejenigen ihrer im Bundesgebiet lebenden Eltern. Zwar richtet sich der materielle Unterhaltsanspruch gegen die Eltern in erster Linie nicht nach §§ 1601 ff. BGB, sondern nach dem ghanaischen Unterhaltsrecht (vgl. Art. 2, Art. 3 Abs. 1 Haager Protokoll über das auf Unterhaltspflichten anzuwendende Recht [HUntProt]). Gewährt das ghanaische Recht jedoch keinen Unterhaltsanspruch, ist die Unterhaltspflicht gemäß Art. 4 Abs. 1 Buchst. c, Abs. 2 HUntProt subsidiär nach deutschem Recht zu beurteilen. Dies rechtfertigt es, im Prozesskostenhilfeverfahren zu prüfen, ob der Klägerin ein Anspruch auf Prozesskostenvorschuss (vgl. § 1610 Abs. 2 BGB) gegen ihre Eltern zusteht, den sie vor Inanspruchnahme von Prozesskostenhilfe geltend machen muss. Nichts anderes war im Ergebnis unter der Geltung des außer Kraft getretenen Art. 18 EGBGB festzustellen. Maßgeblich war dort die Erwägung, im Ausland lebende Kinder, die noch keine von ihren Eltern unabhängige Lebensstellung erlangt hätten, könnten in Visumangelegenheiten nicht besser gestellt werden als Kinder, die sich im Bundesgebiet aufhielten und auf die (nach Art. 18 Abs. 1 EGBGB) deutsches Familienrecht mit der Folge anzuwenden wäre mit der Folge, dass die Bewilligung von Prozesskostenhilfe unter Berufung auf § 1610 BGB versagt werden könnte (vgl. zu der Rechtslage nach Art. 18 EGBGB OVG Berlin-Brandenburg, Beschlüsse vom 12. Oktober 2007 - OVG 12 M 29.07 -, juris Rn. 7 ff., sowie vom 19. Oktober 2009 - OVG 12 M 75.09 -, juris Rn. 4).
b) Es sei hinzugefügt, dass die oben zu a) angeführten Einkommensverhältnisse des Vaters der Klägerin auch Zweifel an den hinreichenden Erfolgsaussichten der Klage wecken, § 166 VwGO, §114 Satz 1 ZPO, weil die Klägerin voraussichtlich nicht gemäß Art. 21 Abs. 1, Abs. 3 Buchst. b Visakodex (VK) i.V.m. Art. 5 Abs. 1 Buchst. c Schengener Grenzkodex (SGK) belegt hat, dass sie über ausreichende Mittel zur Bestreitung des Lebensunterhalts während ihres Aufenthalts im Schengengebiet verfügt.
Sie hat eine Verpflichtungserklärung ihres Vaters vorgelegt. Zwar können gemäß Art. 5 Abs. 3 Satz 3 SGK auch Verpflichtungserklärungen berücksichtigt werden, wenn dies in nationalen Rechtsvorschriften vorgesehen ist. Eine solche Vorschrift stellt § 68 AufenthG dar. Diese setzt aber voraus, dass der Erklärende leistungsfähig ist. Bezieht er ein Arbeitseinkommen, so dient als Anhaltspunkt für seine Leistungsfähigkeit bei einem angestrebten Daueraufenthalt die Pfändungsfreigrenze des § 850c ZPO. Durch die Verpflichtungserklärung werden nämlich keine unmittelbaren Ansprüche des Ausländers gegen den Verpflichtenden begründet, so dass die öffentliche Mittel (vor-)leistende Behörde möglicherweise gehalten ist, einen auf § 68 AufenthG gestützten Erstattungsanspruch gegenüber dem Verpflichtungsgeber geltend zu machen. Verweigert dieser die Zahlung und kommt es zur Vollstreckung nach dem Verwaltungsvollstreckungsgesetz (§ 68 Abs. 2 Satz 2 AufenthG), so kann sein Arbeitseinkommen nur in dem gesetzlich zulässigen Maße gepfändet werden (§ 5 Abs. 1 VwVG, § 319 AO, § 850 c ZPO bzw. die entsprechenden Vorschriften in den Verwaltungsvollstreckungsgesetzen der Länder). Die Bonitätsprüfung des Verpflichtungsgebers kann daher nur dann zu seinen Gunsten ausgehen, wenn er über pfändungsfreies Einkommen in ausreichender Höhe verfügt (vgl. OVG Berlin-Brandenburg, Urteil vom 25. Januar 2012 - OVG 2 B 10.11 -, juris Rn. 45 m.w.N.). Dies ist im Falle des Vaters der Klägerin zweifelhaft. [...]