VG Minden

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Zitieren als:
VG Minden, Urteil vom 22.08.2012 - 7 K 729/11 - asyl.net: M20147
https://www.asyl.net/rsdb/M20147
Leitsatz:

Mangelt es an der für das Erlöschen des Freizügigkeitsrechts erforderlichen Verlustfeststellung, ist der Betroffene weiter als freizügigkeitsberechtigt im Sinne des Unionsrechts anzusehen.

Schlagwörter: Verlust des Freizügigkeitsrechts, Freizügigkeitsrecht, freizügigkeitsberechtigt, Ermessen, Aufenthaltskarte, Verlustfeststellung, Feststellung des Verlusts des Freizügigkeitsrechts,
Normen: FreizügG/EU § 5 Abs. 5 S. 1,
Auszüge:

[...]

Gegen die Zulässigkeit des unter Nr. 1 gestellten Feststellungsantrags bestehen keine Bedenken.

Insbesondere liegt das für diesen Antrag gemäß § 43 Abs. 1 VwGO erforderliche Feststellungsinteresse vor. Für die Rechtsstellung des Klägers als Ausländer in der Bundesrepublik Deutschland ist von entscheidender Bedeutung, ob er weiterhin als Freizügigkeitsberechtigter im Sinne des Unionsrechts anzusehen ist, da sich hiernach unter anderem die Frage richtet, ob er sich weiterhin rechtmäßig in der Bundesrepublik Deutschland aufhält und aufhalten darf. Diese Frage kann nur durch die begehrte Feststellung geklärt werden. Zum einen bestreitet der Beklagte das Bestehen eines Freizügigkeitsrechts für den Kläger, zum anderen hat der Beklagte eine Verlustfeststellung im Sinne des § 5 Abs. 5 Satz 1 FreizügG/EU gerade nicht getroffen, in deren Rahmen das Vorliegen der materiell-rechtlichen Voraussetzungen für ein Freizügigkeitsrecht zu hinterfragen wären. Von daher steht auch die Regelung des § 43 Abs. 2 Satz 1 VwGO dem Feststellungsbegehren des Klägers nicht entgegen. Dies gilt auch in Ansehung der dem Kläger offen stehenden Möglichkeit der Anfechtungsklage gegen die unter Ziffer 2 des angefochtenen Bescheides getroffene Widerrufsentscheidung, denn die Rechtswidrigkeit der Widerrufsentscheidung hängt nicht allein vom Bestehen des Freizügigkeitsrechts ab.

Der Antrag (Nr. 1) ist auch begründet. Der Kläger ist weiterhin als freizügigkeitsberechtigt im Sinne des Unionsrechts anzusehen.

Der Kläger ist unbestritten mit Schließung der Ehe und dem Nachzug zu seiner im Bundesgebiet freizügigkeitsberechtigten griechischen Ehefrau als sogenannter drittstaatsangehöriger Familienangehöriger eines Unionsbürgers freizügigkeitsberechtigt im Sinne des Unionsrechts geworden. Dies ist dann auch in der Folge durch die Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis/EU, die hier wegen der Regelung des § 15 FreizügG/EU als Aufenthaltskarte fortgilt, deklaratorisch festgestellt worden.

Es mag dahinstehen, ob das Freizügigkeitsrecht des Klägers etwa durch seinen längerfristigen, haftbedingten Aufenthalt im Drittausland erloschen ist, bzw. ob die materiell-rechtlichen Voraussetzungen für das Freizügigkeitsrecht weiter vorliegen (vgl. dazu VG Ansbach, Urteil vom 12.03.2009 - AN 5 K 08.01627 -), für den Kläger streiten gegenwärtig weiter die Verfahrensgarantien der Art. 30, 31 der sog. Unionsbürgerrichtlinie (vgl. RL 2004/38/EG vom 29.04.2004), die auf den Kläger gemäß Art. 15 der Richtlinie anwendbar sind, und die der Gesetzgeber mit der Regelung des § 5 Abs. 5 Satz 1 FreizügG/EU in nationales Recht umgesetzt hat. Danach bedarf jede Entscheidung, die die Freizügigkeit von Unionsbürgern und ihren Familienangehörigen beschränkt, der Schriftform und der Begründung (vgl. zur Erforderlichkeit einer gesonderten Verlustfeststellung VG Ansbach - AN 5 K 08.01627 -).

An einer solchen Verlustfeststellung fehlt es hier. Der Beklagte führt selbst aus, dass er eine solche Feststellung nicht habe treffen wollen. In der mündlichen Verhandlung hat er die erforderliche Verlustfeststellung auch nicht nachgeholt. Die erforderliche Verlustfeststellung kann ferner nicht etwa in der im angefochtenen Bescheid getroffenen Versagung der "Verlängerung der Aufenthaltserlaubnis" oder dem verfügten Widerruf der Aufenthaltskarte gesehen werden. Zwar prüft der Beklagte die materiell-rechtlichen Voraussetzungen des Freizügigkeitsrechts, die nach § 5 Abs. 5 Satz 1 FreizügG/EU erforderlichen Ermessenserwägungen zur Verlustfeststellung finden sich aber nicht.

Mangelt es nach alledem an der für das Erlöschen des Freizügigkeitsrechts erforderlichen Verlustfeststellung, ist der Kläger weiter als freizügigkeitsberechtigt im Sinne des Unionsrechts anzusehen.

Weil der Widerruf der Aufenthaltskarte und der Eintritt der Ausreisepflicht die Feststellung des Verlustes des Freizügigkeitsrechts voraussetzen, ist die Klage auch mit dem Klagebegehren zu Nr. 2 begründet. [...]