VG Stuttgart

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Zitieren als:
VG Stuttgart, Urteil vom 08.10.2012 - 11 K 1376/12 - asyl.net: M20160
https://www.asyl.net/rsdb/M20160
Leitsatz:

Bei mit einem Deutschen verheirateten Ausländer stellt die Herstellung einer einheitlichen Staatsangehörigkeit innerhalb der Familie ein öffentliches Interesse iSd § 8 Abs. 2 StAG dar, wenn ein Regelfall iSd § 9 StAG vorliegt, so dass das Ermessen nach § 8 Abs. 2 StAG eröffnet ist.

(Amtlicher Leitsatz)

Schlagwörter: deutsche Staatsangehörigkeit, Einbürgerung, deutscher Ehegatte, einheitliche Staatsangehörigkeit innerhalb der Familie, einheitliche Staatsangehörigkeit, Familie, Kernfamilie, Straftat, strafrechtliche Verurteilung, Ermessenseinbürgerung,
Normen: StAG § 9, GG Art. 6 Abs.. 1, StAG § 8 Abs. 2,
Auszüge:

[...]

Die Klage ist als Neubescheidungsklage zulässig und auch begründet. Die angefochtenen Bescheide sind rechtsfehlerhaft und verletzen den Kläger in seinem Anspruch auf pflichtgemäße Ausübung des Ermessens über seine Einbürgerung (§ 113 Abs. 5 S. 2 VwGO).

Die Beteiligten gehen zunächst zurecht und übereinstimmend davon aus, dass der Kläger seine Einbürgerung nicht beanspruchen kann. Denn aufgrund seiner strafgerichtlichen Verurteilung vom 21.06.2000 zu einer Freiheitsstrafe von 2 Jahren sind gemäß § 10 Abs. 1 Nr. 5 StAG die Voraussetzungen für einen Anspruch nicht erfüllt. Wie der Beklagte zutreffend entschieden hat, bleibt die Straftat wegen der Dauer der Freiheitsstrafe auch nicht nach § 12a Abs. 1 S. 1 StAG außer Betracht. Ebenfalls zutreffend gehen die angefochtenen Bescheide weiter davon aus, dass die zweijährige Freiheitsstrafe auch die sog. Geringfügigkeitsgrenze nach § 12a Abs. 1 S. 1 und 3 StAG überschreitet, so dass das hiernach mögliche Ermessen, die Straftat außer Betracht zu lassen, schon nicht eröffnet ist (vgl. zu den Geringfügigkeitsgrenzen BVerwG, Urteil vom 20.03.2012, - 5 C 5.11 -, <Juris>).

Der Kläger hat auch keinen Rechtsanspruch aus § 9 StAG.

Nach dieser Vorschrift sollen Ehegatten oder Lebenspartner Deutscher unter den Voraussetzungen des § 8 StAG eingebürgert werden, wenn die weiteren Voraussetzungen nach § 9 Abs. 1 StAG vorliegen. Liegt kein atypischer Sachverhalt vor, so handelt es sich auch im Hinblick auf den Verweis in § 9 Abs. 1 auf die Tatbestandsvoraussetzungen in § 8 StAG um eine Anspruchsnorm, sodass kein Ermessen der Behörde besteht (vgl. BVerwG, Urteile vom 18.08.1981, - 1 C 185/79 -, <Juris> und vom 16.05.1983, - 1 C 28/81 -, <Juris>).

Vorliegend besteht Einigkeit auch dahin, dass kein atypischer Fall im Sinne von § 9 Abs. 1 StAG (vgl. dazu BVerwG, Urteil vom 31.03.1987, - 1 C 29/84 -, <Juris>) gegeben ist und der Kläger die Tatbestandsvoraussetzungen nach § 9 Abs. 1 und, allerdings mit Ausnahme der Ziff. 2, auch diejenigen nach § 8 Abs. 1 StAG erfüllt. Damit besteht aber auch unter Annahme eines Regelfalles nach § 9 Abs. 1 StAG kein Rechtsanspruch auf eine Einbürgerung.

Jedoch ermöglicht § 8 Abs. 2 StAG eine behördliche Ermessenentscheidung darüber, u.a. von den Voraussetzungen des Abs. 1 Nr. 2 aus Gründen des öffentlichen Interesses oder zur Vermeidung einer besonderen Härte abzusehen. Diese Ermessensermächtigung wird von derjenigen nach § 12a Abs. 1 S. 2 und 3 StAG nicht ausgeschlossen oder verdrängt, sondern setzt im Gegensatz voraus, dass diese nicht greift (vgl. BVerwG, Urteil vom 20.03.2012, aaO.), was - wie schon ausgeführt - hier der Fall ist.

Vorliegend ist das Ermessen nach § 8 Abs. 2 StAG zwar nicht eröffnet, weil die Einbürgerung des Klägers zur Vermeidung einer besonderen Härte geboten erschiene. Denn diese Voraussetzung liegt nicht vor. Eine besondere Härte setzt das Vorliegen eines atypischen Sachverhaltes voraus, der den Einbürgerungsbewerber in besonderer Weise (qualifiziert) beschwert, wenn oder weil er nicht oder erst später eingebürgert wird. Das heißt, die Härte müsste durch die frühere Einbürgerung beseitigt werden (vgl. Verwaltungsgerichtshof Baden-Württemberg, Urteil vom 06.05.2009, - 13 S 2428/08 -, <Juris>; Marx. aaO., Rz. 112). Die Gründe, die der Kläger vorliegend geltend gemacht hat (insbesondere: es handele sich um die erste Verurteilung, diese liege im Jahr 2000 und damit lange zurück, er habe sich seither vorbildlich verhalten, ihm sei 2003 die Strafe erlassen und am 20.10.2011 eine unbefristete Aufenthaltserlaubnis erteilt worden), lassen aber keinen Schluss auf einen Nachteil zu, den der Kläger mit der Aufschiebung seiner Einbürgerung, die ihm nach Tilgung der Straftat im Jahr 2015 in Aussicht gestellt wird, zu erleiden hätte.

Jedoch ist eine Ermessensentscheidung aus Gründen des öffentlichen Interesses geboten. Es handelt sich dabei (ebenfalls) um einen unbestimmten Rechtsbegriff, der letztlich von den Verwaltungsgerichten auszulegen ist. Nach Marx (aaO., Rz. 157 ff. zu § 8) ist er weit zu verstehen und insbesondere im Zusammenhang mit den zahlreichen Einbürgerungserleichterungen bei der Ermessensausübung nach § 8 StAG zu sehen, in welchen das öffentliche Interesse an einer Einbürgerung des dadurch privilegierten Personenkreises zum Ausdruck kommt. Jedenfalls in Fällen wie hier erweitert sich der privilegierte Personenkreis durch die Verweisung in § 9 Abs. 1 StAG, so dass bei der Bestimmung des öffentlichen Interesses und bei der Ausübung des Ermessens nach § 8 Abs. 2 StAG die Ziele zu berücksichtigen sind, die der Gesetzgeber mit § 9 Abs. 1 StAG verfolgt hat: Nach § 9 Abs. 1 StAG sollen Ehepartner Deutscher unter den Voraussetzungen des § 8 StAG zur Herstellung einer einheitlichen deutschen Staatsangehörigkeit in der Familie eingebürgert werden. Dies ist Ausfluss aus Art. 6 Abs. 1 GG, der den Staat verpflichtet, die Einheit und Selbstverantwortung der Familie zu respektieren und zu fördern und wirkt dahin, dass eine einheitliche Staatsangehörigkeit in der Familie wünschenswert ist (vgl. Verwaltungsgericht Wiesbaden, Urteil vom 04.08.2008, - 6 K 574/08.WI -, <Juris>, unter Hinweis auf Marx, Gemeinschaftskommentar zum StAR, § 9 Rz. 1 ff.), weil sie ihren Zusammenhalt regelmäßig fördert. Die Behörde hält sich regelmäßig im Rahmen ihres Ermessens nach § 8 Abs. 2 StAG, wenn sie sich bei der Beurteilung der Frage, ob die Einbürgerung im staatlichen Interesse liegt, auch von dem Prinzip der einheitlichen Staatsangehörigkeit in der Familie leiten lässt, denn dieses Prinzip spricht dann, wenn andere von der Einbürgerung berührte staatliche Interessen gewahrt sind, für die Einbürgerung ausländischer Ehegatten deutscher Staatsangehöriger (BVerwG, Beschluss vom 29.07.1985, - 1 B 78.85 -, <Juris>, mit weiteren Nachweisen).

Die Kernfamilie des Klägers besteht aus deutschen Staatsangehörigen, nur der Kläger verfügt nicht über die deutsche Staatsangehörigkeit. Somit kann nach diesen Grundsätzen durch seine Einbürgerung dem Grundsatz der einheitlichen Staatsangehörigkeit in der Familie Rechnung getragen werden. Es ist damit grundsätzlich vom Vorliegen eines dahin gehenden öffentlichen Interesses an der Einbürgerung des Klägers auszugehen.

Dies hat vorliegend (nur) zur Folge, dass der Kläger eine pflichtgemäße Ermessensentscheidung über seine Einbürgerung zum jetzigen Zeitpunkt verlangen kann, soweit die übrigen Einbürgerungsvoraussetzungen nach § 9 Abs. 1 in Verbindung mit § 8 StAG (s.o.) auch weiterhin vorliegen. Ob andere von der Einbürgerung berührte staatliche Interessen gewahrt werden, ist Gegenstand der Abwägung im Rahmen der Ermessensbetätigung. Dass dies nicht der Ausschluss der Ermessenseinbürgerung im Hinblick auf die strafgerichtliche Verurteilung des Klägers sein kann, ergibt sich aber schon aus der eindeutigen Regelung in § 8 Abs. 2 in Verbindung mit Abs. 1 Nr. 2 StAG.

Da Ausgangs- und Widerspruchsbescheid ausdrücklich davon ausgegangen sind, dass das Ermessen nach § 9 Abs. 1 in Verbindung mit § 8 Abs. 2 StAG gar nicht erst eröffnet ist, sind die angefochtenen Bescheide schon deshalb rechtswidrig und verletzen den Kläger in seinen Rechten. Die als Neubescheidungsklage musste daher unter deren Aufhebung in vollem Umfange Erfolg haben. [...]