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VG Saarland

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Zitieren als:
VG Saarland, Beschluss vom 08.10.2012 - 10 L 804/12 - asyl.net: M20171
https://www.asyl.net/rsdb/M20171
Leitsatz:

Der Verstoß eines in einem Mitgliedstaat der Europäischen Union ansässigen Drittstaatsangehörigen, der nach der Einreise ins Bundesgebiet keine Aufenthaltserlaubnis zum Zwecke der Ausübung einer Erwerbstätigkeit eingeholt hat, stellte sich allenfalls als geringfügig dar und würde eine Ausweisung nach § 55 Abs. 2 Nr. 2 AufenthG nicht rechtfertigen.

Schlagwörter: Erwerbstätigkeit, Ordnungswidrigkeit, Ausweisung, Drittstaatsangehörige, EU-Mitgliedstaat, Mitgliedstaat der Europäischen Union, Schengener Durchführungsübereinkommen,
Normen: AufenthG § 55 Abs. 2 Nr. 2, AufenthG § 2 Abs. 2, SGB IV § 7, SGB III § 404 Abs. 2 Nr. 4, SDÜ Art. 21, SGK Art. 5 Abs. 1 Bst. c,
Auszüge:

[...]

Nach der Vorschrift des § 55 Abs. 1 AufenthG kann ein Ausländer ausgewiesen werden, wenn sein Aufenthalt die öffentliche Sicherheit und Ordnung oder sonstige erhebliche Interessen der Bundesrepublik Deutschland beeinträchtigt. Eine solche Beeinträchtigung der öffentlichen Sicherheit und Ordnung liegt nach § 55 Abs. 2 Nr. 2 AufenthG insbesondere vor, wenn der Ausländer einen nicht nur vereinzelten oder geringfügigen Verstoß gegen Rechtsvorschriften oder gerichtliche oder behördliche Entscheidungen oder Verfügungen begangen oder außerhalb des Bundesgebiets eine Straftat begangen hat, die im Bundesgebiet als vorsätzliche Straftat anzusehen ist. Das Vorliegen der Voraussetzungen des Ausweisungstatbestandes des § 55 Abs. 2 Nr. 2 AufenthG kann nach den gegebenen Umständen im Fall des Antragstellers indes nicht als nachgewiesen angesehen werden.

Entgegen der Auffassung des Antragsgegners ist zunächst nicht feststellbar, dass der Antragsteller gegen bestehende Einreisevorschriften verstoßen hat. Gemäß Art. 21 Übereinkommen zur Durchführung des Übereinkommens von Schengen vom 14.06.1985 zwischen den Regierungen der Staaten der Benelux-Wirtschaftsunion, der Bundesrepublik Deutschland und der Französischen Republik betreffend den schrittweisen Abbau der Kontrollen an den gemeinsamen Grenzen vom 19.06.1990 (BGBl. II 1993, S. 1010), zuletzt geändert durch Artikel 6 Nr. 3 a) des Gesetzes vom 07.12.2011 (BGBl. I, S. 2576) – Schengener Durchführungsübereinkommen – können sich Drittausländer, die Inhaber eines gültigen, von einer der Vertragsparteien ausgestellten Aufenthaltstitels sind, aufgrund dieses Dokuments und eines gültigen Reisedokuments höchstens bis zu drei Monaten frei im Hoheitsgebiet der anderen Vertragsparteien bewegen, sofern sie die in Art. 5 Abs. 1 Buchst. a), c) und e) der Verordnung (EG) Nr. 562/2006 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 15.03.2006 über einen Gemeinschaftskodex für das Überschreiten der Grenzen durch Personen – Schengener Grenzkodex – aufgeführten Einreisevoraussetzungen erfüllen und nicht auf der nationalen Ausschreibungsliste der betroffenen Vertragspartei stehen. Der Antragsteller ist unstreitig im Besitz eines bis zum 11.02.2014 befristeten tschechischen Aufenthaltstitels sowie eines gültigen vietnamesischen Nationalpasses. Dass sein Name auf der nationalen Ausschreibungsliste notiert wäre, ist weder vorgetragen noch ansonsten ersichtlich. Ebenso wenig ist erkennbar, dass der Antragsteller die in Art. 5 Abs. 1 Buchst. a), c) und e) Schengener Grenzkodex aufgeführten Einreisevoraussetzungen nicht erfüllen würde. Danach muss der Betroffene im Besitz eines oder mehrerer gültiger Reisedokumente sein, die ihn zum Überschreiten der Grenze berechtigen (Buchst. a)), den Zweck und die Umstände des beabsichtigten Aufenthalts belegen, über ausreichende Mittel zur Bestreitung des Lebensunterhalts sowohl für die Dauer des beabsichtigten Aufenthalts als auch für die Rückreise in den Herkunftsstaat oder für die Durchreise in einen Drittstaat, in dem seine Zulassung gewährleistet ist, verfügen oder in der Lage sein, diese Mittel rechtmäßig zu erwerben (Buchst. c)), und darf er keine Gefahr für die öffentliche Ordnung, die innere Sicherheit, die öffentliche Gesundheit oder die internationalen Beziehungen eines Mitgliedsstaats darstellen, insbesondere nicht in den nationalen Datenbanken der Mitgliedsstaaten zur Einreiseverweigerung aus denselben Gründen ausgeschrieben worden sein. Der Einreiseerlaubnis des Antragstellers könnte hier allenfalls das Fehlen der Einreisevoraussetzung nach Art. 5 Abs. 1 Buchst. e) Schengener Grenzkodex entgegenstehen. Indes ist nicht feststellbar, dass der Antragsteller bei seiner Einreise die insofern allein in Betracht kommende 1. Alternative dieser Vorschrift erfüllte, er also eine Gefahr für die öffentliche Ordnung darstellte. Dabei kann dahingestellt bleiben, ob die dem Antragsteller vorgeworfene unerlaubte Beschäftigung als Küchenhilfe in dem Restaurant "..." in A-Stadt überhaupt eine Gefahr für die öffentliche Ordnung im Sinne des Art. 5 Abs. 1 Buchst. e) Schengener Grenzkodex zu begründen vermag (verneinend etwa für die Erwerbstätigkeit durch Prostitution VG Darmstadt, Beschluss vom 05.06.2008, 5 L 277/08.DA, InfAuslR 2008, 340).

Denn jedenfalls sind auch nicht ansatzweise hinreichende Anhaltspunkte dafür erkennbar oder von dem Antragsgegner dargetan, dass der Antragsteller bereits bei seiner Einreise beabsichtigte, im Bundesgebiet einer illegalen Beschäftigung nachzugehen.

Kann mithin nicht davon ausgegangen werden, dass die Einreise des Antragstellers ins Bundesgebiet unerlaubt war, ist im Weiteren auch nicht annehmbar, dass der Antragsteller aufgrund eines Verstoßes gegen die Aufenthaltsbestimmungen sowie der unerlaubten Aufnahme einer Erwerbstätigkeit den Ausweisungstatbestand des § 55 Abs. 2 Nr. 2 AufenthG erfüllt.

Vorliegend kann es schon nicht als nachgewiesen angesehen werden, dass der Antragsteller in dem Restaurant "..." in A-Stadt einer Erwerbstätigkeit im Sinne von §§ 2 Abs. 2 AufenthG, 7 SGB IV nachgegangen ist. Nach § 7 Abs. 1 Satz 1 SGB IV ist eine Beschäftigung die nichtselbständige Arbeit, insbesondere in einem Arbeitsverhältnis. Anhaltspunkte für eine Beschäftigung sind nach Satz 2 dieser Vorschrift eine Tätigkeit nach Weisungen und eine Eingliederung in die Arbeitsorganisation des Weisungsgebers. Die Annahme des Antragsgegners, der Antragsteller habe als Küchenhilfe in dem Restaurant "..." gearbeitet, beruht fallbezogen allein auf den anlässlich der Überprüfung des Restaurants am 27.08.2012 getätigten Beobachtungen von Beamten des Hauptzollamtes Saarbrücken. [...]

Diese Beobachtungen reichen indes nicht aus, um hinreichend sicher zu belegen, dass der Antragsteller tatsächlich eine Beschäftigung i.S.v. § 7 Abs. 1 SGB IV ausgeübt hat. [...]

Überdies lägen selbst im Fall einer nachgewiesenen Beschäftigung des Antragstellers aller Voraussicht nach die Voraussetzungen für eine Ausweisung nach § 55 Abs. 2 Nr. 2 AufenthG nicht vor. Zwar spricht Vieles dafür, dass der Aufenthalt des Antragstellers im Falle der Aufnahme einer Beschäftigung als Küchenhilfe im Restaurant "..." in A-Stadt unerlaubt gewesen wäre. Denn Ausländer dürfen gemäß § 4 Abs. 3 Satz 1 AufenthG eine Erwerbstätigkeit nur ausüben, wenn der Aufenthaltstitel sie dazu berechtigt. Über einen solchen, die Ausübung einer Erwerbstätigkeit gestattenden Aufenthaltstitel verfügte der Antragsteller indes ersichtlich nicht. Zudem stellte die Aufnahme einer Erwerbstätigkeit durch den Antragsteller ohne die gemäß § 4 Abs. 3 Satz 1 AufenthG erforderliche Erlaubnis eine Ordnungswidrigkeit gemäß § 404 Abs. 2 Nr. 4 SGB III dar. Allerdings würde es sich insoweit lediglich um einen vereinzelten und geringfügigen Rechtsverstoß handeln. Davon abgesehen, dass die nach § 404 Abs. 3 SGB III vorgesehene Geldbuße von bis zu 5.000,-- Euro allenfalls im mittleren Bereich der Sanktionierung von Ordnungswidrigkeiten liegt, zeigt insbesondere der Umstand, dass das gegen den Antragsteller eingeleitete Ordnungswidrigkeitenverfahren wegen Verstoßes gegen die Vorschrift des § 404 Abs. 2 Nr. 4 SGB III mit einer Verwarnung ohne Verwarngeld abgeschlossen worden ist (vgl. den Außendienstbericht vom 27.08.2012, Bl. 40 f der Ermittlungsakte des Hauptzollamtes Saarbrücken), dass einem etwaigen Rechtsverstoß des Antragstellers keine besondere Schwere beizumessen wäre. Ferner ist zu berücksichtigen, dass das Einreise- und Aufenthaltsrecht aus Art. 21 Schengener Durchführungsübereinkommen, von dem der Antragsteller Gebrauch gemacht hat, gerade nicht von vorneherein einen Aufenthalt zum Zweck der Erwerbstätigkeit ausschließt, sondern, wie Art. 5 Abs. 1 Buchst. c) Schengener Grenzkodex zu entnehmen ist, eine solche ausdrücklich zulässt. Ein etwaiger Verstoß des Antragstellers, nach der Einreise ins Bundesgebiet keine Aufenthaltserlaubnis zum Zwecke der Ausübung einer Erwerbstätigkeit eingeholt zu haben, stellte sich daher allenfalls als geringfügig dar und würde eine Ausweisung nach § 55 Abs. 2 Nr. 2 AufenthG nicht rechtfertigen (im Ergebnis ebenso VG Darmstadt, Beschluss vom 05.06.2008, 5 L 277/08.DA, a.a.O., VG Frankfurt, Urteil vom 14.12.2010, 7 K 851/10.F, InfAuslR 2011, 199, sowie VG München, Urteil vom 26.11.2011, M 25 K 10.2088, zitiert nach juris). [...]