VG Saarland

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Zitieren als:
VG Saarland, Urteil vom 14.08.2012 - 2 K 283/11 - asyl.net: M20174
https://www.asyl.net/rsdb/M20174
Leitsatz:

1) Eine Einbürgerung nach § 10 StAG setzt u.a. voraus, dass der Einbürgerungsbewerber über ein unbefristetes Aufenthaltsrecht verfügt.

2) Einer Ermessenseinbürgerung nach § 8 StAG steht ein fortdauernder Leistungsbezug auch dann entgegen, wenn der Einbürgerungsbewerber diesen im Einzelfall nicht zu vertreten hat.

3) Zu den Voraussetzungen für die Annahme eines "öffentlichen Interesses" bzw. einer "besonderen Härte" i.S.d. § 8 Abs. 2 StAG.

(Amtliche Leitsätze)

Schlagwörter: Einbürgerung, Ermessenseinbürgerung, Sozialleistungen, Leistungsbezug, Bezug von Sozialleistungen, Sicherung des Lebensunterhalts, öffentliches Interesse, besondere Härte, Vertretenmüssen,
Normen: StAG § 8, AufenthG § 23 Abs. 1, StAG § 8 Abs. 1 Nr. 4, StAG § 8 Abs. 2,
Auszüge:

[...]

Der Hilfsantrag bleibt ebenfalls ohne Erfolg, denn der Kläger kann seine Einbürgerung auch nicht unter Ermessensgesichtspunkten nach Maßgabe des § 8 StAG verlangen.

Zwar steht die befristete Aufenthaltserlaubnis des Klägers gemäß § 23 Abs. 1 AufenthG einer Ermessenseinbürgerung nach § 8 StAG nicht von vornherein entgegen. Abgesehen davon, dass ein geeigneter Aufenthaltstitel - anders als bei der Anspruchseinbürgerung nach § 10 StAG - nicht Tatbestandsvoraussetzung des § 8 StAG ist, ist in Nr. 8.1.2.4 der Vorläufigen Anwendungshinweise des Bundesministeriums des Innern zum Staatsangehörigkeitsgesetz (abgedruckt in GK-StAR, VII-3) als allgemeiner Grundsatz für die Ermessensausübung ausgeführt, abweichend von dem in Nr. 10.1.1.2 genannten Aufenthaltsstatus genüge eine Aufenthaltserlaubnis nach § 23 Abs. 1 und § 23 a Abs. 1 des Aufenthalts - gesetzes, wenn sie aufgrund gruppenbezogener Regelungen aus humanitären Gründen auf Dauer zugesagt ("Altfallregelung") oder im Einzelfall ("Härtefallersuchen") angeordnet worden sei.

Einer Ermessenseinbürgerung des Klägers steht jedoch entgegen, dass er den Lebensunterhalt für sich und seine Familie nicht ohne Inanspruchnahme von Sozialleistungen bestreiten kann und damit die tatbestandlichen Voraussetzungen des § 8 Abs. 1 Nr. 4 StAG nicht erfüllt. Eine Ausnahme nach § 8 Abs. 2 StAG kommt nach den Umständen des Falles nicht in Betracht.

Nach § 8 Abs. 1 StAG kann ein Ausländer, der rechtmäßig seinen gewöhnlichen Aufenthalt im Inland hat, auf seinen Antrag eingebürgert werden, wenn er die in den Nrn. 1 bis 4 näher bezeichneten Mindestvoraussetzungen erfüllt. Hierzu gehört unter anderem, dass er sich und seine Angehörigen zu ernähren imstande ist (§ 8 Abs. 1 Nr. 4 StAG). Darüber hinaus bestimmt § 8 Abs. 2 StAG, dass von den Voraussetzungen des Absatzes 1 Nr. 2 und 4 aus Gründen des öffentlichen Interesses oder zur Vermeidung einer besonderen Härte abgesehen werden kann.

Dass der Kläger für sich und seine Ehefrau fortlaufend Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts bezieht (bedarfsorientierte Grundsicherung nach dem Vierten Kapitel des SGB XII), hat er selbst nicht in Abrede gestellt (vgl. auch den im Rahmen des Prozesskostenhilfeverfahrens eingereichten Bescheid des R. A-Stadt vom 29.07.2010, wonach monatlich 587,18 Euro gewährt werden). Worauf der Bezug der Sozialleistungen in Einzelnen beruht und weshalb es dem Kläger, der im Alter von 44 Jahren ins Bundesgebiet eingereist ist, vor Erreichen des Rentenalters nicht gelungen ist, irgendwelche Ansprüche aus der gesetzlichen Rentenversicherung zu erwerben, die ihn vom Bezug öffentlicher Sozialleistungen unabhängig gemacht hätten, ist im Rahmen des § 8 Abs. 1 Nr. 4 StAG unerheblich. Im Gegensatz zu der Regelung in § 10 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 StAG, wonach die Inanspruchnahme von Leistungen nach dem Zweiten oder Zwölften Buch Sozialgesetzbuch nur dann einbürgerungsschädlich ist, wenn insoweit von einem Vertretenmüssen auszugehen ist, steht der Leistungsbezug bzw. das Bestehen eines entsprechenden Anspruchs der Einbürgerung im Ermessenswege auch dann entgegen, wenn der Einbürgerungsbewerber den Umstand, der ihn zur Inanspruchnahme dieser Leistungen berechtigt, im Einzelfall nicht zu vertreten hat (vgl. Nr. 8.1.1.4 der Vorläufigen Anwendungshinweise des Bundesministeriums des Innern zum Staatsangehörigkeitsgesetz, a.a.O.).

Demzufolge kommt es hier nicht darauf an, ob der Kläger in den Jahren vor Erreichen des Rentenalters durchaus arbeitswillig, aber in erster Linie aufgrund seiner ausländerrechtlichen Situation an einer erfolgreichen Arbeitsaufnahme gehindert war, oder ob die Einschätzung des Beklagten zutrifft, dass er sich in dieser Zeit nicht ausreichend um eine Arbeitsstelle bemüht hat. Des Weiteren bedarf es keiner Auseinandersetzung mit der vom Kläger zitierten Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts (Urteil vom 19.02.2009 -5 C 22.08-, NVwZ 2009, 843).

zum Gegenwartsbezug des Vertretenmüssens bzw. zur zeitlichen Grenze, innerhalb der aktuell nicht rückgängig zu machende Fernwirkungen vergangenen zurechenbaren Verhaltens einem Bewerber im Einbürgerungsverfahren entgegengehalten werden können. Da es hier auf ein Vertretenmüssen überhaupt nicht ankommt, stellt sich auch die Frage einer Auflösung des Zurechnungszusammenhangs infolge Zeitablaufs nicht (vgl. Urteil der Kammer vom 27.09.2011 -2 K 209/10-, bestätigt durch Urteil des Oberverwaltungsgerichts des Saarlandes vom 28.06.2012 -1 A 35/12).

Nach alledem sind die Mindestvoraussetzungen für eine Ermessenseinbürgerung des Klägers (hier: § 8 Abs. 1 Nr. 4 StAG) bereits aufgrund des fortdauernden Leistungsbezugs nicht erfüllt.

Zwar bestimmt § 8 Abs. 2 StAG, dass von den Voraussetzungen des Absatzes 1 Nr. 2 und 4 aus Gründen des öffentlichen Interesses oder zur Vermeidung einer besonderen Härte abgesehen werden kann. Dass der Beklagte im Fall des Klägers die Voraussetzungen dieser Ausnahmevorschrift verneint hat, begegnet indes keinen Bedenken. Es ist nämlich weder ersichtlich, dass die Einbürgerung des Klägers im öffentlichen Interesse liegen könnte noch sind Anhaltspunkte für eine besondere Härte erkennbar.

Hinsichtlich des "öffentlichen Interesses" im Sinne des § 8 Abs. 2 StAG hat das Oberverwaltungsgericht des Saarlandes in dem zitierten Urteil vom 28.06.2012 - 1 A 35/12 - ausführlich dargelegt, dass die von der Kommentarliteratur geforderte weite Auslegung des Begriffes, wonach das öffentliche Interesse im Sinne des § 8 Abs. 2 StAG im Zusammenhang mit den vom Bundesministerium des Innern vorgegebenen Einbürgerungserleichterungen zu sehen sei, die im Rahmen der Ermessensausübung zu berücksichtigen seien und das öffentliche Interesse an der Einbürgerung des durch sie privilegierten Personenkreises zum Ausdruck brächten, mit der Folge, dass ein Abweichen vom Unterhaltserfordernis regelmäßig angezeigt sei, wenn die Voraussetzungen einer solchen Einbürgerungserleichterung erfüllt seien, abgelehnt werden müsse. Dass jede zu § 8 Abs. 1 StAG anerkannte Einbürgerungserleichterung gleichzeitig ein öffentliches Interesse an der Einbürgerung im Sinne des § 8 Abs. 2 StAG zum Ausdruck bringe, sei nicht anzunehmen. Im Anwendungsbereich des § 8 Abs. 2 StAG spreche vielmehr alles dafür, Einbürgerungserleichterungen, die den persönlichen Verhältnissen des Einbürgerungsbewerbers Rechnung tragen sollten, nicht als ausreichend zur Begründung eines öffentlichen Interesses zu erachten, sondern ein spezifisch staatliches Interesse an der Einbürgerung als unverzichtbar zu fordern. Demnach sei ein öffentliches Interesse im Sinne des § 8 Abs. 2 StAG nur gegeben, wenn nach dem konkreten Sachverhalt ein sich vom Durchschnittsfall eines Einbürgerungsbegehrens abhebendes spezifisch staatliches Interesse an der Einbürgerung bestehe, das es ausnahmsweise rechtfertigen könne, den Ausländer trotz fehlender Unterhaltsfähigkeit - insoweit gegebenenfalls auch im Falle eines Vertretenmüssens - einzubürgern. Nur bei Bestehen eines solchen durch staatliche Belange vorgegebenen öffentlichen Interesses verlange die Vorschrift der Einbürgerungsbehörde die Betätigung ihres Einbürgerungsermessens ab.

Ausgehend davon ist ein öffentliches Interesse an einer Einbürgerung des Klägers in den deutschen Staatsverband im vorliegenden Fall nicht erkennbar. Der Kläger hat nämlich keine Umstände geltend gemacht, die ein sich vom Durchschnittsfall eines Einbürgerungsbegehrens abhebendes spezifisch staatliches Interesse an seiner Einbürgerung begründen könnten. Der Umstand, dass es sich beim Kläger um eine ältere Person mit langem Inhaltsaufenthalt handelt, für die das Bundesministerium des Innern in seinen Vorläufigen Anwendungshinweisen zum StAG gewisse Einbürgerungserleichterungen vorsieht (vgl. hinsichtlich der Sprachanforderungen etwa Nr. 8.1.3.7 der Vorläufigen Anwendungshinweise, wonach es bei Personen, die das 60. Lebensjahr vollendet haben und seit 12 Jahren ihren rechtmäßigen Aufenthalt im Inland haben, abweichend von Nr. 8.1.2.1.2 genügt, wenn sie sich ohne nennenswerte Probleme im Alltagsleben in deutscher Sprache mündlich verständigen können), reicht nach den obigen Ausführungen gerade nicht aus.

Der Beklagte hat auch zu Recht das Vorliegen einer besonderen Härte im Sinne des § 8 Abs. 2 StAG, aufgrund derer der Leistungsbezug des Klägers außer Acht bleiben könnte, verneint.

Eine besondere Härte liegt vor, wenn es den Betroffenen unter Berücksichtigung aller persönlichen und familiären Umstände erheblich stärker als andere treffen würde, wenn die Einbürgerung versagt bliebe. Insoweit wäre erforderlich, dass in der Person des Klägers atypische Umstände des Einzelfalls vorliegen, die gerade durch die Verweigerung der Einbürgerung hervorgerufen werden bzw. durch eine Einbürgerung vermieden oder zumindest entscheidend abgemildert würden (vgl. BVerwG, Urteil vom 20.03.2012 - 5 C 5.11 -; ferner OVG des Saarlandes, Urteil vom 28.06.2012 -1 A 35/12- sowie Beschluss vom 10.06.2010 - 1 A 88/10 -, unter Hinweis auf u.a. HessVGH, Beschluss vom 21.10.2008 - 5 A 1820/08.Z - und OVG Berlin-Brandenburg, Beschluss vom 11.06.2009 - 5 M 30.08 -, jeweils dokumentiert in juris).

Solche Umstände sind indes nicht ersichtlich. Zwar gehört der 1944 geborene Kläger, der seit 1988 in der Bundesrepublik Deutschland lebt, als ältere Person mit langem Inlandsaufenthalt zu dem in Nr. 8.2 letzter Satz der Vorläufigen Anwendungshinweise besonders erwähnten Personenkreis, bei dem Gesichtspunkte der Vermeidung einer besonderen Härte grundsätzlich in Betracht kommen. Allerdings ist im Fall des Klägers nicht erkennbar, inwieweit sich seine persönliche Situation durch eine Einbürgerung verbessern würde. Der Kläger hat auch nicht dargelegt, dass ihm ein weiteres Verbleiben im Status des Ausländers nicht mehr zuzumuten wäre. Soweit es ihm darum geht, seinen Lebensabend in Deutschland verbringen zu können und weiterhin Hilfe zum Lebensunterhalt zu erhalten, wird ihm dies auch ohne die begehrte Einbürgerung nicht verwehrt. Eine besondere Härte im Sinne einer persönlichen Ausnahmesituation ist damit nicht belegt.

Fehlt es nach alledem bereits an den tatbestandlichen Voraussetzungen des § 8 Abs. 2 StAG, so ist für eine Ermessensentscheidung des Beklagten kein Raum. [...]