VGH Bayern

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Zitieren als:
VGH Bayern, Beschluss vom 31.10.2012 - 10 C 12.863 - asyl.net: M20253
https://www.asyl.net/rsdb/M20253
Leitsatz:

Falschangaben zum Bestehen einer ehelichen Lebensgemeinschaft nach Belehrung können eine Ausweisung begründen. Die Ausländerbehörde kann die tatsächlichen Feststellungen eines Strafgerichts ihrer Ausweisungsentscheidung zugrunde legen, wenn sich eine weitere Aufklärung nicht aufdrängt.

Schlagwörter: eheliche Lebensgemeinschaft, gemeinsame Wohnung, falsche Angaben, Falschangaben, Belehrung, Ausweisungsgrund, vorsätzliche Straftat, Straftat, nicht nur geringfügiger Verstoß, Scheinehe, Zweckehe, Ausweisung,
Normen: AufenthG § 55 Abs. 1, AufenthG § 55 Abs. 2 Nr. 1 a, AufenthG § 55 Abs. 2 Nr. 2, AufenthG § 95 Abs. 2 Nr. 2,
Auszüge:

[...]

1. Soweit sie sich gegen die Ausweisung der Klägerin in Nr. 1. des Bescheids der Beklagten vom 6. März 2012 richtet, hat die Klage keine hinreichende Aussicht auf Erfolg. Die Ausweisung wird sich vielmehr voraussichtlich als rechtmäßig erweisen. Die Klägerin kann nach § 55 Abs. 1 in Verbindung mit § 55 Abs. 2 Nr. 1 Buchstabe a und § 55 Abs. 2 Nr. 2 AufenthG ausgewiesen werden (a). Die Klägerin genießt auch nicht nach § 56 Abs. 1 Satz 1 AufenthG besonderen Ausweisungsschutz mit der Folge, dass sie nach § 56 Abs. 1 Satz 2 AufenthG nur aus schwerwiegenden Gründen der öffentlichen Sicherheit und Ordnung ausgewiesen werden könnte (b). Die Ausweisung lässt schließlich auch keine Ermessensfehler erkennen (c).

a) Nach § 55 Abs. 1 AufenthG kann ein Ausländer ausgewiesen werden, wenn sein Aufenthalt die öffentliche Sicherheit und Ordnung oder sonstige erhebliche Interessen der Bundesrepublik Deutschland beeinträchtigt. Insbesondere kann eine Ausweisung dann erfolgen, wenn der Ausländer in einem Verwaltungsverfahren, das von Behörden eines Schengen-Staates durchgeführt wurde, im In- oder Ausland falsche oder unvollständige Angaben zur Erlangung eines deutschen Aufenthaltstitels gemacht hat, soweit der Ausländer zuvor auf die Rechtsfolgen solcher Handlungen hingewiesen worden ist (§ 55 Abs. 2 Nr. 1 Buchstabe a AufenthG), oder wenn er einen nicht nur geringfügigen Verstoß gegen Rechtsvorschriften begangen hat (§ 55 Abs. 2 Nr. 2 AufenthG). Sowohl die Voraussetzungen von § 55 Abs. 2 Nr. 1 Buchstabe a AufenthG als auch die von § 55 Abs. 2 Nr. 2 AufenthG sind hier erfüllt.

aa) Die Voraussetzungen für eine Ausweisung nach § 55 Abs. 1 in Verbindung mit § 55 Abs. 2 Nr. 1 Buchstabe a AufenthG liegen vor, weil die Klägerin in dem von der Beklagten als Behörde eines Schengen-Staates auf den Antrag auf Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis vom 31. Mai 2010 hin durchgeführten Verwaltungsverfahren falsche Angaben zur Erlangung einer Aufenthaltserlaubnis gemacht hat und zuvor auf die Rechtsfolgen solcher Angaben hingewiesen worden ist.

aaa) Die Klägerin hat im Rahmen dieses Verwaltungsverfahrens gegenüber der Beklagten mit einer von ihr, ihrem Ehemann und einem Mitarbeiter der Beklagten unterschriebenen Erklärung ausdrücklich erklärt, mit ihrem Ehemann in ehelicher Lebensgemeinschaft in der gemeinsamen Wohnung zu leben (Bl. 10 der Behördenakte). Nach den Feststellungen des rechtskräftigen Urteils des Amtsgerichts München vom 15. September 2011, mit dem die Klägerin wegen des Erschleichens eines Aufenthaltstitels (§ 95 Abs. 2 Nr. 2 AufenthG) zu einer Geldstrafe von 135 Tagessätzen verurteilt wurde, lebten die Klägerin und ihr Ehemann zum Zeitpunkt der Abgabe dieser Erklärung jedoch nicht in ehelicher Lebensgemeinschaft in der von ihnen als gemeinsam angegebenen Wohnung zusammen. Außerdem machte die Klägerin nach den Feststellungen des Urteils die falschen Angaben, um die Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis für sich zu erreichen.

Von diesen Feststellungen kann ausgegangen werden. Denn die Ausländerbehörde kann die tatsächlichen Feststellungen eines Strafgerichts ihrer Ausweisungsentscheidung zugrunde legen, wenn sich eine weitere Aufklärung nicht aufdrängt, insbesondere weil wie in der Regel nichts dafür ersichtlich ist, dass die Ausländerbehörde den Vorfall besser aufklären kann als Polizei, Staatsanwaltschaft und Strafgericht. Ausnahmsweise nicht oder jedenfalls nicht ohne Weiteres zugrunde gelegt werden dürfen die strafgerichtlichen Feststellungen hingegen, wenn sich eine weitere Aufklärung aufdrängt, weil erkennbar ist, dass die Verurteilung auf einem Irrtum beruht, oder weil die Ausländerbehörde eine für die Entscheidung erhebliche, aber strittige Tatsache besser als das Strafgericht oder die Strafverfolgungsbehörden aufklären kann. Dies kommt etwa dann in Betracht, wenn bei einer strafgerichtlichen Verurteilung im Ausland nach den Bedingungen, unter denen sie ergangen ist, keine hinreichende Gewähr für die Richtigkeit der sie tragenden und für die Ausweisungsentscheidung maßgeblichen Feststellungen besteht (vgl. BVerwG vom 08.05.1989 Az. 1 B 77.89 InfAuslR 1989, 269/270 m.w.N.). Nach diesen Maßstäben können der Ausweisung und ihrer gerichtlichen Überprüfung aber die Feststellungen des Amtsgerichts zugrunde gelegt werden. Denn eine weitere Sachverhaltsaufklärung drängt sich nicht auf. Es ist insbesondere weder aus dem Vorbringen der Klägerin noch sonst ersichtlich, dass die Verurteilung auf einem Irrtum beruht oder dass die Beklagte oder die Verwaltungsgerichte über bessere Möglichkeiten der Sachaufklärung verfügen als die Strafverfolgungsbehörden und das Strafgericht.

Weder das Klage- noch das Beschwerdevorbringen setzen sich mit den Feststellungen des Strafurteils näher auseinander. Die Klägerin trägt vielmehr lediglich im Widerspruch zu diesen Feststellungen vor, dass sie nach der Eheschließung in die Wohnung ihres Ehemanns eingezogen sei. Ausführungen, aus denen sich Anhaltspunkte dafür ergeben könnten, dass die gegenteiligen Feststellungen des Strafgerichts, die im Übrigen mit der auf die Höhe des Tagessatzes beschränkten Berufung gegen das Strafurteil nicht angegriffen worden sind, unzutreffend sein könnten, macht die Klägerin hingegen nicht. [...]

bb) Darüber hinaus ist auch der Ausweisungsgrund des § 55 Abs. 2 Nr. 2 AufenthG erfüllt, weil die Klägerin mit der vorsätzlichen Straftat nach § 95 Abs. 2 Nr. 2 AufenthG einen nicht nur geringfügigen Verstoß gegen Rechtsvorschriften begangen hat. Denn eine vorsätzlich begangene Straftat ist grundsätzlich kein geringfügiger Verstoß gegen Rechtsvorschriften (vgl. BVerwG vom 24.09.1996 Az. 1 C 9.94 <juris> RdNr. 20; BayVGH vom 15.12.2003 Az. 10 B 03.1725 <juris> RdNr. 16). [...]