Die Sperrwirkungen der Ausweisung dürfen nur aufrechterhalten werden, solange die mit der Ausweisung verfolgten Zwecke dies rechtfertigen.
Die Befristungsentscheidung entfaltet auch in Bezug auf § 25 Abs. 1 und 2 AufenthG Wirkung.
[...]
1. Das Klagebegehren richtet sich auf die Verpflichtung des Beklagten zur Befristung der Sperrwirkung der Ausweisung. Für die Prüfung dieses Anspruchs ist maßgeblich auf die Sach- und Rechtslage im Zeitpunkt der mündlichen Verhandlung abzustellen. Daher ist insbesondere § 11 AufenthG in der durch das Gesetz zur Umsetzung aufenthaltsrechtlicher Richtlinien der Europäischen Union und zur Anpassung nationaler Rechtsvorschriften an den EU-Visakodex vom 22.11.2011 (Richtlinienumsetzungsgesetz 2011) geänderten Fassung anzuwenden.
Anspruchsgrundlage ist § 11 Abs. 1 Satz 3 AufenthG. Danach werden die in den Sätzen 1 (Einreise- und Aufenthaltsverbot) und 2 (Titelerteilungsverbot) bezeichneten Wirkungen auf Antrag befristet. Die seit dem Richtlinienumsetzungsgesetz 2011 geltende Fassung gibt dem Ausländer nicht mehr nur im Regelfall, sondern immer einen Befristungsanspruch. Das Bestehen dieses Befristungsanspruchs ist zwischen den Beteiligten unstreitig.
2. Über den Befristungsanspruch des Klägers ist bereits jetzt aufgrund der mündlichen Verhandlung des Senats - und nicht erst nach einer eventuellen Ausreise des Klägers - zu entscheiden. Während die Befristung der Sperrwirkung nach den früher geltenden Vorschriften grundsätzlich die vorherige Ausreise des Ausländers voraussetzte, gebietet die Neufassung von § 11 Abs. 1 AufenthG durch das Richtlinienumsetzungsgesetz 2011 den gleichzeitigen Erlass von Ausweisung und Befristung (BVerwG, Urteil vom 10.07.2012 - 1 C 19.11 - juris, Rdnr. 30).
3. Die Sperrwirkungen der Ausweisung sind der Sache nach auf sofort zu befristen. Die Sperrfrist ist von ihrer zeitlichen Dauer her also mit "null" zu bemessen.
Nach dem durch das Richtlinienumsetzungsgesetz 2011 neu eingefügten § 11 Abs. 1 Satz 4 AufenthG ist die Frist unter Berücksichtigung der Umstände des Einzelfalls festzusetzen und darf fünf Jahre nur überschreiten, wenn der Ausländer auf Grund einer strafrechtlichen Verurteilung ausgewiesen worden ist oder wenn von ihm eine schwerwiegende Gefahr für die öffentliche Sicherheit oder Ordnung ausgeht. Nach § 11 Abs. 1 Satz 5 AufenthG wird bei der Bemessung der Frist berücksichtigt, ob der Ausländer rechtzeitig und freiwillig ausgereist ist.
Die Bemessung der Dauer steht seit dem Inkrafttreten des Richtlinienumsetzungsgesetzes 2011 nicht mehr im Ermessen der Ausländerbehörde, vielmehr hat das Gericht über die konkrete Dauer der Befristung zu befinden (BVerwG, Urteil vom 14.02.2012 - 1 C 7.11 - BVerwGE 142, 29, Rdnr. 31; Urteil vom 10.07.2012 - 1 C 19.11 -, Rdnr. 30 ff., 34). Die Frist ist aufgrund einer prognostischen Einschätzung allein unter präventiven Gesichtspunkten festzusetzen. Kriterien für die Bestimmung ihrer Länge sind das Gewicht des Ausweisungsgrundes und der mit der Ausweisung verfolgte Zweck. Dabei sind insbesondere die in § 55 Abs. 3 Nr. 1 und 2 AufenthG genannten schutzwürdigen Belange des Ausländers in den Blick zu nehmen (BVerwG, Urteil vom 14.02.2012 - 1 C 7.11 - BVerwGE 142, 29, Rdnr. 31; Urteil vom 10.07.2012 - 1 C 19.11 -, Rdnr. 42). Sind die mit der Ausweisung verfolgten ordnungsrechtlichen Zwecke. erreicht, so ist es nicht gerechtfertigt, dem Ausländer allein wegen der Ausweisung den Aufenthalt im Bundesgebiet zu verwehren (BVerwG, Urteil vom 11.08.2000 - 1 C 5.00 - BVerwGE 111, 369, 372). Die sich an der Erreichung des Ausweisungszwecks orientierende Höchstfrist muss sich an höherrangigem Recht, d.h. verfassungsrechtlichen Wertentscheidungen (Art. 2 Abs. 1, Art. 6 GG) und den Vorgaben aus Art. 7 GRCh, Art. 8 EMRK messen und ggf. relativieren lassen (BVerwG, Urteil vom 10.07.2012 - 1 C 19.11 -, Rdnr. 42). Der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit i.V.m. Art. 6 GG kann ausnahmsweise sogar die Befristung der Sperrwirkung einer Ausweisung "auf null" gebieten, so dass die Ausweisung jetzt keine Sperrwirkung mehr entfaltet (BVerwG, Urteil vom 10.07.2012 - 1 C 19.11 -, Rdnr. 33; Hailbronner, AuslR, § 11, Neubearbeitung Mai 2012, Rdnr. 33).
Ein solcher Ausnahmefall liegt hier vor. Die Sperrwirkungen der Ausweisung dürfen nur aufrechterhalten werden, solange die mit der Ausweisung verfolgten Zwecke dies rechtfertigen. Dies ist beim Kläger jetzt im Zeitpunkt der mündlichen Verhandlung vor dem Senat nicht mehr der Fall. Die Ausweisung war im Jahr 2000 mit spezialpräventiven und - im Hinblick auf die Gefährlichkeit der Betäubungsmittelkriminalität - auch mit generalpräventiven Zwecken begründet worden. Diese Zwecke rechtfertigen es heute nicht mehr, die Sperrwirkungen der Ausweisung aufrechtzuerhalten. Die strafrechtliche Verurteilung des Klägers und die Ausweisungsverfügung liegen über zwölf Jahre zurück. Der spezialpräventive Zweck der Ausweisung ist erreicht, der Kläger ist seither nicht mehr einschlägig strafrechtlich aufgefallen. Auch der generalpräventive Zweck der Ausweisungsverfügung hat sich - soweit er dem Kläger aufgrund seiner Anerkennung als Asylberechtigter überhaupt entgegengehalten werden konnte - in der Zwischenzeit jedenfalls erledigt. Die Ausweisungsverfügung ist nach über zwölf Jahren nicht mehr geeignet, andere Ausländer von entsprechenden Straftaten abzuhalten. Dies gilt umso mehr, als sich die Abschreckungswirkung aufgrund seiner Anerkennung als Asylberechtigter auf eine Verschlechterung seines Aufenthaltsstatus beschränkt und keine Abschiebung droht. Der Beklagte hat der Ausweisung schon im Zeitpunkt seiner Befristungsentscheidung allenfalls noch eine minimale Abschreckungswirkung beigemessen; dies kommt in der kurzen Sperrfrist von einem Monat ab Ausreise zum Ausdruck, die übrigens schon deshalb rechtswidrig sein dürfte, weil § 11 Abs. 1 Satz 6 AufenthG mit dem Wort "Ausreise" nach Wortlaut und Zweck der Vorschrift ein dauerhaftes und nicht lediglich vorübergehendes Verlassen des Bundesgebiets meint (Hailbronner, AuslR, § 11, Neubearb. Mai 2012, Rn. 50). Heute geht von der Ausweisung keine Abschreckungswirkung mehr aus. Darüber waren sich auch die Beteiligten in der mündlichen Verhandlung einig. [...]
4. Die Befristung der Sperrwirkung der Ausweisung "auf null" erfordert keine vorherige Ausreise des Klägers.
Gemäß § 11 Abs. 1 Satz 6 AufenthG beginnt die Sperrfrist mit der Ausreise. Da die Länge der Sperrfrist jedenfalls im Ergebnis auch von ihrem Beginn abhängt, sind auch beim Beginn der Sperrfrist die genannten höherrangigen Rechtsgrundsätze wie das Verhältnismäßigkeitsprinzip zu beachten, das sich u.a. an der Erreichung des Ausweisungszwecks orientiert. Dementsprechend hat das Bundesverwaltungsgericht mehrfach entschieden, dass in Ausnahmefällen die Befristung der Sperrwirkung auch ohne vorherige Ausreise möglich sein soll. So muss die Sperrwirkung mit sofortiger Wirkung und ohne Ausreise beendet werden, wenn die Gründe für die Freizügigkeitsbeschränkungen (EU) nicht mehr vorliegen; denn die Regelung, dass die Sperrfrist erst mit der Ausreise beginnt, ist eine freizügigkeitsbeschränkende Maßnahme (BVerwG, Urteil vom 07.12.1999 - 1 C 13.99 - BVerwGE 110, 140 Rdnr. 29 zur Vorgängervorschrift § 8 AuslG). Nach dem Urteil vom 04.09.2007 (- 1 C 43.06 - BVerwGE 129, 226, Rdnr. 28) kann der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit in Verbindung mit Art. 6 GG im Einzelfall die Befristung der Sperrwirkung einer Ausweisung nach § 11 Abs. 1 Satz 2 AufenthG gebieten, ohne dass der Ausländer zur vorherigen Ausreise verpflichtet ist. Zuletzt hat das Bundesverwaltungsgericht im Urteil vom 10.07.2012 (- 1 C 19.11 - juris, Rdnr. 34) auf diese Rechtsprechung hingewiesen und noch einmal bekräftigt, sowohl bei der generalpräventiven als auch bei der spezialpräventiven Ausweisung könne der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit i.V.m. Art. 6 GG ausnahmsweise sogar die Befristung der Sperrwirkung einer Ausweisung "auf null" gebieten, ohne dass der Ausländer zur vorherigen Ausreise verpflichtet sei.
Der vom Beklagten betonte Wortlaut der Vorschrift steht der Bejahung von Ausnahmefällen nicht entgegen. Zwar hat der VGH Baden-Württemberg mit Urteil vom 15.11.2004 (- 13 S 778/02 - InfAuslR 2005, 52) zur Vorgängervorschrift des § 8 Abs. 2 Satz 4 AuslG entschieden, der Lauf des für den Wegfall der Sperrwirkung der Ausweisung gesetzten Frist beginne grundsätzlich mit der Ausreise bzw. Abschiebung des Ausländers; dies gelte auch dann, wenn der ausgewiesene Ausländer weder freiwillig ausreisen noch abgeschoben werden könne. Den dort hervorgehobenen Argumenten des eindeutigen Wortlauts der Vorschrift und der Entstehungsgeschichte (grammatische und historische Auslegung) stehen jedoch methodisch - nochmals verstärkt seit dem Richtlinienumsetzungsgesetz - die teleologische und die systematische Auslegung der Vorschrift entgegen. Wenn die Ausweisung ihre spezial- und generalpräventiven Zwecke erfüllt hat bzw. nicht mehr erreichen kann, gebietet das Verhältnismäßigkeitsprinzip als übergeordneter Rechtssatz eine teleologische Reduktion der Norm. Auch in dem genannten Urteil vom 15.11.2004 wird anerkannt, dass der Anwendungsvorrang des Gemeinschaftsrechts (heute Unionsrecht) es erfordern kann, die Wirkungen einer Ausweisung eines Unionsbürgers so zu befristen, dass sich sein Freizügigkeitsrecht sogleich entfalten kann, wenn keine Gründe mehr vorliegen, die eine Einschränkung der Freizügigkeit rechtfertigen.
Dies ist hier nicht nur aus verfassungsrechtlichen Gründen der Verhältnismäßigkeit, sondern auch aus europarechtlichen Gründen geboten. Nach Art. 24 Abs. 1 QRL (Richtlinie 2004/83/EG des Rates über Mindestnormen für die Anerkennung und den Status von Drittstaatsangehörigen oder Staatenlosen als Flüchtlinge oder als Personen, die anderweitig internationalen Schutz benötigen, und über den Inhalt des zu gewährenden Schutzes vom 29.04.2004 - Qualifikationsrichtlinie) haben anerkannte Flüchtlinge einen Anspruch auf Erteilung eines dreijährigen Aufenthaltstitels. Dieser Anspruch scheidet zwar nach Art. 24 Abs. 1 Halbsatz 2 QRL aus, wenn zwingende Gründe der öffentlichen Sicherheit entgegenstehen. Art. 24 Abs. 1 QRL setzt voraus, dass der Erteilung des Aufenthaltstitels (noch) gegenwärtig zwingende Gründe der öffentlichen Sicherheit "entgegenstehen" bzw. der Kläger gegenwärtig noch eine Gefahr für die Sicherheit oder die Allgemeinheit Deutschlands im Sinne des Art. 21 Abs. 2 QRL darstellt. Wie bereits oben ausgeführt, ist dies nicht der Fall. Die - grundsätzlich berücksichtigungsfähige (Art. 24 Abs. 1 i.V.m. Art. 21 Abs. 3 QRL) - Straftat, derentwegen er verurteilt und ausgewiesen worden war, kann dem Kläger heute nicht mehr entgegengehalten werden, da die präventiven Zwecke der Ausweisungsverfügung nicht mehr vorliegen.
Das Wortlautargument verliert bei der Auslegung von § 11 Abs. 1 Satz 6 AufenthG dadurch zusätzlich an Gewicht, dass bei wortgetreuer Auslegung dieser Bestimmung andere Normwidersprüche auftreten, die nur durch eine Auslegung anderer Vorschriften gegen ihren eindeutigen Wortlaut gelöst werden könnten. Wenn anerkannte Flüchtlinge generell auf eine Aufenthaltserlaubnis nach § 25 Abs. 5 AufenthG verwiesen würden, käme es zu einem Widerspruch zwischen den verschiedenen Bestimmungen über die Dauer dieses Aufenthaltstitels, weil Art. 24 Abs. 1 QRL eine Mindestfrist von drei Jahren vorschreibt, § 26 Abs. 1 AufenthG jedoch eine wesentlich kürzere Geltungsdauer. Die Berufung auf Wortsinn und Entstehungsgeschichte bei § 11 Abs. 1 Satz 6 AufenthG hätte damit zwingend zur Folge, dass andere Vorschriften wie § 26 Abs. 1 AufenthG oder § 23 Abs. 2 SGB XII i.V.m. § 1 Abs. 1 Nr. 3 AsylbLG (i.V.m. Art. 28 QRL) contra legem ausgelegt werden müssten. Aus diesem Grund kann das Wortlautargument bei § 11 Abs. 1 Satz 6 AufenthG heute nicht mehr überzeugen (siehe hierzu schon Senatsbeschluss vom 08.06.2011 - 11 S 1197/11 -).
5. Ohne Erfolg beruft sich der Beklagte auf eine spezielle Sperrwirkung des § 25 Abs. 1 Satz 2 AufenthG. Hieraus ergibt sich nach seiner Auffassung, dass die ausgesprochene Befristung die Sperrwirkung nur gegenüber anderen Aufenthaltstiteln beseitige, nicht aber gegenüber den Aufenthaltstiteln nach § 25 Abs. 1 und 2 AufenthG; § 25 Abs. 1 und 2 AufenthG enthielten eine spezielle Sperre, die von einer Befristungsentscheidung nach § 11 Abs. 1 AufenthG unberührt bleibe. Ob diese Rechtsauffassung zu § 25 Abs. 1 und 2 AufenthG zutrifft, bedürfte hier an sich keiner Klärung. Denn Gegenstand des vorliegenden Verfahrens ist die nachträgliche Befristung der Sperrwirkung gemäß § 11 Abs. 1 AufenthG. Ob und wie sich diese Entscheidung (Beseitigung der Sperrwirkung) später auf die Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis auswirkt, wäre nicht hier, sondern allenfalls in einem späteren Verfahren um die Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis nach § 25 Abs. 1 Satz 2 AufenthG zu klären. Hierauf hat das Verwaltungsgericht zutreffend hingewiesen. Entscheidend für den vorliegenden Fall ist, dass § 25 Abs. 1 Satz 2 AufenthG die nachträgliche Befristung der Ausweisungswirkungen gemäß § 11 Abs. 1 AufenthG nicht ausschließt (so zutreffend Dienelt, in: Renner, AuslR, 9. Aufl., 2011, § 25 Rdnr. 17). § 25 Abs. 1 Satz 2 und Abs. 2 Satz 2 AufenthG betreffen die Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis und enthalten hierfür eine Titel-Erteilungssperre. Über die in § 11 AufenthG geregelte Sperrwirkung der Ausweisung sagen sie nichts. Dass im Übrigen eine Befristungsentscheidung auch in Bezug auf § 25 Abs. 1 und 2 AufenthG Wirkungen entfaltet, folgt aus der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts. Wenn dieses im Urteil vom 19.04.2010 (- 1 C 5.09 - BVerwGE 136, 284) die Auffassung vertritt, dass die Erteilung eines Aufenthaltstitels nach § 25 Abs. 5 AufenthG die Sperrwirkung für sämtliche Aufenthaltstitel nach dem Kapitel 2 Abschnitt 5 des Aufenthaltsgesetzes, also auch solche nach § 25 Abs. 1 und 2 AufenthG entfallen lässt, ist damit ein Verständnis, wonach eine Befristungsentscheidung sich nicht auf diese Aufenthaltstitel erstrecken würde, unvereinbar. Im Übrigen wäre nach der genannten Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts infolge des am 20.01.2005 erteilten Aufenthaltstitels nach § 25 Abs. 5 AufenthG die Sperrwirkung ohnehin entfallen. [...]