OLG Brandenburg

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Zitieren als:
OLG Brandenburg, Beschluss vom 03.01.2013 - 1 Ws 76/12 - asyl.net: M20301
https://www.asyl.net/rsdb/M20301
Leitsatz:

In Bezug auf eine Pflichtverteidigerbeiordnung ist zu berücksichtigen, dass im Ausländerstrafrecht viele Tatbestandsmerkmale verwaltungsrechtlich geprägt sind und mit komplizierten aufenthaltsrechtlichen, gemeinschaftsrechtlichen und verfassungsrechtlichen Fragestellungen einhergehen können und daher eine besondere Sachkenntnis erfordern. Dies gilt insbesondere im Hinblick auf den ausländerrechtlichen Status des Angeklagten und auf Änderungen der sogenannten Residenzpflicht in den Bundesländern Berlin und Brandenburg. Diese Sachkenntnis kann bei einem Ausländer aufgrund unzureichender Sprachkenntnisse und mangelnder Kenntnisse der deutschen Rechtsordnung nicht erwartet werden.

Schlagwörter: notwendige Verteidigung, Verteidigung, Pflichtverteidigung, Ausländerstrafrecht, Residenzpflicht, Verletzung der Residenzpflicht, unzureichende Sprachkenntnisse, Sprache, Sprachschwierigkeiten, mangelnde Kenntnisse der deutschen Rechtsordnung, Rechtsordnung, Rechtskenntnisse, Schwierigkeit der Sach- und Rechtslage,
Normen: StPO § 140 Abs. 2,
Auszüge:

[...]

Nach § 140 Abs. 2 StPO, der hier allein in Frage kommt, ist ein Fall der notwendigen Verteidigung dann gegeben, wenn wegen der Schwere der Tat oder wenn wegen der Schwierigkeit der Sach- und Rechtslage die Mitwirkung eines Verteidigers geboten erscheint oder wenn ersichtlich ist, dass sich der Beschuldigte bzw. Angeklagte nicht selbst verteidigen kann.

Ein solcher Fall ist hier gegeben.

Die Sach- und Rechtslage erweist sich für den Angeklagten als schwierig. Dies ergibt sich bereits aus den Gründen der voraufgegangenen Senatsentscheidung vom 22. Dezember 2010 (1-53 Ss 150/10 - 99/10), mit der auf die Sprungrevision des Angeklagten das erste Urteil des Amtsgerichts Rathenow in dieser Sache vom 17. März 2010 aufgehoben und die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung an eine andere Abteilung des Amtsgerichts Rathenow zurückgegeben wurde. Im Ausländerstrafrecht sind viele Tatbestandsmerkmale verwaltungsrechtlich geprägt, die mit komplizierten aufenthaltsrechtlichen, gemeinschaftsrechtlichen und verfassungsrechtlichen Fragestellungen einhergehen können und daher eine besondere Sachkenntnis erfordern. Dies gilt insbesondere im Hinblick auf den so genannten ausländerrechtlichen Status des Angeklagten und auf Änderungen der so genannten Residenzpflicht in den Bundesländern Berlin und Brandenburg. Diese Sachkenntnis kann bei einem Ausländer aufgrund unzureichender Sprachkenntnisse und mangelnde Kenntnisse der deutschen Rechtsordnung nicht erwartet werden. Die Beweisaufnahme wird zudem die Auswertung der den Angeklagten betreffenden Ausländerakte und die Befragung des Zeugen ... von der Ausländerbehörde des Landkreises Havelland erfordern, wozu der Angeklagte kaum in der Lage sein dürfte. [...]