VG Düsseldorf

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Zitieren als:
VG Düsseldorf, Urteil vom 17.12.2012 - 8 K 14/12 - asyl.net: M20317
https://www.asyl.net/rsdb/M20317
Leitsatz:

Für das Vorliegen unrichtiger Tatsachen im Sinne des § 73 Abs. 2 AsylVfG (Rücknahme der Asylanerkennung) hat das Bundesamt die Darlegung- und Beweislast. Anders als bei der Zuerkennung eines Flüchtlingsstatus muss das Bundesamt, wenn es dem Ausländer den einmal gewährten Status wieder entziehen will, belegen, dass die Voraussetzungen einer Rücknahme tatsächlich vorliegen.

Schlagwörter: unrichtige Tatsachen, unrichtige Angaben, falsche Angaben, Darlegungslast, Beweislast, Rücknahme, Flüchtlingsanerkennung, Nordkorea, China, Abschiebungspraxis, rigide Abschiebungspraxis, Abschiebung,
Normen: AsylVfG § 73 Abs. 2 S. 1, AufenthG § 60 Abs. 1, AsylVfG § 73 Abs. 2,
Auszüge:

[...]

Nach § 73 Abs. 2 Satz 1 AsylVfG ist die Anerkennung als Asylberechtigter zurückzunehmen, wenn sie aufgrund unrichtiger Angaben oder infolge Verschweigens wesentlicher Tatsachen erteilt worden ist und der Ausländer auch nicht aus anderen Gründen anerkannt werden könnte. Nach Satz 2 dieser Vorschrift gilt dies auch für die Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft. Dies gilt entsprechend für die Feststellung der Voraussetzungen des § 51 Abs. 1 AuslG, da diese Vorschrift mit Inkrafttreten des Zuwanderungsgesetzes durch § 60 Abs. 1 AufenthG ersetzt wurde.

Für das Vorliegen unrichtiger Tatsachen im Sinne des § 73 Abs. 2 AsylVfG hat das Bundesamt die Darlegungs- und Beweislast. Anders als bei der Anerkennung eines Flüchtlingsstatus muss das Bundesamt, wenn es dem Ausländer den einmal gewährten Status wieder entziehen will, belegen, dass die Voraussetzungen einer Rücknahme tatsächlich vorliegen (vgl. VG Köln, Urteil vom 26. Juni 2012 – 14 K 4133/10.A – und VG Stuttgart, Urteil vom 24. Januar 2011 – A 11 K 2664/10 -; Hessischer VGH, Beschluss vom 25. Juni 2008 – 5 A 1141/08.Z.A -).

Die Voraussetzungen für eine Rücknahme liegen nicht vor. Das Bundesamt stützt seine Rücknahmeentscheidung darauf, dass aufgrund neuerer Erkenntnisse davon ausgegangen werden müsse, dass der Kläger über seine Staatsangehörigkeit und/oder seine Identität getäuscht habe und anstatt der chinesischen Staatsangehörigkeit eine nicht zutreffende nordkoreanische Staatsangehörigkeit angegeben habe, die seinerzeit zur Anerkennung geführt habe. Die durch das Bundesamt vorgebrachten Gründe sind jedoch weder einzeln noch in der Gesamtschau dazu geeignet, festzustellen, dass der Kläger tatsächlich nicht nordkoreanischer Staatsangehöriger ist.

Dies gilt insbesondere für den Schwerpunkt der Argumentation der Beklagten, wonach die Reise des Klägers nach China im Jahr 2003 belege, dass er kein Nordkoreaner, sondern Chinese sei. Dieser These liegt die Überlegung zu Grunde, dass der Kläger als Staatsangehöriger von Nordkorea niemals freiwillig nach China reisen würde, da er jederzeit zu befürchten habe, von den chinesischen Behörden aufgegriffen und nach Nordkorea abgeschoben zu werden. Es wird des weiteren behauptet, der deutsche Internationale Reiseausweis in Verbindung mit einem chinesischen Reisevisum stelle keinen ausreichenden Schutz dar, da diesen Dokumenten zu entnehmen sei, dass der Kläger Nordkoreaner sei.

Diese Hauptthese kann das Bundesamt jedoch nicht durch allgemein zugängliche Quellen oder durch sonstige Erkenntnisquellen wie z. B. durch Auskünfte des Auswärtigen Amtes belegen. Vielmehr beziehen sich die zahlreichen Erkenntnisse über Abschiebungen von Nordkoreanern aus China nach Nordkorea ausschließlich auf solche Personen, die sich aus Sicht des chinesischen Staates illegal in China aufhalten (vgl. etwa Auswärtiges Amt, Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Volksrepublik China vom 18. November 2011, Seiten 39 f.; Internationale Gesellschaft für Menschenrechte www.igfm.de/Nordkoreanische-Fluechtlinge-in-der-VR-China.190.0.html; www.tagesschau.de/ausland/china1466.html).

Erkenntnisse, dass der chinesische Staat diese rigide Abschiebungspraxis auch auf solche Nordkoreaner ausweitet, die sich aufgrund internationaler Reisedokumente und mit einem chinesischen Visum legal in China aufhalten, liegen gerade nicht vor. Vielmehr lassen die bekannten Fälle von Personen, die - wie der Kläger - unbehelligt mit entsprechenden Dokumenten reisen konnten, den Schluss zu, dass eine Gefahr für eine Abschiebung nach Nordkorea durch den chinesischen Staat nicht besteht. Dass der Kläger diese Reisedokumente tatsächlich bei der Ein- und Ausreise verwendet hat, belegen die entsprechenden Stempel in den Papieren.

Es ist vielmehr zwischen der Situation von sich in China illegal aufhaltenden Nordkoreanern und solchen Personen zu unterschieden, die - wie der Kläger - als im Ausland anerkannte nordkoreanische Flüchtlinge nach China legal einreisen. Hinzutritt die Tatsache, dass der Kläger bei der chinesischen Botschaft ein Visum für seine Reise erhalten hat. Der chinesische Staat dürfte vor Erteilung eines Visums - zumindest in Verdachtsfällen - die Staatsangehörigkeit des Antragstellers überprüfen, um auszuschließen, dass ein Visum an eigene Staatsangehörige ausgestellt wird (vgl. VG Köln, Urteil vom 26. Juni 2012 – 14 K 4133/10.A – und VG Stuttgart, Urteil vom 24. Januar 2011 – A 11 K 2664/10 -).

Kann die These des Bundesamtes, wonach kein nordkoreanischer Flüchtling freiwillig nach China reist, nicht aufrechterhalten bleiben, stellt sich die Frage nach den Gründen der Reise nicht mehr. Vor allem müssen diese nicht von ihrer Wertigkeit her mit der drohenden Gefahr für den Kläger abgewogen werden. [...]