OVG Berlin-Brandenburg

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Zitieren als:
OVG Berlin-Brandenburg, Beschluss vom 18.01.2013 - 3 S 130.12 - asyl.net: M20328
https://www.asyl.net/rsdb/M20328
Leitsatz:

Für einen Drittstaatsangehörigen, dessen Asylantrag ein Mitgliedstaat - hier: Rumänien - abgelehnt hat und der sich unerlaubt im Hoheitsgebiet eines anderen Mitgliedstaates aufhält, regelt Art. 16 Abs. 1 e) Dublin II-VO ausdrücklich die Verpflichtung zur Wiederaufnahme. Für die Rücknahme eines Asylantrags mit der Folge der Nichtanwendbarkeit der Dublin II-Verordnung ist nach dessen bestandskräftiger Ablehnung kein Raum.

Schlagwörter: Dublin II-VO, Asylantrag, EuGH, Kastrati, Rückübernahme, Überstellung, Dublinverfahren, Rumänien, Rücknahme des Asylantrags, Rücknahme, Ablehnung, Ablehnung des Asylantrags, Ablehnung des Asylantrags in einem Mitgliedstaat der EU,
Normen: VO 343/2003 Art. 16 Abs. 1 Bst. e,
Auszüge:

[...]

Ohne Erfolg wendet sich die Beschwerde auch gegen die Auffassung des Verwaltungsgerichts, eine Abschiebung des Antragstellers nach Rumänien sei rechtlich möglich, weil dieser Staat nach Art. 16 Abs. 1 Buchstabe e) Dublin-II-VO zu seiner Rückübernahme verpflichtet sei und mit Schreiben vom 14. August 2012 auch seine Bereitschaft hierzu erklärt habe. Nach Art. 16 Abs. 1 Buchstabe e) Dublin-II-VO ist der Mitgliedstaat, der nach dieser Verordnung zur Prüfung des Asylantrags zuständig ist, gehalten, einen Drittstaatsangehörigen, dessen Antrag er abgelehnt hat und der sich unerlaubt im Hoheitsgebiet eines anderen Mitgliedstaats aufhält, wieder aufzunehmen. Zu Recht hat das Verwaltungsgericht die Zuständigkeit Rumäniens nach Art. 10 Abs. 1, Art. 13 Dublin-II-VO angenommen, weil der Antragsteller dort einen Asylantrag gestellt habe. Hierfür spricht nicht nur das Ergebnis der am 9. Juli 2012 durchgeführten EURODAC-Recherche, die für den Antragsteller als Ort der Antragstellung "ro/bcp timisoara airport" und als Datum den 25. April 2012 verzeichnet, sondern auch das Schreiben des rumänischen Innenministeriums vom 9. November 2012, wonach der Antragsteller am 25. April 2012 in Rumänien einen Asylantrag gestellt hat, der am 21. Mai 2012 abgelehnt wurde. Zu Recht hat das Verwaltungsgericht demgegenüber die Angaben des Antragstellers in seiner eidesstattlichen Versicherung vom 20. September 2012, er habe in seiner Zeit in Rumänien, wo er bei seiner Einreise festgenommen und für etliche Tage inhaftiert worden sei, keinen Asylantrag gestellt und einen solchen Antrag auch nicht stellen wollen, für nicht überzeugend gehalten, weil nicht ersichtlich sei, welches Interesse die rumänischen Behörden daran hätten haben sollen, für den Antragsteller ein vergleichsweise aufwändiges Asylverfahren durchzuführen, wenn für sie erkennbar gewesen wäre, dass er ein solches nicht wünsche. Dieser zutreffenden Erwägung setzt die Beschwerde lediglich entgegen, es könne nicht von einer tatsächlich hinreichenden materiellen und immateriellen Versorgung von Flüchtlingen durch die rumänischen Behörden ausgegangen werden. Mit diesem Vorbringen - unabhängig von der Frage seiner Berechtigung - ist indessen nicht erklärt, warum die rumänischen Behörden für einen illegal eingereisten Ausländer ein Asylverfahren durchführen sollten, ohne dass er einen entsprechenden Antrag gestellt hätte, Art. 2 Buchstabe c) Dublin-II-VO ist insoweit von Bedeutung, weil demnach als Asylantrag jeder Antrag auf internationalen Schutz anzusehen ist, es sei denn, es würde ausdrücklich um anderweitigen Schutz ersucht, der gesondert beantragt werden kann. Ein Schutzersuchen des Antragstellers wäre danach auch dann als Asylantrag anzusehen gewesen, wenn es das Wort "Asyl" nicht enthalten hätte.

Zu Recht ist das Verwaltungsgericht auch davon ausgegangen, dass die vom Antragsteller durch e-mail vom 16. Juli 2012 gegenüber den rumänischen Behörden abgegebene Erklärung, in Rumänien kein Asyl zu suchen, jedenfalls deshalb nichts an der Verpflichtung Rumäniens, den Antragsteller wieder aufzunehmen, ändere, weil über den Asylantrag bereits am 21. Mai 2012 negativ entschieden worden sei. Diese Erwägung gilt in gleicher Weise für das vom Antragsteller mit der Beschwerdebegründung vorgelegte, an die rumänische Asylbehörde gerichtete und im Wesentlichen inhaltsgleiche Schreiben vom 19. Juli 2012. Anders als die Beschwerde meint, führt die Rechtsprechung des Gerichtshofs der Europäischen Union (EuGH) vorliegend nicht zur Unanwendbarkeit der Dublin-IIVerordnung, hier ihres Art. 16 Abs. 1 Buchstabe c). In seinem Urteil vom 3. Mai 2012 im Fall Kastrati (C-620/10, zit. nach juris) hat der EuGH ausgeführt, dass in Fällen wie dem von ihm entschiedenen, in denen der Asylbewerber seinen einzigen Asylantrag zurückzieht, bevor der ersuchte Mitgliedstaat seiner Aufnahme zugestimmt hat, der Hauptzweck der Dublin-II-Verordnung, die Ermittlung des für die Prüfung des Asylantrags zuständigen Mitgliedstaats, um den effektiven Zugang zu den Verfahren zur Beurteilung der Flüchtlingseigenschaft des Antragstellers zu gewährleisten, nicht mehr erreicht werden kann (a.a.O., Rn. 42), und diese Verordnung in einem solchen Fall nicht mehr anwendbar ist (a.a.O., Rn. 47). Er hat aber auch ausgeführt, dass die Vorschriften der Dublin-II-Verordnung (genannt werden Art. 4 Abs. 5 Unterabsatz 2, Art. 16 Abs. 3 und 4, die - grundsätzlich abschließend - die Fälle regeln, in denen die Verpflichtung des für die Prüfung eines Asylantrags zuständigen Mitgliedstaates erlischt, einen Antragsteller, der in einem anderen Mitgliedstaat einen Asylantrag gestellt hat, aufzunehmen oder wieder aufzunehmen) das Vorliegen eines Asylantrags voraussetzen, den der zuständige Mitgliedstaat prüfen muss, zu prüfen im Begriff ist, oder bereits beschieden hat (a.a.O., Rn. 45). Ein solcher bereits beschiedener Asylantrag lag indes zum Zeitpunkt der Rücknahmeerklärungen des Antragstellers im Juli 2012 vor, denn nach Auskunft der rumänischen Behörden war sein Asylantrag bereits am 21. Mai 2012 abgelehnt worden. Für diesen Fall, dass ein Drittstaatsangehöriger, dessen Asylantrag der Mitgliedstaat - hier Rumänien - abgelehnt hat, sich unerlaubt im Hoheitsgebiet eines anderen Mitgliedstaates aufhält, regelt Art. 16 Abs. 1 Buchstabe e) Dublin-II-VO ausdrücklich die Verpflichtung zur Wiederaufnahme. Für eine Rücknahme des Asylantrags mit der Folge der Nichtanwendbarkeit der Dublin-II-Verordnung war nach dessen bestandskräftiger Ablehnung somit kein Raum. [...]