OVG Berlin-Brandenburg

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Zitieren als:
OVG Berlin-Brandenburg, Beschluss vom 17.12.2012 - 11 S 72.12 - asyl.net: M20330
https://www.asyl.net/rsdb/M20330
Leitsatz:

Für die Gestattung der Ausübung einer Erwerbstätigkeit mit Zustimmung der Bundesagentur gelten nach § 10 Abs. 1 Satz 2 BeschVerfV die Regelungen in §§ 39 bis 41 AufenthG entsprechend. Gemäß § 39 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1b AufenthG setzt diese Zustimmung voraus, dass keine Bewerber mit einem Anspruch auf vorrangigen Zugang zum Arbeitsmarkt zur Verfügung stehen.

Art. 13 ARB 1/80 setzt einen ordnungsgemäßen Aufenthalt im Hoheitsgebiet voraus. Nach der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs setzt dies insbesondere voraus, dass der türkische Arbeitnehmer oder sein Familienangehöriger die Vorschriften des Aufnahmemitgliedstaates unter anderem auf dem Gebiet der Einreise und des Aufenthalts beachtet haben muss, so dass er sich rechtmäßig im Hoheitsgebiet des Staates befindet.

Schlagwörter: Erwerbstätigkeit, Ausübung einer Beschäftigung, Arbeitsgenehmigung, Arbeitserlaubnis, Gestattung der Ausübung einer Beschäftigung, familiäre Lebensgemeinschaft, deutscher Ehegatte, eheliche Lebensgemeinschaft, deutsches Kind,
Normen: BeschVerfV § 10, AufenthG § 25 Abs. 5,
Auszüge:

[...]

Soweit mit der Beschwerde ein Anspruch auf Gestattung der bezeichneten Erwerbstätigkeit erneut daraus abgeleitet wird, gemäß § 10 Abs. 1 BeschVerfV könne sogar bloß geduldeten Ausländern nach Ablauf eines Jahres die Ausübung einer Beschäftigung erlaubt werden, dann aber müsse dies erst recht für Ausländer gelten, die wegen der familiären Gemeinschaft mit einer deutschen Ehefrau und einem gemeinsamen deutschen Kind durch Art. 6 i.V.m. Art. 11 GG geschützt seien und denen eine Aufenthaltserlaubnis nach § 25 Abs. 5 AufenthG erteilt worden sei, ist zunächst einmal darauf hinzuweisen, dass § 10 Abs. 1 Satz 1 BeschVerfV lediglich eine - zudem ins Ermessen gestellte - Gestattung mit Zustimmung der Bundesagentur ermöglicht. Zwar hat der Antragsteller - anders als im vorangegangenen Beschwerdeverfahren OVG 11 S 52.12 - mit Stellung des vorliegenden Antrags nach § 123 VwGO beim Verwaltungsgericht "eine Beteiligung der Bundesagentur für Arbeit" angeregt und das dortige gerichtliche Unterlassen auch im hiesigen Beschwerdeverfahren kritisiert - allerdings die Notwendigkeit der Beteiligung dahinstehen lassen -, so dass auf die zusätzliche Begründung im Beschwerdebeschluss des Senats vom 19. September 2012, der Antragsteller verfehle seine eigene Argumentationsgrundlage, die von einer zustimmungsfreien Gestattung ausgehe, vorliegend nicht verwiesen werden kann. Auch ist - anders als seinerzeit - inzwischen die tatbestandliche Voraussetzung eines seit einem Jahr erlaubten, geduldeten oder gestatteten Aufenthalts in § 10 Abs. 1 Satz 1 BeschVerfV erfüllt. Ob das hiernach bestehende Ermessen auf Null reduziert ist, wie der Antragsteller meint, mag letztlich dahinstehen. Denn für die Gestattung der Ausübung einer Erwerbstätigkeit mit Zustimmung der Bundesagentur gelten, worauf auch der Antragsgegner in der Beschwerdeerwiderung hinweist, nach § 10 Abs. 1 Satz 2 BeschVerfV die Regelungen in §§ 39 bis 41 AufenthG entsprechend. Gemäß § 39 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1b AufenthG setzt diese Zustimmung jedoch voraus, dass keine Bewerber mit einem Anspruch auf vorrangigen Zugang zum Arbeitsmarkt zur Verfügung stehen. Dass bevorrechtigte Arbeitnehmer für die vom Antragsteller benannte Tätigkeit zur Verfügung stehen, hat die Bundesagentur jedoch gerade mit Schreiben vom 19. Juni 2012 festgestellt und die Erteilung seiner Zustimmung deshalb verweigert. Dafür, dass dies unrichtig ist oder sich hieran etwas geändert hat, ist seitens des Antragstellers nichts vorgetragen worden. Dem von ihm geltend gemachten Erst-Recht-Schluss aus § 10 Abs. 1 BeschVerfV fehlt deshalb die Grundlage.

Soweit der Antragsteller darüber hinaus mit der Beschwerde erstmals geltend macht, er stütze sein Begehren auf Gestattung der Aufnahme der bezeichneten Erwerbstätigkeit auch auf Art. 13 ARB 1/80, kann er damit im vorliegenden Verfahren ebenfalls keinen Erfolg haben. Nach dieser Regelung dürfen die Mitgliedsstaaten der Gemeinschaft und die Türkei für Arbeitnehmer und ihre Angehörigen, deren Aufenthalt und Beschäftigung in ihrem Hoheitsgebiet ordnungsgemäß sind, keine neuen Beschränkungen für den Zugang zum Arbeitsmarkt einführen. Der Antragsteller meint, aufgrund der nunmehr am 12. September 2012 erfolgten Eheschließung mit der deutschen Staatsangehörigen Frau C. würde ihm nach dem früher gültigen § 2 Abs. 1 Nr. 2 AEVO eine "besondere Arbeitserlaubnis" für die begehrte Tätigkeit zugestanden haben. Dem ist allerdings schon entgegenzuhalten, dass er einen derartigen, erst durch die kürzlich erfolgte Eheschließung nachträglich begründeten Anspruch gem. § 11 AEVO nicht gegenüber dem Antragsgegner, sondern gegenüber dem "Arbeitsamt" hätte geltend machen müssen.

Darüber hinaus erscheint es aber auch zweifelhaft, ob sich der Antragsteller für den geltend gemachten Anspruch überhaupt auf Art. 13 ARB 1/80 berufen kann. Denn diese Norm setzt einen ordnungsgemäßen Aufenthalt im Hoheitsgebiet voraus. Nach der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs (Beschluss v. 17. September 2009 - C-242/06 -, Sahin, Rn 76) setzt dies insbesondere voraus, dass der türkische Arbeitnehmer oder sein Familienangehöriger die Vorschriften des Aufnahmemitgliedstaates u.a. auf dem Gebiet der Einreise und des Aufenthalts beachtet haben muss, so dass er sich rechtmäßig im Hoheitsgebiet des Staates befindet. Angesichts der unerlaubten Einreise des Antragstellers und seines nur aus humanitären Gründen erlaubten Aufenthalts vermag der Senat das Vorliegen dieser Voraussetzung nicht mit der für eine Vorwegnahme der Hauptsache erforderlichen hohen Wahrscheinlichkeit für ein Obsiegen im Klageverfahren festzustellen. [...]