1. "Veränderte Umstände", die einen Beteiligten zur Stellung eines Antrags nach § 80 Abs. 7 S 2 VwGO berechtigen, sind auch im Falle einer sich nachträglich ergebenden "Änderung der höchstrichterlichen Rechtsprechung oder der Klärung einer umstrittenen Rechtsfrage" anzuerkennen.
2. Dass Vier-Augen-Prinzip ist auf Ausweisungen assoziationsberechtigter türkischer Staatsangehöriger, die nach Aufhebung der RiL 2004/38/EG zum 30. April 2006 erlassen wurden, nicht anzuwenden.
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Die hierfür zunächst erforderliche Voraussetzung, dass der Antragsgegner sich zu Recht auf einen "Abänderungsgrund" im Sinne des § 80 Abs. 7 Satz 2 VwGO beruft, ist vorliegend gegeben. Denn "veränderte Umstände", die einen Beteiligten zur Stellung eines solchen Antrags berechtigen, sind auch im Falle einer sich nachträglich ergebenden "Änderung der höchstrichterlichen Rechtsprechung oder der Klärung einer umstrittenen Rechtsfrage" anzuerkennen (Schoch in: Schoch/Schneider/Bier, VwGO, Loseblattsammlung, § 80 Rz. 585; Kopp, VwGO, Kommentar, 18. Auflage, § 80 Rz. 197; jeweils m.w.N.). Davon ist hier auszugehen, nachdem das Bundesverwaltungsgericht durch Urteil vom 10. Juli 2012 zum Geschäftszeichen BVerwG 1 C 19.11 (juris) entschieden hat, dass das "in Art. 9 der Richtlinie 64/221/EWG enthaltene Vier-Augen-Prinzip … auf Ausweisungen assoziationsberechtigter türkischer Staatsangehöriger, die nach Aufhebung der Richtlinie zum 30. April 2006 erlassen wurden, nicht aufgrund der Stand-Still-Klauseln in Art. 13 ARB 1/80 und Art. 41 Abs. 1 ZP anzuwenden" ist (Leitsatz 1). Die seinerzeit fehlende Klärung gerade dieser (Rechts-)Frage u.a. durch die Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts war nämlich Grundlage nicht nur der Berufungszulassung wegen besonderer rechtlicher Schwierigkeiten der Rechtssache, sondern auch der sich hieran anschließenden und darauf verweisenden Anordnung der aufschiebenden Wirkung der Klage im Verfahren OVG 11 S 35.12. [...]
Soweit sich der Antragsteller auf das Vorliegen eines unheilbaren Verfahrensfehlers wegen eines Verstoßes gegen das Vier-Augen-Prinzip und die Notwendigkeit der Einholung einer Vorabentscheidung des EuGH gemäß Art. 267 AEUV insoweit beruft, ist auf die obigen Ausführungen zu verweisen. Danach ist dieses Prinzip auf Ausweisungen assoziationsberechtigter türkischer Staatsangehöriger, die nach Aufhebung der Richtlinie zum 30. April 2006 erlassen wurden - vorliegend datiert der Bescheid vom 26. Februar 2008 -, nicht anzuwenden und bedarf es deshalb auch nicht der Einholung einer Vorabentscheidung des EuGH. [...]
Rechtliche Bedenken hinsichtlich der Ausweisung werden auch nicht durch das Vorbringen des Antragstellers begründet, es sei falsch, wenn die Ausländerbehörde noch in der mündlichen Verhandlung einfach unterstellt habe, er sei mit der türkischen Kultur vertraut und beherrsche die türkische Sprache. Vielmehr sei zwischen dem aktiven und passiven sowie mündlichen und schriftlichen Sprachgebrauch zu unterscheiden. Insoweit differenziere der Antragsgegner nicht, er pauschaliere vielmehr, ohne seine Beurteilungsgrundlagen aufzuzeigen und Nachweise anzuführen. Schon im früheren Verfahren auf Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes VG 21 A 73.08 habe er vorgetragen, er spreche türkisch nur "bruchstückhaft", im mündlichen und passiven Sprachgebrauch etwas weniger rudimentär als im aktiven. Schriftstücke könne er nicht im Zusammenhang lesen, sie blieben ihm unverständlich. Unter diesen Umständen könne es auch mit einer Einbindung in die türkische Kultur nicht sehr weit her sein.
Dem ist schon entgegenzuhalten, dass der Antragsteller dem Vorbringen des Antragsgegners in der mündlichen Verhandlung, er gehe davon aus, dieser sei mit der türkischen Kultur vertraut und beherrsche auch die türkische Sprache, ausweislich des Protokolls der mündlichen Verhandlung nicht entgegengetreten ist. Darüber hinaus räumt der Antragsteller aber auch selbst ein, zumindest in sehr begrenztem Umfang mit der türkischen Sprache vertraut zu sein. Soweit er daran anknüpfend meint, dass es mit der Einbindung in die türkische Kultur es nicht sehr weit her sein könne, stellt er im Übrigen ersichtlich eher eine Mutmaßung bzw. jedenfalls keine zwingende Schlussfolgerung an. Die Richtigkeit dieses Vorbringens unterstellt, würde das allein aber auch keine Zweifel an der Rechtmäßigkeit der Ausweisungsentscheidung begründen können, zumal der Antragsgegner in der mündlichen Verhandlung "Unterstützung" bei der Übersiedlung, wie etwa von der IOM, angeboten hat. Dabei handelt es sich um ein Projekt, das u.a. Unterstützung bei der freiwilligen Rückkehr in ein Heimatland im Rahmen des seit 1979 im Auftrag von Bund und Ländern geförderten REAG/GARP-Programms bietet, wobei eine Anlaufstelle der IOM seit Ende 2006 unmittelbar beim Antragsgegner eingerichtet ist (www.iom.int/germany.de/projects_avr.htm).
Soweit der Antragsteller weiterhin geltend macht, ihm stehe aufgrund eines beim Antragsgegner am 22. März 2008 gestellten Antrags zumindest hilfsweise ein Anspruch auf Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis aus humanitären Gründen nach § 25 Abs. 5 AufenthG zu, ist ein solches Begehren im Rahmen der Begründung seines Antrags auf Anordnung der aufschiebenden Wirkung der Klage gegen die Versagung der Aufenthaltserlaubnis und die Abschiebungsandrohung im Bescheid des Antragsgegners vom 26. Februar 2008 bereits unzulässig. Auch müsste er ein solches Begehren mittels eines Antrags nach § 123 VwGO verfolgen. [...]