VGH Baden-Württemberg

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Zitieren als:
VGH Baden-Württemberg, Beschluss vom 08.01.2013 - 11 S 1581/12 (= ASYLMAGAZIN 4/2013, S. 135 ff.) - asyl.net: M20337
https://www.asyl.net/rsdb/M20337
Leitsatz:

1. Einem Ausländer, der als exponierter PKK-Funktionär wegen mitgliedschaftlicher Beteiligung an einer kriminellen Vereinigung als Rädelsführer eine mehrjährige Freiheitsstrafe verbüßt hat, kann nach § 47 Abs. 1 Satz 2 AufenthG eine politische Betätigung zugunsten der PKK untersagt werden. Das Verbot kann auch öffentliche Reden umfassen, die lediglich einen mittelbaren PKK-Bezug aufweisen.

2. An die Bestimmtheit eines politischen Betätigungsverbots sind wegen des Grundrechtsbezugs, der Strafbewehrung (§ 95 Abs. 1 Nr. 4 AufenthG) und der zwangsweisen Durchsetzbarkeit hohe Anforderungen zu stellen.

3. Bei der Interessenabwägung nach § 80 Abs. 5 VwGO kann in Fällen, in denen die Erfolgsaussichten in der Hauptsache offen und zudem die Möglichkeiten der politischen Betätigung des Ausländers bereits durch andere Maßnahmen (wie Aufenthaltsbeschränkung und Meldeauflage nach § 54a AufenthG) faktisch eingeschränkt sind, dem Aussetzungsinteresse Vorrang einzuräumen sein (hier bejaht).

(Amtliche Leitsätze)

Schlagwörter: PKK, politische Betätigung, politisches Betätigungsverbot, Bestimmtheit, öffentliche Sicherheit, Türkei, Kurden, kurdischer Verein, YEK-KOM, Betätigungsverbot, KADEK, Kongra-GEL, KKK, KCK,
Normen: AufenthG § 47 Abs. 1 S. 2, AufenthG § 95 Abs. 1 Nr. 4, AufenthG § 54a,
Auszüge:

[...]

Zwar liegen die Voraussetzungen für den Erlass eines Verbots der politischen Betätigung nach § 47 Abs. 1 AufenthG gegenüber dem Antragsteller hier grundsätzlich vor (a). Ob der erste Teil - Ziffer 1 Satz 1, 1. Halbsatz - der Verfügung, wonach dem Antragsteller "die politische Betätigung zugunsten der Arbeiterpartei Kurdistans (PKK)" untersagt wird, in Verbindung mit der Konkretisierung in Satz 3 des Tenors noch als hinreichend bestimmt anzusehen sein kann, kann hier letztlich offen bleiben. Denn insoweit bestehen jedenfalls nicht zuletzt mit Blick auf die durch die Antragsgegnerin erfolgte Abänderung des Bescheids und der Ermessenserwägungen im Beschwerdeverfahren weitere Zweifel an der Rechtmäßigkeit dieses Teils der Verfügung (b). Auch die Frage, ob die Erstreckung des Betätigungsverbots auf "von der PKK dominierte Organisationen, namentlich der YEK-KOM und deren Ortsvereine" in Satz 1, 2. Halbsatz der Verbotsverfügung rechtmäßig ist, bedarf weiterer Klärung im Hauptsacheverfahren (c).

a) Zunächst ist klarzustellen, dass eine politische Betätigung des Antragstellers zugunsten der PKK prinzipiell gemäß § 47 Abs. 1 AufenthG untersagt werden kann.

Nach § 47 Abs. 1 Satz 1 AufenthG dürfen Ausländer sich im Rahmen der allgemeinen Rechtsvorschriften politisch betätigen. Die politische Betätigung eines Ausländers kann nach Absatz 1 Satz 2 Nr. 1 dieser Vorschrift aber unter anderem beschränkt oder untersagt werden, soweit sie die politische Willensbildung in der Bundesrepublik Deutschland oder das friedliche Zusammenleben von Deutschen und Ausländern oder von verschiedenen Ausländergruppen im Bundesgebiet, die öffentliche Sicherheit und Ordnung oder sonstige erhebliche Interessen der Bundesrepublik Deutschland beeinträchtigt oder gefährdet. Diese Voraussetzungen liegen hier vor.

Die politische Betätigung, die der Antragsteller in der Vergangenheit für die PKK ausgeübt hat und deren Fortsetzung zu erwarten ist, gefährdet die öffentliche Sicherheit im Sinne des § 47 Abs. 1 Satz 2 Nr. 1 AufenthG. Trotz seiner strafrechtlichen Verurteilung, der langjährigen Haftstrafe sowie der Ausweisungsverfügung vom 14.08.2009 und der mit dieser verfügten Meldeauflage sowie der Beschränkung seines Aufenthalts auf den Bezirk der Stadt Stuttgart ist der Antragsteller seit seiner Haftentlassung weiter ständig in einer Art und Weise politisch tätig, die als herausgehoben aktive Unterstützung der PKK bzw. deren Nachfolgeorganisationen KADEK, KONGRA GEL, KKK und KCK (im Folgenden "PKK") anzusehen ist. [...]

b) Zweifel an der Rechtmäßigkeit des gegen den Antragsteller verfügten Betätigungsverbots unter Ziffer 1 des angegriffenen Bescheids der Antragsgegnerin bestehen aber zunächst insoweit, als diesem danach im ersten Teil (Satz 1, 1. Halbsatz) "die politische Betätigung zugunsten der Arbeiterpartei Kurdistans (PKK)" untersagt wird - wobei das Verbot nach Satz 2 der Verfügung auch gilt, soweit die PKK unter den Aliasbezeichnungen KADEK, KONGRA GEL, KKK und KCK auftritt.

aa) Zum einen ist fraglich, ob die Verfügung insoweit den Anforderungen an die Bestimmtheit eines

Verwaltungsakts (vgl. § 37 Abs. 1 LVwVfG) genügt.

Das Verwaltungsgericht hat zutreffend dargelegt, dass die Regelung eines Verwaltungsakts inhaltlich derart bestimmt sein muss, dass der Adressat in der Lage ist zu erkennen, was von ihm gefordert wird; sie muss eine geeignete Grundlage für Maßnahmen zur zwangsweisen Durchsetzung sein können. Wenn auch die Verwendung unbestimmter Rechtsbegriffe zulässig sein kann und bei einem Verbot der politischen Betätigung wie dem vorliegenden angesichts der Vielzahl der unterschiedlichsten Arten der in Betracht kommenden Aktivitäten kaum vermeidbar ist, muss trotzdem hinreichend eindeutig sein, welche Tätigkeiten untersagt werden. In Anbetracht des durch das Verbot der politischen Betätigung nach § 47 AufenthG bewirkten Eingriffs in Grundrechte des Betroffenen - wie insbesondere die in Art. 5 Abs. 1 Satz 1 GG geschützte Meinungsfreiheit - und der Strafbewehrung von Verstößen durch § 95 Abs. 1 Nr. 4 AufenthG sind an die Bestimmtheit hier hohe Anforderungen zu stellen (vgl. näher allgemein zur Bestimmtheit: BVerwG, Urteile vom 02.07.2008 - 7 C 38.07 - NVwZ 2009, 52, vom 02.12.1993 - 3 C 42.91 - BVerwGE 94, 341, vom 15.02.1990 - 4 C 41.87 - NVwZ 1990, 658, und vom 26.01.1990 - 8 C 69.87 -NVwZ 1990, 855, jew. m.w.N.; VGH Bad.-Württ., Beschluss vom 05.10.1999 - 10 S 1059/99 - NVwZ 2000, 91; Stelkens/Bonk/Sachs, VwVfG, 7. Aufl. 2008, § 37 Rn. 5 ff.; vgl. auch BVerfG, Kammerbeschluss vom 08.12.2010 - 1 BvR 1106/08 - juris; zur Bestimmtheit im Rahmen von Anordnungen nach § 47 AufenthG bzw. den entsprechenden früheren Regelungen: VGH Bad.-Württ., Beschluss vom 10.03.1999, a.a.O.; OVG Sachsen-Anhalt, Beschluss vom 19.04.2002 - 2 O 33/02 - juris; VG München, Urteil vom 20.02.2002 - M 28 K 01.2231 - juris, Beschluss vom 29.03.2000 - M 26 S 99.4956 - juris; VG Stuttgart, Urteil vom 08.02.2012 - 8 K 1265/11 - juris).

Im vorliegenden Fall wird das Verbot der politischen Betätigung zugunsten der PKK in Satz 3 der Verfügung - in der Fassung des Berichtigungsbescheids vom 11.05.2012 - zwar weiter konkretisiert. Danach werden dem Antragsteller insbesondere die Teilnahme an öffentlichen Veranstaltungen und Aufzügen, die Übernahme und Ausübung von Ämtern sowie politische Reden, Pressekonferenzen und schriftliche Veröffentlichungen untersagt. Die beispielhaft aufgezählten Aktivitäten sind ihm dabei nicht insgesamt, sondern nur insoweit verboten, als er sich damit zugunsten der PKK politisch betätigt. Für Reden des Antragstellers dürfte das zum Beispiel bedeuten, dass dieser nicht nur solche Auftritte zu unterlassen hat, bei denen er offen für die PKK wirbt, sondern in dem dargelegten Umfang (vgl. unter a) auch Reden zur allgemeinpolitischen Lage der Kurden o.ä. Wie allerdings im Einzelfall untersagte und noch erlaubte Tätigkeiten bzw. Aktivitäten genau voneinander abgegrenzt werden können, lässt sich derzeit weder dem verfügenden Teil des Bescheids in seiner aktuellen Fassung noch den Gründen hinreichend zweifelsfrei entnehmen.

Letztlich kann und muss die Frage der hinreichenden Bestimmtheit der Klärung im Hauptsacheverfahren vorbehalten bleiben. Dort wird auch zu prüfen sein, ob und gegebenenfalls welche Folgerungen sich aus der - inzwischen geänderten (vgl. dazu nachfolgend bb) - Begründung des Bescheids vom 10.02.2012 für die Frage der Bestimmtheit der Verfügung ergeben könnten. [...]

c) Erst recht bestehen Zweifel an der Rechtmäßigkeit der Verbotsverfügung unter Ziffer 1 des Bescheids vom 10.02.2012 hinsichtlich des zweiten Halbsatzes des Satz 1. Danach wird dem Antragsteller auch die politische Betätigung zugunsten der von der PKK "dominierten Organisationen (namentlich der YEK-KOM und deren Ortsvereine)“ untersagt. Dabei sollen unter den "Ortsvereinen" offensichtlich alle kurdischen Vereine zu verstehen sein, die Mitglied bei der YEK-KOM, der "Föderation Kurdischer Vereine in Deutschland e.V" sind. Abgesehen von den auch insoweit bestehenden Zweifeln an der hinreichenden Bestimmtheit, ist dieses Verbot in der derzeitigen Fassung aber jedenfalls zu weitgehend.

Zum einen kann ohne weitere Klärung und gegebenenfalls Beweiserhebung nicht allein aufgrund der Mitgliedschaft eines kurdischen Vereins bei der YEK-KOM angenommen werden, dieser sei "von der PKK dominiert". Allerdings unterstützt die YEK-KOM, deren Sitz in Düsseldorf und die ihrerseits Mitglied der „Konföderation der Kurdischen Vereine in Europa“ (KON-KURD) ist und der deutschlandweit etwa 60 kurdische Vereine angeschlossen sind, die PKK durch eine Vielzahl von Aktionen. Sie betreibt eine intensive Öffentlichkeitsarbeit, darunter immer wieder Aktionen für die PKK. Deshalb geht der Senat davon aus, dass der Umstand, dass ein kurdischer Ortsverein Mitglied bei der YEK-KOM ist, für eine PKK-Nähe des betreffenden Vereins spricht (vgl. dazu Urteile vom 07.12.2011 und vom 16.05.2012, jew. a.a.O.). Mehr als ein - wenn auch gewichtiges - Indiz für die Nähe des betreffenden Vereins zur PKK kann aber daraus nach dem derzeitigen Erkenntnisstand nicht gefolgert werden.

Zum anderen kann auch nicht etwa jede politische Betätigung für einen Ortsverein als politische Betätigung für die PKK angesehen und daher untersagt werden. Dem Wortlaut der Verbotsverfügung vom 10.02.2012 nach ist das jedoch der Fall ("Ihnen wird die politische Betätigung zugunsten der Arbeiterpartei Kurdistans [PKK] sowie zugunsten der von dieser dominierten Organisationen [namentlich der YEK-KOM und deren Ortsvereine] untersagt."). Dadurch wäre zum Beispiel auch die Unterstützung des örtlichen kurdischen Kulturvereins bei einer rein lokalpolitischen Angelegenheit ohne jeden Bezug zur PKK verboten, etwa bei dessen Engagement für einen neuen Kindergarten oder eine neue Schule in der betreffenden Gemeinde. Ein solches Verbot wäre von der Ermächtigungsgrundlage des § 47 AufenthG eindeutig nicht mehr erfasst.

2. Gegen die Annahme des Verwaltungsgerichts, bei (zumindest) offenen Erfolgsaussichten in der Hauptsache sei der Antrag nach § 80 Abs. 5 VwGO hier begründet, hat sich die Antragsgegnerin nicht gewandt. Abgesehen davon ist auch der Senat der Auffassung, dass bei der im Rahmen des § 80 Abs. 5 VwGO gebotenen Interessenabwägung dem privaten Interesse des Antragstellers, bis zu einer Klärung in der Hauptsache in seiner grundrechtlich geschützten Meinungsfreiheit und seiner Handlungsfreiheit nicht weiter eingeschränkt zu werden, hier derzeit Vorrang einzuräumen ist gegenüber dem öffentlichen Interesse an einem sofortigen Vollzug.

Dabei ist abgesehen von den bestehenden Zweifeln an der Rechtmäßigkeit des Bescheids zu berücksichtigen, dass die Möglichkeiten des Antragstellers, politisch die PKK bzw. deren Nachfolgeorganisationen zu unterstützen, bereits durch andere Maßnahmen - wie etwa die im Ausweisungsbescheid vom 14.08.2009 auferlegte tägliche Meldepflicht bei einem Polizeirevier in Stuttgart sowie die darin erfolgte Beschränkung seines Aufenthalts auf das Stadtgebiet - faktisch eingeschränkt und entsprechende Unterstützungshandlungen teilweise ohnehin strafbewehrt sind (vgl. § 20 Abs. 1 Nr. 4 i.V.m. § 18 Satz 2 VereinsG, § 129 StGB). Dem öffentlichen Interesse an einer möglichst umgehenden Verhinderung von politischen Aktivitäten des Antragstellers zugunsten der PKK kann daher bereits jetzt - wenn auch nur teilweise - Rechnung getragen werden durch eine Überwachung und gegebenenfalls zwangsweise Durchsetzung der angeführten Auflagen im Ausweisungsbescheid vom 14.08.2009 und durch ein strafrechtliches Vorgehen gegen Aktivitäten, die gegen das vereinsrechtliche Betätigungsverbot (vgl. § 20 Abs. 1 Nr. 4 VereinsG) verstoßen oder nach dem Strafgesetzbuch unter Strafe gestellt sind (vgl. z.B. § 129 StGB). Wiederholte Verstöße gegen die bestehende räumliche Beschränkung sind gemäß § 95 Abs. 1 Nr. 6a AufenthG strafbar.

Ergänzend wird darauf hingewiesen, dass es der Antragsgegnerin unbenommen bleibt, bei einer Änderung der maßgeblichen Sachlage, etwa einer erneuten Ergänzung oder Korrektur des Bescheids vom 10.02.2012 im Widerspruchsverfahren einen Antrag nach § 80 Abs. 7 VwGO zu stellen. [...]