1. Während der Mutterschutzfrist nach §§ 3 Abs. 2, 6 Abs. 1 MuschG besteht eine (widerlegliche) Vermutung dafür, dass die Schwangere nicht ohne Gesundheitsgefährdung abgeschoben werden kann.
2. Jedenfalls sind Flugabschiebungen ab der 36. Schwangerschaftswoche in der Regel unmöglich, weil Fluggesellschaften Schwangere dann nur noch nach Begutachtung durch einen Flugmediziner befördern.
3. § 4 Abs. 3 StAG vermittelt einer ausreisepflichtigen Schwangeren keinen Anspruch, bis zur Geburt des Kindes in Deutschland zu bleiben.
(Amtliche Leitsätze)
[...]
Die Antragstellerin hat einen Anspruch auf Duldung nach § 60a Abs. 2 Satz 1 AufenthG. Eine Abschiebung ist derzeit unmöglich.
Allerdings ergibt sich dieser Duldungsanspruch für die Zeit bis zur Geburt ihres Kindes nicht daraus, dass sie nach der Geburt möglicherweise von dem Kind ein Aufenthaltsrecht ableiten kann. Es kommt für diesen Zeitraum daher auch nicht darauf an, ob das Kind bei einer Geburt im Inland die deutsche Staatsangehörigkeit nach § 4 Abs. 3 StAG erwerben würde. § 4 Abs. 3 StAG regelt die rechtlichen Folgen für den Fall, dass ein Kind im Inland geboren wurde, vermittelt aber keinen Anspruch darauf, ein Kind im Inland zur Welt bringen zu dürfen. Daher kann aus dieser Norm auch in Verbindung mit Art. 11 Abs. 1 und Art. 6 GG keine aufenthaltsrechtliche Vorwirkung und damit auch kein Duldungsanspruch zugunsten einer Schwangeren bis zur Geburt abgeleitet werden (vgl. OVG Münster, Beschluss vom 8. September 2009 – 18 B 1156/09 -, juris Rn. 10-12). Soweit die Antragstellerin geltend macht, sie, der Kindsvater und das Kind könnten die familiäre Lebensgemeinschaft auch bei einer ausländischen Staatsangehörigkeit des Kindes nur in Deutschland zumutbar leben, weil der Kindsvater faktischer Inländer sei, ist dies für den Zeitraum vor der Geburt des Kindes ebenfalls irrelevant. Selbst unterstellt, ihr Vortrag träfe zu, erscheint es nicht unzumutbar, wenn die Antragstellerin zunächst ausreist, ihr Kind in Serbien zur Welt bringt und dann nach der Geburt zusammen mit dem Kind mit einem Visum zur Familienzusammenführung nach § 29 Abs. 3 Satz 1, § 32 Abs. 4 bzw. § 36 Abs. 2 AufenthG wieder nach Deutschland zurückkehrt.
Für die Zeit bis acht Wochen nach der Entbindung ergibt sich die Unmöglichkeit der Abschiebung aber aus dem Schutz der körperlichen Unversehrtheit nach Art. 2 Abs. 2 Satz 1 GG. Die Kammer hält es aufgrund der fortgeschrittenen Schwangerschaft der Antragstellerin (voraussichtlicher Entbindungstermin ist laut dem vorgelegten Mutterpass der 6. März 2013, vgl. Bl. 18 d.A.) für ausreichend glaubhaft gemacht, dass die Antragstellerin nicht mehr ohne Gefahr für sich oder ihr ungeborenes Kind abgeschoben werden könnte. Für diese Glaubhaftmachung war es vorliegend ausnahmsweise nicht erforderlich, dass die Antragstellerin ein ärztliches Attest vorlegt, dass ihr Reiseunfähigkeit bescheinigt. Denn eine Vermutung für die Gefährdung von Leib und Leben ergibt sich schon allein aus der Nähe der Abschiebung zum Entbindungstermin; es wäre Aufgabe des Antragsgegners, diese Vermutung zu entkräften.
Nach § 3 Abs. 2 MuSchG dürfen werdende Mütter 6 Wochen vor der Entbindung grundsätzlich nicht mehr beschäftigt werden; das Beschäftigungsverbot dauert in der Regel bis 8 Wochen nach der Entbindung (vgl. § 6 Abs. 1 MuSchG). Die Vorschriften beruhen auf der allgemeinen Erkenntnis, dass im Falle einer erheblichen physischen oder psychischen Belastung der Schwangeren in dieser Zeit Gefahren für Mutter und Kind nicht von der Hand zu weisen sind. Diese gesetzgeberische Wertung zieht in aller Regel auch für Abschiebungen eine zeitliche Grenze (vgl. Funke-Kaiser, GK-AufenthG, § 60a Rn. 146; wohl im Ergebnis auch Dienelt, in: Renner, AuslR, 9. Aufl. (2011), § 60a Rn. 25). Denn die psychische und physische Belastung durch eine zwangsweise Aufenthaltsbeendigung dürfte derjenigen, die beispielsweise eine Arbeit an einem Büroarbeitsplatz mit sich bringt, mindestens gleichkommen. Insofern besteht eine tatsächliche Vermutung dafür, dass eine Schwangere während der Mutterschutzfrist nicht gefahrlos abgeschoben werden kann. Da der voraussichtliche Entbindungstermin der 6. März 2013 ist, hat die Mutterschutzfrist nach § 3 Abs. 2 MuSchG am 23. Januar 2013 begonnen.
Aber selbst wenn man die Grenze für eine Abschiebung von Schwangeren nicht so eng zöge, wird eine Abschiebung hier vor der Geburt nicht mehr möglich sein. Abschiebungen nach Serbien erfolgen nach den Erfahrungen der Kammer immer auf dem Luftwege. Nach dem aktuellen "Medical Manual for Aviation" der International Air Transport Association (IATA), (http://www.iata.org/whatwedo/safety health/Documents/medical-manual-2012.pdf), S. 52 gilt für Flugreisen von Schwangeren Folgendes: Schwangere ab der 28. Schwangerschaftswoche (d.h. in den letzten 12 Wochen vor dem errechneten Geburtstermin) sollen von Fluggesellschaften nur mit einem ärztlichen Attest befördert werden. Ab der 36. Schwangerschaftswoche (also in den letzten 4 Wochen vor dem errechneten Geburtstermin) darf einer Passagierin der Antritt einer Flugreise nur nach positiver Begutachtung durch einen Arzt mit flugmedizinischer Erfahrung gestattet werden. Die 36. Schwangerschaftswoche beginnt bei der Antragstellerin am 6. Februar 2013, d.h. in einer Woche. Nichts im Verwaltungsvorgang deutet darauf hin, dass der Antragsgegner Vorbereitungen getroffen hat, die eine so schnelle Abschiebung als realistisch erscheinen lassen. Spätestens danach wird eine Flugreise aber aller Voraussicht nach nicht mehr möglich sein. Denn der Beklagte hat kein Gutachten eines Arztes mit flugmedizinischer Erfahrung vorgelegt, aus dem sich ergibt, dass die Antragstellerin auch in dieser Schwangerschaftsphase noch gefahrlos fliegen könnte.
Das auf den Aspekt des Gesundheitsschutzes begründete Abschiebungshindernis besteht nach der Geburt des Kindes bis zum Ablauf der Mutterschutzfrist nach § 6 Abs. 1 MuSchG (vgl. OVG Saarlouis, Beschluss vom 26. Februar 2010 – 2 B 511/09 -, juris Rn. 35; OVG Berlin-Brandenburg, Beschluss vom 21. Juli 2011 – OVG 12 S 41.11 - juris). [...]