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BGH

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Zitieren als:
BGH, Beschluss vom 17.01.2013 - V ZB 193/12 (= ASYLMAGAZIN 3/2013, S. 102 f.) - asyl.net: M20425
https://www.asyl.net/rsdb/M20425
Leitsatz:

In dem Verfahren der Abschiebungshaft sind strenge Anforderungen an einen Rechtsmittelverzicht zu stellen. Der Betroffene muss klar und eindeutig zum Ausdruck bringen, dass er sich mit der Entscheidung ohne Vorbehalt abfindet. Das Gericht darf einen Verzicht nicht von sich aus nahelegen, weil er dem Interesse des Betroffenen regelmäßig nicht entspricht und weil das Verfahren der Freiheitsentziehung wegen des schwerwiegenden Eingriffs in das Grundrecht auf Freiheit der Person gem. Art. 2 Abs. 2 Satz 2 GG besondere Sorgfalt und Fairness verlangt. Einem anwaltlich nicht vertretener Betroffener muss eine von der Rechtsmittelbelehrung unabhängige Belehrung über die Folgen des Verzichts erteilt werden und diese muss für das Rechtsbeschwerdegericht nachprüfbar dokumentiert werden, wenn der Betroffene von sich aus einen Rechtsmittelverzicht abgeben will.

Schlagwörter: Rechtsmittel, Rechtsmittelverzicht, strenge Anforderungen, Verzicht, schwerwiegender Eingriff, Freiheit der Person, Freiheitsentziehung, Abschiebungshaft, Sicherungshaft, Zurückschiebungshaft, Grundrechte, Beschwerde,
Normen: FamFG § 67 Abs. 1, GG Art. 2 Abs. 2 S. 2,
Auszüge:

[...]

1. Der Zulässigkeit des Rechtsmittels steht der in der Anhörung vor dem Amtsgericht erklärte Verzicht des Betroffenen auf das Rechtsmittel der Beschwerde nicht entgegen.

a) Zwar ist die Beschwerde gemäß § 67 Abs. 1 FamFG unzulässig, wenn der Beschwerdeführer nach Bekanntgabe des Beschlusses auf das Rechtsmittel durch Erklärung gegenüber dem Gericht verzichtet hat. In dem Verfahren der Abschiebungshaft sind an einen Rechtsmittelverzicht aber strenge Anforderungen zu stellen. Der Betroffene muss klar und eindeutig zum Ausdruck bringen, sich mit der Entscheidung ohne Vorbehalt abfinden und das prozessuale Recht, die Entscheidung in der übergeordneten Instanz überprüfen zu lassen, endgültig aufgeben zu wollen. Das Gericht darf einen Verzicht nicht von sich aus nahe legen, weil er dem Interesse des Betroffenen regelmäßig nicht entspricht und weil das Verfahren der Freiheitsentziehung wegen des schwerwiegenden Eingriffs in das Grundrecht auf Freiheit der Person gemäß Art. 2 Abs. 2 Satz 2 GG besondere Sorgfalt und Fairness verlangt. Schließlich muss das Gericht einem anwaltlich nicht vertretenen Betroffenen im Interesse einer rechtsstaatlichen Verfahrensgestaltung eine von der Rechtsmittelbelehrung unabhängige Belehrung über die Folgen des Verzichts erteilen und diese auch für das Rechtsbeschwerdegericht nachprüfbar dokumentieren, wenn der Betroffene von sich aus einen Rechtsmittelverzicht abgeben will (Senat, Beschluss vom 1. Dezember 2011 - V ZB 73/11, FGPrax 2012, 83 f. Rn. 6 f.).

b) Daran gemessen fehlt es an einem wirksamen Verzicht. Der Betroffene war in der Anhörung nicht anwaltlich vertreten. Das Anhörungsprotokoll weist in der Art eines Multiple-Choice-Bogens ein Kreuz vor der Erklärung "D. Betroffene verzichtet auf das Rechtsmittel der Beschwerde." aus. Dieser Bestandteil des Anhörungsbogens ist schon für sich genommen ein Hinweis darauf, dass der Anstoß zu dem Rechtsmittelverzicht nicht von dem anwaltlich nicht vertretenen Betroffenen, sondern von dem Gericht ausgegangen ist. Dass der Betroffene unabhängig von der - erfolgten - Belehrung über das Rechtsmittel der Beschwerde auch über die Folgen eines Verzichts auf das Rechtsmittel belehrt worden ist, ist im Protokoll nicht, jedenfalls nicht nachprüfbar, dokumentiert. Ebenso wenig lässt sich feststellen, dass der Betroffene die Folgen seiner Erklärung richtig einschätzen konnte. […]