1. Ein Verziehen i.S. des § 10b Abs. 3 S 1 AsylbLG kann auch bei der (Erst-)Zuweisung eines Asylbewerbers von einer zentralen Unterbringungseinrichtung des Landes in eine Kommune vorliegen. Ein Verziehen ist nämlich immer dann zu bejahen, wenn eine Person von einem Ort in einen anderen in der Absicht wechselt, an einen bisherigen Aufenthaltsort (vorerst) nicht zurückzukehren, wenn also der Lebensmittelpunkt unter Aufgabe des gewöhnlichen Aufenthalts am bisherigen Aufenthaltsort durch Begründung eines neuen gewöhnlichen Aufenthalts am Zuzugsort wechselt.
2. Zu fehlenden Feststellungen, ob der Leistungsberechtigte gem. § 10b Abs. 3 AsylbLG auch am bisherigen Aufenthaltsort in der Aufnahmeeinrichtung des Landes seinen gewöhnlichen Aufenthalt hatte.
3. Die Anforderungen an das "Geltendmachen" des Kostenerstattungsanspruchs i.S. des § 111 S 1 SGB 10 sind erfüllt, wenn sich aus der - vor Ablauf der Ausschlussfrist - abgegebenen Erklärung die für die Entstehung des Erstattungsanspruchs maßgeblichen Umstände (Leistungsart, Leistungsberechtigter, Leistungsgrund) und der Zeitraum, für den Sozialleistungen erbracht wurden, hinreichend konkret ergeben. Liegt der Erklärung deutlich erkennbar der Wille zugrunde, zumindest rechtssichernd tätig zu werden, müssen nicht alle Einzelheiten des Anspruchs dargelegt werden. Auch eine Bezifferung des Erstattungsanspruchs muss (noch) nicht erfolgen.
4. Dem Erstattungsanspruch steht nicht entgegen, dass § 10b Abs. 3 AsylbLG m.W.v. 1.7.2005 ersatzlos gestrichen und der Erstattungsanspruch erst nach diesem Zeitpunkt beziffert wurde. Nach den Grundsätzen des intertemporalen Rechts richtet sich die Beurteilung eines Sachverhalts grundsätzlich nach dem Recht, welches zur Zeit der anspruchsbegründenden Ereignisse oder Umstände gegolten hat, soweit nicht später in Kraft getretenes Recht ausdrücklich oder stillschweigend etwas anderes bestimmt. Maßgeblich für die Anspruchsentstehung ist hier die Leistungsgewährung bzw. der Anfall der Kosten nach dem AsylbLG und nicht deren Bezifferung.
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Zu Recht ist das LSG davon ausgegangen, dass ein "Verziehen" im Sinne des § 10b Abs. 3 AsylbLG auch bei der Zuweisung eines Asylbewerbers von einer zentralen Unterbringungseinrichtung des Landes NRW in eine Kommune vorliegen kann. Ein Verziehen ist nämlich immer dann zu bejahen, wenn eine Person von einem Ort in einen anderen in der Absicht wechselt, an einen bisherigen Aufenthaltsort (vorerst) nicht zurückzukehren, wenn also der Lebensmittelpunkt unter Aufgabe des gewöhnlichen Aufenthalts am bisherigen Aufenthaltsort durch Begründung eines neuen gewöhnlichen Aufenthalts am Zuzugsort wechselt (BVerwGE 119, 96, 98; BVerwG, Urteil vom 7.10.1999 5 C 21/98 , FEVS 51, 385 f). Entgegen der Auffassung des Beklagten ist ein Verziehen in diesem Sinne nicht etwa deshalb ausgeschlossen, weil Grund des Verziehens die Erstzuweisung eines Asylbewerbers von einer Einrichtung des Landes in eine Kommune war. Der Begriff des Verziehens bezieht sich nur auf den tatsächlichen Vorgang eines "dauerhaften" Ortswechsels und stellt nicht darauf ab, ob es sich um einen freiwilligen, durch Art. 11 Grundgesetz (GG) grundrechtsgeschützten Vorgang handelt (Hohm, AsylbLG, § 10b RdNr. 75 f mwN, Stand November 2005), so dass es unerheblich ist, ob der Ortswechsel in Vollzug einer ausländer- oder asylverfahrensrechtlichen Rechtspflicht erfolgt und ob am Wegzugsort eine Wohnung im Sinne einer durch freiwillige Aufenthaltsnahme begründeten und auf Dauer angelegten, selbst gestalteten Häuslichkeit bestand (BVerwGE 119, 96, 98 f). Weder Wortlaut noch Entstehungsgeschichte der Erstattungsvorschrift geben einen Anhaltspunkt für die gegenteilige Auslegung des Beklagten. [...]
Der Wortlaut von § 10b Abs. 3 AsylbLG setzt aber zunächst voraus, dass der Leistungsberechtigte am bisherigen Ort hier in D. seinen gewöhnlichen Aufenthalt hatte. Dabei kann dahinstehen, ob ein Wechsel von einem früheren zu einem neuen gewöhnlichen Aufenthalt schon nach der Definition des Verziehens zu fordern ist (s BVerwGE 119, 96, 98); in I. jedenfalls ist ein neuer gewöhnlicher Aufenthalt aufgrund der Zuweisung begründet worden (§ 10a Abs. 3 Satz 4 AsylbLG). Ob dies in D. der Fall war, lässt sich nach den tatsächlichen Feststellungen des LSG nicht beurteilen. Als gewöhnlicher Aufenthalt im Sinne des AsylbLG gilt nach § 10a Abs. 3 Satz 1 AsylbLG der Ort, an dem sich jemand unter Umständen aufhält, die erkennen lassen, dass er an diesem Ort oder in diesem Gebiet nicht nur vorübergehend verweilt. Als gewöhnlicher Aufenthalt ist auch von Beginn an ein zeitlich zusammenhängender (kurzfristige Unterbrechungen bleiben unberücksichtigt) Aufenthalt von mindestens sechs Monaten Dauer anzusehen, es sei denn, der Aufenthalt erfolgt ausschließlich zum Zweck des Besuchs, der Erholung, der Kur oder ähnlichen privaten Zwecken und dauert nicht länger als ein Jahr (Sätze 2 und 3). Ist jemand aufgrund der Entscheidung der vom Bundesministerium des Innern bestimmten zentralen Verteilungsstelle des Bundes verteilt oder von der im Land zuständigen Behörde zugewiesen worden, gilt zudem nach § 10a Abs. 3 Satz 4 AsylbLG dieser Bereich als sein gewöhnlicher Aufenthalt. [...]
Die Klägerin hat jedenfalls soweit es die hier noch streitigen Leistungen ab 1.12.2003 betrifft den Erstattungsanspruch innerhalb der Jahresfrist des § 111 SGB X, der gem § 9 Abs. 3 AsylbLG Anwendung findet, rechtzeitig geltend gemacht. Nach § 111 Satz 1 SGB X ist unabhängig von den den Fristenlauf hinausschiebenden Voraussetzungen des Satz 2 der Anspruch auf Erstattung ausgeschlossen, wenn der Erstattungsberechtigte ihn nicht spätestens zwölf Monate nach Ablauf des letzten Tages, für den die Leistung erbracht wurde, geltend macht. Betroffen sind vorliegend nur Leistungen für Dezember 2003, sodass die Ausschlussfrist frühestens Ende Dezember 2004 endete. Den Erstattungsanspruch hat die Klägerin mit ihrem Schreiben vom 29.11.2004 am 3.12.2004, nicht erst durch die spätere Bezifferung (dazu unten), geltend gemacht. Das Schreiben vom 29.11.2004 entspricht den Anforderungen an das "Geltendmachen" iS des § 111 Satz 1 SGB X. Der Geltendmachung muss deutlich erkennbar der Wille zugrunde liegen, zumindest rechtssichernd tätig zu werden; dabei müssen nicht alle Einzelheiten des Anspruchs dargelegt werden (BSGE 21, 157, 159 = SozR Nr. 12 zu § 1531 RVO; BSG SozR 4 2500 § 10 Nr. 4 RdNr. 11). Auch eine Bezifferung des Erstattungsanspruchs muss entgegen der Auffassung des Beklagten (noch) nicht erfolgen (BSG SozR 4 2500 § 10 Nr. 4 RdNr. 11; BSG SozR 3-1300 § 111 Nr. 9 S 37 f; Böttiger in LPK-SGB X, 3. Aufl 2011, § 111 RdNr. 7; Roller in von Wulffen, SGB X, 7. Aufl 2010, § 111 RdNr. 12 mwN), selbst wenn eine solche zum Zeitpunkt der Geltendmachung des Erstattungsanspruchs möglich gewesen wäre (BSGE 65, 31, 37 = SozR 1300 § 111 Nr. 6 S 23) und erst erfolgt, wenn Leistungen bereits nicht mehr erbracht werden.
Erforderlich ist nur, dass sich aus der Erklärung die für die Entstehung des Erstattungsanspruchs maßgeblichen Umstände (Leistungsart, Leistungsberechtigter, Leistungsgrund) und der Zeitraum, für den die Sozialleistung erbracht wurde, hinreichend konkret ergeben (BSGE 65, 31, 37 = SozR 1300 § 111 Nr. 6 S 23; BSG, SozR 4 2500 § 10 Nr. 4 RdNr. 11; SozR 3 1300 § 111 Nr. 9 S 37 f); dies ist hier zu bejahen. Selbst wenn der Erklärung die Leistungsberechtigung des R. nach dem AsylbLG nicht im Einzelnen zu entnehmen ist, waren dem Beklagten als zuständiger Behörde des bisherigen Aufenthalts doch dem Grunde nach alle Umstände für die Leistungsberechtigung (sachlich und zeitlich) bekannt. Einer gesonderten Darlegung zu den Anspruchsvoraussetzungen im Einzelnen im Rahmen der Geltendmachung des Erstattungsanspruchs bedurfte es nicht. Eine Berufung des Beklagten auf eine auch formale genauere Darlegungspflicht wäre treuwidrig. Zudem genügte es, zunächst nur den Beginn des Leistungszeitraums mitzuteilen, wie die Möglichkeit zur Geltendmachung zukünftiger Erstattungsansprüche bei späterer Bezifferung zeigt (BSG SozR 4 2500 § 10 Nr. 4 RdNr. 11).
Der Erstattungsanspruch scheitert schließlich nicht daran, dass § 10b Abs. 3 AsylbLG mit Wirkung zum 1.7.2005 ersatzlos gestrichen worden ist. Nach den Grundsätzen des intertemporalen Rechts richtet sich bei Fehlen von Übergangs- und Überleitungsvorschriften wie hier die Beurteilung eines Sachverhalts grundsätzlich nach dem Recht, das zur Zeit der anspruchsbegründenden Ereignisse oder Umstände (hier die Leistungsgewährung, die den Erstattungsanspruch auslöst) gegolten hat, soweit nicht später in Kraft getretenes Recht ausdrücklich oder stillschweigend etwas anderes bestimmt (BSG SozR 4 5910 § 111 Nr. 1 RdNr. 9 mwN). Maßgeblicher Umstand im Rahmen des von der Klägerin geltend gemachten Erstattungsanspruchs ist entgegen der Ansicht des Beklagten der Anfall der Kosten nach dem AsylbLG, nicht deren Bezifferung; diese ist für die Anspruchsentstehung ohne Bedeutung. Hieran ändert der von § 107 Abs. 1 BSHG ("erforderlich werdende Leistungen") abweichende Wortlaut in § 10b Abs. 3 AsylbLG ("erforderliche Leistungen"), worauf das LSG zu Recht hinweist, nichts. Das Erstattungsverhältnis war hier jedenfalls im Zeitpunkt des Außerkrafttretens des § 10b Abs. 3 AsylbLG abgeschlossen (vgl dazu in anderem Zusammenhang BSG, aaO, mwN). [...]