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VG Gelsenkirchen

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Zitieren als:
VG Gelsenkirchen, Urteil vom 21.02.2013 - 5a K 3753/11.A - asyl.net: M20534
https://www.asyl.net/rsdb/M20534
Leitsatz:

1. § 26a Abs. 1 Satz 3 Nr. 2 AufenthG findet grundsätzlich auch in den Fällen der Ausübung des Selbsteintrittsrechts nach Art. 3 Abs. 2 Dublin-VO Anwendung (hier: Bearbeitung des Asylantrages durch die Bundesrepublik Deutschland nach Einreise des Asylbewerbers u.a. über Griechenland).

2. Aufgrund der Auskunftslage ist es grundsätzlich nicht ausgeschlossen, dass seitens der Taliban versucht wird, vereinzelt junge Männer für den bewaffneten Kampf gegen die afghanische Regierung und die ISAF Truppen mitunter auch zwangsweise gegen ihren Willen und ihre politische Überzeugung anzuwerben (hier: Zwangsrekrutierung nicht glaubhaft).

3. Weder in Bezug auf die Provinz Nangarhar noch bezüglich Kabul besteht ein Anspruch auf Abschiebungsschutz nach § 60 Abs. 7 Satz 2 AufenthG.

4. In Kabul kann sich für besonders schutzbedürftige Rückkehrer wie minderjährige, alte oder behandlungsbedürftig kranke Personen, alleinstehende Frauen mit und ohne Kinder, Familien mit Kleinkindern und Personen, die aufgrund besonderer persönlicher Merkmale zusätzlicher Diskriminierung unterliegen, eine extreme Gefahrenlage ergeben, die ein Abschiebungsverbot nach § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG zur Folge hat (hier: bejaht für einen 17-jährigen Jugendlichen).

5. Die Abschiebeschutzregelung des § 58 Abs. 1a AufenthG schließt einen Schutzanspruch nach § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG für unbegleitete Kinder und Jugendliche nicht generell aus.

(Amtliche Leitsätze)

Schlagwörter: Selbsteintritt, Selbsteintrittsrecht, Afghanistan, unbegleitete Minderjährige, Taliban, Zwangsrekrutierung, Kabul, Nangarhar, Kinder, Jugendliche, besonders schutzbedürftig, extreme Gefahrenlage, gefahrerhöhende Umstände,
Normen: AufenthG § 26a Abs. 1 S. 3 Nr. 2, VO 343/2003 Art. 3 Abs. 2, AufenthG § 60 Abs. 7 S. 2, AufenthG § 60 Abs. 7 S. 1, AufenthG § 58 Abs. 1a,
Auszüge:

[...]

2. Der Kläger hat keinen Anspruch auf Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft nach § 3 AsylVfG in Verbindung mit § 60 Abs. 1 AufenthG.

a) Nach § 3 Abs. 1 AsylVfG genießt ein Ausländer den Schutz als "Flüchtling" im Sinne des Abkommens über die Rechtsstellung der Flüchtlinge vom 28. Juli 1951 - Genfer Flüchtlingskonvention (GFK) -, wenn er in dem Staat, dessen Staatsangehörigkeit er besitzt oder in dem er als Staatenloser seinen gewöhnlichen Aufenthalt hatte, den Bedrohungen nach § 60 Abs. 1 AufenthG ausgesetzt ist und der Flüchtlingsschutz nicht ausnahmsweise nach § 3 Abs. 2 bis 4 AsylVfG und § 60 Abs. 8 AufenthG ausgeschlossen ist. Nach § 60 Abs. 1 Satz 1 AufenthG darf ein Ausländer in Anwendung der Genfer Flüchtlingskonvention nicht in einen Staat abgeschoben werden, in dem sein Leben oder seine Freiheit wegen seiner Rasse, Religion, Staatsangehörigkeit, seiner Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder wegen seiner politischen Überzeugung bedroht ist. Für die Feststellung, ob eine Verfolgung nach § 60 Abs. 1 Satz 1 AufenthG vorliegt, sind Art. 4 Abs. 4 sowie die Art. 7 bis 10 der Richtlinie 2004/83/EG vom 29. April 2004 über Mindestnormen für die Anerkennung und den Status von Drittstaatsangehörigen oder Staatenlosen als Flüchtlinge oder als Personen, die anderweitig internationalen Schutz benötigen, und über den Inhalt des zu gewährenden Schutzes (ABl. EU Nr. L 304, S. 12) - sog. Qualifikationsrichtlinie - ergänzend anzuwenden (§ 60 Abs. 1 Satz 5 AufenthG). Art. 7 RL 2004/83/EG definiert die Akteure, die (vor nichtstaatlicher Verfolgung) Schutz bieten können. Art. 8 RL 2004/83/EG legt fest, wann der Antragsteller auf internen Schutz verwiesen werden kann und konkretisiert damit die Anforderungen an eine inländische Fluchtalternative. Art. 9 und 10 RL 2004/83/EG regeln die Verfolgungshandlungen und die Verfolgungsgründe (vgl. zum Ganzen etwa OVG NRW, Urteil vom 17. August 2010 - 8 A 4063/06.A -; Bergmann/Dienelt/Röseler, a.a.O., § 60 AufenthG RdNrn. 1 ff.; Huber/Göbel-Zimmermann, a.a.O., RdNrn. 1660 ff.; Marx, a.a.O., § 1 RdNrn. 77 ff.).

Hinsichtlich des Prognosemaßstabs ist sowohl bei der Prüfung der Flüchtlingseigenschaft (§ 60 Abs. 1 AufenthG) - als auch bei der des subsidiären Schutzes (§ 60 Abs. 2, 3 und 7 Satz 2 AufenthG) - der Maßstab der beachtlichen Wahrscheinlichkeit zugrunde zu legen. Art. 4 Abs. 4 RL 2004/83/EG privilegiert dabei den von ihm erfassten Personenkreis bei einer Vorverfolgung durch eine Beweiserleichterung, nicht aber durch einen herabgestuften Wahrscheinlichkeitsmaßstab (vgl. BVerwG, Urteile vom 7. September 2010 - 10 C 11.09 -, vom 27. April 2010 - 10 C 5.09 -, und vom 1. Juni 2011 - 10 C 10.10 u. 10 C 25.10 -; OVG NRW, Urteil vom 17. August 2010 - 8 A 4063/06.A -; OVG Saarland, Urteil vom 16. September 2011 - 3 A 352/09 -; OVG Schleswig-Holstein, Urteil vom 6. Oktober 2011 - 4 LB 5/11 -).

Im Übrigen folgt aus den in Art. 4 RL 2004/83/EG geregelten Mitwirkungs- und Darlegungsobliegenheiten des Antragstellers, dass es auch unter Berücksichtigung der Vorgaben dieser Richtlinie Sache des Ausländers ist, die Gründe für seine Flucht vor Verfolgung schlüssig vorzutragen. Daher ist daran festzuhalten, dass er dazu unter Angabe genauer Einzelheiten einen in sich stimmigen Sachverhalt zu schildern hat, aus dem sich bei Wahrunterstellung ergibt, dass bei verständiger Würdigung eine Verfolgung droht (vgl. OVG NRW, Urteil vom 17. August 2010 - 8 A 4063/06.A -).

Der Anwendungsbereich des § 60 Abs. 1 Satz 1 AufenthG ist ansonsten weitgehend deckungsgleich mit dem des Asylgrundrechts, bei dessen Auslegung sich das Bundesverfassungsgericht schon bisher an der Genfer Flüchtlingskonvention orientiert hat. Das Abschiebungsverbot des § 60 Abs. 1 AufenthG geht allerdings über Art. 16a Abs. 1 GG insofern hinaus, als es auch dann eingreift, wenn Asyl etwa nach § 26a Abs. 1 Satz 1 oder § 27 AsylVfG ausgeschlossen ist. Auch kann sich der Flüchtling gemäß § 28 Abs. 1a AsylVfG auf selbst geschaffene subjektive Nachfluchtgründe berufen. § 60 Abs. 1 Satz 3 AufenthG stellt zudem klar, dass eine Verfolgung wegen der Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe auch dann vorliegen kann, wenn die Bedrohung des Lebens, der körperlichen Unversehrtheit oder der Freiheit allein an das Geschlecht anknüpft. Überdies enthält § 60 Abs. 1 Satz 4 AufenthG in Umsetzung des Art. 6 RL 2004/83/EG ferner eine klarstellende Regelung dahingehend, dass eine Verfolgung im Sinne des § 60 Abs. 1 AufenthG ausgehen kann von a) dem Staat, b) Parteien oder Organisationen, die den Staat oder wesentliche Teile des Staatsgebiets beherrschen, oder c) nichtstaatlichen Akteuren, sofern die zu a) und b) genannten Akteure einschließlich internationaler Organisationen erwiesenermaßen nicht in der Lage oder nicht willens sind, Schutz vor der Verfolgung zu bieten, und dies unabhängig davon, ob in dem Land eine staatliche Herrschaftsmacht vorhanden ist oder nicht (vgl. zum Ganzen OVG NRW, Urteil vom 17. August 2010 - 8 A 4063/06.A -; VG Saarland, Urteil vom 21. März 2012 - 5 K 1037/10 -; VG Bayreuth, Urteil vom 21. Mai 2012 - B 3 K 11.30040 -; VG Köln, Urteil vom 19. Juni 2012 - 14 K 1509/11.A -).

b) Dies zugrunde gelegt sind die Voraussetzungen des § 3 Abs. 1 AsylVfG in Verbindung mit § 60 Abs. 1 AufenthG zur Überzeugung des Gerichts im Fall des Klägers nicht erfüllt. Die Ausführungen des Klägers zu seinem Verfolgungsschicksaal sind - wie oben ausgeführt (s. oben 1.) - nicht glaubhaft. Insofern scheidet daher auch eine Anerkennung des Klägers als Flüchtling aus. [...]

c) Nach § 60 Abs. 7 Satz 2 AufenthG ist von einer Abschiebung eines Ausländers in einen anderen Staat abzusehen, wenn er dort als Angehöriger der Zivilbevölkerung einer erheblichen individuellen Gefahr für Leib oder Leben im Rahmen eines internationalen oder innerstaatlichen bewaffneten Konfliktes ausgesetzt ist. Die Vorschrift dient der Umsetzung des Art. 15 Buchst. c RL 2004/83/EG.

Der Begriff des internationalen wie auch des innerstaatlichen bewaffneten Konfliktes ist dabei unter Berücksichtigung der Bedeutung dieser Begriffe im humanitären Völkerrecht, insbesondere unter Heranziehung von Art. 3 der Genfer Konventionen zum humanitären Völkerrecht 1949 (GK) und des zur Präzisierung erlassenen Zusatzprotokolls II von 1977 (ZP II) auszulegen. Einerseits liegt danach ein internationaler oder innerstaatlicher bewaffneter Konflikt jedenfalls dann vor, wenn bewaffnete Konflikte im Hoheitsgebiet eines Staates zwischen dessen Streitkräften und abtrünnigen Streitkräften oder anderen organisierten Gruppen stattfinden, die unter verantwortlicher Führung eine solche Kontrolle über einen Teil des Hoheitsgebietes des Staates ausüben, dass sie anhaltende, koordinierte Kampfhandlungen durchführen können. Andererseits liegt ein Konflikt im Sinne des § 60 Abs. 7 Satz 2 AufenthG nicht vor bei bloßen Fällen innerer Unruhen oder Spannungen wie Tumulten oder vereinzelt auftretenden Gewalttaten. Bei innerstaatlichen Krisen, die zwischen diesen Erscheinungsformen liegen, scheidet die Annahme eines bewaffneten Konfliktes zwar nicht von vornherein aus. Der Konflikt muss dann aber ein bestimmtes Maß an Intensität und Dauerhaftigkeit aufweisen, wie sie typischerweise in Bürgerkriegsauseinandersetzungen oder Guerilla-Kämpfen vorherrschen (vgl. BVerwG, Urteile vom 24. Juni 2008 - 10 C 43.07 - und vom 27. April 2010 - 10 C 4.09 -; VGH Baden- Württemberg, Urteile vom 6. März 2012 - A 11 S 3070/11 - und - A 11 S 3177/11 -).

Der innerstaatliche Konflikt muss sich dabei - unabhängig von seiner Erscheinungsform - nicht auf das gesamte Staatsgebiet erstrecken; es genügt vielmehr, dass bewaffnete Gruppen Kampfhandlungen in einem Teil des Hoheitsgebiets durchführen. Für die Gewährung subsidiären Schutzes nach § 60 Abs. 7 Satz 2 AufenthG ist grundsätzlich auf die Herkunftsregion des Ausländers abzustellen, in die der Ausländer typischerweise zurückkehren wird (vgl. BVerwG, Urteil vom 24. Juni 2008 - 10 C 43.07 -; HessVGH, Urteil vom 11. Dezember 2008 - 8 A 611/08.A -).

Der Ausländer muss von dem bewaffneten Konflikt "individuell" bedroht sein, um einen Schutzanspruch gemäß § 60 Abs. 7 Satz 2 AufenthG zu haben. Eine solche individuelle Bedrohung ist anzunehmen, wenn der Ausländer spezifisch aufgrund von Umständen betroffen ist, die seiner persönlichen Situation innewohnen. Dazu gehören in erster Linie persönliche Umstände, die den Ausländer von der allgemeinen, ungezielten Gewalt stärker betroffen erscheinen lassen, etwa weil er von Berufs wegen gezwungen ist, sich nahe der Gefahrenquelle aufzuhalten. Gefahren, denen die Bevölkerung oder eine Bevölkerungsgruppe eines Landes "allgemein" ausgesetzt sind, stellen demgegenüber normalerweise keine individuelle Bedrohung dar (vgl. insoweit auch Erwägungsgrund 26 der Qualifikationsrichtlinie). Die in § 60 Abs. 7 Satz 3 AufenthG getroffene Regelung, die Abschiebungsschutz suchende Ausländer im Fall "allgemeiner" Gefahren auf die Aussetzung von Abschiebungen durch ausländerbehördliche Erlasse verweist, ist allerdings nach der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts richtlinienkonform dahingehend auszulegen, dass sie bei Vorliegen der Voraussetzungen des subsidiären Schutzes nach Art. 15 Buchst. c RL 2004/83/EG, der auch und gerade die Gefahr infolge von "willkürlicher Gewalt" einbezieht, keine Sperrwirkung entfaltet. Mit dem Element willkürlicher Gewalt soll deutlich gemacht werden, dass es auch und gerade um Fälle von unvorhersehbarer, wahlloser Gewalt geht, die sich auf Personen ungeachtet ihrer persönlichen Situation erstrecken kann (vgl. BVerwG, Urteile 14. Juli 2009 - 10 C 9.08 - und vom 17. November 2011 - 10 C 13.10 -).

Das Vorliegen einer ernsthaften individuellen Bedrohung des Ausländers kann daher bei richtlinienkonformer Auslegung selbst bei entsprechenden allgemeinen Gefahren ausnahmsweise dann als gegeben angesehen werden, wenn der den bestehenden bewaffneten Konflikt kennzeichnende Grad willkürlicher Gewalt ein so hohes Niveau erreicht, dass stichhaltige Gründe für die Annahme bestehen, dass eine Zivilperson bei einer Rückkehr in das betreffende Land oder die betroffene Region allein durch ihre Anwesenheit in diesem Gebiet Gefahr liefe, einer solchen Bedrohung ausgesetzt zu sein (vgl. BVerwG, Urteile 14. Juli 2009 - 10 C 9.08 - und vom 17. November 2011 - 10 C 13.10 -; OVG NRW, Beschluss vom 13. September 2012 - 13 A 2721/10.A - und vom 26. November 2012 - 13 A 2194/12.A -; BayVGH, Urteil vom 8. November 2012 - 13a B 11.30465 -).

Gemessen an diesen Grundsätzen steht dem Kläger kein Anspruch auf Feststellung eines Abschiebungshindernisses nach § 60 Abs. 7 Satz 2 AufenthG zu.

Zwar kann für die ursprüngliche Herkunftsregion des Klägers - namentlich für die Provinz Nangarhar - die Annahme eines innerstaatlichen bewaffneten Konflikts im vorstehenden Sinne nicht ausgeschlossen werden (vgl. zur Annahme eines bewaffneten Konflikts für Nangarhar zuletzt etwa VG Trier, Urteil vom 4. Juni 2012 - 5 K 1244/11.TR -).

Allerdings kann die Frage, ob die in der Heimatregion des Klägers stattfindenden Auseinandersetzungen als bewaffneter innerstaatlicher Konflikt anzusehen sind, dahinstehen, da der Kläger insofern jedenfalls keiner erheblichen individuellen Gefahr ausgesetzt ist. Eine Individualisierung tritt auch nicht ausnahmsweise durch eine außergewöhnliche Situation in der Heimatprovinz des Klägers ein, die durch einen so hohen Gefahrengrad gekennzeichnet wäre, dass praktisch jede Zivilperson allein aufgrund ihrer Anwesenheit einer ernsthaften individuellen Bedrohung ausgesetzt wäre. Die Kammer schließt sich insoweit der nachfolgend zitierten verwaltungsgerichtlichen Rechtsprechung an (vgl. für Nangarhar: BayVGH, Urteil vom 20. Januar 2012 - 13a B 11.30394 - und Beschluss vom 10. August 2012 - 13a ZB 12.30177 -; sowie VG München, Urteil vom 22. Mai 2012 - M 22 K 10.30050 -; ferner VG Trier, Urteil vom 4. Juni 2012 - 5 K 1244/11.TR -, S. 4 f. des Urteilsabdrucks ("Allerdings ist dort kein so hoher Grad willkürlicher Gewalt zu verzeichnen, dass jeder Rückkehrer alleine durch seine Anwesenheit Gefahr läuft, einer ernsthaften individuellen Bedrohung ausgesetzt zu sein")).

Bestätigt wird dies durch die Auskunftslage, die der Kammer insoweit aktuell vorliegt (vgl. ACCORD, "Allgemeine Sicherheitslage (vor allem Kundus, Nangarhar, Ghazni, Jaghuri, Kandahar, Wardak)", Anfragebeantwortung vom 10. August 2012, und "Angriffe auf NGO-Mitarbeiter/-innen in der Provinz Nangarhar", Anfragebeantwortung vom 19. Juli 2012; D-A-CH, Kooperation Asylwesen Deutschland-Österreich-Schweiz, Sicherheitslage in Afghanistan, Vergleich zweier afghanischer Provinzen (Ghazni und Nangarhar) und den pakistanischen Stammesgebieten, März 2011, S. 14 ff.; vgl. ferner Nachweise bei BayVGH, Urteil vom 20. Januar 2012 - 13a B 11.30394 - und VG München, Urteil vom 22. Mai 2012 - M 22 K 10.30050 -).

Danach ist zwar ein Großteil der Provinz Nangarhar nach wie vor umkämpftes Gebiet. Bis zuletzt kam es - vor allem in Jalalabad, im Grenzgebiet zu Pakistan und auf den Straßen nach Kabul - zu Überfällen und Angriffen durch regierungsfeindliche Truppen, bei denen auch zivile Opfer zu beklagen waren. Bezogen auf die Herkunftsprovinz Nangarhar ist dennoch bei einer Einwohnerzahl von ca. 1,34 Millionen (vgl. D-A-CH, a.a.O., S. 15) die Wahrscheinlichkeit, in jener Region Opfer des Konflikts zu werden, relativ gering. Sie wird etwa vom Verwaltungsgericht München - noch unter Bezugnahme auf den Bericht des Afghanistan NGO Safety Office (ANSO, Internet: www.ngosafety.org) für 2011 - auf unter 1 % geschätzt (vgl. Urteil vom 22. Mai 2012 - M 22 K 10.30050 -).

Wenngleich nach den jüngeren Berichten des ANSO in der Provinz Nangarhar die Anzahl der Angriffe gegenüber dem Jahr 2011 nochmals leicht (um 4 Prozent) angestiegen ist (vgl. ACCORD, a.a.O., Anfragebeantwortung vom 10. August 2012), ist damit dennoch die Wahrscheinlichkeit, dem Konflikt zum Opfer zu fallen, nur marginal angestiegen, so dass noch immer kein Niveau an willkürlicher Gewalt erreicht wäre, das in richtlinienkonformer Auslegung des § 60 Abs. 7 Satz 2 AufenthG ein Abschiebungsverbot für jeden Rückkehrer in die Provinz Nangarhar zur Folge hätte.

Soweit im Übrigen davon ausgegangen werden kann, dass der Kläger nicht in seine ursprüngliche Heimatregion zurückkehren wird, da nach seinem eigenen Vortrag dort das elterliche Haus angezündet worden sein soll und er überdies keinen Kontakt mehr zu seinen Eltern haben will, ist davon auszugehen, dass er sich - wie andere afghanische (Binnen-)Flüchtlinge und Rückkehrer auch - nach Kabul begeben wird; Kabul wäre auch als Abschiebeort von Deutschland aus auf dem Luftweg zu erreichen (vgl. Auswärtiges Amt, Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Islamischen Republik Afghanistan, 10. Januar 2012, S. 29 f.).

Auch insoweit steht dem Kläger indes kein Schutzanspruch nach § 60 Abs. 7 Satz 2 AufenthG zu. Denn in Kabul herrscht kein bewaffneter Konflikt; jedenfalls kann nach der gegenwärtigen Auskunftslage auch für Kabul nicht festgestellt werden, dass aufgrund der dortigen Situation ein derart außergewöhnlich hoher Gefahrengrad vorherrscht, der dadurch gekennzeichnet ist, dass praktisch jede Zielperson allein aufgrund ihrer Anwesenheit in dem betroffenen Gebiet einer ernsthaften individuellen Bedrohung ausgesetzt ist (vgl. Urteile der Kammer vom 21. Februar 2013 - 5a K 1523/11.A -, - 5a K 1524/11.A - und - 5a K 1525/11.A -, jeweils mit weiteren Nachw.). [...]