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OVG Bremen

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Zitieren als:
OVG Bremen, Beschluss vom 08.03.2013 - 1 B 13/13 (= ASYLMAGAZIN 7-8/2013, S. 262 f.) - asyl.net: M20545
https://www.asyl.net/rsdb/M20545
Leitsatz:

Das Bestehen einer Haushaltsgemeinschaft mit einem einjährigen deutschen Kind steht einer Verpflichtung der Mutter nach § 15a Abs. 2 Satz 1 AufenthG entgegen.

(Amtlicher Leitsatz)

Schlagwörter: Haushaltsgemeinschaft, familiäre Lebensgemeinschaft, deutsches Kind, Freizügigkeit, Verteilung, Wohnsitzauflage,
Normen: AufenthG 3 15a Abs. 1 S. 6, AufenthG § 15a Abs. 2, GG Art. 11 Abs. 1, GG Art. 6 Abs. 2,
Auszüge:

[...]

Die Beschwerde hat Erfolg. Die aufschiebende Wirkung der Klage gegen den Bescheid der Antragsgegnerin vom 30.08.2012, mit dem die Antragstellerin verpflichtet wurde, sich unverzüglich zur Zentralen Aufnahmestelle für Asylbewerber (ZAST) zu begeben, ist nach § 80 Abs. 2 Nr. 3, Abs. 5 VwGO i.V.m. § 15a Abs. 2 Satz 4 AufenthG anzuordnen, da das private Interesse der Antragstellerin, vorläufig von der Vollziehung der Maßnahme verschont zu bleiben, das öffentliche Vollzugsinteresse überwiegt. Es bestehen nach summarischer Prüfung ernstliche Zweifel an der Rechtmäßigkeit des angegriffenen Bescheides.

Der Bescheid vom 30.08.2012 ist auf § 15a Abs. 2 AufenthG gestützt. Nach § 15a Abs. 1 AufenthG werden unerlaubt eingereiste Ausländer, die weder um Asyl nachsuchen noch unmittelbar nach der Feststellung der unerlaubten Einreise in Abschiebungshaft genommen und aus der Haft abgeschoben oder zurückgeschoben werden können, vor der Entscheidung über die Aussetzung der Abschiebung oder die Erteilung eines Aufenthaltstitels auf die Länder verteilt. Satz 6 der Vorschrift bestimmt, dass wenn der Ausländer vor Veranlassung der Verteilung nachweist, dass eine Haushaltsgemeinschaft zwischen Ehegatten oder Eltern und ihren minderjährigen Kindern oder sonstige zwingende Gründe bestehen, die der Verteilung an einen bestimmten Ort entgegenstehen, dem bei der Verteilung Rechnung zu tragen ist. Nach § 15a Abs. 2 Satz 1 AufenthG können die Ausländerbehörden die Ausländer verpflichten, sich zu der Behörde zu begeben, die die Verteilung veranlasst. Dies gilt nicht, wenn dem Vorbringen nach Absatz 1 Satz 6 Rechnung zu tragen ist. Die Vorschrift stellt sicher, dass Umstände, die einer Verteilung entgegenstehen, bereits in einem frühen Zeitpunkt des Verteilungsverfahrens berücksichtigt werden und die hiervon betroffenen Personen aus dem Verteilungsverfahren herausgenommen werden.

Die Antragsgegnerin hat hier zu Unrecht angenommen, die Antragstellerin habe keine Gründe genannt, die einer Verteilung nach § 15a Abs. 1 AufenthG entgegenstehen. Solche Gründe bestehen jedoch darin, dass die Antragstellerin durch Vorlage der entsprechenden Urkunden nachgewiesen hat, dass sie in Bremen in Haushaltsgemeinschaft mit ihrer einjährigen Tochter lebt, die deutsche Staatsangehörige ist und für die sie - zusammen mit dem in Hamburg lebenden Kindesvater - das Sorgerecht besitzt.

Als deutsche Staatsangehörige unterliegt die Tochter nicht dem Anwendungsbereich des Aufenthaltsgesetzes und damit auch nicht der Verteilung nach § 15a AufenthG. Die Verteilung der Tochter ist damit nicht möglich. Gegen die Tochter ist auch keine Anordnung nach § 15a Abs. 2 Satz 1 AufenthG ergangen. Die rechtliche Unmöglichkeit der Verteilung der Tochter steht der Verteilung der Antragstellerin an einen bestimmten Ort entgegen. Bestimmter Ort im Sinne der Vorschrift ist jeder andere Ort als der der bestehenden Haushaltsgemeinschaft (vgl. OVG Lüneburg, Beschluss vom 11.01.2013 – 8 ME 2/13 -, juris). Durch eine Verteilung der Antragstellerin an einen anderen Ort würde die Mutter von der Tochter getrennt. Dies würde einen Eingriff in den Schutzbereich des Art. 6 Abs. 1 i.V.m. Abs. 2 GG darstellen und wäre auch unter Berücksichtigung des mit der Verteilung verfolgten öffentlichen Interesses an einer gleichmäßigen Verteilung der durch die unerlaubte Einreise entstehenden finanziellen Lasten (vgl. Nr. 15a.0 AVV AufenthG) weder der Antragstellerin noch der Tochter zuzumuten. Die Regelung in § 15a Abs. 1 Satz 6 AufenthG, die bei der Anordnung nach § 15 Abs. 2 Satz 1 AufenthG zu berücksichtigen ist, sieht jedoch vor, dass einer bestehenden familiären Gemeinschaft bei der Verteilung Rechnung zu tragen ist.

Die Trennung könnte nur dadurch vermieden werden, dass die Tochter ihrer Mutter an den Ort, an den sie verteilt wurde, folgt. Hierzu trifft die nach Art. 11 Abs. 1 GG freizügigkeitsberechtigte Tochter jedoch keine Pflicht. Eine Beschränkung des Freizügigkeitsrechts durch das Aufenthaltsbestimmungsrecht zur Gewährleistung des in Art. 6 Abs. 2 GG verankerten elterlichen Sorgerechts (vgl. BVerfG, Beschluss vom 15.08.1996 – 2 BvR 1075/96 -, NJW 1996, 3145) wirkt nur zwischen minderjährigen Kindern und deren Sorgeberechtigten und soweit es zur Durchsetzung des Sorgerecht notwendig ist, nicht dagegen gegenüber staatlichen Eingriffen zu sonstigen Zwecken. [...]