Yesiden sind in Georgien keiner Gruppenverfolgung ausgesetzt.
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2. Die Kläger haben auch keinen Anspruch auf Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft gemäß § 3 Abs. 1 AsylVfG in Verbindung mit § 60 Abs. 1 AufenthG.[...]
b) Auch die Zugehörigkeit der Kläger zur Volksgruppe bzw. Religionsgemeinschaft der Jesiden begründet nicht mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit die Gefahr einer politischen Verfolgung. Anhaltspunkte für eine Vorverfolgung oder eine im Falle der Rückkehr drohende (Einzel-) Verfolgung gerade der Kläger wegen ihres Jesidentums sind weder von den Klägern benannt worden noch sonst ersichtlich. In Betracht käme somit allenfalls eine sog. "Gruppenverfolgung".
Die Kammer ist im Einklang mit der - soweit ersichtlich - einhelligen Meinung in der Rechtsprechung (vgl. nur OVG NRW, Beschluss vom 20. Juli 2000 - 11 A 2183/00.A -, Juris; aus neuerer Zeit etwa VG Meiningen, Urteil vom 23. Juli 2009 - 8 K 20074/09 Me -, und VG Düsseldorf, Urteil vom 4. Oktober 2007 - 5 K 5162/06.A -) der Auffassung, dass Jesiden in Georgien keiner Gruppenverfolgung nach den dargestellten Maßstäben unterworfen sind.
Anhaltspunkte für eine hinreichend gewichtige Zahl an asylerheblichen Maßnahmen gegen Jesiden in Georgien, deren Zahl - grob geschätzt - bei etwa 10000 Personen liegen dürfte, enthält unter den neueren Erkenntnisquellen am ehesten das Memorandum "Kurdische Yezidi aus Georgien" der Gesellschaft für bedrohte Völker vom April 2006. Hier wird unter anderem berichtet, Jesiden würden "regelmäßig von Polizisten erpresst, bedroht und verfolgt". Auch von "Körperverletzungen, Beschimpfungen und Misshandlungen durch Angehörige der georgischen Polizei" wird berichtet. Schließlich heißt es in dem Memorandum, es gebe auch zahlreiche Übergriffe durch Privatpersonen, "Schutz vor Übergriffen gewähre der georgische Staat nicht". Das Gericht hält die Aussagekraft des Memorandums indes für sehr begrenzt, weil die genannten Thesen nur pauschal und undifferenziert behauptet werden. Einzelheiten, die eine ernsthafte Schlussfolgerung über den Ablauf und den asylerheblichen Charakter der angesprochenen Maßnahmen zuließen, werden nicht mitgeteilt. Als Quelle wird - ebenso pauschal - vor allem auf "Berichte von Flüchtlingen" verwiesen. Andere Quellen, die in ähnlichem Maße auf Repressalien gegen Jesiden in Georgien hinweisen, liegen nicht vor. Auch in den regelmäßigen Berichten der Menschenrechtsorganisationen, etwa von Amnesty International, finden sich keine entsprechenden Aussagen bezüglich der Jesiden in Georgien. In den jüngsten Länderberichten zu Georgien (2010 und 2011) von Amnesty International etwa werden Probleme der Jesiden oder anderer religiöser oder ethnischer Minderheiten in Georgien nicht angesprochen.
Dem steht eine Reihe neuerer Erkenntnisse gegenüber, auf deren Grundlage eine Gruppenverfolgung verneint werden muss. Zu nennen ist hier zunächst die im Auftrag des UNHCR erstellte ausführliche Studie "The human rights situation of the yezidi minority in the transcaucasus (Armenia, Georgia, Azerbaijan)" der Organisation Writenet vom Mai 2008. Auch in dieser Studie werden soziale, wirtschaftliche und kulturelle Probleme der georgischen Jesiden beschrieben, deren Ursachen zum Teil in den Eigenarten und der Organisation der Jesiden selbst, namentlich auch in dem massiven Rückgang der Zahl der georgischen Jesiden gesehen, zum Teil aber auch staatlichem Einfluss, etwa - im Bereich des Bildungswesens - durch die staatsnahe georgisch-orthodoxe Kirche zugeschrieben werden. Systematische Benachteiligungen, die dem Staat zuzurechnen wären, werden aber nicht festgestellt, und es wird ausdrücklich hervorgehoben, dass die Jesiden nicht unter Zwangskonvertierung, körperlichen Angriffen oder ähnlich schweren Menschenrechtsverletzungen zu leiden hätten. Insgesamt werden Maßnahmen, welche die für eine politische Verfolgung erforderliche Intensität erreichen, nicht benannt. Zum Teil an die Writenet-Studie angelehnt, kommt auch die Analyse "Jesiden in Georgien" des österreichischen Bundesasylamtes vom August 2009 zu dem Ergebnis, dass eine gezielte Verfolgung von Jesiden weder von staatlicher Seite noch durch Dritte gegeben ist. Beide Studien beziehen sich unter anderem auch auf ein Interview mit dem Vorsitzenden der "Union der Jesiden Georgiens", Rostom Atashov, vom September 2006, dem zufolge die Jesiden keine Probleme mit dem Staat hätten und als Bürger Georgiens anerkannt seien; auch bei der Arbeitssuche - so wird Atashov zitiert - würden sie nicht diskriminiert.
Das Auswärtige Amt hat sich in einer Auskunft an das Verwaltungsgericht Sigmaringen vom 16. April 2008 ebenfalls dahingehend geäußert, eine Verfolgung, Repression oder Diskriminierung der Jesiden in Georgien durch staatliche Stellen finde nicht statt. Im Lagebericht des Auswärtigen Amtes vom 24. April 2006 heißt es, trotz kontinuierlicher aufmerksamer Beobachtung der Situation der Jesiden verfüge man über keine Anhaltspunkte dafür, dass Jesiden und Kurden aufgrund ihrer religiösen oder ethnischen Identität in Georgien staatlicher Repression in Form von Misshandlungen, Erpressungen, Drohungen oder Eigentumsbeschädigungen ausgesetzt seien. Es werde zwar von einzelnen Fällen von Diskriminierungen im Alltag und Benachteiligungen im Umgang mit einzelnen Vertretern staatlicher Behörden, insbesondere der Polizei berichtet. Dabei handele es sich aber - auch nach Einschätzung georgischer Menschenrechtsorganisationen - um Einzelfälle, die eher durch unzureichende Ausstattung und Qualifikation der Sicherheitskräfte zu erklären seien als durch generelle Schutzunwilligkeit oder eine staatliche Billigung der Übergriffe Dritter. Auch der Bericht "Georgien - Aktuelle innenpolitische Entwicklung. Menschenrechtslage, Konflikt mit Russland" des Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge vom Juni 2009 konstatiert, Jesiden seien zwar großen wirtschaftlichen und sozialen Problemen ausgesetzt, eine staatliche Verfolgung, Repression oder Diskriminierung finde jedoch nicht statt. [...]
Dass die Kläger, bei denen individuelle Umstände, die ein Abschiebungsverbot nach § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG begründen könnten, nicht vorliegen, im Falle ihrer Abschiebung nach Georgien einer extremen Gefahrenlage in dem dargelegten Sinne ausgeliefert wären, vermag das Gericht nicht zu erkennen. Allerdings ergibt sich aus den vorliegenden Erkenntnissen zur Lage der Binnenflüchtlinge in Georgien, dass deren Unterbringung und Versorgung dem georgischen Staat erhebliche Probleme bereitet. Namentlich Amnesty International hat wiederholt auf die problematische Lage der Binnenflüchtlinge, zu denen aufgrund ihrer südossetischen Herkunft auch die Kläger zu rechnen sein dürften, hingewiesen (zuletzt im Länderbericht Georgien 2011). Auch in anderen aktuellen Quellen, die sich zu den wirtschaftlichen und sozialen Verhältnissen in Georgien äußern, klingen entsprechende Probleme gerade der Binnenflüchtlinge an (vgl. etwa D-ACH Kooperation Asylwesen Deutschland - Österreich - Schweiz: Bericht zur D-A-CH Fact Finding Mission Georgien 2011; Bundesasylamt Wien: Georgien, Rückkehr - Wirtschaftliche Lage und Sozialwesen (Januar 2011)).
Auf der anderen Seite konstatiert aber auch Amnesty International, dass die Regierung Schritte unternommen hat, um die Lebensbedingungen der Vertriebenen zu verbessern und dass es dem entsprechend auch einige Fortschritte bei den Bemühungen um Unterbringung und Integration der Binnenvertriebenen gegeben habe, wenngleich die Situation weiterhin als "nicht zufriedenstellend" angesehen werde. Den genannten Erkenntnissen lässt sich insgesamt entnehmen, dass durch das Zusammenwirken des georgischen Staates mit internationalen und nationalen Hilfsorganisationen gewährleistet ist, dass eine Grundversorgung auch der Binnenflüchtlinge mit Wohnraum, Nahrung und medizinischer Unterstützung gewährleistet ist. Unter diesen Umständen kann nicht davon ausgegangen werden, dass eine Extremgefahr in dem oben beschriebenen Sinne vorliegt, dass die Kläger also bei einer Rückkehr nach Georgien alsbald mit hoher Wahrscheinlichkeit schwersten Gefahren für Leib und Leben ausgesetzt wären. [...]