VG Stuttgart

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Zitieren als:
VG Stuttgart, Urteil vom 05.04.2013 - 11 K 3419/12 - asyl.net: M20597
https://www.asyl.net/rsdb/M20597
Leitsatz:

Zum Nachweis der Eigenschaft als familienangehöriger Ehemann ist es ausreichend, wenn eine Bescheinigung über das Bestehen einer familiären Beziehung gem. Art. 10 Abs. 2 b) RL 2004/38 vorgelegt wird.

Die Verweigerung der Legalisation pakistanischer Urkunden durch die deutsche Botschaft gibt keinen Hinweis auf die Gültigkeit oder Nichtgültigkeit einer pakistanischen Urkunde.

Schlagwörter: Unionsbürger, Familienangehörige, drittstaatsangehöriger Ehegatte, Freizügigkeit, freizügigkeitsberechtigt, Bescheinigung, Nachweis, Nachweis der familiären Beziehung, Legalisation, Beglaubigung, Botschaft, Auslandsvertretung, Konsulat, Heiratsurkunde, Nikah Nama, Legalisierung, Nachweis der Eheschließung, ausländische Urkunde, Pakistan,
Normen: VwGO § 75, FreizügG/EU § 5 Abs. 2, FreizügG/EU § 2 Abs. 1, RL 2004/38/EG Art. 10 Abs. 2 b),
Auszüge:

[...]

1. Der Kläger kann die Ausstellung einer Aufenthaltskarte nach § 5 Abs. 2 FreizügG/EU für freizügigkeitsberechtigte Familienangehörige von Unionsbürgern verlangen. Deren Ablehnung ist rechtswidrig und verletzt den Kläger in seinen Rechten (§ 113 Abs. 5 S. 1 VwGO).

Freizügigkeitsberechtigt sind nach § 2 Abs. 1 FreizügG/EU Unionsbürger und ihre Familienangehörigen im Sinne von § 2 Abs. 2 FreizügG/EU. Nach § 2 Abs. 2 FreizügG/EU könnte der Kläger nur nach Nr. 6 (Familienangehöriger unter den Voraussetzungen der §§ 3 oder 4 FreizügG/EU) freizügig sein. Nach § 3 Abs. 1 FreizügG/EU setzt Freizügigkeit des Familienangehörigen voraus, dass dieser den Unionsbürger begleitet oder ihm nachzieht, bei Familienangehörigen von Unionsbürgern nach § 2 Abs. 2 Nr. 5 (nicht selbständig erwerbstätige Unionsbürger) zudem nur nach Maßgabe von § 4 FreizügG/EU (S. 1: Verfügung über ausreichenden Krankenversicherungsschutz und über ausreichende Existenzmittel). Nach § 3 Abs. 2 FreizügG/EU sind Familienangehörige vor allem der Ehegatte (Ziff. 1) und die Verwandten (Ziff. 2). Nach § 5a Abs. 2 Nr. 1 FreizügG/EU darf die Behörde vom Familienangehörigen einen Nachweis über das Bestehen der familiären Beziehung, bei Verwandten in absteigender und aufsteigender Linie einen urkundlichen Nachweis über Voraussetzungen des § 3 Abs. 2 FreizügG/EU verlangen.

Der Kläger hat danach bereits Anspruch als Familienangehöriger einer Unionsbürgerin, die wegen unselbständiger Erwerbstätigkeit freizügig ist (§ 2 Ab. 2 Nr. 1 und 6 iVm § 3 Abs. 1 S. 1 und Abs. 2 Nr. 1 FreizügG/EU). Die Arbeitnehmereigenschaft wird dabei weder durch den Umstand in Frage gestellt, dass die Einkünfte der Ehefrau des Klägers nicht ausreichen, um das Familieneinkommen ohne Inanspruchnahme von öffentlichen Leistungen zu bestreiten (vgl. ausführlich und mit zahlreichen Nachweisen OVG Bremen, Urteil vom 28.09.2010, - 1 A 116/09 -, <juris>), noch steht entgegen, dass die Arbeitsverhältnisse bislang – übrigens einem zunehmend um sich greifenden, für Arbeitnehmer vielfach unausweichlichen Trend auf dem Arbeitsmarkt, der auch ausländerrechtlich zur Kenntnis zu nehmen ist, folgend – befristet waren, denn die Arbeitnehmereigenschaft besteht selbst bei (unfreiwilliger) Beendigung des Arbeitsverhältnisses gemäß § 2 Abs. 3 S. 1 Nr. 2 FreizügG/EU zunächst fort (vgl. OVG Bremen, aaO.).

Der Kläger hat auch hinreichend nachgewiesen, dass er die Eigenschaft als familienangehöriger Ehemann besitzt. Die weitergehenden Anforderungen der Beklagten zeugen entweder für Unkenntnis der Rechtslage oder sind Ausdruck von missbräuchlicher Verfahrensgestaltung. Nach Art. 10 Abs. 2 b) RL 2004/38 kann nur eine Bescheinigung über das Bestehen einer familiären Beziehung verlangt werden. Deren Beschaffenheit bleibt jedoch offen (vgl. auch Ziff. 5.3.1.2.2 und 5a.2 der VwV zum FreizügG: "einen Nachweis über das Bestehen der familiären Beziehung"). Die Beklagte bezieht sich mit ihrem weitergehenden Mitwirkungsverlangen gegenüber dem Kläger auf Anforderungen, die anscheinend von Standesämtern in Baden-Württemberg bzw. dem OLG Stuttgart gestellt werden. Dabei sind die Anforderungen der OLG in verschiedenen Regionen in der Bundesrepublik Deutschland durchaus unterschiedlich (s. einerseits die OLG Stuttgart, München, Nürnberg, Bamberg im Verfahren nach § 1309 Abs. 2 BGB auf Befreiung von der Beibringung des Ehefähigkeitszeugnisses, andererseits die OLG Dresden, Berlin-Brandenburg für die Anerkennung ausländischer Ehen). Diese Empfehlungen für bestimmte eherechtliche Umstände haben jedoch ebenfalls keinen normativen Charakter und vermögen insbesondere das Verwaltungsgericht nicht zu binden. Dies gilt insbesondere auch für die Frage, ob der Kläger die Eheschließung mit dem vorgelegten Nikah Nama nachgewiesen hat.

Soweit es um die Beweiskraft von ausländischen Urkunden geht, ist normative Grundlage dafür § 438 Abs. 1 ZPO. Danach ist über die Frage, ob eine Urkunde, die als von einer ausländischen Behörde oder von einer mit öffentlichem Glauben versehenen Person des Auslandes errichtet sich darstellt, ohne näheren Nachweis als echt anzusehen sei, nach den Umständen des Falles im Wege der freien Beweiswürdigung zu ermessen (so auch bei den Anforderungen zur Identitätsklärung im Einbürgerungsverfahren: Verwaltungsgericht Stuttgart, Urteil vom 01.03.2010, - 11 K 223/09 -, <juris>). Soweit § 438 Abs. 2 ZPO außerdem einen Echtheitsnachweis bei legalisierten ausländischen Urkunden erkennt, gibt allerdings die Verweigerung der Legalisation pakistanischer Urkunden durch die Deutsche Botschaft (vgl. dazu Merkblatt der Botschaft Islamabad Stand November 2011 zur Überprüfung afghanischer und pakistanischer Urkunden durch die Botschaft) keinen Hinweis auf die Gültigkeit oder Nichtgültigkeit einer pakistanischen Urkunde (vgl. dazu OLG Zweibrücken, Urteil vom 21.11.2003, - 2 UF 51/03 -; <juris>).

Danach hält das Gericht die vom Kläger behauptete Eheschließung aufgrund der vorgelegten Urkunde ("Nikah Nama") über die Eheschließung unter Berücksichtigung der Gesamtumstände für hinreichend nachgewiesen im Sinne von Art. 10 Abs. 2 b) RL 2004/38.

Bei der Bewertung dieser Urkunde, die von einem pakistanischen Notar in Peshawar am 16.03.2011 ausgestellt worden war und welche die Registrierung der Ehe am selben Tage im Heiratsregister ("Nikah Registrar") in Peshawar bestätigt, und die der Kläger der pakistanischen Botschaft in Usbekistan zur Beglaubigung (diese erfolgte am 03.08.2011) vorgelegt hatte, um ein Visum zum Familiennachzug zu seiner Ehefrau in Lettland zu bekommen (vgl. den Beglaubigungsstempel der lettischen Botschaft in Usbekistan vom 04.08.2011), ist vom maßgeblichen Eherecht auszugehen. Gemäß Art. 13 Abs. 1 EGBGB richtet sich die Frage, ob die vom Kläger in Pakistan geschlossene Ehe wirksam zustande gekommen ist, nach den Heimatrechten der Staaten, denen jeder Verlobte zum Zeitpunkt der Eheschließung angehörte (vgl. dazu OLG Zweibrücken, aaO.), für den Kläger also nach pakistanischem, für seine Ehefrau nach lettischem Recht. Da sich vorliegend der Kläger auf die Gültigkeit der Ehe beruft, ist somit vom pakistanischen Recht auszugehen.

Rechtsgrundlage für die Eheschließung in Pakistan ist die Muslim Family Law Ordinance (MLFO). Ausweislich der Darstellung des pakistanischen Eherechts von Bergmann/Ferid/Heinrich (Internationales Ehe- und Kindschaftsrecht, "Pakistan", Stand: 2003, S. 38) ist Mindestvoraussetzung für eine Heirat vor dem islamischen Standesbeamten (Maulvi) das Erscheinen von zwei Zeugen, welche die Heirat bestätigen, und die Festsetzung der sog. Brautgabe; das persönliche Erscheinen der Verlobten ist dagegen nicht erforderlich, da das islamische Recht die Heirat durch Stellvertreter erlaubt. Hat die Eheschließung nicht vor dem islamischen Standesbeamten stattgefunden, muss sie gemäß Sec. 5 Ziff. 3 MFLO von demjenigen, der die Eheschließung vorgenommen hat, bei dem zuständigen Standesbeamten angezeigt werden. Dabei handelt es sich jedoch um eine reine Formvorschrift, deren Verletzung zu strafrechtlichen Folgen führen kann, jedoch nicht die Gültigkeit der Eheschließung beeinträchtigt. Nach "einhelliger" pakistanischer Rechtsprechung ist die Eheschließung formwirksam, wenn die Voraussetzungen des nicht kodifizierten Islamrechts erfüllt sind. Eheschließungen bedürfen sowohl nach sunnitischem als auch nach schiitischem Recht keiner Schriftform. Längeres Zusammenleben von Mann du Frau begründet nach beiden Rechten die Vermutung einer gültigen Eheschließung mit der Folge, dass derjenige, der geltend macht, dass keine Ehe vorliegt, dafür auch die Beweislast trägt. Die Eheschließung zwischen einem muslimischen Mann und einer Nicht-Muslima ist ebenfalls gültig, allerdings vernichtbar.

Die Einhaltung dieser Voraussetzungen hat die Bescheinigung vom 16.03.2011 bestätigt. Die Eheschließung am 14.03.2008 erfolgte offenbar nach den Regeln des MFLO und wurde auch – zumindest nachträglich - registriert, wie sich aus der notariellen Bescheinigung ("Nikah Nama") vom 16.03.2011 ergibt. Es werden zwei Zeugen namentlich genannt und es wurde auch eine Brautgabe erbracht. Dass die Ehe nicht gleich registriert wurde, steht ihrer Gültigkeit nach den vorausgegangenen Ausführungen nicht entgegen. Gleiches gilt für den Umstand, dass die Bescheinigung keinen Anhaltspunkt dafür bietet, dass die Ehefrau der Eheschließung beigewohnt hat. Jedoch haben der Kläger in seiner Einvernahme als Partei und die Ehefrau in ihrer Einvernahme als Zeugin übereinstimmend die Zeremonie der Eheschließung in beider Anwesenheit geschildert, wobei geringfügige Abweichungen in der Schilderung (z.B. der Sitzordnung) nicht ins Gewicht fallen. Die Bescheinigung bestätigt auch eine Eheschließung auf der Grundlage des MLFO durch einen Maulvi (Qari Waris Khan) und beruht offenbar auf einer in Urdu verfassten Ursprungs-Urkunde.

Der Kläger hat auch den Anlass und die Umstände für die Erstellung dieser Bescheinigung lange nach der Eheschließung, nämlich im Zusammenhang mit den Bemühungen um ein Einreisevisum zu seiner Ehefrau nach Lettland, nachvollziehbar und insbesondere auch schlüssig dargelegt. Er hielt sich ausweislich der Einund Ausreisestempel in seinem Pass in der fraglichen Zeit in Usbekistan (Visum für Usbekistan vom 05.07. bis 23.08.2011, Einreise dorthin am 02.08. und Ausreise von dort am 20.08.2011) auf. Dass er das Visum bei der lettischen Botschaft in Taschkent in Usbekistan eingeholt hat, hat der Kläger im Ergebnis schlüssig damit begründet, dass das lettische Konsulat in Peshawar keine Visa ausstelle. Tatsächlich ist die lettische Botschaft in Pakistan in Karachi mindestens soweit von Peshawar entfernt, wie die Botschaft in Taschkent, sodass dieser "Umweg" jedenfalls nicht abwegig erscheint.

Die Gültigkeit der Ehe aufgrund der Bescheinigung vom 16.03.2011 haben auch die lettischen Behörden anerkannt (vgl. nochmals Art. 13 EGBGB). Sie haben auf dieser Grundlage dem Kläger den Nachzug zu seiner Ehefrau und zu seinen Kindern nach Lettland gestattet und die Ehefrau im lettischen Personenstandsregister als mit ihm verheiratet verzeichnet. Dies hat die Bescheinigung der lettischen Botschaft Berlin vom 16.11.2012 bestätigt, an deren Echtheit ebenfalls kein Zweifel besteht (vgl. zur Echtheit von konsularischen Urkunden das Merkblatt des Auswärtig. Amtes "Ausländische öffentliche Urkunden zur Verwendung in Deutschland", VII.- www.konsularinfo.diplo.de/contentblob/1615026/Daten/) und von der Beklagten auch nicht geäußert worden ist. Weiter hat der Kläger die Abstammung der Kinder durch Vorlage der Geburtsurkunden nachgewiesen, von denen zwei mit lettischer bzw. zyprischer Apostille versehen sind und also den (worauf auch immer begründeten) Anforderungen der Beklagten entsprechen. Folgerichtig hat die Vertreterin der Beklagten in der mündlichen Verhandlung auch bestätigt, dass die Abstammung dieser Kinder vom Kläger nachgewiesen ist.

Diese Umstände und das tatsächliche Zusammenleben des Klägers stützen schließlich auch die bereits erwähnte, im Zuge des Gegenbeweises zwar widerlegliche, jedoch auch von der Beklagten nicht widerlegten Vermutung nach pakistanischem Recht, dass die Ehe zwischen dem Kläger und Ehefrau Gültigkeit hat (vgl. nochmals OLG Zweibrücken, aaO.).

Damit sieht das erkennende Gericht den Nachweis erbracht, dass der Kläger als Ehemann seiner lettischen Ehefrau Angehöriger eines freizügigkeitsberechtigten Unionsbürgers ist. Demnach erfüllt er sämtliche Voraussetzungen für die Ausstellung der Aufenthaltskarte bereits aus dieser Ehe. [...]