VG Stuttgart

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Zitieren als:
VG Stuttgart, Urteil vom 18.01.2013 - 11 K 618/12 - asyl.net: M20607
https://www.asyl.net/rsdb/M20607
Leitsatz:

1. Ein Einbürgerungsbewerber hat den Leistungsbezug zu vertreten, wenn er sich nicht oder nicht hinreichend um die Aufnahme einer neuen Beschäftigung bemüht oder er nicht bereit ist, eine ihm im Sinne des § 10 SGB II zumutbare Beschäftigung unter den Bedingungen des allgemeinen Arbeitsmarktes aufzunehmen oder wenn er bei der Arbeitssuche nachhaltig durch Gleichgültigkeit zu erkennen gibt, dass er tatsächlich kein Interesse an einer Erwerbstätigkeit hat.

2. Der Einbürgerungsbewerber muss nachweisen, dass er im Rahmen seiner körperlichen und geistigen Fähigkeiten intensive Eigenbemühungen zur Aufnahme einer Beschäftigung gezeigt hat.

3. Bei länger dauernden erfolglosen Arbeitsbemühungen ist der Einbürgerungsbewerber regelmäßig weiter verpflichtet, seine Qualifikationen zu erweitern, um seine Chancen auf dem Arbeitsmarkt zu verbessern.

(Amtliche Leitsätze)

Schlagwörter: Einbürgerung, Einbürgerungsbewerber, Sozialleistungen, Eigenbemühungen, Bemühungen, Sicherung des Lebensunterhalts, Erwerbstätigkeit, Erwerbslosigkeit, Arbeitslosigkeit, Vertretenmüssen, zumutbare Beschäftigung,
Normen: SGB II § 10, StAG § 10 Abs. 1 S. 1 Nr. 3,
Auszüge:

[...]

Der Kläger erfüllt nicht die Einbürgerungsvoraussetzung des § 10 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 StAG. Nach dieser Bestimmung in ihrer vor dem 28.08.2007 geltenden Fassung setzt die Einbürgerung eines Ausländers voraus, dass er den Lebensunterhalt für sich und seine unterhaltsberechtigten Familienangehörigen ohne Inanspruchnahme von Leistungen nach dem Zweiten oder Zwölften Buch Sozialgesetzbuch bestreiten kann. Von dieser Voraussetzung wird gemäß § 10 Abs. 1 Satz 3 StAG a.F. abgesehen, wenn der Ausländer aus einem von ihm nicht zu vertretenden Grund den Lebensunterhalt nicht ohne Inanspruchnahme von Leistungen nach dem Zweiten oder Zwölften Buch Sozialgesetzbuch bestreiten kann. Da diese bisherige Regelung des § 10 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 und Satz 3 StAG mit der nunmehrigen Fassung des § 10 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 StAG sachlich übereinstimmt, und somit die bisherige Regelung für den Kläger nicht günstiger ist, beurteilt sich sein Einbürgerungsbegehren nach aktuellem Recht.

Der Kläger bezieht seit dem Jahr 2005 laufend Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach dem SGB II. Diesen Leistungsbezug hat der Kläger auch zu vertreten.

Der Begriff des "Vertretenmüssens" beschränkt sich nicht auf vorsätzliches oder fahrlässiges Handeln (§ 276 Abs. 1 Satz 2 BGB). Ausreichend ist vielmehr, dass der Ausländer durch ein ihm zurechenbares Handeln oder Unterlassen adäquat-kausal die Ursache für den fortdauernden Leistungsbezug gesetzt hat (vgl. BVerwG, Urt. v. 19.02.2009 - 5 C 22/08 - BVerwGE 133, 153). Das Vertretenmüssen setzt demnach ein pflichtwidriges, schuldhaftes Verhalten nicht voraus; das Ergebnis muss lediglich auf Umständen beruhen, die dem Verantwortungsbereich der handelnden Person zurechenbar sind (vgl. HTK-StAR / § 10 StAG / zu Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 01/2013 Nr. 4 m.w.N.). Die Darlegungs- und Beweislast für ein Nichtvertretenmüssen liegt beim Einbürgerungsbewerber. Dies gilt insbesondere vor dem Hintergrund, dass die für die Beurteilung der Frage, ob der Leistungsbezug zu vertreten ist, heranzuziehenden Tatsachen regelmäßig aus der Sphäre des Einbürgerungsbewerbers stammen (vgl. HTK-StAR / § 10 StAG / zu Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 01/2013 Nr. 4 m.w.N.).

Ein Einbürgerungsbewerber hat den Leistungsbezug zu vertreten, wenn er sich nicht oder nicht hinreichend um die Aufnahme einer neuen Beschäftigung bemüht oder er nicht bereit ist, eine ihm im Sinne des § 10 SGB II zumutbare Beschäftigung unter den Bedingungen des allgemeinen Arbeitsmarktes aufzunehmen oder wenn er bei der Arbeitssuche nachhaltig durch Gleichgültigkeit zu erkennen gibt, dass er tatsächlich kein Interesse an einer Erwerbstätigkeit hat. Welche Anforderungen an Art und Umfang der zu verlangenden Bemühungen um eine neue Arbeitsstelle zu stellen sind, ist nach den Umständen des Einzelfalls zu beurteilen. Von Bedeutung sind dabei insbesondere die die individuellen Chancen des Einbürgerungsbewerbers auf dem Arbeitsmarkt bestimmenden Faktoren wie Ausbildungsstand, Qualifikation, Alter, Gesundheitszustand oder Dauer der Beschäftigungslosigkeit (vgl. zum Ganzen HTK-StAR/§ 10 StAG / zu Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 01/2013 Nr. 4.1 m.w.N.).

Ein hinreichendes Bemühen um die Aufnahme einer Beschäftigung liegt regelmäßig nur vor, wenn sich der Einbürgerungsbewerber kontinuierlich um eine Anstellung bemüht. Er darf sich daher nach Ablauf einer Übergangsfrist nicht mehr auf Beschäftigungen beschränken, die seinem Ausbildungsstand, seiner bisherigen Beschäftigung oder gar seiner Neigung entsprechen. Vielmehr hat er alle (legalen) Tätigkeiten in Betracht zu ziehen, zu denen er körperlich und geistig in der Lage ist und die ihm zumutbar sind. Daher sind grundsätzlich auch Arbeitsstellen mit ungünstigen Lohn- und Arbeitsbedingungen und Gelegenheitsarbeiten in die Arbeitssuche einzubeziehen (beispielsweise Tätigkeiten in der Gebäudereinigung, in Schnellimbissketten, als Zusteller von Zeitungen und Werbebroschüren, als Aushilfskraft in Einzelhandelsläden oder Gaststätten). Schließt der Einbürgerungsbewerber bei der Arbeitssuche bestimmte Arbeitsstellen von vornherein aus und richtet er seine Bemühungen ausschließlich auf bestimmte andere Arbeitsstellen, so liegt ein hinreichendes Bemühen um Arbeit nicht vor (vgl. zum Ganzen HTK-StAR / § 10 StAG / zu Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 01/2013 Nr. 4.1 m.w.N.).

Der Einbürgerungsbewerber muss nachweisen, dass er im Rahmen seiner körperlichen und geistigen Fähigkeiten intensive Eigenbemühungen zur Aufnahme einer Beschäftigung gezeigt hat. Hinreichend intensive Eigenbemühungen liegen nur vor, wenn der Einbürgerungsbewerber neben den Beratungs- und Vermittlungsangeboten der Job-Center auch alle sich weiter bietenden Möglichkeiten wie beispielsweise Initiativbewerbungen, Auswertung der Tagespresse und Stellensuche im Internet nutzt. Er darf sich nicht auf ihm vom Job-Center unterbreitete Stellenangebote beschränken. Andererseits genügen auch bloße Initiativbewerbungen allein nicht, wenn daneben keine Bewerbungen auf offene Stellen erfolgen. Zum Nachweis der Arbeitsbemühungen hat der Einbürgerungsbewerber die Stellenausschreibungen sowie Ablichtungen oder Abschriften schriftlicher Bewerbungen einschließlich der darauf erfolgten Ablehnungen vorzulegen. Bei telefonischen oder persönlichen Vorstellungsgesprächen muss der Einbürgerungsbewerber Zeit und Ort sowie den Namen des Gesprächspartners und die Gründe seiner Ablehnung darlegen (vgl. zum Ganzen HTK-StAR / § 10 StAG/zu Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 01/2013 Nr. 4.1 m.w.N.).

Bei länger dauernden erfolglosen Arbeitsbemühungen ist der Einbürgerungsbewerber regelmäßig weiter verpflichtet, seine Qualifikationen zu erweitern, um seine Chancen auf dem Arbeitsmarkt zu verbessern. Er hat somit den Leistungsbezug auch dann zu vertreten, wenn er über viele Jahre keine Fort- und Weiterbildung unternommen hat, um sich beruflich besser zu qualifizieren und er deshalb auf dem Arbeitsmarkt schwer vermittelbar ist (vgl. HTK-StAR/§ 10 StAG / zu Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 01/2013 Nr. 4.1 m.w.N.).

In Anwendung dieser Grundsätze hat der Kläger nicht nachgewiesen, dass er sich kontinuierlich über einen längeren Zeitraum und hinreichend intensiv um eine neue Arbeitsstelle bemüht hat. Der Kläger ist seit dem Jahr 2008 ununterbrochen arbeitslos. Er hätte also für die letzten vier Jahren intensive und kontinuierliche Bemühungen um Arbeit nachweisen müssen. Hieran fehlt es. [...] Bei dieser Sachlage hat der Kläger ausreichende Bemühungen, einen Arbeitsplatz zu finden, nicht nachgewiesen. Da der Kläger erst 52 Jahre alt ist, sind von ihm intensive und ständige Bemühungen um Arbeit zu verlangen. Es ist auch nicht ausgeschlossen, dass er jedenfalls über Aushilfstätigkeiten den Leistungsbezug reduzieren kann.

Schließlich hat der Kläger es auch versäumt, trotz jahrelangem Leistungsbezug seine Qualifikationen zu erweitern, um seine Chancen auf dem Arbeitsmarkt zu verbessern. Der Kläger hat in der mündlichen Verhandlung eingeräumt, bisher keine Weiterbildungsmaßnahmen angestrebt oder durchgeführt zu haben. Bei ihm liegen zudem nur mäßige deutsche Sprachkenntnisse vor. In der mündlichen Verhandlung war der Kläger weitgehend nur mit Hilfe des hinzugezogenen Dolmetschers in der Lage, sich hinreichend verständlich auszudrücken und die Fragen des Gerichts zu verstehen. Unzweifelhaft hätten auch deutlich verbesserte deutsche Sprachkenntnisse seine Chancen auf dem Arbeitsmarkt erhöht. Der Kläger hat somit den Leistungsbezug auch aufgrund unterbliebener Fort- und Weiterbildungen (vor allem in Bezug auf seine Deutschkenntnisse) zu vertreten. [...]