OLG Celle

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Zitieren als:
OLG Celle, Beschluss vom 15.02.2013 - 1 Ausl 54/12 - asyl.net: M20626
https://www.asyl.net/rsdb/M20626
Leitsatz:

Hat ein Verfolgter selbst beantragt, die Strafe aus einem in seiner Abwesenheit verkündeten Urteils in eine neu zu bildende Gesamtstrafe einfließen zu lassen, kann er sich hierdurch des besonderen Schutzes aus § 83 Nr. 3 IRG begeben.

(Amtlicher Leitsatz)

Schlagwörter: Strafe, Auslieferung, Polen, Abwesenheit, Auslieferungsfähigkeit, polnisches Recht, neue Umstände, Verurteilung in Abwesenheit, Gesamtstrafe, Gesamtstrafentscheidung,
Normen: IRG § 83 Nr. 3, IRG § 33 Abs. 1, IRG § 83a Abs. 1,
Auszüge:

[...]

1. Die Auslieferung ist zulässig.

a) Der von den polnischen Behörden vorgelegte Europäische Haftbefehl enthält die nach § 83 a Abs. 1 IRG grundsätzlich erforderlichen Angaben. Die Auslieferungsfähigkeit der Straftat ist gegeben. Das dem Verfolgten vorgeworfene Verhalten ist sowohl nach polnischem Recht (Art. 13 § 1, Art. 226 § 1, Art. 279 § 1 des polnischen Strafgesetzbuchs) als auch nach deutschem Recht (§§ 185, 242, 243, 22, 23 StGB) strafbar. Der Verfolgte ist für diese Taten im Hoheitsgebiet des ersuchenden Staates zu einer Freiheitsstrafe von mehr als vier Monaten verurteilt worden (§ 81 Nr. 2 IRG). Vollstreckungsverjährung ist nicht eingetreten. Die Grundsätze der Gegenseitigkeit und der Spezialität (§§ 5 und 11 IRG) sind im Verhältnis zu Polen gewahrt.

b) Durchgreifende Gründe, die der Auslieferung nach den Bestimmungen des IRG oder des EuAlÜbk entgegenstehen könnten, sind nicht ersichtlich.

aa) Der Verfolgte besitzt nicht die deutsche Staatsangehörigkeit. Die dem Verfolgten vorgeworfenen Taten weisen aufgrund der Tatörtlichkeit allein Bezüge zum polnischen Recht auf. Bewilligungshindernisse liegen damit nicht von vornherein auf der Hand. Dies gilt auch vor dem Hintergrund der Erklärung des Verfolgten, er halte sich seit 15 Jahren überwiegend in Deutschland auf und betreibe hier ein selbständiges Gewerbe als Fliesenleger. Die hierzu vorab von der Generalstaatsanwaltschaft getroffene Entscheidung, keine Bewilligungshindernisse geltend zu machen, hält sich im Rahmen des der Behörde insoweit zustehenden, weiten Ermessens.

bb) Der Zulässigkeit der Auslieferung steht nicht entgegen, dass der Senat mit Beschluss vom 18. Januar 2011 entschieden hatte, dass im Hinblick auf das Urteil des Amtsgerichts M. vom 6. Oktober 2009 (Az.: II K 485/09) die Auslieferung unzulässig sei mit der Folge, dass auch die Generalstaatsanwaltschaft insoweit die Auslieferung nicht bewilligt hatte. Denn mit der nachfolgenden Gesamtstrafenentscheidung des Bezirksgerichts in M. vom 23. Dezember 2011 (Az.: II K 742/11) liegen neue Umstände im Sinne von § 33 Abs. 1 IRG vor, die grundsätzlich geeignet sind, eine andere Entscheidung über die Zulässigkeit zu begründen (vgl. hierzu Schomburg/Lagodny/Gleß/Hackner, Internationale Rechtshilfe in Strafsachen, 5. Aufl., § 33 IRG Rn. 8 f m.w.N.).Die Behörden der Republik Polen haben insoweit auch ein neues Ersuchen gestellt.

c) Soweit in die neue Gesamtstrafenentscheidung das in Abwesenheit des Verfolgten ergangene Urteil, gegen das nach Mitteilung der polnischen Behörden ein Rechtsmittel nicht mehr eröffnet ist, eingeflossen ist, steht dies der Zulässigkeit der Auslieferung ebenfalls nicht entgegen. Der Senat ist insoweit zwar der Auffassung, dass allein der Umstand, dass ein in Abwesenheit ergangenes Urteil, hinsichtlich dessen die Auslieferung deshalb unzulässig ist, nicht allein dadurch zulässig werden kann, dass dieses nachträglich in eine Gesamtstrafenentscheidung, der regelmäßig keine erneute Sachprüfung vorausgeht, einbezogen wird. Vorliegend haben die Behörden der Republik Polen indessen mitgeteilt, dass die nachträgliche Gesamtstrafe auf Antrag des Verfolgten gebildet worden sei. Die Behörden haben hierzu nunmehr auch den vom Verfolgten unter dem 21. März 2011 handschriftlich verfassten Antrag in Ablichtung zu den Akten gereicht, aus dem fraglos hervorgeht, dass der Verfolgte die Strafe aus dem - in Abwesenheit verkündeten - Urteil des Amtsgerichts M. vom 6. Oktober 2009 (Az.: II K 485/09) mit einer weiteren Strafe verbunden wissen wollte. Der Verfolgte hat hierdurch in hinreichender Weise zu erkennen gegeben, dass er sich insoweit nicht darauf berufen will, dass das fragliche Urteil in seiner Abwesenheit verkündet wurde. Hiermit hat er sich zugleich des in § 83 Nr. 3 IRG begründeten Schutzes begeben. Dies gilt vorliegend umso mehr, als der Verfolgte bei Stellen seines Antrags aufgrund des Senatsbeschlusses vom 3. November 2010 Kenntnis von den auslieferungsrechtlich relevanten Fragestellungen im Zusammenhang mit einem Abwesenheitsurteil hatte. Allein der Umstand, dass eines der in die Gesamtstrafe einbezogenen Urteile in Abwesenheit verkündet wurde, hindert die Zulässigkeit der Auslieferung hiernach nicht. [...]