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VG Augsburg

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Zitieren als:
VG Augsburg, Urteil vom 27.02.2013 - Au 7 K 12.30299 - asyl.net: M20671
https://www.asyl.net/rsdb/M20671
Leitsatz:

Die Lebensbedingungen und Unterbringungsmöglichkeiten für anerkannte Flüchtlinge in Ungarn sind schlecht und teilweise unzureichend Auch der Zugang zum sozialen System für Obdachlose ist schwierig, ebenso stellt die Kriminialisierung von Obdachlosigkeit ein ernsthaftes Problem dar. Es liegen jedoch keine derart eklatanten Missstände vor, dass die Annahme gerechtfertigt wäre, Art. 3 EMRK würde verletzt und es müsste daher in Deutschland Schutz gewährt werden.

Schlagwörter: Aufnahmebedingungen, anerkannter Flüchtling, Obdachlosigkeit, Kriminalisierung, Kriminalisierung der Obdachlosigkeit, Arbeitslosigkeit, Ungarn, Schutzstatus, erniedrigende Behandlung, unmenschliche Behandlung, unmenschliche oder erniedrigende Behandlung,
Normen: AsylVfG § 34a Abs. 2, EMRK Art. 3,
Auszüge:

[...]

b) Ein dementsprechender Sonderfall kann trotz der vorliegenden Berichte (bordermonitoring.eu e.V., Pro Asyl, "Ungarn: Flüchtlingen zwischen Haft und Obdachlosigkeit, Bericht einer einjährigen Recherche bis Februar 2012"; UN-HCR, "Ungarn als Asylland" vom April 2012) für den Kläger nicht erkannt werden.

Zwar sieht auch das Gericht, dass die Lebensbedingungen sowie die Unterbringungsmöglichkeiten für (anerkannte) Flüchtlinge in Ungarn nach den angeführten Berichten schlecht und teilweise unzureichend sind. So ist beispielsweise der Zugang zum Arbeitsmarkt extrem schwierig; gleiches gilt für den Zugang zum sozialen System für Obdachlose (vgl. UNHCR Ziffer 73). Die Kriminalisierung von Obdachlosigkeit (vgl. UNHCR Ziffer 73) stellt ein weiteres ernsthaftes Problem dar, welches bei Personen mit Schutzstatus in Ungarn an Brisanz durch die erschwerte Erwerbsmöglichkeit gewinnt.

Gleichwohl liegen keine derart eklatanten Missstände vor, die die Annahme rechtfertigen würden, Art. 3 der Konvention vom 4. November 1950 zum Schutz der Menschenrechte und Grundfreiheiten - Europäische Menschenrechtskonvention (nachfolgend: EMRK) würde entsprechend dem Maßstab der erniedrigenden oder unmenschlichen Behandlung verletzt und die Beklagte müsste zwingend Schutz gewähren (vgl. hierzu auch VG Augsburg, U.v. 12.6.2012 – Au 6 K 11.30511 – juris; B.v. 22.2.2012 – Au 3 S 11.30508 – juris; VG Ansbach, U.v. 8.7.2011 – AN 11 K 11.30215 – juris).

Gemäß Art. 3 EMRK darf niemand der Folter oder unmenschlicher oder erniedrigender Strafe oder Behandlung unterworfen werden. Unmenschlich in diesem Sinne ist nach der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte eine Behandlung, wenn sie "vorsätzlich und ohne Unterbrechung über Stunden zugefügt wurde und entweder körperliche Verletzungen oder intensives physisches oder psychisches Leid verursacht hat". "Erniedrigend" ist eine Behandlung, wenn sie eine Person demütigt oder erniedrigt, es an Achtung für ihre Menschenwürde fehlen lässt oder sie herabsetzt oder in ihr Gefühle der Angst, Beklemmung oder Unterlegenheit erweckt, oder geeignet ist, den moralischen oder körperlichen Widerstand zu brechen (EGMR, U.v. 21.1.2011 – M.S.S./Belgien u. Griechenland, Nr. 30696/09 – NVwZ 2011, 413 Rn. 220). Eine Misshandlung muss ein Mindestmaß an Schwere erreichen, um unter Art. 3 EMRK zu fallen. Die Beurteilung dieses Mindestmaßes ist relativer Natur; sie hängt von allen Umständen des Falles, insbesondere der Dauer der Behandlung und deren physischen und psychischen Auswirkungen sowie bisweilen vom Geschlecht, Alter und Gesundheitszustand des Opfers ab (EGMR a.a.O. Rn. 219). Art. 3 EMRK verpflichtet die Konventionsstaaten dabei nicht dazu, Flüchtlingen ein Recht auf Unterkunft zu geben oder sie finanziell zu unterstützen (EGMR a.a.O. Rn. 249). Als Beispiele zitierte der Gerichtshof die extremen Haftbedingungen in Griechenland und die Aufnahmebedingungen für Asylbewerber.

Eine solch extreme Situation ist in Ungarn auch aufgrund der vorliegenden Berichte für Personen mit anerkanntem Schutzstatus (noch) nicht anzunehmen.

Es ist zu berücksichtigen, dass die angeführten Punkte Arbeitslosigkeit und Obdachlosigkeit aufgrund der allgemein schwierigen Lebenssituation in Ungarn (vgl. UNHCR Fn. 80/81 zu Ziffer 69) auch Staatsangehörige betrifft.

Der Bericht ist in diesen Punkten im Übrigen vor allem ausgerichtet auf die Integration der Personen mit internationalem Schutzstatus. Die Integration, die sehr kritisch beleuchtet und gesehen wird, stellt jedoch wesentlich höhere Anforderung an den Aufnahmestaat, als sie für die Feststellung eines Sonderfalls im Konzept der normativen Vergewisserung zu stellen ist.

Weiter ist festzustellen, dass der Kläger als Person mit Schutzstatus in Ungarn die gleiche Stellung wie ungarische Staatsangehörige innehat (vgl. UNHCR Ziffer 71). Eine Verletzung der Verpflichtungen bspw. aus Art. 26, 28, 29, 32 der Richtlinie 2004/83/EG des Rates vom 29. April 2004 über Mindestnormen für die Anerkennung und den Status von Drittstaatsangehörigen oder Staatenlosen als Flüchtlinge oder als Personen, die anderweitig internationalen Schutz benötigen, und über den Inhalt des zu gewährenden Schutzes (ABI. EU Nr. L 304 S. 12, nachfolgend Richtlinie 2004/83/EG) ist daher nicht zu erkennen, da eine Gleichstellung mit anderen, sich rechtmäßig im Staatsgebiet aufhaltenden Personen gegeben ist. Der Kläger darf insbesondere arbeiten und hat Anspruch auf Unterkunft und Verpflegung für mindestens sechs Monate, sowie die Möglichkeit an Sprachkursen teilzunehmen (vgl. UNHCR Ziffer 71, 76). Er hat die Möglichkeit einer Starthilfe für die Zeit nach Verlassen des Aufnahmelagers (bordermonitoring.eu e.V. S. 53) und grundsätzlich Zugang zum Sozialhilfesystem.

Das Gericht erkennt zwar auch hier, dass sich die Situation für Flüchtlinge aufgrund des Fehlens eines sozialen Netzwerks verschärft, sieht jedoch den oben dargestellten Schweregrad noch nicht erreicht.

Bei dem Kläger handelt es sich auch nicht um eine besonders schutzbedürftige Person, wie beispielsweise alleinstehende Frauen (mit Kleinkindern) oder hilfsbedürftige Personen.

Das UNHCR spricht in seinen Empfehlungen, trotz seiner deutlichen Kritik an Ungarn, nicht aus, von Rücküberstellungen nach Ungarn abzusehen, wie es beispielsweise hinsichtlich Griechenlands der Fall ist (vgl. UNHCR, "Anmerkungen zu Griechenland als Aufnahmeland für Asylsuchende" vom Dezember 2009).

c) Nicht heranziehbar ist die zur Frage der Ausgestaltung des Asylverfahrens ergangene Rechtsprechung (vgl. EGMR, U.v. 21.1.2011 – M.S.S./Belgien u. Griechenland, Nr. 30696/09 – NVwZ 2011, 413; EuGH, U.v. 21.12.2011 – C-411 und C-493/10 – NVwZ 2012, 417). Es wird zwar hinsichtlich Ungarns inzwischen zahlreich und mit guten Argumenten angenommen, dass eine Rücküberstellung von Asylbewerbern derzeit nicht möglich ist (vgl. VG Aachen, B.v. 16.11.2012 – 6 L 335/12.A – juris; VG Trier, U.v. 30.5.2012 – 5 K 967/11.TR – juris; VG Stuttgart, U.v. 20.9.2012 – A 11 K 2519/12 – juris). Diese Rechtsprechung zielte jedoch auf die Einhaltung der Mindeststandards für Asylbewerber und die Ausgestaltung des Asylverfahrens (bspw. Erreichbarkeit in Ungarn, Inhaftierung von Dublin-II-Rückkehrern, Behandlung der Asylanträge als Folgeanträge), also auf den Zugang zum Asyl- bzw. Flüchtlingsschutz überhaupt, ab. Da der Kläger jedoch bereits einen Schutzstatus zuerkannt bekommen hat, stellt sich die Frage des Zugangs zum Schutz nicht mehr. [...]