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VG Ansbach

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Zitieren als:
VG Ansbach, Urteil vom 14.02.2013 - AN 11 K 12.30713 - asyl.net: M20674
https://www.asyl.net/rsdb/M20674
Leitsatz:

Schiiten sind in Pakistan weder unmittelbarer noch mittelbarer staatlicher Verfolgung ausgesetzt. Vor Übergriffen radikaler sunnitischer Gruppierungen besteht eine interne Fluchtalternative in multikulturell geprägten Landesteilen und Städten.

In der Provinz Punjab liegt ebenso wie in anderen Landesteilen einschließlich Süd-Waziristans und des Swat-Tals kein innerstaatlicher bewaffneter Konflikt vor.

Schlagwörter: Pakistan, Schiiten, Gruppenverfolgung, Religionszugehörigkeit, Rückkehrgefahr, innerstaatlicher bewaffneter Konflikt, interne Fluchtalternative,
Normen: AufenthG § 60 Abs. 1, AufenthG § 60 Abs. , RL 2004/83/EG Art. 10 Abs. 1 b, AufenthG § 60 Abs. 2, AufenthG § 60 Abs. 3, AufenthG § 60 Abs. 5, AufenthG § 60 Abs. 7 S. 1, AufenthG § 60 Abs. 7 S. 2,
Auszüge:

[...]

Ein Anspruch auf Flüchtlingszuerkennung besteht auch nicht unter dem Gesichtspunkt einer unmittelbar oder mittelbar staatlichen oder vor allem nichtstaatlichen Gruppenverfolgung durch nichtstaatliche Akteure allein auf Grund der schiitischen Glaubenszugehörigkeit in Pakistan. Eine diesbezügliche Verfolgung drohte weder im Zeitpunkt der Ausreise noch droht sie derzeit weder unmittelbar noch war oder ist sie beachtlich wahrscheinlich.

Die Annahme einer solchen Gruppenverfolgung setzt entsprechende intensive und häufige Rechtsgutverletzungen der jeweiligen Gruppe (Verfolgungsdichte) voraus, aus denen jedes einzelne Mitglied die - bei objektiver Betrachtung - begründete Furcht herleiten kann, auch selbst alsbald Opfer solcher Verfolgungsmaßnahmen zu werden. Dabei ist von Belang, ob sich vergleichbares Verfolgungsgeschehen in der Vergangenheit schon häufiger ereignet hat und die Minderheit in einem Klima allgemeiner moralischer, religiöser oder gesellschaftlicher Verachtung leben muss (BVerfG NVwZ 1991, 768). Die Annahme einer unmittelbar staatlichen Gruppenverfolgung setzt voraus, dass mit ihr eigene staatliche Ziele offen oder verdeckt von staatlichen Kräften durchgesetzt werden sollen (BVerwG NVwZ 1990, 1175). Die entsprechende Verfolgungsdichte ist nicht nur bei Pogromen oder Massenausschreitungen, sondern auch bei entsprechend dicht und eng gestreuten Verfolgungsschlägen zu bejahen (BVerwG InfAuslR 1993, 31; NVwZ 1994, 1121). Der Feststellung einer Verfolgungsdichte bedarf es aber dann nicht, wenn hinreichend sichere Anhaltspunkte für ein staatliches Verfolgungsprogramm bestehen, dessen Umsetzung bereits eingeleitet ist oder alsbald bevorsteht, beispielsweise wenn ethnische oder religiöse Minderheiten physisch vernichtet und ausgerottet oder aus dem Staatsgebiet vertrieben werden sollen (BVerwG NVwZ 1995, 175). Ist die Verfolgung an einen pauschalen Separatismusverdacht geknüpft, der sich nicht gegen alle Angehörigen einer bestimmten Ethnie richtet, sondern nur gegen die in bestimmten Gebieten lebenden, gehört zur verfolgten Gruppe nur, wer beide Kriterien erfüllt. Dann handelt es sich um eine örtlich begrenzte und nicht um eine regionale Verfolgung (BVerwG DVBl 1996, 1260; 1998, 274; NVwZ 2000, 332). An diesen Maßstäben ist auch unter der Geltung der Richtlinie 2004/83/EG des Rates vom 29. April 2004, sog. Qualifikationsrichtlinie, festzuhalten (BVerwG vom 21.4.2009, zitiert nach juris).

Die Annahme einer religiösen Verfolgung nach Art. 10 Abs. 1 b) QRL ist dann gerechtfertigt, wenn eine schwerwiegende Verletzung des in Art. 10 Abs. 1 EU-GR-Charta verankerten Rechts auf Religionsfreiheit vorliegt, die den Betroffenen erheblich beeinträchtigt, wobei es nicht angebracht ist, diese Verletzung auf den Kernbereich dieses Grundrechts (sog. forum internum) zu beschränken. Vielmehr ist auf die Art der Repressionen, denen der Betroffene ausgesetzt ist, und deren Folgen abzustellen (EuGH vom 28.2.2012, zitiert nach juris).

Über Ursachen, Wirkung und Ausmaß des derzeit in Pakistan vorliegenden Konflikts zwischen radikalen Organisationen der sunnitischen Glaubensmehrheit und der schiitischen Glaubensminderheit berichten die Auskunftsstellen in den in das Verfahren eingeführten Erkenntnismitteln weitgehend übereinstimmend. Nach dem Auswärtigen Amt führen sektiererische bzw. intra-konfessionelle Auseinandersetzungen weiterhin zu zahlreichen Todesfällen. Opfer sind zumeist gemäßigte Sunniten und Schiiten, die von radikalen sunnitischen Organisationen, zu den auch die Taliban zählen, attackiert werden. Im Jahr 2011 starben bei religiös motivierten Anschlägen 389 Menschen und 601 Personen wurden verletzt. Der Staat unternehme große Anstrengungen, die Gewalt zwischen radikalen und gemäßigten Sunniten sowie zwischen radikalen Sunniten und der schiitischen Minderheit, die bis zu 20% der Muslime Pakistans ausmache, einzugrenzen. Es komme zumeist zu Anschlägen auf religiöse Stätten und Prozessionen, wobei die Polizei zu besonderen Feiertagen große Kontingente einsetze, um Übergriffe zu verhindern, und radikalen Predigern Redeverbot erteile. Besonderes Angriffsziel seien in den vergangenen Jahren die schiitischen Hazara-Gemeinden in Belutschistan gewesen (ständige Lageberichterstattung, zuletzt vom 2.11.2012). Nach dem BAMF hatte die angespannte Sicherheitslage in Pakistan im Jahr 2010 auch auf die Lage der religiösen Minderheiten Einfluss, da die Extremisten nicht nur gegen Sicherheitsbehörden, staatliche Einrichtungen und Angehörige anderer Glaubensrichtungen Gewalt ausübten, sondern auch gegen Gläubige anderer Ausrichtung des Islam. Dabei werde von den Extremisten versucht, allen Mitgliedern der Gesellschaft ihre Version des Islam aufzuzwingen. Dabei wurden auch Schiiten Opfer sunnitischer Extremisten, wobei sich diese Fälle meist in Städten abspielten. Häufig würden Selbstmordattentäter auf schiitische Prozessionen angesetzt (Lage der Religionsgemeinschaften in ausgewählten islamischen Ländern von August 2011). Nach dem UNHCR hat Pakistan Schätzungen zufolge mehr als 187 Millionen Einwohner, davon ungefähr 95% Muslime, davon wiederum 75 % Sunniten und 20 % Schiiten. Es werden Mitglieder religiöser Minderheiten Berichten zufolge Opfer von religiös motivierten Schikanen und Gewalt, die von extremistischen Gruppen verübt oder veranlasst werden. Das Versagen des Staates, die Täter strafrechtlich zu verfolgen, sowie die institutionalisierte Diskriminierung gegenüber religiösen Minderheiten würden zu einem Klima der Straflosigkeit und wachsendem Gefühl der Unsicherheit führen. Zudem fordere konfessionelle Gewalt, einschließlich militanter Angriffe auf religiöse Prozessionen und Stätten weiterhin zivile Opfer, vor allem in den Stammesgebieten FATA, den Provinzen Belutschistan und Khyber Pakhtunkhwa, aber auch in anderen Teilen des Landes einschließlich städtischer Zentren.

Die konfessionelle Gewalt gegen Schiiten, die sich vor allem in Angriffen auf schiitische Prozessionen, religiöse Zusammenkünfte und Stätten ausdrücke, habe sich fortgesetzt und finde maßgeblich im Nordwesten des Landes, aber auch in den städtischen Zentren im ganzen Land statt. Die Strafverfolgungsbehörden seien Berichten zufolge nicht in der Lage oder willens, die Mitglieder von religiösen Minderheiten, einschließlich Schiiten, zu schützen. Er ist daher der Auffassung, dass Mitglieder der schiitischen Gemeinschaft, insbesondere in Gegenden, wo mit Taliban verbundene Gruppen aktiv sind, wie beispielsweise im Nordwesten und in städtischen Zentren, abhängig von den Umständen des Einzelfalls, wegen ihrer Religionszugehörigkeit oder politischen Überzeugung international schutzbedürftig sein können (Richtlinien zur Feststellung des internationalen Schutzbedarfs von Angehörigen religiöser Minderheiten aus Pakistan). Nach Amnesty International sei der Staat weiterhin nicht seiner Pflicht nachgekommen, Diskriminierung, Schikanen und Gewalt gegen religiöse Minderheiten wie die Schiiten, aber auch gegen gemäßigte Sunniten, zu verhindern bzw. strafrechtlich zu verfolgen (Jahresberichte 2011 und 2012). Nach Human Rights Watch wurden im Jahr 2012 wenigsten 325 Schiiten bei gezielten Angriffen in ganz Pakistan getötet (World Report 2013 Pakistan). Nach einer Anfragebeantwortung von Accord vom 15. Juni 2012 hat die Gewalt gegen die schiitische Minderheit in Ausmaß und räumlicher Verteilung erheblich zugenommen mit Schwerpunkt in den Provinzen Belutschistan und Khyber Pakhtunkhwa. Nach ecoi-net (Themendossier: Religiös motivierte Gewalt seit September 2011 vom 16.1.2013) setzt sich Pakistans Bevölkerung zu 95 % aus Muslimen zusammen, wovon 75 % der sunnitischen und 25 % der schiitischen Konfession angehören. Zu den Zielen religiös motivierter Angriffe gehörten schiitische Pilgerzüge, Moscheen, Versammlungshallen, Fahrzeuge, Gebetsführer sowie religiöse Aktivisten. Die Zahl der Anschläge gegen gewöhnliche Schiiten sei in den vergangenen Jahren stark angestiegen. Seit Beginn des Jahres 2012 seien mindestens 320 Schiiten durch gezielte Anschläge getötet worden. Im ganzen Jahr 2012 seien es dann 375 Tote gewesen. Es sei zu einem Anstieg der religiös moti - vierten Gewalt in einem bislang nicht bekannten Ausmaß gekommen. Nach Wikipedia (unter: Religionsgruppenkonflikte in Pakistan) sei konfessionelle Gewalt in Pakistan in erster Linie radikalen sunnitischen Organisationen wie Sipah-e-Sahaba und auf der anderen Seite schiitischen militanten Gruppen wie Tehrik-e-Jafria anzulasten, wobei die sunnitischen Terrorgruppen häufiger angriffen. Schiiten stellten in Pakistan 5 bis 25 % der gesamten muslimischen Bevölkerung, insgesamt ungefähr 50 bis 60 Millionen Menschen. Schwerpunkt der Konflikte seien Belutschistan, Khyber Pakhtunkhwa und Karachi. Die verbotene Sipah-e-Sahaba (SSP) operiere in Pakistan offen nunmehr unter dem Namen Ahle Sunnat Wal Jamaat (unter: Sipah-e- Sahaba Pakistan). Nach South Asia terrorism portal erkläre sich das Entstehen der SSP als Reaktion auf die sozio-ökonomischen Vormacht der meist schiitischen Großgrundbesitzer im Distrikt Jhang und als Gegenbewegung zum zunehmenden iranischen Einfluss. Die SSP erstrebe einen sunnitischen Staat unter einem Khalifat und habe die Schiiten zu Nichtmuslimen erklärt. Die terroristischen Anschläge würden gezielte Tötungen prominenter Gegner oder schiitischer Gläubiger beim Besuch von Moscheen beinhalten (unter: Sipah-e-Sahaba Pakistan).

Nach Würdigung und Bewertung dieser Erkenntnismittel im Wege einer Gesamtschau der maßgeblichen Kriterien ist das Gericht bei Anwendung der vorgenannten Maßstäbe der Überzeugung, dass Schiiten allein aufgrund ihrer Glaubenszugehörigkeit, also ohne hinzukommende persönliche Gefährdungsmerkmale, in Pakistan keiner hieran anknüpfenden gruppengerichteten religiösen oder politischen Verfolgung durch extremistische Sunniten ausgesetzt sind. Eine religiöse oder politische Verfolgung von Schiiten durch die derzeitige pakistanische Regierung ist nach Auskunftslage nicht ersichtlich und wird auch nicht vorgetragen. Auch die berichteten Übergriffe durch radikale, terroristische Organisationen der mehrheitlichen Sunniten erreichen von der Anzahl der Rechtsverletzungen im Verhältnis zur Gesamtzahl dieser Gruppe und ihrer Behandlung durch die sunnitische Bevölkerungsmehrheit im Übrigen schon nicht die Schwelle, ab der eine Verfolgungsdichte anzunehmen wäre, weshalb die nach Auskunftslage strittige Frage offen bleiben kann, ob der pakistanische Staat willens und in der Lage ist, gegen solche Übergriffe der radikalen sunnitischen Mehrheit vorzugehen, insbesondere geeignete Schritte dagegen eingeleitet hat. Zwar ist die schiitische Bevölkerungsminderheit in erheblichem Umfang Terroraktionen durch sunnitische Extremisten ausgesetzt. Nach Auskunftslage kann jedoch nicht festgestellt werden, dass auch für jeden der 50 bis 60 Millionen Schiiten in Pakistan eine aktuelle Gefahr eigener und persönlicher Betroffenheit bestünde. Dies würde erst recht gelten, wenn insoweit nicht auf das gesamte Pakistan, sondern die Heimat- und Herkunftsregion des Klägers abgestellt würde. Denn die Industriestadt Rawalpindi hat 1,4 Millionen Einwohner, wobei die Population ethnisch homogen ist (Wikipedia unter: Rawalpindi) und Sunniten und Schiiten dort gemischt leben (BAMF aaO). Zwar hat es auch in Rawalpindi gerade in jüngster Zeit schwerwiegende Selbstmordanschläge gegeben (Nachrichten.t-online vom 22.11.2012). Die vorhandene Gefahr lässt sich aber bei vorsichtigem Verhalten minimieren, weil die Angriffsziele als durchaus absehbar erscheinen. Jedenfalls begründen die Anschlagszahlen und Opferzahlen dort nicht die nach der Rechtsprechung zu fordernde Verfolgungsdichte. Diese Auffassung wurde in der Vergangenheit bereits in der Rechtsprechung geteilt (VG Saarland vom 11.7.2003 und VG Oldenburg vom 29.8.2003, zitiert nach juris) und ist auch im Ergebnis aufgrund der

aktuellen Lage in Pakistan, auch wenn sie sich insoweit wesentlich verschärft hat, auch aktuell aufrechtzuerhalten, da jedenfalls die erforderliche Verfolgungsdichte weiterhin nicht vorliegt.

Aber selbst wenn die Glaubwürdigkeit der Angaben des Klägers unterstellt würde, könnte dieser hier auf eine interne Schutzmöglichkeit, insbesondere in den Städten der Provinz Punjab mit stärker Toleranz gegenüber Schiiten verwiesen werden, da eine Existenzmöglichkeit auch außerhalb seiner Heimatstadt ... mit der erforderlichen hinreichenden Sicherheit angenommen werden könnte.

Nach dem gemäß § 60 Abs. 11 AufenthG anwendbaren Art. 8 Abs. 1 QRL benötigt ein Drittausländer keinen internationalen Schutz, sofern in einem Teil des Herkunftslands keine begründete Furcht vor Verfolgung bzw. keine tatsächliche Gefahr, einen ernsthaften Schaden zu erleiden, wobei die Beweiserleichterung des Art. 4 Abs. 4 QRL zu beachten ist (BVerwG vom 5.5.2009, zitiert nach juris), besteht und vom Drittausländer vernünftigerweise erwartet werden kann, dass er sich in diesem Landesteil aufhält. Dabei sind nach Abs. 2 die dortigen allgemeinen Gegebenheiten und die persönlichen Umstände (vgl. Art. 4 Abs. 3 c QRL) des Drittausländers zu berücksichtigen. Damit wird die Nachrangigkeit des Schutzes verdeutlicht. Der Drittausländer muss am Zufluchtsort aber eine ausreichende Lebensgrundlage vorfinden d.h. es muss zumindest (in faktischer Hinsicht) das Existenzminimum gewährleistet sein, was er unter persönlich zumutbaren Bemühungen sichern können muss. Dies gilt auch, wenn im Herkunftsgebiet die Lebensverhältnisse gleichermaßen schlecht sind. Unerheblich ist, ob eine Gefährdung am Herkunftsort in gleicher Weise besteht. Darüber hinaus ist auch erforderlich, dass das Zufluchtsgebiet für den Drittausländer erreichbar ist (BT-Drks. 16/5065 S. 185; BVerwG vom 31.8.2006 und vom 29.5.2008, zitiert nach juris).

Über die Voraussetzungen eines solch internen Schutzes oder einer inländischen Fluchtalternative berichtet das AA in seiner ständigen Lageberichterstattung, zuletzt vom 2. November 2012. Für Angehörige aller Gruppen gelte, dass ein Ausweichen in der Regel das Aufgeben der wirtschaftlichen Basis mit sich bringe. In den Städten, vor allem den Großstädten Rawalpindi, Lahore, Karachi, Peshawar oder Multan, lebten potentiell Verfolgte aufgrund der dortigen Anonymität sicherer als auf dem Lande. Selbst Personen, die wegen Mordes von der Polizei gesucht werden, könnten in einer Stadt, die weit genug von ihrem Heimatort entfernt liege, unbehelligt leben.

Nach diesen Grundsätzen ist es hinreichend sicher, dass der Kläger in anderen als sicher in diesem Sinn geltenden Landesteilen eine reale Existenzgrundlage - etwa aufgrund seiner Arbeitskraft - hätte. Dies gilt insbesondere für Wah Cantt. (Cantonment), eine Stadt mit 350.000 Einwohnern und mit Schwerpunkt in der Rüstungsindustrie, die multikulturell ist, da Menschen mit verschiedenen ethnischen und religiösen Hintergründen dort leben (Wikipedia unter: Wah Cantonment). Auch nach den eigenen Angaben will der Kläger dort bei einem Freund untergekommen sein, sowie Mutter, Bruder und Schwester sollen dort leben, ohne dass Schwierigkeiten oder gar Nachstellungen durch radikale Sunniten dort vorgetragen wurden, wobei es unerheblich ist, dass der Aufenthalt dort niemandem mitgeteilt worden sei, wie der Kläger in der mündlichen Verhandlung vom 13. Februar 2013 angab.

2. Dem Kläger stehen auch die hilfsweise geltend gemachten Abschiebungsverbote nicht zu. In diesem Zusammenhang ist zu beachten, dass sachdienlich in erster Linie die Feststellung eines Abschiebungsverbots nach § 60 Abs. 2, 3 oder 7 Satz 2 AufenthG und hilfsweise die Feststellung eines Abschiebungsverbots nach § 60 Abs. 5 oder 7 Satz 1 AufenthG begehrt wird (BVerwG vom 24.6.2008, vom 27.4. und 29.6.2010, zitiert nach juris). [...]

Nach diesen Grundsätzen liegen bezogen auf das gesamte Pakistan, aber insbesondere auf die Provinz Punjab, aus der der Kläger stammt und worauf bei einer Rückkehr nach Pakistan abzustellen ist, kein innerstaatlicher bewaffneter Konflikt und erst recht nicht eine individuelle extreme Gefahr im vorgenannten Sinn vor. Dies gilt auch für das Swat-Tal und Süd-Wasiristan, nachdem die Offensiven des pakistanischen Militärs gegen die Taliban dort, mit denen diese im April bzw. Oktober 2009 von dort vertrieben worden waren, endgültig beendet sind (AA Lagebericht, zuletzt vom 2.11.2012). Entsprechendes gilt auch für die Vertreibung der Taliban aus den paschtunischen Stammesgebieten Bajaur und Orakzai im Jahr 2010 (ai Jahresbericht 2011). Zwar haben die Taliban Pakistan im Jahr 2009 mit einer Welle von Terroranschlägen überzogen, die sich zumeist gegen Einrichtungen der Sicherheitskräfte richteten, und der zwar auch viele unbeteiligte Zivilisten zum Opfer fielen. So kamen bei 2586 terroristischen Anschlägen, davon 87 Selbstmordattentaten, im Jahr 2009 3021 Personen ums Leben und wurden 7334 Personen verletzt. Im Jahr 2010 ging dann aber die Zahl der terroristischen Anschläge auf 2113 zurück, wobei 2913 Menschen ums Leben kamen und 5824 verletzt wurden, und sich die Zahl der Selbstmordattentate auf 68 verringerte. Bei 1887 Anschlägen mit terroristischem Hintergrund, davon 44 Selbstmordattentaten, sind im Jahr 2011 2037 Personen ums Leben gekommen und 4341 verletzt worden. Die meisten terroristischen Anschläge (643) ereigneten sich in den FATA, gefolgt von Belutschistan (615) und von Khyber-Pakhtunkwa (497). Ein dauerhafter bewaffneter Konflikt ist in diesen Terroranschlägen aber nicht zu erblicken, da die Taliban oder andere radikal-islamische Gruppierungen bei realistischer Einschätzung nicht danach streben, die Macht im gesamten Pakistan erlangen zu können, da sie militärisch dazu nicht in der Lage wären und auch keinen Rückhalt in der überwiegenden Bevölkerung hätten. Jedenfalls führt eine quantitative und qualitative Bewertung dazu, dass nicht jeder Angehörige der Zivilbevölkerung in Pakistan einer extremen Gefahr für Leib oder Leben durch die Terroranschläge ausgesetzt ist, und auch gefahrerhöhende Umstände nicht ersichtlich sind. Schon angesichts der vorgenannten Zahlen für Gesamtpakistan, die nicht zwischen Terroranschlägen nach Provinzen entscheiden und überwiegend die Provinz Punjab gar nicht betreffen, und einer Gesamtbevölkerung von über 172 Millionen Menschen (Wikipedia, nach ai über 184 Millionen), davon über 73 Millionen Menschen in der Provinz Punjab und über 4,2 Millionen Einwohner im Distrikt Sialkot, kann eine insoweit quantitative Gefährdung nicht angenommen werden, wobei angesichts der dargestellten Taktik der radikal-islamischen Opposition, die vor allem in den von Paschtunen besiedelten Stammesgebieten beheimatet ist, auch in qualitativer Hinsicht eine relevante Gefährdung als nicht gegeben erscheint. Gefahrerhöhende persönliche Umstände ergeben sich nach den Ausführungen unter 1. auch nicht aus der schiitischen Glaubenszugehörigkeit des Klägers. [...]

Nach diesen Grundsätzen liegen bei Auswertung und Würdigung der Auskunftslage nach Überzeugung des Gerichts aber auch die Voraussetzungen des § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG mit der hier erforderlichen beachtlichen Wahrscheinlichkeit nicht vor. Es wird schon nicht vorgetragen, dass bei einer Rückkehr nach Pakistan auf Grund der allgemeinen Lage und Verhältnisse dort keine ausreichende Existenzgrundlage bestehe. Abgesehen davon, dass solche lagebedingten, mindestens eine ganze Bevölkerungsgruppe - wie hier alle aus dem Ausland rückkehrenden pakistanischen Flüchtlinge - betreffenden Beeinträchtigungen entsprechend der vorstehenden ausgeführten Rechtslage unter die Sätze 1 und 3 - und nicht des Satzes 2 - des § 60 Abs. 7 AufenthG zu subsumieren wären, weshalb der Schutzbereich dieses Abschiebungsverbots erst dann eröffnet ist, wenn die allgemeine Gefahrenlage derart extrem ist, dass praktisch jeder einzelne Gruppenangehörige im Falle der Abschiebung gleichsam sehenden Auges dem sicheren Tod oder schwersten Verletzungen ausgeliefert würde, sowie wenn diese Gefahr landesweit bestünde oder zumindest ein Ausweichen bei Rückkehr nicht möglich wäre, kann das Vorliegen einer derartigen extremen Gefahrenlage mit der erforderlichen hohen Wahrscheinlichkeit nach Überzeugung des Gerichts den verfahrensgegenständlichen Erkenntnisquellen auch gar nicht entnommen werden.

Nach der Lageberichterstattung des AA, zuletzt vom 2. November 2012, hat sich die Menschenrechtslage in Pakistan leicht verbessert, bleibt aber kritisch. Pakistan ist mit einer erheblichen terroristischen Bedrohung durch die Taliban und andere jihadische Gruppen konfrontiert. Diese haben in bestimmten Regionen an der Grenze zu Afghanistan eigene Herrschaftsstrukturen etabliert. Der Armee war es zwar im Verlauf des Jahres 2009 gelungen, die Taliban wieder aus dem von diesen zeitweilig kontrollierten Swat-Tal und aus Süd-Wasiristan zu vertreiben. Die Taliban sind aber in die Stammesgebiete ausgewichen und haben gleichzeitig mit einer Vielzahl von Terroranschlägen reagiert, denen in den Jahren 2009 bis 2011 jeweils ca. 3000 Menschen zum Opfer gefallen sind, weit überwiegend in den Stammesgebieten und der Provinz Khyber Pakhtunkhwa, der ehemaligen North West Frontier Province. Weiterhin führen sektiererische bzw. intrakonfessionelle Auseinandersetzungen entsprechend den Ausführungen unter 1. zu zahlreichen Todesfällen, wobei Opfer zumeist gemäßigte Sunniten und Schiiten sind, die von radikalen sunnitischen Organisationen oder den Taliban attackiert werden. Im Jahr 2010 starben bei 152 religiös motivierten Anschlägen 663 Menschen, im Jahr 2011 starben 389 Menschen und 601 wurden verletzt, zumeist bei Anschlägen auf religiöse Stätten und Prozessionen. Im Bereich von Karachi war mit 748 Opfern, davon 190 Angehörige politischer Parteien, im Jahr 2010 bzw. 1715 Tote, davon 329 Angehörige politischer Parteien, im Jahr 2011 eine starke Zunahme der Opfer sog. gezielter Tötungen zu verzeichnen. Rückkehrer nach Pakistan erhalten keinerlei staatliche Wiedereingliederungshilfen oder sonstige Sozialleistungen. Kehren sie in ihren Familienverband zurück, ist ihre Grundversorgung im Rahmen dessen wirtschaftlicher Leistungsfähigkeit gesichert. Auch die schwere Flutkatastrophe im Sommer 2010 hat heute keine Auswirkungen auf die Versorgungslage mehr, zumal Provinzen hiervon weitgehend verschont blieben. Auch die bei Bedarf in Anspruch zu nehmende medizinische Versorgung ist grundsätzlich sichergestellt, auch wenn naturgemäß europäische Leistungsstandards nicht erreicht werden. Diese Einschätzung wird von anderen Auskunftsstellen (ai, Jahresbericht 2011, SFH vom 6.9.2004 und CSIS vom 5.5.2011) weitgehend geteilt.

Nach alledem kann trotz der dargestellten gebietsabhängig kritischen Sicherheitslage ausgehend vom vorgenannten rechtlichen Maßstab daher nicht mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit davon ausgegangen werden, dass jeder Rückkehrer aus Europa, auch wenn er der schiitischen Glaubensminderheit angehört, mit der definitionsmäßig bestimmten existenziellen Bedrohung rechnen müsste. Irgendwelche besonderen Umstände, die speziell bei diesem Kläger ausnahmsweise doch eine relevante Gefährdung im Sinne der Ausführungen in den vorgenannten Erkenntnismitteln begründen würden, sind hier ebenfalls nicht anzunehmen. Eine Einzelfallprüfung führt hier auch nicht dazu, dass nach Würdigung der Auskunftslage ein Auskommen in Pakistan durch entsprechende Tätigkeit ausgeschlossen wäre. Entsprechendes gilt für eine Unterkunft und die sonstige Versorgung.

3. Schließlich besteht in Anknüpfung an die soeben niedergelegten Erkenntnisse ebenfalls kein Anlass, der Klage wenigstens im Hinblick auf die verfügte Ausreiseaufforderung mit Abschiebungsandrohung zu entsprechen. Die betreffende Entscheidung beruht auf §§ 34 Abs. 1 AsylVfG, 59 Abs. 1 bis 3 AufenthG, 36 Abs. 1 AsylVfG, deren Voraussetzungen vorliegen. Ein asylunabhängiger Aufenthaltstitel ist auch nicht geltend gemacht worden oder sonst ersichtlich, und zugleich genügt die Bezeichnung des Abschiebezielstaates im Bescheid des Bundesamts den Rechtmäßigkeitsvoraussetzungen (BVerwGE 110, 74 = NVwZ 2000, 331/2; BayVGH vom 10.1.2000 Az. 19 ZB 99.33208). Es bleibt Sache der für eine Abschiebung zuständigen Ausländerbehörde, - unter Berücksichtigung der im Asylverfahren gewonnenen Erkenntnisse - sicherzustellen, dass die betreffenden Ausländer nicht in für sie ggfs. gefährliche Gebiete des Zielstaates abgeschoben werden. [...]