VGH Baden-Württemberg

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Zitieren als:
VGH Baden-Württemberg, Beschluss vom 27.05.2013 - 11 S 785/13 - asyl.net: M20823
https://www.asyl.net/rsdb/M20823
Leitsatz:

Eine Entscheidung über ein Wiederaufgreifen eines bereits abgeschlossenen Verfahrens stellt - unabhängig davon, ob sie auf Antrag oder von Amts wegen erfolgt - keine Entscheidung über die Verlängerung oder die Erteilung eines Aufenthaltstitels im Sinne des § 81 Abs. 4 AufenthG dar.

Ein Wiederholungsantrag stellt keinen Antrag im Sinne des § 81 Abs. 4 Satz 1 AufenthG dar und ist daher nicht geeignet, eine Fiktion auszulösen (im Anschluss an BVerwG, Beschluss vom 23.01.1987 - 1 B 213/86 -, InfAuslR 1987, S. 105 ff. zu § 21 Abs. 3 Satz 2 AuslG in der bis zum 31.12.1990 geltenden Fassung).

Die Anordnung der Fortwirkung nach § 81 Abs. 4 Satz 2 AufenthG setzt einen wenn auch verspäteten - Antrag im Sinne des § 81 Abs. 4 Satz 1 AufenthG voraus.

(Amtliche Leitsätze)

Schlagwörter: Wiederaufgreifen, Wiederaufnahme, Wiederaufnahme des Verfahrens, Wiederholungsantrag, Fiktionswirkung, Suspensiveffekt, aufschiebende Wirkung, Widerspruch, Verlängerungsantrag,
Normen: AufenthG § 81 Abs. 4, AufenthG § 81 Abs. 4 S. 2, AufenthG § 84 Abs. 2 S. 1,
Auszüge:

[...]

1. Das Verwaltungsgericht hat den Antrag der Antragstellerin auf Anordnung der aufschiebenden Wirkung ihres Widerspruchs gegen die Ablehnung der Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis zu Recht als unzulässig angesehen, weil mit der mit dem Widerspruch angegriffenen Entscheidung keine durch den Antrag zunächst ausgelöste Fiktionswirkung beendet worden ist und auch eine Fortgeltung nach § 81 Abs. 4 Satz 2 AufenthG nicht in Betracht kommt.

Der ursprüngliche Antrag vom 12.07.2011 hatte zwar die Fiktionswirkung des § 81 Abs. 4 Satz 1 AufenthG im Sinne der Fortgeltung des damaligen Visums ausgelöst. Diese endete jedoch mit der Rückkehr in die Türkei (zur Frage des Fortbestands der Fiktion nach dem § 81 Abs. 4 AufenthG trotz einer Ausreise vgl. OVG des Saarlandes, Beschluss vom 30.05.2011 - 2 B 241/11 -, juris), spätestens aber mit der Ablehnung am 08.03.2012.

Der Antrag nach § 80 Abs. 5 VwGO auf Anordnung der aufschiebenden Wirkung ihres Widerspruchs gegen die Ablehnung der Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis nach § 32 AufenthG vom 08.03.2012 war bereits mit Beschluss des Verwaltungsgerichts vom 19.06.2012 abgelehnt worden. Soweit die Antragstellerin darauf verweist, dass über ihren Widerspruch gegen die Ablehnung ihres Antrags vom 12.07.2011 mit Bescheid vom 09.03.2012 noch nicht entschieden worden sei, ändert dies nichts daran, dass eine Entscheidung zum Antrag vom 12.07.2011 bereits ergangen ist und diese ursprüngliche Ablehnungsentscheidung vom 08.03.2012 weiterhin existent, wirksam und vollziehbar ist. Nach dem Beschluss des Verwaltungsgerichts vom 19.06.2012, mit dem die aufschiebende Wirkung des Widerspruchs gegen die damalige Abschiebungsandrohung angeordnet worden war, weil sich die Antragstellerin zum Zeitpunkt deren Erlasses nicht - mehr - im Bundesgebiet aufgehalten hatte, war lediglich diese mit Bescheid vom 28.06.2012 im Wege der Abhilfe aufgehoben worden. Dagegen war es bei der das ursprüngliche Ausgangsverfahren insoweit abschließenden Ablehnungsentscheidung vom 08.03.2012 geblieben.

Die Fiktionswirkung des ursprünglichen Antrags ist auch nicht dadurch erneut eingetreten, dass die Antragsgegnerin am 04.12.2013 eine erneute - nicht abhelfende, sondern negative - Sachentscheidung getroffen hat. Zwar kann die Ausländerbehörde auch ein abgeschlossenes Verwaltungsverfahren auf Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis - ggf. auf Antrag - nach pflichtgemäßem Ermessen jederzeit zugunsten des Betroffenen wiederaufgreifen und gemäß § 51 Abs. 4 i.V.m. §§ 48 und 49 LVwVfG eine neue Sachentscheidung in Form eines Zweitbescheids treffen. Eine Entscheidung über ein solches Wiederaufgreifen eines bereits abgeschlossenen Verfahrens stellt aber - unabhängig davon, ob sie auf Antrag oder von Amts wegen erfolgt - keine Entscheidung über die Verlängerung oder die Erteilung eines Aufenthaltstitels im Sinne des § 81 Abs. 4 AufenthG dar, sondern ergeht in einem eigenständigen Verfahren. Dementsprechend führt auch ein die ursprüngliche Entscheidung ersetzender Zweitbescheid zwar dazu, dass die gerichtliche Überprüfung erneut eröffnet wird, ändert aber nichts daran, dass die Fiktionswirkung bereits mit der ersten Entscheidung geendet hatte. Es kann insofern keinen Unterschied machen, ob die Antragsgegnerin eine wiederholende Entscheidung im Wege des Wiederaufgreifens trifft oder aufgrund eines Wiederholungsantrags. Vielmehr wird die Fiktion grundsätzlich nur durch den ersten Antrag ausgelöst und endet grundsätzlich mit der ersten Entscheidung hierüber (vgl. unten 2.).

2. Auch der Antrag vom 03.08.2012 konnte die Fiktionswirkung - unabhängig davon, dass er nach Ablauf des Schengen-Visums gestellt worden war - nicht auslösen, weil er schon kein Antrag auf Verlängerung oder Erteilung eines Aufenthaltstitels im Sinne des § 81 Abs. 4 Satz 1 AufenthG war.

Die Antragstellerin hat mit ihrem Antrag vom 03.08.2012 ihren früheren Antrag, über den noch nicht bestandskräftig entscheiden ist, lediglich wiederholt. Ein solcher Wiederholungsantrag ist aber nicht geeignet, eine Fiktion auszulösen. Nach §§ 81 Abs. 3 und 4, 84 Abs. 2 Satz 1 AufenthG lösen - rechtzeitig gestellte - Anträge auf Erteilung bzw. Verlängerung eines Aufenthaltstitels die Fiktion der Erlaubnis bzw. des Fortbestehens grundsätzlich nur bis zur Entscheidung der Ausgangsbehörde aus. Mit dem in dieser Weise begrenzten vorläufigen Aufenthaltsrecht wäre es unvereinbar, hätte der Ausländer es in der Hand, sich erneut das vorläufige Aufenthaltsrecht durch eine bloße Wiederholung seines bereits ablehnend beschiedenen, in einem - wie hier - noch abhängigen Widerspruchs- oder Verwaltungsrechtsstreit weiter verfolgten Aufenthaltserlaubnisantrags selbst zu verschaffen (BVerwG, Beschluss vom 23.01.1987 - 1 B 213/86 -, InfAuslR 1987, S. 105 ff. zu § 21 Abs. 3 Satz 2 AuslG in der bis zum 31.12.1990 geltenden Fassung). Das dem Ausländer nach den genannten Regelungen zustehende vorläufige Aufenthaltsrecht erlischt dementsprechend mit der Ablehnung des ersten Antrages.

Nach dem Dargelegten (vgl. oben I. 1.) ist der Antrag vom 03.08.2012 auch als Antrag auf Wiederaufgreifen des ursprünglichen Verfahrens kein Antrag auf Verlängerung oder Erteilung eines Aufenthaltstitels im Sinne des § 81 Abs. 4 Satz 1 AufenthG und konnte damit die Fortgeltungsfiktion nicht auslösen. [...]