1. Weist das Gericht in seiner Bewilligung der Prozesskostenhilfe darauf hin, es sei zumindest offen, ob der Kläger ernsthaft erkrankt sei, muss auch ein gewissenhafter und kundiger Prozessbeteiligter nicht damit rechnen, dass es die Klage ohne weiteren Hinweis wegen unzureichender Darlegung einer psychischen Erkrankung des Klägers abweist.
2. Weist das Gericht nicht auf die aus seiner Sicht unzureichende Substantiierung der Angaben des Klägers zum Vorliegen einer psychischen Erkrankung hin, kann ein gewissenhafter und sachkundiger, mit der Vielfalt vertretbarer Rechtsauffassungen vertrauter Prozessbeteiligter nicht damit rechnen, dass es den Kläger pauschal und undifferenziert auf die Möglichkeit verweist, als junger gesunder Mann bei Rückkehr nach Afghanistan sein Existenzminimum selbst zu sichern.
[...]
Der Grundsatz des rechtlichen Gehörs verpflichtet das Gericht, die Ausführungen der Prozessbeteiligten zur Kenntnis zu nehmen und in Erwägung zu ziehen (vgl. z.B. BVerfG, Beschluss vom 8. April 2004 - 2 BvR 743/03 -, NJW-RR 2004, 1150 und juris, Rn. 11). Eine diesem - verfassungsrechtlich in Art. 103 Abs. 1 GG verankerten - Anspruch genügende Gewährung rechtlichen Gehörs setzt auch voraus, dass der Verfahrensbeteiligte bei Anwendung der von ihm zu verlangenden Sorgfalt zu erkennen vermag, auf welchen Tatsachenvortrag es für die Entscheidung ankommen kann. Art. 103 Abs. 1 GG verlangt zwar grundsätzlich nicht, dass das Gericht vor der Entscheidung auf seine Rechtsauffassung hinweist; ihm ist auch keine allgemeine Frage- und Aufklärungspflicht des Richters zu entnehmen. Es kommt jedoch im Ergebnis der Verhinderung eines Vortrages gleich, wenn das Gericht ohne vorherigen Hinweis Anforderungen an den Sachvortrag stellt, mit denen auch ein gewissenhafter und kundiger Prozessbeteiligter - selbst unter Berücksichtigung der Vielfalt vertretbarer Rechtsauffassungen - nach dem bisherigen Prozessverlauf nicht zu rechnen brauchte (vgl. z.B. BVerfG, Beschluss vom 29. Mai 1991 - 1 BvR 1383/90 -, BVerfGE 84, 188 und juris, Rn. 7, m.w.N.). Insoweit ergibt sich aus Art. 103 Abs. 1 GG sowie einfachgesetzlich auch aus § 86 Abs. 3 VwGO, wonach der Vorsitzende darauf hinzuweisen hat, dass ungenügende tatsächliche Angaben ergänzt und alle für die Feststellung und Beurteilung des Sachverhaltes wesentlichen Erklärungen abgegeben werden, das Verbot sogenannter Überraschungsentscheidungen (vgl. dazu z.B. Kopp/Schenke, VwGO, 18. Aufl. 2012, § 86, Rn. 22, m.w.N.).
Ein solcher Gehörsverstoß ist dem Verwaltungsgericht vorliegend unterlaufen.
Vor dem Hintergrund, dass das Verwaltungsgericht mit Beschluss vom 4. Dezember 2012 - nach Vorlage des Berichts des Kinder- und Jugendlichen-Psychotherapeuten vom 6. Juni 2012 - dem Kläger Prozesskostenhilfe mit der Begründung bewilligt hatte, es sei zumindest offen, ob der Kläger ernsthaft erkrankt sei, musste auch ein gewissenhafter und kundiger Prozessbeteiligter nicht damit rechnen, dass das Verwaltungsgericht die Klage ohne weiteren Hinweis wegen unzureichender Darlegung der Voraussetzungen einer psychischen Erkrankung des Klägers abweisen würde. Dies gilt erst recht, nachdem der Prozessbevollmächtigte des Klägers mit Schriftsatz vom 1. Februar 2013 eine weitere psychotherapeutische Stellungnahme des Kinder- und Jugendlichen-Psychotherapeuten vom 29. Januar 2013 vorgelegt hatte, in der bei dem Kläger ebenfalls sowohl eine posttraumatische Belastungsstörung als auch eine anhaltende Depression diagnostiziert wurde, wobei als Ursachen hierfür - wie bereits in dem vorherigen Bericht - traumatische Erfahrungen sowohl in Afghanistan als auch im Iran angenommen wurden. Ein deshalb nach § 86 Abs. 3 VwGO gebotener Hinweis lässt sich indessen weder dem Inhalt der Gerichtsakte noch dem Erlass des Beschlusses vom 4. Dezember 2012 noch der Niederschrift der mündlichen Verhandlung vom 6. Februar 2013 entnehmen. Vielmehr erfolgte in der mündlichen Verhandlung lediglich eine ergänzende Anhörung des Klägers zu seinen Vorfluchtgründen. Hingegen ergibt sich aus der Niederschrift nicht, dass das Gericht etwa auf - gegebenenfalls nach Bewilligung der Prozesskostenhilfe bei ihm aufgetretene - Zweifel an der hinreichenden Substantiierung der geltend gemachten psychischen Störungen des Klägers hingewiesen hat. Auch ein gewissenhafter und sachkundiger, mit der Vielfalt vertretener Rechtsauffassungen vertrauter Prozessbeteiligter musste zudem nicht damit rechnen, dass das Verwaltungsgericht die vorgelegten Gutachten "zur posttraumatischen Belastungsstörung" allein deshalb als nicht belastbar einstufen würde, weil das vom Kläger vorgetragene Verfolgungsschicksal nicht glaubhaft sei, und dass es dabei ausschließlich auf aus seiner Sicht oberflächliche und wenig greifbare Angaben des Klägers zu seiner Vergangenheit in Afghanistan verweisen würde. Dies war deshalb überraschend, weil schon in der Klagebegründung geltend gemacht worden war, der Kläger leide "aufgrund der Vorkommnisse in Afghanistan, im Iran und auf seiner Flucht" sowohl unter einer Depression als auch unter einer posttraumatischen Belastungsstörung, und nachdem die beiden vorgelegten psychotherapeutischen Stellungnahmen eine posttraumatische Belastungsstörung und eine anhaltende Depression diagnostiziert hatten, wobei das multiple Krankheitsbild des Klägers ausdrücklich auch auf traumatische Ereignisse während des Aufenthalts im Iran (mehrfache Misshandlungen durch iranische Polizisten) zurückgeführt worden war.
Zwar hat das Verwaltungsgericht seine Entscheidung auch darauf gestützt, dass bei dem Kläger keine europarechtlichen oder nationalen Abschiebungsverbote vorlägen, weil es sich bei ihm um einen jungen gesunden Mann ohne Unterhaltsverpflichtungen handele, der bereits im Iran in einer Kfz-Werkstatt gearbeitet habe und bei dem deshalb anzunehmen sei, dass er bei Rückkehr in seine Heimat zeitnah in eine existenzielle Notlage geraten würde. Doch auch insoweit erweist sich das Urteil dem Kläger gegenüber als unzulässige Überraschungsentscheidung. Auch ein gewissenhafter und sachkundiger, mit der Vielfalt vertretbarer Rechtsauffassungen vertrauter Prozessbeteiligter musste nicht damit rechnen, dass das Verwaltungsgericht pauschal und undifferenziert auf die Möglichkeit des Klägers, als junger gesunder Mann bei Rückkehr nach Afghanistan sein Existenzminimum selbst sichern zu können, verweisen würde, nachdem es sich mit den Ausführungen in den beiden psychotherapeutischen Stellungnahmen zu den depressionsbedingten Selbstbehauptungsschwierigkeiten des Klägers nicht erkennbar auseinander gesetzt und keinen Hinweis auf eine aus seiner Sicht unzureichende Substantiierung der Angaben des Klägers zum Vorliegen einer psychischen Erkrankung gegeben hatte. [...]