Für eine alleinstehende junge Frau aus Äthiopien ohne familiäre Kontakte besteht bei Rückkehr eine erhebliche Gefahr für Leib und Leben, da sie in Äthiopien nicht die Möglichkeit hat, in menschenwürdiger Weise ihr Existenzminimum zu sichern.
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Bei einer Rückkehr nach Äthiopien droht der Klägerin allerdings nach Auffassung des Gerichts eine Verfolgung wegen der Zugehörigkeit zu einer sozialen Gruppe und die Bedrohung des Lebens, der körperlichen Unversehrtheit oder der Freiheit, die dabei an das Geschlecht der Klägerin anknüpft. Auf Grund der insoweit glaubwürdigen Angaben der Klägerin hat sie in Äthiopien außer ihrer Ziehmutter, zu der sie allerdings keinen Kontakt mehr hat, keine weiteren Familienangehörigen. Die Klägerin gehört damit zur Gruppe der alleinstehenden jungen Frauen in Äthiopien. Auf Grund dieser Tatsache und der zum Gegenstand der mündlichen Verhandlung gemachten Auskünfte ist es überwiegend wahrscheinlich, dass die Klägerin bei einer Rückkehr in ihr Heimatland einer erheblichen Gefahr für Leib und Leben ausgesetzt sein wird. Insbesondere ist zu befürchten, dass sie auf Grund ihrer persönlichen Situation nicht die Möglichkeit hat, in menschenwürdiger Weise ihr Existenzminimum zu sichern. Zwar bieten sich für Rückkehrer mit geringem Startkapital Möglichkeiten zur Existenzgründung. Allerdings ist es schwierig, einen Arbeitsplatz zu finden, es gibt auch kein soziales Sicherungssystem. Die begrenzte Liberalisierung der Wirtschaft bietet aber zumindest denjenigen Rückkehrern, die über Qualifikation und Sprachkenntnisse verfügen, die Möglichkeit, Arbeit zu finden oder sich erfolgreich selbständig zu machen (Auswärtiges Amt, Lagebericht Äthiopien vom 18.12.2012).
Zu diesen Personenkreis gehört die Klägerin mit Sicherheit nicht. Wie auch der Eindruck in der mündlichen Verhandlung gezeigt hat, scheint die Klägerin keine Person zu sein, die Fähigkeiten oder Sprachkenntnisse hat, die ihr bei einer Rückkehr nach Äthiopien als alleinstehende Frau die Möglichkeit zur Existenzgründung bieten, wenn auch die Klägerin es geschafft hat, in Kuwait eine Anstellung als Hausmädchen zu finden. Allerdings scheint eine Anstellung in arabischen Ländern kein großes Problem zu sein, das Gericht glaubt allerdings nicht, dass während des Aufenthalts in diesen Ländern äthiopische Hausmädchen besondere Fertigkeiten erlernen würden, die bei Rückkehr nach Äthiopien Grundlage für eine erfolgreiche Selbständigkeit bieten würden.
Hinsichtlich der Rückkehrsituation alleinstehender Frauen führt die Schweizerische Flüchtlingshilfe aus, verschiedene Organisationen in Addis Abeba hätten im Jahr 2005 berichtet, dass die Mehrzahl der Frauen, die allein in die Stadt kommen, in der Prostitution oder als Bedienstete in Haushalten landen, wo sie verschiedenen Formen der Gewalt - auch sexueller Gewalt - ausgesetzt seien. Es sei schwierig für eine alleinstehende Frau, sowohl Unterkunft wie auch einen Arbeitsplatz zu finden. Für den Zugang zu einer Arbeitsstelle benötige man Geld, familiäre Kontakte oder Personen, die über Beschäftigungsmöglichkeiten bzw. offene Arbeitsstellen informiert seien. Auch die Wohnungssuche sei ohne Unterstützung von Bekannten schwierig. Diese Einschätzung würde gemäß Äthiopienexperten auch heute noch gelten. Auch wenn Addis Abeba bessere Arbeits- und Einkommensmöglichkeiten biete als andere Städte oder ländliche Regionen, werde durch die große Arbeitsmigration diese Möglichkeit wieder relativiert. Des Weiteren sei in Äthiopien Gewalt gegen Frauen und soziale Diskriminierung an der Tagesordnung. Gemäß dem Bericht des US-Departements of States aus dem Jahre 2009 erlebten Frauen mithin in Äthiopien tatsächlich geschlechtsspezifische Gewalt, doch viele Fälle würden aus Scham oder Angst nicht angezeigt.
Des Weiteren wird ausgeführt, auch wenn die äthiopische Wirtschaft in den letzten Jahren stark gewachsen sei und die begrenzte Liberalisierung der Wirtschaft gut qualifizierten Rückkehrern eine gewisse Perspektive eröffne, blieben Arbeitsplätze in Äthiopien auch in den städtischen Gebieten rar. Für wenig qualifizierte Rückkehrer seien die Perspektiven ungleich schwieriger. Auch habe die extreme Inflation gerade bei den Grundnahrungsmitteln eine Mehrheit der Bevölkerung, auch der städtischen Haushalte, in existenzielle Nöte gebracht. Ohne genügend finanzielle Mittel und ohne auf ein intaktes familiäres und soziales Netz zurückgreifen zu können, sei eine Rückkehr nicht nur in die von akuten Versorgungsengpässen betroffenen Regionen kaum möglich.
Auch im Bericht der Schweizerischen Flüchtlingshilfe Äthiopien: Gewalt gegen Frauen vom 20. Oktober 2010 wird die Tatsache, dass äthiopische Frauen und Mädchen tagtäglich geschlechtsspezifische Gewalt erleiden und entsprechend den traditionellen und soziokulturellen Normen Frauen als den Männern gegenüber untergeordnet angesehen werden, nochmals bestätigt. Danach berichtet BBC, dass Äthiopierinnen weltweit zu den am häufigsten missbrauchten Frauen gehörten. Nahezu 60 % der Äthiopierinnen erlebten sexuelle Gewalt, einschließlich Vergewaltigung in der Ehe. Gerade auch Vergewaltigungen außerhalb der Ehe seien in Äthiopien häufig. Auch aus diesem Bericht ergibt sich, dass alleinstehende Frauen, die über kein familiäres oder soziales Netz verfügen, relativ schutzlos und kaum dazu in der Lage sind, ihr Existenzminimum zu sichern.
Auch aus dem Bericht der Kooperation Asylwesen Deutschland - Österreich - Schweiz - "D-A-CH" vom 10. Mai 2010 ergibt sich eindeutig, dass es für alleinstehende Frauen sehr problematisch sei, sich selbst in der Hauptstadt Addis Abeba zu etablieren. Es sei schwierig, eine Arbeit zu finden, die Löhne seien niedrig. Offenbar sei die äthiopische Regierung bemüht, die Rechte der Frauen in Äthiopien allgemein zu verbessern, doch bedeute dies keine schnelle Verbesserung, sondern benötige einen längeren Zeitraum.
Unter Berücksichtigung dieser Umstände kann nicht davon ausgegangen werden, dass die Klägerin durch eigene Arbeit oder durch Zuwendungen von dritter Seite auch nach Überwindung von Anfangsschwierigkeiten das zu ihrem Lebensunterhalt unbedingt Notwendige erlangen kann. Hinzu kommt, dass der UNHCR von Vorfällen in Äthiopien berichtet, nach denen zurückkehre Migrantinnen von den Strafbehörden verfolgt und wegen Prostitution und anderer Vergehen angeklagt würden. Es gebe zudem nur wenige Nichtregierungsorganisationen, die erwachsene zurückgekehrte Arbeitsmigrantinnen betreuen würden, diese häufig von psychologischen Traumata betroffen seien (GIGA, Institut für Afrika-Studien vom 10.3.2009).
Auch das Auswärtige Amt führt in seinem Lagebericht aus, dass es staatliche oder sonstige Aufnahmeeinrichtungen für Rückkehrer in Äthiopien nicht gibt, auch nicht für zurückkehrende unbegleitete Minderjährige. Auch dies zeigt, dass sich insoweit an der Situation in Äthiopien, auch in Addis Abeba, nichts Wesentliches am bisherigen Zustand geändert hat.
Nach alledem ist davon auszugehen, dass die Klägerin bei einer Rückkehr nach Äthiopien als alleinstehende junge Frau mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit nicht in der Lage sein wird, für sich das notwendige finanzielle Existenzminimum zu erwirtschaften, sondern vielmehr die Gefahr besteht, dass sie gezwungen wäre, sich zu prostituieren bzw. auch ansonsten der Gefahr sexuellen Missbrauchs ausgesetzt wäre, da ihr Beziehungen bzw. familiäre Bande fehlen, um bei einer Rückkehr nach Äthiopien einen einigermaßen gesicherten Aufenthalt zu erlangen, ohne der Gefahr einer geschlechtsspezifischen Verfolgung ausgesetzt zu sein. [...]