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EuGH

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Zitieren als:
EuGH, Urteil vom 19.09.2013 - C-297/12, Deutschland gegen Filev und Osmani - asyl.net: M21107
https://www.asyl.net/rsdb/M21107
Leitsatz:

1. Art. 11 Abs. 2 der Richtlinie 2008/115 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 16. Dezember 2008 über gemeinsame Normen und Verfahren in den Mitgliedstaaten zur Rückführung illegal aufhältiger Drittstaatsangehöriger ist dahin auszulegen, dass er einer nationalen Vorschrift wie § 11 Abs. 1 des Gesetzes über den Aufenthalt, die Erwerbstätigkeit und die Integration von Ausländern im Bundesgebiet entgegensteht, die die Befristung eines Einreiseverbots davon abhängig macht, dass der betreffende Drittstaatsangehörige einen Antrag auf eine derartige Befristung stellt.

2. Art. 11 Abs. 2 der Richtlinie 2008/115 ist dahin auszulegen, dass er es verbietet, einen Verstoß gegen ein Verbot, in das Hoheitsgebiet eines Mitgliedstaats einzureisen und sich dort aufzuhalten, das mehr als fünf Jahre vor dem Zeitpunkt verhängt wurde, zu dem der betreffende Drittstaatsangehörige erneut in dieses Hoheitsgebiet eingereist oder die innerstaatliche Regelung zur Umsetzung dieser Richtlinie in Kraft getreten ist, strafrechtlich zu ahnden, es sei denn, dieser Drittstaatsangehörige stellt eine schwerwiegende Gefahr für die öffentliche Ordnung, die öffentliche Sicherheit oder die nationale Sicherheit dar.

3. Die Richtlinie 2008/115 ist dahin auszulegen, dass sie der Regelung eines Mitgliedstaats entgegensteht, wonach eine Ausweisung oder Abschiebung, die mehr als fünf Jahre vor dem Zeitraum zwischen dem Zeitpunkt, zu dem diese Richtlinie hätte umgesetzt werden müssen, und dem Zeitpunkt, zu dem sie tatsächlich umgesetzt wurde, erfolgte, später erneut als Grundlage für eine strafrechtliche Verfolgung dienen kann, wenn diese Maßnahme im Sinne von Art. 2 Abs. 2 Buchst. b der genannten Richtlinie aufgrund einer strafrechtlichen Sanktion vorgenommen wurde und der betreffende Mitgliedstaat von der in dieser Bestimmung vorgesehenen Möglichkeit Gebrauch gemacht hat.

(Amtliche Leitsätze)

Schlagwörter: Rückkehrentscheidung, Einreiseverweigerung, Einreiseverbot, Rückführungsrichtlinie, Drittstaatsangehörige, unerlaubter Aufenthalt, illegaler Aufenthalt, Befristung, Ausweisung, Abschiebung, strafrechtliche Sanktion, Strafrecht, Straftat, Strafe, Filev, Osmani,
Normen: RL 2008/115/EG Art. 11 Abs. 2, AufenthG § 11 Abs. 1,
Auszüge:

[...]

Zu den Vorlagefragen

Zur dritten Frage

25 Mit seiner dritten Frage, die zuerst zu prüfen ist, möchte das vorlegende Gericht wissen, ob Art. 11 Abs. 2 der Richtlinie 2008/115 dahin auszulegen ist, dass er einer nationalen Vorschrift wie § 11 Abs. 1 des Aufenthaltsgesetzes entgegensteht, die die Befristung eines Einreiseverbots an die Voraussetzung knüpft, dass der betroffene Drittstaatsangehörige einen Antrag auf eine derartige Befristung stellt.

26 Nach Art. 11 Abs. 2 Satz 1 der Richtlinie 2008/115 wird die Dauer des Einreiseverbots in Anbetracht der jeweiligen Umstände des Einzelfalls festgesetzt und überschreitet grundsätzlich nicht fünf Jahre.

27 Es ist festzustellen, dass aus den Worten "[d]ie Dauer des Einreiseverbots wird … festgesetzt" klar hervorgeht, dass eine Verpflichtung für die Mitgliedstaaten besteht, alle Einreiseverbote – grundsätzlich auf höchstens fünf Jahre – zu befristen, unabhängig von einem hierauf gerichteten Antrag des betroffenen Drittstaatsangehörigen.

28 Diese Auslegung ergibt sich auch aus Satz 2 des 14. Erwägungsgrundes der Richtlinie 2008/115, der ebenfalls vorsieht, dass die Dauer des Einreiseverbots in Anbetracht der jeweiligen Umstände des Einzelfalls festgesetzt werden und im Regelfall fünf Jahre nicht überschreiten sollte.

29 Im Übrigen wird die genannte Auslegung erstens durch die Definition des Begriffs "Einreiseverbot" in Art. 3 Nr. 6 der genannten Richtlinie gestützt, die sich u. a. auf eine Entscheidung bezieht, mit der die Einreise in das Hoheitsgebiet der Mitgliedstaaten und der dortige Aufenthalt "für einen bestimmten Zeitraum" untersagt wird.

30 Zweitens bestimmt Art. 7 Abs. 1 Unterabs. 1 der Richtlinie 2008/115 hinsichtlich der Frist für eine freiwillige Ausreise, die im Rahmen einer Rückkehrentscheidung festzusetzen ist, dass die Mitgliedstaaten in ihren innerstaatlichen Rechtsvorschriften vorsehen können, dass diese Frist nur auf Antrag des betreffenden Drittstaatsangehörigen eingeräumt wird. Dieser Wortlaut legt nahe, dass der Unionsgesetzgeber, wenn er den Mitgliedstaaten eine solche Möglichkeit in Bezug auf die Befristung eines Einreiseverbots hätte einräumen wollen, dies in Art. 11 Abs. 2 dieser Richtlinie ausdrücklich bestimmt hätte.

31 Entgegen dem Vorbringen der deutschen Regierung in ihren beim Gerichtshof eingereichten Erklärungen genügt es für die Erreichung des Ziels von Art. 11 Abs. 2 der Richtlinie 2008/115 nicht, wenn eine solche Befristung eines Einreiseverbots im innerstaatlichen Recht von einem Antrag des betreffenden Drittstaatsangehörigen abhängig gemacht wird.

32 Dieses Ziel besteht nämlich u. a. darin, zu gewährleisten, dass die Dauer eines Einreiseverbots fünf Jahre nicht überschreitet, es sei denn, die betreffende Person stellt eine schwerwiegende Gefahr für die öffentliche Ordnung, die öffentliche Sicherheit oder die nationale Sicherheit dar.

33 Selbst wenn das innerstaatliche Recht, wie die deutsche Regierung in Bezug auf ihr innerstaatliches Recht ausführt, vorsieht, dass der betreffende Drittstaatsangehörige über die Möglichkeit, eine Befristung des gegen ihn verhängten Einreiseverbots zu beantragen, unterrichtet wird und diese Unterrichtungspflicht von den zuständigen nationalen Behörden stets befolgt wird, ist jedoch nicht gewährleistet, dass der betreffende Drittstaatsangehörige einen solchen Antrag tatsächlich stellt. Wird ein solcher Antrag nicht gestellt, kann das Ziel von Art. 11 Abs. 2 der Richtlinie 2008/115 nicht als erreicht angesehen werden.

34 Angesichts der vorstehenden Erwägungen ist auf die dritte Frage zu antworten, dass Art. 11 Abs. 2 der Richtlinie 2008/115 dahin auszulegen ist, dass er einer nationalen Vorschrift wie § 11 Abs. 1 des Aufenthaltsgesetzes entgegensteht, die die Befristung eines Einreiseverbots davon abhängig macht, dass der betreffende Drittstaatsangehörige einen Antrag auf eine derartige Befristung stellt.

Zur ersten und zur zweiten Frage

35 Mit seiner ersten und seiner zweiten Frage, die gemeinsam zu prüfen sind, möchte das vorlegende Gericht wissen, ob Art. 11 Abs. 2 der Richtlinie 2008/115 dahin auszulegen ist, dass er es verbietet, einen Verstoß gegen ein Verbot, in das Hoheitsgebiet eines Mitgliedstaats einzureisen und sich dort aufzuhalten, das mehr als fünf Jahre vor dem Zeitpunkt verhängt wurde, zu dem der betreffende Drittstaatsangehörige erneut in dieses Hoheitsgebiet eingereist oder die innerstaatliche Regelung zur Umsetzung dieser Richtlinie in Kraft getreten ist, strafrechtlich zu ahnden.

36 In diesem Zusammenhang hat der Gerichtshof bereits entschieden, dass zwar weder Art. 63 Abs. 1 Nr. 3 Buchst. b EG, der in Art. 79 Abs. 2 Buchst. c AEUV übernommen wurde, noch die Richtlinie 2008/115, die u. a. auf der Grundlage der erstgenannten dieser beiden Bestimmungen erlassen wurde, die strafrechtliche Zuständigkeit der Mitgliedstaaten im Bereich der illegalen Einwanderung und des illegalen Aufenthalts ausschließen, die Mitgliedstaaten ihre Rechtsvorschriften in diesem Bereich jedoch so ausgestalten müssen, dass die Wahrung des Unionsrechts gewährleistet ist. Insbesondere dürfen sie keine strafrechtliche Regelung anwenden, die die Verwirklichung der mit dieser Richtlinie verfolgten Ziele gefährden und die Richtlinie damit ihrer praktischen Wirksamkeit berauben könnte (vgl. Urteile vom 28. April 2011, El Dridi, C?61/11 PPU, Slg. 2011, I?3015, Randnrn. 54 und 55, und vom 6. Dezember 2011, Achughbabian, C?329/11, noch nicht in der amtlichen Sammlung veröffentlicht, Randnr. 33).

37 Daraus folgt, dass ein Mitgliedstaat einen Verstoß gegen ein Einreiseverbot, das in den Anwendungsbereich der Richtlinie 2008/115 fällt, nicht strafrechtlich ahnden darf, wenn die Aufrechterhaltung der Wirkungen dieses Verbots nicht mit Art. 11 Abs. 2 dieser Richtlinie im Einklang steht.

38 Daher ist anhand der Umstände der Ausgangsverfahren zu prüfen, ob der genannte Art. 11 Abs. 2 es verbietet, die Wirkung unbefristeter Einreiseverbote, die vor dem Zeitpunkt verhängt wurden, zu dem der betreffende Mitgliedstaat die Richtlinie 2008/115 hätte umsetzen müssen, über die in dieser Bestimmung vorgesehene Höchstdauer eines solchen Verbots, d. h. grundsätzlich fünf Jahre, hinaus aufrechtzuerhalten.

39 Hierzu ist zunächst festzustellen, dass die genannte Richtlinie keine Übergangsbestimmungen für Einreiseverbote enthält, die erlassen wurden, bevor sie anwendbar wurde.

40 Nach ständiger Rechtsprechung des Gerichtshofs gilt indessen eine neue Vorschrift, soweit nichts Abweichendes bestimmt ist, unmittelbar für die künftigen Auswirkungen eines Sachverhalts, der unter der Geltung der alten Vorschrift entstanden ist (vgl. Urteile vom 29. Januar 2002, Pokrzeptowicz-Meyer, C?162/00, Slg. 2002, I?1049, Randnr. 50, vom 10. Juni 2010, Bruno u. a., C?395/08 und C?396/08, Slg. 2010, I?5119, Randnr. 53, und vom 1. März 2012, O’Brien, C?393/10, noch nicht in der amtlichen Sammlung veröffentlicht, Randnr. 25).

41 Daraus ergibt sich, dass die Richtlinie 2008/115 auf nach dem Zeitpunkt, ab dem sie in dem betreffenden Mitgliedstaat anwendbar war, eingetretene Wirkungen von Einreiseverboten, die gemäß den vor diesem Zeitpunkt geltenden innerstaatlichen Vorschriften erlassen wurden, Anwendung findet (vgl. entsprechend Urteil vom 30. November 2009, Kadzoev, C?357/09 PPU, Slg. 2009, I?11189, Randnr. 38).

42 Daher ist bei der Beurteilung, ob die Aufrechterhaltung der Wirkung derartiger Verbote insbesondere hinsichtlich der in Art. 11 Abs. 2 der Richtlinie 2008/115 für Einreiseverbote vorgesehenen Höchstdauer von grundsätzlich fünf Jahren mit dieser Bestimmung vereinbar ist, auch der Zeitraum zu berücksichtigen, in dem dieses Verbot in Kraft war, bevor die Richtlinie 2008/115 anwendbar war (vgl. entsprechend Urteile Kadzoev, Randnr. 36, sowie Bruno u. a., Randnr. 55).

43 Diesen Zeitraum nicht zu berücksichtigen, stünde nicht im Einklang mit dem Ziel des Art. 11 Abs. 2 der Richtlinie 2008/115, das, wie in Randnr. 32 des vorliegenden Urteils festgestellt, darin besteht, zu gewährleisten, dass die Dauer eines Einreiseverbots außer in den im Satz 2 dieser Bestimmung genannten Fällen fünf Jahre nicht überschreitet (vgl. entsprechend Urteil Kadzoev, Randnr. 37).

44 Daraus folgt, dass Art. 11 Abs. 2 der Richtlinie 2008/115 es verbietet, die Wirkungen unbefristeter Einreiseverbote wie der im Ausgangsverfahren fraglichen, die vor dem Zeitpunkt der Anwendbarkeit der Richtlinie 2008/115 verhängt wurden, über die in dieser Bestimmung vorgesehene Höchstdauer des Verbots hinaus aufrechtzuerhalten, es sei denn, diese Verbote wurden gegen Drittstaatsangehörige verhängt, die eine schwerwiegende Gefahr für die öffentliche Ordnung, die öffentliche Sicherheit oder die nationale Sicherheit darstellen.

45 Folglich ist auf die erste und die zweite Frage zu antworten, dass Art. 11 Abs. 2 der Richtlinie 2008/115 dahin auszulegen ist, dass er es verbietet, einen Verstoß gegen ein Verbot, in das Hoheitsgebiet eines Mitgliedstaats einzureisen und sich dort aufzuhalten, das mehr als fünf Jahre vor dem Zeitpunkt verhängt wurde, zu dem der betreffende Drittstaatsangehörige erneut in dieses Hoheitsgebiet eingereist oder die innerstaatliche Regelung zur Umsetzung dieser Richtlinie in Kraft getreten ist, strafrechtlich zu ahnden, es sei denn, dieser Drittstaatsangehörige stellt eine schwerwiegende Gefahr für die öffentliche Ordnung, die öffentliche Sicherheit oder die nationale Sicherheit dar.

Zur vierten Frage

46 Mit seiner vierten Frage möchte das vorlegende Gericht wissen, ob die Richtlinie 2008/115 dahin auszulegen ist, dass sie der Regelung eines Mitgliedstaats entgegensteht, wonach eine Ausweisung oder Abschiebung, die mehr als fünf Jahre vor dem Zeitraum zwischen dem Zeitpunkt, zu dem diese Richtlinie hätte umgesetzt werden müssen, und dem Zeitpunkt, zu dem sie tatsächlich umgesetzt wurde, erfolgte, später erneut als Grundlage für eine strafrechtliche Verfolgung dienen kann, wenn diese Maßnahme im Sinne von Art. 2 Abs. 2 Buchst. b der genannten Richtlinie aufgrund einer strafrechtlichen Sanktion vorgenommen wurde.

Zur Zulässigkeit

47 Die deutsche Regierung hält die vierte Frage für unzulässig, da ihre Beantwortung für die Entscheidung des Herrn Osmani betreffenden Ausgangsverfahrens nicht erforderlich sei. Die Einreise von Herrn Osmani nach Deutschland, die zu der im Ausgangsverfahren in Rede stehenden Strafverfolgung geführt habe, sei nicht in dem Zeitraum zwischen dem Zeitpunkt, zu dem die Richtlinie 2008/115 hätte umgesetzt werden müssen, und dem Zeitpunkt, zu dem sie tatsächlich umgesetzt worden sei, sondern nach letzterem Zeitpunkt erfolgt. Daher komme es nicht darauf an, ob sich die in Art. 2 Abs. 2 Buchst. b dieser Richtlinie vorgesehene Ausnahme in dem genannten Zeitraum habe auswirken können.

48 Hierzu genügt die Feststellung, dass sich die vierte Frage nicht auf die etwaigen Auswirkungen der genannten Ausnahme in dem in der vorstehenden Randnummer genannten Zeitraums bezieht, sondern darauf, wie sich das Bestehen dieses Zeitraums auf die Möglichkeit eines Mitgliedstaats auswirkt, sich nach Inkrafttreten der innerstaatlichen Vorschriften zur Umsetzung dieser Richtlinie auf diese Ausnahme zu berufen. Diese Frage erscheint für die Entscheidung des Rechtsstreits, der Herrn Osmani betrifft, erheblich.

49 Somit ist die vierte Frage des vorlegenden Gerichts zulässig.

Zur Beantwortung der Frage

50 Es ist darauf hinzuweisen, dass die Mitgliedstaaten nach Art. 2 Abs. 2 Buchst. b der Richtlinie 2008/115 beschließen können, diese nicht auf Drittstaatsangehörige anzuwenden, die u. a. nach einzelstaatlichem Recht aufgrund oder infolge einer strafrechtlichen Sanktion rückkehrpflichtig sind (vgl. in diesem Sinne Urteile El Dridi, Randnr. 49, und Achughbabian, Randnr. 41).

51 Hierzu ist darauf hinzuweisen, dass das vorlegende Gericht keine Zweifel daran hat, dass Herr Osmani in den persönlichen Anwendungsbereich der genannten Bestimmung fällt. Aus der Vorlageentscheidung ergibt sich nämlich, dass er zum einen im Jahr 1999 gemäß den Bestimmungen des Ausländergesetzes, die eine Ausweisung von Ausländern vorsahen, die gegen die Vorschriften des deutschen Betäubungsmittelgesetzes verstoßen, unbefristet ausgewiesen wurde. Zum anderen wurde Herr Osmani im Jahr 2004, als er eine Freiheitsstrafe verbüßte, zu der er wegen Handeltreibens mit Betäubungsmitteln verurteilt worden war, mit unbefristeter Wirkung abgeschoben.

52 Macht ein Mitgliedstaat von der in Art. 2 Abs. 2 Buchst. b der Richtlinie 2008/115 vorgesehenen Möglichkeit spätestens bei Ablauf der Frist zur Umsetzung dieser Richtlinie Gebrauch, hat dies zur Folge, dass die darin genannten Drittstaatsangehörigen zu keinem Zeitpunkt vom Anwendungsbereich dieser Richtlinie erfasst werden.

53 Sofern hingegen ein Mitgliedstaat nach Ablauf der genannten Umsetzungsfrist von dieser Möglichkeit noch keinen Gebrauch gemacht hat, insbesondere weil er die Richtlinie 2008/115 noch nicht in seinem nationalen Recht umgesetzt hat, kann er sich nicht auf das Recht berufen, den persönlichen Anwendungsbereich dieser Richtlinie gemäß ihrem Art. 2 Abs. 2 Buchst. b gegenüber Personen einzuschränken, auf die die Wirkungen der Richtlinie bereits anwendbar waren.

54 Unter diesen Umständen kann eine Einschränkung des persönlichen Anwendungsbereichs der Richtlinie 2008/115 gemäß ihrem Art. 2 Abs. 2 Buchst. b, die erst nach Ablauf der Frist zur Umsetzung dieser Richtlinie erfolgt, auch einer Person wie Herrn Osmani nicht entgegengehalten werden, der am 30. Juni 2004 abgeschoben wurde und nach dem Inkrafttreten der nationalen Vorschriften, mit denen von der in der genannten Bestimmung vorgesehenen Möglichkeit Gebrauch gemacht wurde, in das Hoheitsgebiet des betreffenden Mitgliedstaats einreiste.

55 Einer Person wie Herrn Osmani, der sich bereits unmittelbar auf die betreffenden Bestimmungen der Richtlinie 2008/115 berufen konnte, entgegenzuhalten, dass von der in Art. 2 Abs. 2 Buchst. b dieser Richtlinie vorgesehenen Möglichkeit Gebrauch gemacht wurde, hätte nämlich zur Folge, die Situation dieser Person zu verschlechtern.

56 Angesichts der vorstehenden Erwägungen ist auf die vierte Frage zu antworten, dass die Richtlinie 2008/115 dahin auszulegen ist, dass sie der Regelung eines Mitgliedstaats entgegensteht, wonach eine Ausweisung oder Abschiebung, die mehr als fünf Jahre vor dem Zeitraum zwischen dem Zeitpunkt, zu dem diese Richtlinie hätte umgesetzt werden müssen, und dem Zeitpunkt, zu dem sie tatsächlich umgesetzt wurde, erfolgte, später erneut als Grundlage für eine strafrechtliche Verfolgung dienen kann, wenn diese Maßnahme im Sinne von Art. 2 Abs. 2 Buchst. b der genannten Richtlinie aufgrund einer strafrechtlichen Sanktion vorgenommen wurde und der betreffende Mitgliedstaat von der in dieser Bestimmung vorgesehenen Möglichkeit Gebrauch gemacht hat. [...]