Hat der Träger der öffentlichen Jugendhilfe in zulässiger Weise von der Möglichkeit Gebrauch gemacht, die zur Durchführung einer Inobhutnahme notwendigen Sach- und Dienstleistungen gegen Entgelt durch einen Träger der freien Jugendhilfe erbringen zu lassen, bestimmt sich deren Wert grundsätzlich nach dem Entgelt, das die Träger der Jugendhilfe hierfür vereinbart haben.
(Amtlicher Leitsatz)
[...]
2. Aufgrund des Verwaltungsaktes der Inobhutnahme sind Leistungen im Sinne des § 50 Abs. 1 SGB X erbracht worden. Der Leistungsbegriff des § 50 Abs. 1 SGB X erfasst auch die Inobhutnahme (a). Die dem Kläger in Durchführung der Inobhutnahme gewährten geldwerten Sach- und Dienstleistungen wurden aufgrund eines Verwaltungsaktes erbracht (b). Dass sich die Beklagte dabei der Hilfe eines freien Trägers der Jugendhilfe bedient hat, hindert nicht, die Leistungen als von der Beklagten erbracht anzusehen (c).
a) Leistungen im Sinne des § 50 SGB X sind alle durch Geld-, Sach- oder Dienstleistungen bewirkten Vermögensverschiebungen, die ein Leistungsträger in Wahrnehmung seiner öffentlich-rechtlichen Verwaltungsaufgaben nach dem Sozialgesetzbuch einem Bürger erbracht hat. Denn gemäß § 1 Abs. 1 Satz 1 SGB X gilt auch § 50 SGB X für die gesamte öffentlich-rechtliche Verwaltungstätigkeit der Behörden, die nach dem Sozialgesetzbuch ausgeübt wird. Der Leistungsbegriff des § 50 SGB X umfasst dementsprechend nicht nur die Sozialleistungen im Sinne von § 11 und §§ 18 bis 29 SGB I, bei denen ein Leistungsträger eine Vermögensverschiebung zugunsten eines Bürgers zur Erfüllung eines vermeintlich bestehenden sozialen Rechts vornimmt, und zu denen die Inobhutnahme als solche - wie dargelegt - nicht gehört. Vielmehr ist für die Annahme einer Leistung im Sinne des § 50 SGB X erforderlich, aber auch ausreichend, dass der Leistungsträger einem Bürger eine Geld-, Sach- oder Dienstleistung in Ausführung einer ihm nach dem Sozialgesetzbuch zugewiesenen Aufgabe erbracht hat (vgl. BSG, Urteile vom 7. September 2006 - B 4 RA 43/05 R - BSGE 97, 94 und vom 1. Februar 1995 - 6 RKa 9/94 - SozR 3-2500 § 76 Nr. 2).
Dieses weite Verständnis ist vom Wortlaut des § 50 Abs. 1 SGB X gedeckt und wird vom Sinn und Zweck der Norm, das ohne Rechtsgrundlage Erlangte abzuschöpfen, gefordert. Insbesondere wird dieses Auslegungsergebnis durch systematische Erwägungen getragen. So sind in § 50 Abs. 2a SGB X ausdrücklich auch "Leistungen zur Förderung von Einrichtungen" erwähnt, die ebenfalls keine Sozialleistungen im Sinne von § 11 SGB I sind. Zudem zeigt auch § 91 Abs. 1 Nr. 7 SGB VIII i.V.m. § 92 Abs. 1 Nr. 1 SGB VIII, wonach Kinder und Jugendliche zu den Kosten der Inobhutnahme (§ 42 SGB VIII) heranzuziehen sind, dass der Gesetzgeber dasjenige, was dem Hilfeempfänger auf der Grundlage einer Inobhutnahme zugewandt wird, der Sache nach als ausgleichsfähigen und ausgleichsbedürftigen geldwerten Vorteil ansieht. Das Argument des Klägers, dass es sich bei der Inobhutnahme nur um eine Eingriffsmaßnahme handelt, greift nicht durch.
In Anwendung dieser rechtlichen Vorgaben handelt es sich bei der mit der Inobhutnahme verbundenen Unterkunft, Verpflegung und sozialpädagogischen Betreuung des Klägers um Leistungen im Sinne des § 50 Abs. 1 SGB X.
b) Aus der systematischen Betrachtung der Vorschrift folgt, dass § 50 Abs. 1 SGB X eine Leistung aufgrund eines Verwaltungsaktes voraussetzt. Denn § 50 Abs. 2 SGB X erfasst ausdrücklich die Fälle der Leistungserbringung "ohne Verwaltungsakt" und bildet damit das Gegenstück zu § 50 Abs. 1 SGB X, der die Leistung "mit Verwaltungsakt" zum Gegenstand hat. Erbracht ist eine Leistung im Sinne von § 50 Abs. 1 SGB X, wenn sie dem Leistungsempfänger zur Erfüllung einer Leistungsverpflichtung bzw. eines Leistungsanspruchs in einem öffentlich-rechtlichen Leistungsverhältnis zwischen dem Leistungsberechtigten und dem Leistungsträger zugewandt worden ist (vgl. BSG, Urteile vom 30. Januar 2002 - B 5 RJ 26/01 R - SozR 3- 1300 § 50 Nr. 25; vom 24. Juli 2001 - B 4 RA 102/00 R - SozR 3-1300 § 50 Nr. 24 und vom 28. Juni 1991 - 11 RAr 47/90 - SozR 3-1300 § 50 Nr. 10). In diesem Sinne sind dem Kläger aufgrund der Inobhutnahme Leistungen erbracht worden.
Zwar ist kein ausdrücklicher Leistungsbescheid ergangen, wie es für die Fälle des § 50 Abs. 1 SGB X typisch ist. Allerdings ist mit der Inobhutnahme insoweit eine Leistungsverpflichtung des Jugendamtes der beklagten Stadt verbunden, als dieses gemäß § 42 Abs. 1 Satz 5 SGB VIII für das Wohl des Klägers zu sorgen hat. Die Beklagte hat von Gesetzes wegen die Unterbringung, Verpflegung und sozialpädagogische Betreuung des Klägers während der Zeit der Inobhutnahme zu gewährleisten (vgl. § 42 Abs. 1 Satz 2 SGB VIII). Dass der Kläger entsprechende Zuwendungen in Form von Sach- und Dienstleistungen zur Erfüllung der zuvor genannten Verpflichtung tatsächlich erhalten hat, steht nicht im Streit.
c) Die dem Kläger in Durchführung der Inobhutnahme in der Einrichtung eines freien Trägers der Jugendhilfe gewährte Unterkunft, Verpflegung und sozialpädagogische Betreuung sind als Leistungen der Beklagten anzusehen. Denn sie wurden im Auftrag der Beklagten zweckgerichtet zur Durchführung der Inobhutnahme erbracht.
Ein Träger der öffentlichen Jugendhilfe hat Leistungen im Sinne des § 50 Abs. 1 SGB X erbracht, wenn er diese - hier in Wahrnehmung einer ihm nach dem Achten Buch Sozialgesetzbuch obliegenden Aufgabe - entweder unmittelbar selbst erbracht hat oder mittelbar durch einen Dritten hat erbringen lassen. Zwar richtet sich die Berechtigung und Verpflichtung zur Inobhutnahme im Sinne des § 42 SGB VIII an den Träger der öffentlichen Jugendhilfe mit der Folge, dass dieser im Verhältnis zum Hilfeempfänger in der Pflicht und Verantwortung steht. Aus der Organisations- und Personalhoheit folgt aber das Recht des Trägers der öffentlichen Jugendhilfe zu bestimmen, wie er die seiner Zuständigkeit unterliegenden Aufgaben im Einzelnen wahrnimmt und deren ordnungsgemäße und effektive Erledigung sicherstellt. Dies schließt grundsätzlich die Entscheidung darüber ein, ob eine bestimmte Sach- und Dienstleistung durch eigene Mitarbeiter erbracht oder ein Dritter mit der Durchführung einer Aufgabe beauftragt wird. Letzteres ist dem Träger der öffentlichen Jugendhilfe verwehrt, wenn die Übertragung der Aufgabenwahrnehmung auf Dritte im Einzelfall gesetzlich ausdrücklich oder sie aus anderen Gründen ausgeschlossen ist, etwa weil eine ordnungsgemäße Aufgabenerfüllung nach der Natur der Aufgabe oder ihren inhaltlichen oder organisatorischen Anforderungen nur durch Mitarbeiter des Trägers der öffentlichen Jugendhilfe gewährleistet ist (vgl. Urteil vom 22. Oktober 2009 - BVerwG 5 C 16.08 - BVerwGE 135, 150 = Buchholz 436.511 § 37 KJHG/SGB VIII Nr. 1 Rn. 17). Beides ist hinsichtlich der hier in Rede stehenden Gewährung von Unterkunft, Verpflegung und sozialpädagogischer Betreuung des in Obhut genommenen Klägers nicht der Fall.
Das Gesetz sieht ausdrücklich vor, dass die Träger der öffentlichen Jugendhilfe anerkannte Träger der freien Jugendhilfe an der Durchführung der Inobhutnahme gemäß § 42 SGB VIII als eine andere Aufgabe der Jugendhilfe beteiligen oder ihnen diese Aufgabe zur Ausführung übertragen können (vgl. § 76 Abs. 1 SGB VIII). Die Arbeiterwohlfahrt gehört zu den anerkannten Trägern der freien Jugendhilfe. Die in Durchführung der Inobhutnahme zu gewährende Unterkunft, Verpflegung und Betreuung des in Obhut Genommenen sind weder in inhaltlicher noch in organisatorischer Hinsicht von solcher Art und Qualität, dass sie in der Regel nicht auch von einem Träger der freien Jugendhilfe mit entsprechend fachlich qualifiziertem Personal erfüllt werden können (vgl. Urteil vom 22. Oktober 2009 a.a.O. Rn. 17).
Dass ein Träger der öffentlichen Jugendhilfe grundsätzlich befugt ist, sich zur Erfüllung der ihm obliegenden Aufgabe der Inobhutnahme der Hilfe Dritter zu bedienen, entspricht auch dem Subsidiaritätsgrundsatz in § 4 Abs. 2 SGB VIII. Danach soll die öffentliche Jugendhilfe von eigenen Maßnahmen absehen, soweit geeignete Einrichtungen, Dienste und Veranstaltungen von anerkannten Trägern der freien Jugendhilfe betrieben werden oder rechtzeitig geschaffen werden können. Die Erfüllung dieser Verpflichtung setzt aber zwingend voraus, dass der Träger der öffentlichen Jugendhilfe einem anerkannten Träger der freien Jugendhilfe die Durchführung von Aufgaben der Jugendhilfe überlässt. Der Vorrang des § 4 Abs. 2 SGB VIII erfasst grundsätzlich alle Handlungsfelder der Jugendhilfe, also auch die Inobhutnahme nach § 42 SGB VIII (vgl. vgl. Urteil vom 22. Oktober 2009 a.a.O. Rn. 18 m.w.N.).
3. Der Verwaltungsakt der Inobhutnahme wurde mit Wirkung für die Vergangenheit zurückgenommen. Als ein sowohl belastende als auch begünstigende Wirkungen entfaltender Verwaltungsakt unterliegt die Rücknahme der Inobhutnahme den Voraussetzungen des § 45 Abs. 1 i.V.m. Abs. 2 bis 4 SGB X für die Rücknahme von begünstigenden Verwaltungsakten (a). Diese Voraussetzungen sind hier erfüllt (b). Die Beklagte hat im Ergebnis auch das ihr eingeräumte Ermessen bezüglich des "Ob" der Rücknahme fehlerfrei ausgeübt (c).
a) Bei der Inobhutnahme handelt es sich um einen Verwaltungsakt mit sowohl belastender als auch begünstigender Wirkung.
Nach der Legaldefinition in § 45 Abs. 1 SGB X ist ein begünstigender Verwaltungsakt ein Verwaltungsakt, der ein Recht oder einen rechtlich erheblichen Vorteil begründet oder bestätigt hat. Ein belastender Verwaltungsakt ist demgegenüber ein Verwaltungsakt, mit dem in ein Recht eingegriffen oder eine Begünstigung verweigert wird. Ob es sich bei einem Verwaltungsakt in einem - wie hier - mehrpoligen Verwaltungsrechtsverhältnis um einen begünstigenden oder belastenden Verwaltungsakt handelt, ist allein nach der Wirkung beim Adressaten zu beurteilen (vgl. Urteil vom 9. Mai 2012 - BVerwG 6 C 3.11 - BVerwGE 143, 87 = Bucholz 442.066 § 37 TKG Nr. 4 Rn. 46 m.w.N.). Für den Kläger als Adressaten der Inobhutnahme kommt dieser insoweit belastende Wirkung zu, als der Kläger - wie dargelegt - verpflichtet ist, sich der Obhut zu unterstellen und den Anweisungen des Jugendamtes im Hinblick auf seine Anwesenheit in der Einrichtung zu folgen. Begünstigend wirkt sich die Inobhutnahme aus, weil sie Voraussetzung dafür ist, dass der Kläger von der Einrichtung des freien Trägers aufgenommen wird und dort für die Dauer der Inobhutnahme Unterkunft, Verpflegung und sozialpädagogische Betreuung erhält.
Verwaltungsakte mit einer derartigen Mischwirkung sind insgesamt als begünstigend zu behandeln und den strengeren Rücknahmevoraussetzungen des § 45 Abs. 1 i.V.m. Abs. 2 bis 4 SGB X zu unterstellen, sofern sich begünstigende und belastende Elemente - wie hier - nicht voneinander trennen lassen (vgl. Urteil vom 9. Mai 2012 a.a.O. Rn. 47 m.w.N.).
b) Nach § 45 Abs. 1, Abs. 2 Satz 3 Nr. 2 und Abs. 4 SGB X kann der Leistungsträger einen rechtswidrigen (aa) Verwaltungsakt mit Mischwirkung ganz oder teilweise mit Wirkung für die Vergangenheit zurücknehmen, wenn der Begünstigte deswegen nicht auf den Bestand des Verwaltungsaktes vertrauen durfte, weil dieser auf Angaben beruht, die er vorsätzlich in wesentlicher Beziehung unrichtig gemacht hat (bb). Die Rücknahme ist innerhalb eines Jahres seit Kenntnis der die Rücknahme rechtfertigenden Tatsachen auszusprechen (cc). Diese Voraussetzungen liegen hier vor.
aa) Das Oberverwaltungsgericht hat - was auch zwischen den Beteiligten nicht im Streit steht - zu Recht dahin erkannt, dass die auf § 42 SGB VIII gestützte Inobhutnahme des Klägers rechtswidrig war. 37 Nach § 42 Abs. 3 Satz 1 SGB VIII ist das Jugendamt verpflichtet, ein Kind oder einen Jugendlichen in seine Obhut zu nehmen, wenn eine dringende Gefahr für das Wohl des Kindes oder des Jugendlichen die Obhutnahme erfordert. Ein derartiger Fall kann vorliegen, wenn ein ausländisches Kind oder ein ausländischer Jugendlichen unbegleitet nach Deutschland kommt und sich weder Personensorge- noch Erziehungsberechtigte im Inland aufhalten. Kind ist, wer noch nicht 14 Jahre alt ist (vgl. § 7 Abs. 1 Nr. 1 SGB VIII). Jugendlicher ist, wer 14, aber noch nicht 18 Jahre alt ist (vgl. § 7 Abs. 1 Nr. 2 SGB VIII). Nach den Feststellungen des Oberverwaltungsgerichts war der Kläger - wie dargelegt - im Zeitpunkt der Inobhutnahme bereits 23 Jahre alt und damit weder Kind noch Jugendlicher. Dem steht § 33a Abs. 1 SGB I nicht entgegen, weil diese Vorschrift - wie dargelegt - nur bei Sozialleistungen im Sinne des § 11 Abs. 1 SGB I anwendbar ist, zu denen die Inobhutnahme nicht gehört.
bb) Das Oberverwaltungsgericht hat in revisionsgerichtlich nicht zu beanstandender Weise angenommen, dass das Vertrauen des Klägers nicht schutzwürdig ist und die Inobhutnahme mit Wirkung für die Vergangenheit (§ 45 Abs. 4 Satz 1 SGB X) zurückgenommen werden durfte, weil diese - auf der Grundlage der nicht mit Verfahrensrügen angegriffenen und damit für den Senat bindenden Feststellungen des Oberverwaltungsgerichts - im Sinne des § 45 Abs. 2 Satz 3 Nr. 2 SGB X auf einer vorsätzlich falschen Altersangabe des Klägers beruhte. Dies steht zwischen den Beteiligten gleichfalls nicht im Streit.
cc) Zwischen den Beteiligten ist auch zu Recht nicht streitig, dass die Beklagte die Jahresfrist des § 45 Abs. 4 Satz 2 SGB X eingehalten hat.
c) Das Oberverwaltungsgericht hat im Ergebnis auch zutreffend festgestellt, dass die Beklagte das ihr eingeräumte Ermessen bezüglich des "Ob" der Rücknahme fehlerfrei ausgeübt hat.
Die auf § 45 Abs. 1 und 4 SGB X gestützte Rücknahme eines von Anfang an rechtswidrigen Verwaltungsaktes mit Wirkung für die Vergangenheit steht im Ermessen des Trägers der öffentlichen Jugendhilfe. Die Ermessensentscheidung erfordert eine sachgerechte Abwägung des öffentlichen Interesses an der Herstellung gesetzmäßiger Zustände mit dem privaten Interesse des Adressaten an der Aufrechterhaltung eines rechtswidrigen Verwaltungsaktes. Die Prinzipien der Gesetzmäßigkeit der Verwaltung und der Bestandskraft von Verwaltungsakten stehen dabei gleichberechtigt nebeneinander. Dies gilt auch, wenn eine Berufung auf Vertrauensschutz nach § 45 Abs. 2 Satz 3 SGB X ausscheidet (vgl. Urteil vom 14. März 2013 - BVerwG 5 C 10.12 - zur Veröffentlichung in Buchholz vorgesehen = juris Rn. 29 m.w.N.). Maßgeblich sind insoweit die Erwägungen im Widerspruchsbescheid. Denn eine behördliche Entscheidung, deren Recht- und Zweckmäßigkeit - wie hier - durch die Widerspruchsbehörde nachgeprüft werden kann, erhält gemäß § 79 Abs. 1 Nr. 1 VwGO erst durch den Widerspruchsbescheid ihre für das gerichtliche Verfahren maßgebliche Gestalt (vgl. zuletzt Urteil vom 14. März 2013 a.a.O. Rn. 39 m.w.N.).
Zwar ist im Rahmen der Ermessensausübung nach § 45 Abs. 1 Satz 1 SGB X auch zu entscheiden, ob der Verwaltungsakt ganz oder teilweise zurückgenommen wird. Des Weiteren sind gegebenenfalls die Folgen, die sich aus der Rücknahme für den Betroffenen ergeben (hier: Geltendmachung eines Erstattungsanspruchs in Höhe von 9 056,98 €) in den Blick zu nehmen. Beides führt aber nicht dazu, dass im Rahmen der Ermessensausübung nach § 45 Abs. 1 und 4 SGB X eine Ermessensentscheidung über den Umfang der nach § 50 Abs. 1 SGB X zu erstattenden Leistungen zu treffen ist. Die gegenteilige Auffassung des Oberverwaltungsgerichts ist mit Bundesrecht nicht vereinbar. Sie vermischt die Rücknahme nach § 45 SGB X einerseits mit dem Erstattungsanspruch des § 50 Abs. 1 SGB X andererseits in einer nicht zulässigen Weise. Sobald der Verwaltungsakt zurückgenommen worden ist, steht dem Leistungsträger nach dem klaren und eindeutigen Wortlaut des § 50 Abs. 1 Satz 1 SGB X ("... sind bereits erbrachte Leistungen zu erstatten.") kein Ermessen zu, ob und in welchem Umfang er den Erstattungsanspruch geltend macht (vgl. BSG, Urteil vom 22. April 1987 - 10 RKg 16/85 - SozR 1300 § 50 Nr. 16).
In Anwendung dieser Rechtsgrundsätze ist die Ausübung des Rücknahmeermessens durch die Beklagte im Ergebnis revisionsrechtlich nicht zu beanstanden. Der Beklagten war ausweislich des Widerspruchsbescheides bewusst, dass ihr Ermessen zusteht, und sie hat dieses erkennbar ausgeübt. Sie hat sich bei der Ausübung des Ermessens gemäß § 39 Abs. 1 Satz 1 SGB I am Zweck der Ermächtigung orientiert. Sie hat das Interesse des Klägers an der Bestandskraft der rechtswidrigen Inobhutnahme mit dem öffentlichen Interesse an der Wiederherstellung des rechtmäßigen Zustandes abgewogen. Letzteres schließt die Einbeziehung fiskalischer Interessen nicht aus (vgl. zuletzt Urteil vom 14. März 2013 a.a.O. Rn. 40 m.w.N.). Daher ist es nicht zu beanstanden, dass sich die Beklagte von dem Gedanken hat leiten lassen, das Interesse des Klägers an der Bestandskraft der rechtswidrigen Inobhutnahme habe hinter das öffentliche Interesse an einer wirtschaftlichen und sparsamen Verwendung öffentlicher Haushaltsmittel zurückzutreten. Sonstige Gründe, aus denen die Rücknahme eine Härte bedeuten würde oder aus denen von einer Rücknahme abgesehen werden sollte, seien nicht ersichtlich. Da der Kläger bis zum Abschluss des Widerspruchsverfahrens keine für die Ermessensausübung relevanten Gesichtspunkte vorgetragen hat, konnte sich die Beklagte auch auf diese knappe allgemeine Interessenabwägung beschränken.
4. Der Erstattungsanspruch nach § 50 Abs. 1 SGB X ist ein Anspruch auf Wertersatz und bemisst sich grundsätzlich nach dem Entgelt, das die Beklagte aufgrund der zwischen ihr und dem Träger der freien Jugendhilfe geschlossenen Entgeltvereinbarung an diesen für die Sach- und Dienstleistungen gezahlt hat.
Die zu erstattenden Leistungen sind in Geld festzusetzen (vgl. § 50 Abs. 1 Satz 2 SGB X). Dies macht eine Bewertung der erbrachten Sach- und Dienstleistungen in Geld erforderlich. Das Gesetz enthält keine ausdrückliche Regelung darüber, wie eine Umrechnung der erbrachten Sach- und Dienstleistungen in einen Geldbetrag zu erfolgen hat. Hat der Träger der öffentlichen Jugendhilfe - wie hier - im Einklang mit dem Gesetz von der Möglichkeit Gebrauch gemacht, die ihm nach dem Gesetz obliegenden Sach- und Dienstleistungen gegen Entgelt durch einen Träger der freien Jugendhilfe erbringen zu lassen, bestimmt sich deren Wert grundsätzlich nach dem Entgelt, das die Träger der Jugendhilfe hierfür vereinbart haben. Denn das vereinbarte Entgelt spiegelt in der Regel den objektiven Wert wider, der den Leistungen bei ihrer Gewährung im maßgebenden Gebiet zukommt.
Dafür spricht, dass sich die Träger der öffentlichen und freien Jugendhilfe als gleichberechtigte und sachkundige Vertragspartner gegenüberstehen. Dies bietet die Gewähr dafür, dass das von ihnen ausgehandelte und vereinbarte Entgelt grundsätzlich den für die Leistungen während des Leistungszeitraums im maßgebenden Gebiet üblichen Wert abbildet. Hinzu kommt, dass das vereinbarte Entgelt von dem Träger der öffentlichen Jugendhilfe unabhängig davon zu entrichten ist, ob ihm gegebenenfalls ein Erstattungsanspruch nach § 50 Abs. 1 SGB X zusteht. Daher ist zu erwarten, dass der Träger der öffentlichen Jugendhilfe sich nicht zur Zahlung eines Entgelts verpflichtet, das außerhalb der Bandbreite der Entgelte anderer Einrichtungsträger im maßgebenden Gebiet liegt. Diese Annahme wird dadurch bestätigt, dass das Achte Buch Sozialgesetzbuch den Entgeltvereinbarungen von Trägern der öffentlichen und freien Jugendhilfe eine besondere Bedeutung zuweist. Das Gesetz verpflichtet die Träger der öffentlichen Jugendhilfe zum Abschluss von Entgeltvereinbarungen, wenn diese Einrichtungen und Dienste der Träger der freien Jugendhilfe für die Gewährung der in § 78a Abs. 1 SGB VIII aufgeführten Leistungen in Anspruch nehmen. Eine derartige Verpflichtung besteht nach § 78a Abs. 2 SGB VIII für andere Leistungen nach dem Achten Buch Sozialgesetzbuch und die Inobhutnahme nach § 42 SGB VIII, sofern das Landesrecht dies bestimmt. Macht das Landesrecht von der Ermächtigung des § 78a Abs. 2 SGB VIII - wie hier - keinen Gebrauch, haben die Träger der öffentlichen Jugendhilfe nach § 77 Satz 1 SGB VIII derartige Vereinbarungen zumindest anzustreben. Die Entgeltvereinbarungen sollen im Bereich der stationären und teilstationären Leistungen der Kinder- und Jugendhilfe zu einer Kostendämpfung beitragen, eine stärkere Transparenz von Kosten und Leistungen schaffen und die Effizienz der eingesetzten Mittel verbessern (vgl. BTDrucks 13/10330 S. 16).
Die gerichtliche Prüfung beschränkt sich auf eine Plausibilitäts- und Willkürkontrolle des vereinbarten Entgelts, d.h. das Gericht prüft, ob bei einer überschlägigen Betrachtung Anhaltspunkte bestehen, dass das vereinbarte Entgelt willkürlich gegriffen oder wirklichkeitsfremd ist und daher ausnahmsweise nicht den objektiven Wert der Leistungen darstellt. Indiz hierfür kann beispielweise ein überhöhter Rechnungsposten oder ein Entgelt sein, das erheblich über dem mit anderen Trägern Vereinbarten liegt. Die Feststellungen des Oberverwaltungsgerichts ermöglichen dem Senat keine abschließende Beurteilung, ob das vereinbarte pauschale Entgelt, dessen Berechtigung der Kläger in Zweifel gezogen hat, im zu entscheidenden Rechtsstreit ausnahmsweise nicht dem im fraglichen Zeitraum für Unterkunft, Verpflegung und sozialpädagogische Betreuung in einer Einrichtung Üblichen entspricht. Der Rechtsstreit ist deshalb an das Oberverwaltungsgericht zurückzuverweisen, damit es die erforderlichen Feststellungen treffen kann. [...]