VG Berlin

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Zitieren als:
VG Berlin, Urteil vom 19.11.2013 - 11 K 391.13 - asyl.net: M21468
https://www.asyl.net/rsdb/M21468
Leitsatz:

Ein Zusammenhang der beabsichtigten selbständigen Tätigkeit mit den in der Hochschulausbildung erworbenen Kenntnissen besteht nicht nur dann, wenn die Tätigkeit in der Weise auf Studieninhalte aufbaut, dass sie ohne dieses Wissen nicht ausgeübt werden könnte. Vielmehr reicht es aus, wenn der Schwerpunkt der Selbständigkeit durch die Kenntnisse aus dem Studium nicht nur unerheblich gefördert werden kann. Nur Tätigkeiten, die keinen Bezug zu Studieninhalten aufweisen oder denen in den Geschäftsabläufen nur eine untergeordnete Rolle zukommt, sind von der Privilegierung in § 21 Abs. 2a AufenthG ausgenommen.

Schlagwörter: Studium, selbständige Erwerbstätigkeit, Elektrotechnik, Import, Geschäftskonzept, Zusammenhang mit der Hochschulausbildung, Hochschulabschluss,
Normen: AufenthG § 21 Abs. 2 a, AufenthG § 21,
Auszüge:

[...]

Anspruchsgrundlage ist § 21 Abs. 2a des Aufenthaltsgesetzes (AufenthG). Danach kann einem Ausländer, der sein Studium an einer staatlichen Hochschule im Bundesgebiet erfolgreich abgeschlossen hat (1.), eine Aufenthaltserlaubnis zur Ausübung einer selbstständigen Tätigkeit erteilt werden (2.). Die beabsichtigte selbständige Tätigkeit muss einen Zusammenhang mit den in der Hochschulausbildung erworbenen Kenntnissen erkennen lassen (3.).

1. Die Klägerin ist Absolventin einer staatlichen Hochschule, weil sie am 23. Januar 2012 ihr Elektrotechnikstudium an der Technischen Universität Berlin abschloss.

2. Das Gericht hat keine Zweifel daran, dass die Klägerin (weiterhin) beabsichtigt, eine selbstständige Tätigkeit durch ihr Unternehmen, die D. GmbH, auszuüben. Der Einwand der beklagten Ausländerbehörde, die Klägerin habe nach der Gründung des Unternehmens im Februar 2013 bislang keine Geschäftstätigkeit aufgenommen, was Zweifel an dem von ihr geltend gemachten Aufenthaltszweck aufkommen ließe, vermag nicht zu überzeugen. Denn angesichts der Unsicherheit, ob die Ausländerbehörde der Klägerin für ihre Selbstständigkeit eine Aufenthaltserlaubnis erteilen würde, ist es nachvollziehbar, dass sie zunächst den Ausgang des ausländerrechtlichen Verfahrens abwarten wollte. Andernfalls hätte die – im Rückblick auch durchaus berechtigte – Gefahr bestanden, dass sie geschäftlich tätig wurde, Waren einkaufte, Investitionen vornahm und vertragliche Verpflichtungen einging, diese Tätigkeiten bei einer Versagung der Aufenthaltserlaubnis sich nicht nur als sinnlos, sondern die Klägerin unter Umständen erheblich finanziell belastend darstellten. Dass sie dieses Ausfallrisiko vermeiden wollte, indem sie zunächst das ausländerrechtliche Verfahren abwartete, kann ihr nicht entgegengehalten werden. Darüber hinaus ist ein Motiv der Klägerin, über ihre wahren Aufenthaltszwecke zu täuschen, nicht ersichtlich. Als Hochschulabsolventin steht ihr unter erleichterten Bedingungen eine Aufenthaltserlaubnis zu, eine Täuschung über eine selbständige Tätigkeit würde nach relativ kurzer Zeit bekannt werden, weil sie keine Ertragsunterlagen und entsprechenden Steuerbescheide vorlegen könnte, sie könnte sich dadurch nach § 95 Abs. 2 Nr. 2 AufenthG strafbar machen und so wegen des Verwirklichens von Ausweisungsgründen ihren weiteren Aufenthalt im Bundesgebiet gefährden. Aufgrund ihrer guten Berufsausbildung und mangels jeglicher gegenteiliger Indizien spricht nichts dafür, dass die Klägerin um jeden Preis im Bundesgebiet verbleiben möchte. Ernstliche Zweifel am geltend gemachten Aufenthaltszweck ergeben sich ferner nicht aus der Stellungnahme der Industrie- und Handelskammer Berlin (IHK) vom 20. Juli 2013, wonach das von der Klägerin vorgelegte Geschäftskonzept nicht ausreichend tragfähig, sondern sehr vage und allgemein gehalten sei. Damit stehen zwar möglicherweise die Voraussetzungen für eine Aufenthaltserlaubnis zur Ausübung einer selbstständigen Tätigkeit nach § 21 Abs. 1 AufenthG nicht fest, dass es der Klägerin aber von vornherein nicht darauf ankommt, im Bundesgebiet selbstständig tätig zu werden, lässt sich daraus nicht schließen

3. Des Weiteren lässt die beabsichtigte selbständige Tätigkeit, nämlich der Import von Mikro- und Servomotoren und der Export von Gebläsemotoren und Anlagetechnik, einen Zusammenhang mit den in der Hochschulausbildung erworbenen Kenntnissen aus der Elektrotechnik im Sinne von § 21 Abs. 2a Satz 2 AufenthG erkennen.

Die Klägerin beabsichtigt mit ihrer selbstständigen Tätigkeit schwerpunktmäßig, Mikro- und Servomotoren zu importieren sowie Gebläsemotoren und Anlagetechnik zu exportieren, wobei der Fokus auf dem Handel mit Motoren liegt. Dies ergibt sich maßgeblich aus dem vorgelegten Geschäftskonzept vom 27. Mai 2013.

Soweit dort wenig spezifisch von der Ausfuhr von Kfz-Teilen die Rede ist, handelt es sich dabei jedenfalls nicht um den Kern des geplanten Geschäfts. Bestätigt wird dies auch durch die weiteren Angaben der Klägerin gegenüber der IHK, in dem sie als Gegenstände ihres beabsichtigten Handels Mikro-, Servo-, Getriebe- und Schrittmotoren sowie Pumpen benennt. Anhaltspunkte, es könne sich dabei allein um verfahrensangepasstes Vorbringen handeln, bestehen nicht, weil die Klägerin diese Erklärungen zu einem Zeitpunkt abgab, als sie noch nicht mit der Versagung der Aufenthaltserlaubnis rechnen musste. Vor diesem Hintergrund kommen den Angaben zum Geschäftsgegenstand im Gesellschaftervertrag und in der Gewerbeanmeldung keine entscheidende Bedeutung zu, weil sich aus dem Geschäftskonzept hinreichend ergibt, dass die in jenen Dokumenten angegebene Tätigkeit "Handel, Import und Export von Waren verschiedener Art, insbesondere Autoteile- und Zubehör, mechanische und elektronische Produkte die Mikro- und Servomotoren und Anlagen verschiedener Art" nur im sehr Groben den Geschäftszweck umreißt und der Klägerin zudem die Möglichkeit eröffnet, am Rande außerhalb des Handels mit Motoren geschäftlich tätig zu werden. Eine solche gewerbe- und gesellschaftsrechtlich weit gefasste Formulierung ist hier unschädlich.

Diese Tätigkeit lässt einen Zusammenhang mit dem Studium der Elektrotechnik erkennen. Ein solcher Zusammenhang besteht nicht nur dann, wenn die Tätigkeit in der Weise auf Studieninhalten aufbaut, dass sie ohne dieses Wissen nicht ausgeübt werden könnte (z.B. bei Forschung und Entwicklung). Vielmehr reicht aus, dass der Schwerpunkt der Selbstständigkeit durch die Kenntnisse aus dem Studium nicht nur unerheblich gefördert werden kann. Nur Tätigkeiten, die keinen Bezug zu Studieninhalten aufweisen oder denen in den Geschäftsabläufen nur eine untergeordnete Rolle zukommt, sind von der Privilegierung in § 21 Abs. 2a AufenthG ausgenommen. Ein derart weit gefasster Anwendungsbereich der Vorschrift ergibt sich bereits aus dem Wortlaut von § 21 Abs. 2a Satz 2 AufenthG, worin es heißt "Die beabsichtigte Tätigkeit muss einen Zusammenhang […] erkennen lassen". Die Formulierung "erkennen lassen" zeigt, dass nicht ein strenger Kausalzusammenhang zwischen Studium und Geschäftstätigkeit bestehen muss, sondern auch losere Bezüge zwischen beiden ausreichen. Sollte der Gesetzgeber dagegen nur Ersteres gewollt haben, läge es nahe, dass er dann den Ausdruck "ein Zusammenhang besteht" verwendet hätte. Ferner spricht der Zweck der Vorschrift für ihr weites Verständnis, weil damit der Aufenthalt zur selbständigen Erwerbstätigkeit erleichtert werden soll, damit hier ausgebildete, junge Hochqualifizierte in Deutschland verbleiben und nicht ins Ausland abwandern (vgl. Fehrenbacher, HTK-AuslR, § 21 AufenthG, zu Abs. 2a, 08/2012). Auch in den Gesetzgebungsmaterialien zum "Gesetz zur Umsetzung der Hochqualifizierten-Richtlinie der Europäischen Union", mit dem § 21 Abs. 2a in das Aufenthaltsgesetz eingefügt wurde, ist dieser Gesetzeszweck explizit genannt (BT-Drs. 17/9436, S. 16; vgl. auch 892. Sitzung des BRates am 10. Februar 2012 zur BR-Drs. 848/11, S. 61 ff.).

Ein Zusammenhang zwischen dem von der Klägerin geplanten Handel mit Motoren und dem Studium der Elektrotechnik ist erkennbar, weil diese Handelstätigkeit durch die spezifischen Kenntnisse der Klägerin über die von ihr vertretenen Produkte gefördert wird. Dass Inhalte des Elektrotechnikstudiums das Verständnis von Funktionsweise, Einsatzgebiet, Nutzen und Risiko bestimmter Motoren erleichtern, liegt auf der Hand, zumal die Abschlussarbeit der Klägerin von Mikromotoren und deren Ansteuerung handelt. Mit diesem Wissen ist es ihr möglich, für ihre Kunden spezifische Lösungen zu erarbeiten, ihnen die passenden, aber auch für den Einsatzbereich günstigsten Motoren zu verschaffen, die Vorteile ihrer Produkte anzupreisen oder auf Nachteile von Konkurrenzprodukten hinzuweisen. [...]