VG Saarland

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Zitieren als:
VG Saarland, Urteil vom 09.01.2014 - 6 K 945/13 - asyl.net: M21510
https://www.asyl.net/rsdb/M21510
Leitsatz:

Der Wohnsitzauflage zur Aufenthaltserlaubnis eines Sozialhilfe beziehenden Ausländers, der subsidiär schutzberechtigt ist, stehen weder die Bestimmungen der Genfer Flüchtlingskonvention noch die Bestimmungen der Richtlinie 2011/95/EK des Europäischen Parlaments und des Rates vom 13.12.2011 entgegen.

(Amtlicher Leitsatz)

Schlagwörter: Wohnsitzauflage, Sozialleistungen, Sozialhilfebezug, subsidiärer Schutz, Genfer Flüchtlingskonvention, Qualifikationsrichtlinie, Residenzpflicht, notwendige Sozialhilfe,
Normen: AufenthG § 12 Abs. 2 S. 2, RL 2004/83/EG Art. 32, RL 2004/83/EG Art. 28, RL 2004/83/EG Art. 28 Abs. 1,
Auszüge:

[...]

Rechtliche Grundlage für die wohnsitzbeschränkenden Auflagen ist § 12 Abs. 2 Satz 2 AufenthG. Danach kann eine Aufenthaltserlaubnis, auch nachträglich, mit Auflagen, insbesondere einer räumlichen Beschränkung, verbunden werden. Diese Befugnis umfasst auch die Erteilung einer Wohnsitzauflage, weil diese gegenüber der in der Vorschrift ausdrücklich genannten räumlichen Beschränkung der Aufenthaltserlaubnis einen geringeren Eingriff darstellt. Sie ordnet zwar eine Residenzpflicht an, schränkt die Freizügigkeit im Bundesgebiet im Übrigen aber nicht ein (vgl. BVerwG, Urteil vom 15.01.2008, 1 C 17.07, InfAuslR 2008, 268).

Als Ermessensentscheidung ist die Erteilung einer Wohnsitzauflage durch den Beklagten gemäß § 114 Satz 1 VwGO gerichtlich nur daraufhin überprüfbar, ob die gesetzlichen Grenzen des Ermessens überschritten oder von dem Ermessen in einer dem Zweck der Ermächtigung nicht entsprechenden Weise Gebrauch gemacht worden ist. Dies ist vorliegend indes nicht der Fall.

Ein Ermessensfehler ergibt sich insbesondere nicht bereits daraus, dass sich der Beklagte zur Begründung der Wohnsitzauflagen auf die entsprechenden Vorgaben in dem Erlass des früheren Ministeriums für Inneres, Familie, Frauen und Sport vom 28.07.2005 sowie der Allgemeinen Verwaltungsvorschrift des Bundesministeriums des Innern zum Aufenthaltsgesetz vom 26.10.2009 - AVwV-AufenthG - gestützt hat, die eine bundeseinheitliche Verfahrensweise bei wohnsitzbeschränkenden Auflagen gewährleisten sollen. Insoweit sieht Nr. 12.2.5.2.2 AVwV-AufenthG in Übereinstimmung mit der Erlasslage und vorbehaltlich der Sonderregelung für Asylberechtigte und anerkannte Flüchtlinge in Nr. 12.2.5.2.3 AVwV-AufenthG vor, dass wohnsitzbeschränkende Auflagen bei Inhabern von Aufenthaltserlaubnissen nach Kapitel 2 Abschnitt 5 des Aufenthaltsgesetzes bzw. Niederlassungserlaubnissen nach § 23 Abs. 2 AufenthG erteilt und aufrechterhalten werden, soweit und solange sie Leistungen nach dem SGB II oder XII oder dem AsylbLG beziehen. Auch eine Streichung oder Änderung der wohnsitzbeschränkenden Auflage zur Ermöglichung eines den Zuständigkeitsbereich der Ausländerbehörde überschreitenden Wohnortwechsels unterliegt nach Nr. 12.2.5.2.4 ff. AVwV-AufenthG besonderen Voraussetzungen und bedarf der vorherigen Zustimmung der Ausländerbehörde des Zuzugsortes. Solche das behördliche Ermessen lenkende Verwaltungsvorschriften sind grundsätzlich zulässig und auch fallbezogen rechtlich nicht zu beanstanden. Sie dienen ersichtlich dem Zweck, Wohnsitzwechsel von Ausländern zu verhindern, die den Finanz- und Verwaltungsaufwand vor allem der Sozialleistungsträger erhöhen und durch keine schutzwürdigen Gründe motiviert sind. Die damit erstrebte gleichmäßige Verteilung der fiskalischen Belastung durch ausländische Empfänger sozialer Leistungen zwischen den Ländern und den Kommunen ist dabei ein legitimer Zweck, zumal dem ein aufenthaltsrechtlich erhebliches Interesse zugrunde liegt, was sich auch daraus ergibt, dass in der Regel die Erteilung eines Aufenthaltstitels die Sicherung des Lebensunterhaltes voraussetzt (vgl. dazu auch BVerwG, Urteile vom 15.01.2013, 1 C 7.12, InfAuslR 2013, 214, und vom 19.03.1996, 1 C 34.93, DVBl. 1997, 165; ferner BayVGH, Urteil vom 09.05.2011, 19 B 10.2384, BayVBl 2012, 149).

Die durch die entsprechenden Regelungen in Nr. 12.2.5.2.2 sowie Nr. 12.2.5.2.4 ff. AVwV-AufenthG bewirkte Ermessensbindung des Beklagten findet ihre Grenze allerdings dort, wo wesentlichen Besonderheiten des Einzelfalles nicht mehr hinreichend Rechnung getragen wird (vgl. BVerwG, Urteile vom 15.01.2008, 1 C 17.07, a.a.O., und vom 19.03.1996, 1 C 34.93, a.a.O.).

Dafür besteht vorliegend indes kein greifbarer Anhalt. Die Kläger haben keine atypischen Besonderheiten aufgezeigt, die ausnahmsweise eine Aufhebung der erteilten Wohnsitzauflagen gerechtfertigt erscheinen ließen. Insbesondere begründen die familiären Anknüpfungspunkte der Kläger zu in Kassel und damit außerhalb des Saarlandes lebenden Verwandten des Klägers zu 2) kein gegenüber dem mit den Wohnsitzauflagen verfolgten öffentlichen Interesse an einer gleichmäßigen Verteilung zwischen den einzelnen Bundesländern und Kommunen vorrangigen Gesichtspunkt. Dies gilt umso mehr, als dem Interesse der Kläger an der Aufrechterhaltung familiärer Kontakte durch Sondererlaubnisse zum kurzfristigen Besuch hinreichend Rechnung getragen werden kann (vgl. BVerwG, Urteil vom 19.03.1996, 1 C 34.93, a.a.O.).

Die streitgegenständlichen Wohnsitzauflagen erweisen sich auch nicht deshalb als ermessensfehlerhaft, weil ihnen vorrangige gemeinschaftsrechtliche Bestimmungen entgegenstehen.

Insbesondere verstoßen die Wohnsitzauflagen nicht gegen die Genfer Flüchtlingskonvention - GFK -. Nach der von den Klägern in Bezug genommenen Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts (vgl. Urteil vom 15.01.2008, 1 C 17.07, a.a.O.) genügen Wohnsitzauflagen gegenüber anerkannten Flüchtlingen im Sinne von § 3 AsylVfG zwar nicht den Anforderungen an eine zulässige Beschränkung der Freizügigkeit nach Art. 26 GFK, wenn sie zum Zwecke der angemessenen Verteilung der öffentlichen Sozialhilfeleistungen verfügt wurden, und sind deshalb nicht mit Art. 23 GFK vereinbar. Diese Bestimmungen der Genfern Flüchtlingskonvention finden auf die Kläger, die weder als Asylberechtigte noch als Flüchtlinge anerkannt sind, sondern nach der mit Bescheid des Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge vom 10.04.2012 getroffenen Feststellung, dass ein Abschiebungsverbot nach § 60 Abs. 2 AufenthG hinsichtlich Syrien vorliegt, lediglich subsidiären Schutz genießen, keine Anwendung (vgl. dazu auch BVerwG, Urteil vom 15.01.2013, 1 C 7.12, a.a.O.; ferner BayVGH, Urteil vom 09.05.2011, 19 B 10.2384, a.a.O.).

Die Unzulässigkeit wohnsitzbeschränkender Auflagen allein zum Zweck einer angemessenen Verteilung öffentlicher Sozialhilfelasten gegenüber anerkannten Flüchtlingen ist auf Personen, die wie die Kläger lediglich subsidiär schutzberechtigt sind, auch nicht übertragbar. Eine Gleichstellung ergibt sich entgegen der von den Klägern angeführten Rechtsprechung verschiedener Verwaltungsgerichte (vgl. u.a. VG Oldenburg, Urteil vom 28.01.2009, 11 A 1756/07, VG Regensburg, Gerichtsbescheid vom 13.12.2012, RO 9 K 12.1670, VG Augsburg, Urteil vom 21.02.2013, Au 6 K 12.1391, jeweils zitiert nach juris, sowie VG Meiningen, Urteil vom 20.11,2012, 2 K 349/12, AuAS 2013, 74) auch nicht aus den entsprechenden Bestimmungen der durch die am 09.01.2012 in Kraft getretenen Richtlinie 2011/95/EU des Europäischen Parlaments und des Rates vom 13.12.2011 neu gefassten Richtlinie 2004/83/EG des Rates vom 29.04.2004 über Mindestnormen für die Anerkennung und den Status von Drittstaatsangehörigen oder Staatenlosen als Flüchtlinge oder als Personen, die anderweitig internationalen Schutz benötigen, und über den Inhalt des zu gewährenden Schutzes - sog. Qualifikationsrichtlinie -. Weder Art. 32 noch Art. 28 der nach Art. 40 Richtlinie 2011/95/EU mit Wirkung vom 21.12.2013 aufgehobenen Richtlinie 2004/83/EG begründeten für die Kläger gemeinschaftsrechtliche Rechtspositionen, die der Anordnung der Wohnsitzauflagen durch den Beklagten entgegenstanden. Dies gilt auch unter der jetzigen Geltung der Nachfolgerichtlinie 2011/95/EU, deren Art. 29 und 33 Art. 28 und 32 Richtlinie 2004/83/EG entsprechen.

Nach Art. 32 Richtlinie 2004/83/EG bzw. der Nachfolgevorschrift des Art. 33 Richtlinie 2011/95/EU gestatten die Mitgliedsstaaten die Bewegungsfreiheit von Personen, denen die Flüchtlingseigenschaft oder der subsidiäre Schutzstatus - so der Wortlaut von Art. 32 Richtlinie 2004/83/EG - bzw. denen nationaler Schutz - so der Wortlaut von Art. 33 der Richtlinie 2011/95/EU - zuerkannt worden ist, in ihrem Hoheitsgebiet unter den gleichen Bedingungen und Einschränkungen wie für andere Drittstaatsangehörige, die sich rechtmäßig in ihrem Hoheitsgebiet aufhalten. Diese Bewegungsfreiheit wird durch die gegenüber den Klägern verfügte Wohnsitzauflage indes nicht eingeschränkt, da ihr Recht, sich im Bundesgebiet ungehindert und frei zu bewegen dadurch nicht berührt wird. Die Freiheit, den Wohnort frei zu wählen, wird durch diese Vorschriften nicht geschützt. Für anerkannte Flüchtlinge enthält Art. 26 GFK demgegenüber eine weitergehende Regelung, indem der vertragsschließende Staat den Flüchtlingen, die sich rechtmäßig in seinem Gebiet befinden, das Recht gewährt, dort ihren Aufenthalt zu wählen und sich frei zu bewegen, vorbehaltlich der Bestimmungen, die allgemein auf Ausländer unter den gleichen Umständen Anwendung finden. Damit kommt die freie Wahl der Wohnsitznahme aber nur anerkannten Flüchtlingen zugute, und stellt Art. 32 Richtlinie 2004/83/EG bzw. Art. 33 Richtlinie 2011/95/EU für subsidiär Schutzberechtigte eine andere Bestimmung im Sinne von Art. 20 Abs. 2 Richtlinie 2004/83/EG bzw. Richtlinie 2011/95/EU dar (ebenso VG Hannover, Urteil vom 09.04.2013, 2 A 4072/12, a.a.O. VG B-Stadt, Urteil vom 17.06.2013, 8 K 2952/12, a.a.O., VG Bremen, Urteil vom 09.09.2013, 4 K 185/13, a.a.O. sowie VG Münster, Urteil vom 18.04.2013, 8 K 295/13, zitiert nach juris; a.A. etwa VG Regensburg, Gerichtsbescheid vom 13.12.2012, RO 9 K 12.1670, a.a.O., und VG Gelsenkirchen, Urteil vom 31.01.2013, 8 K 3538/12, zitiert nach juris).

Des Weiteren gestattet Art. 32 Richtlinie 2004/83/EG bzw. Art. 33 Richtlinie 2011/95/EU die Bewegungsfreiheit auch nicht uneingeschränkt, sondern unter den gleichen Bedingungen und Einschränkungen wie für andere Drittstaatsangehörige, die sich rechtmäßig im Hoheitsgebiet der Mitgliedstaaten aufhalten. Die nach pflichtgemäßem Ermessen gegebene Möglichkeit, eine Aufenthaltserlaubnis mit einer Wohnsitzauflage nach § 12 Abs. 2 Satz 2 AufenthG zu verbinden, gilt indes auch für alle anderen Drittstaatsangehörigen. Davon geht auch die Allgemeine Verwaltungsvorschrift zum Aufenthaltsgesetz in Nr. 12.2.5.2.2 und 12.2.5.2.3 aus, die alle Drittstaatsangehörigen, die sich rechtmäßig im Bundesgebiet aufhalten, in gleicher Weise behandelt und nur Asylberechtigte und anerkannte Flüchtlinge, d.h. Inhaber von Aufenthaltstiteln nach § 25 Abs. 1 und Abs. 2 AufenthG hinsichtlich der Erteilung von wohnsitzbeschränkenden Auflagen privilegiert (vgl. VG Hannover, Urteil vom 09.04.2013, 2 A 4072/12, a.a.O., VG B-Stadt, Urteil vom 17.06.2013, 8 K 2952/12, a.a.O. sowie VG Bremen, Urteil vom 09.09.2013, 4 K 185/13, a.a.O.).

Art. 28 Richtlinie 2004/83/EG bzw. der dieser Vorschrift entsprechende Art. 29 Richtlinie 2011/95/EU steht der den Klägern erteilten Wohnsitzauflage ebenfalls nicht entgegen. Diese Vorschriften bestimmen in ihrem Absatz 1, dass die Mitgliedsstaaten dafür Sorge tragen, dass Personen, denen die Flüchtlingseigenschaft oder der subsidiäre Schutzstatus - so Art. 28 Abs. 1 Richtlinie 2004/83/EG - bzw. denen internationaler Schutz - so Art. 29 Abs. 1 Richtlinie 2011/95/EU - zuerkannt worden ist, in dem Mitgliedsstaat, der die jeweilige Rechtsstellung bzw. diesen Schutz gewährt hat, die notwendige Sozialhilfe wie Staatsangehörige dieses Mitgliedstaats erhalten. Absatz 2 der jeweiligen Vorschrift legt fest, dass abweichend von der allgemeinen Regel nach Absatz 1 die Mitgliedsstaaten die Sozialhilfe für Personen, denen der subsidiäre Schutzstatus zuerkannt worden ist, auf Kernleistungen beschränken können, die sie im gleichen Umfang und unter denselben Voraussetzungen wie für eigene Staatsangehörige gewähren. Damit bleibt die Rechtsfolge des Art. 28 Richtlinie 2004/83/EG bzw. Art. 29 Richtlinie 2011/95/EU hinter der Gewährleistung zurück, wie sie die Genfer Flüchtlingskonvention in Art. 23 für anerkannte Flüchtlinge bietet. Danach haben sich die vertragsschließenden Staaten verpflichtet, den Flüchtlingen, die sich rechtmäßig in ihrem Staatsgebiet aufhalten, auf dem Gebiet der öffentlichen Fürsorge und sonstigen Hilfeleistungen die gleiche Behandlung wie ihren eigenen Staatsangehörigen zu gewähren. Dies schließt nicht nur die gleichen Leistungen nach Art und Höhe mit ein, sondern setzt auch voraus, dass in vergleichbaren Situationen mit Flüchtlingen nicht anders umgegangen wird als mit den eigenen Staatsangehörigen (vgl. dazu auch BVerwG, Urteil vom 18.05.2000, 5 C 29.98).

Demgegenüber gewährleistet Art. 28 Abs. 1 Richtlinie 2004/83/EG bzw. Art. 29 Abs. 1 Richtlinie 2011/95/EU nur die "notwendige" Sozialhilfe. Angesichts dieser differenzierenden Regelungen der Genfer Flüchtlingskonvention einerseits und der sog. Qualifikationsrichtlinie bzw. deren Nachfolgerichtlinie 2011/95/EU andererseits verbleibt den Mitgliedsstaaten damit zwar nicht bei der Sozialleistungsgewährung an sich, aber bei den damit zusammenhängenden Maßnahmen ein eigener Entscheidungsspielraum, der eine unterschiedliche Behandlung subsidiär Schutzberechtigter mit einschließt (ebenso VG Bremen, Urteil vom 09.09.2013, 4 K 185/13, a.a.O., VG Hannover, Urteil vom 09.04.2013, 2 A 4072/12, a.a.O. sowie VG B-Stadt, Urteil vom 17.06.2013, 8 K 2952/12, a.a.O.; a.A. etwa VG Regensburg, Gerichtsbescheid vom 13.12.2012, RO 9 K 12.1670, a.a.O., und VG Gelsenkirchen, Urteil vom 31.01.2013, 8 K 3538/12, a.a.O.). [...]