OLG Schleswig-Holstein

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Zitieren als:
OLG Schleswig-Holstein, Beschluss vom 26.11.2001 - 11 W 23/2001 - asyl.net: M2152
https://www.asyl.net/rsdb/M2152
Leitsatz:

Schmerzensgeld für rechtswidrig verhängte Abschiebehaft.

 

Schlagwörter: D (A), Abschiebungshaft, Sicherungshaft, Schadensersatz, Schmerzensgeld, Rechtswidrige Freiheitsentziehung, Haftungsausschluss, Gerichte, Zuständigkeit, Amtshaftung, Staatshaftung, Prozesskostenhilfe
Normen: BGB § 839; EGBGB Art. 77
Auszüge:

Das OLG hat in dem genannten Beschluss dem Grunde nach die Voraussetzungen für die Bewilligung von Prozeßkostenhilfe bejaht, soweit Schadensersatzansprüche aus Art. 5 Abs. 5 EMRK wegen rechtswidriger Anordnung von Sicherungshaft durch das Amtsgericht gegen das Land Schleswig-Holstein als Träger der Justizhoheit gerichtet sind.

Der Antragsteller könnte aber gegen den Antragsgegner zu 2) aus abgetretenem Recht einen Anspruch aus den genannten Vorschriften der EMRK und des IPBPR haben. Das Landgericht hätte Prozesskostenhilfe nicht unter Hinweis darauf ablehnen dürfen, dass nach seiner Auffassung der Haftungsausschluss aus Art. 77 EGBGB i. V. mit § 7 PrStHG auf den Anspruch aus der EMRK entsprechend anzuwenden ist. Insoweit liegt nämlich eine zweifelhafte Rechtsfrage vor, bei der im Prozesskostenhilfeverfahren Erfolgsaussichten im Sinne von § 114 ZPO nicht verneint werden dürfen, wenn es sich um eine schwierige entscheidungserhebliche und ungeklärte Rechtsfrage handelt, bei der es angebracht ist, dass die höhere Instanz sich mit ihr befasst (Bundesverfassungsgericht NJW 1991, 413; BGH MDR 1998, 302; Zöller/Philippi, a.a.O., § 114 Rnr. 21).

Ob der genannte Haftungsausschluss durchgreift ist für Art. 5 Abs. 5 EMRK nicht geklärt. Das Landgericht Stade hat (in NVwZ-Beilage I 4/1999, 39) die entsprechende Anwendung dieses Haftungsausschlusses auf den Anspruch aus Art. 5 Abs. 5 EMRK verneint. Im Übrigen ist nicht ersichtlich, dass die Frage in Rechtsprechung und Literatur unmittelbar bereits behandelt worden ist. Insbesondere kann man dazu aus der Entscheidung des BGH in NJW 1981, 518 f. entgegen der Ansicht des Antragsgegners zu 2) nichts entnehmen. Diese Entscheidung behandelt keinen Schadensersatzanspruch wegen rechtswidriger Inhaftierung, sondern einen Amtshaftungsanspruch wegen eines Vermögensschadens, der durch eine Ausweisung entstanden war. Auch hier stand dem Amtshaftungsanspruch ein entsprechender landesrechtlicher Ausschlusstatbestand - kein Schadensersatz aus Amtshaftung für einen Ausländer bei fehlender Gegenseitigkeit - gestützt auf Art. 77 EGBGB entgegen. Der Bundesgerichtshof führt dort aus, dass dieser Haftungsausschluss nicht gegen das Grundgesetz verstößt und auch nicht gegen die Konvention zum Schutz der Menschenrechte und Grundfreiheiten sowie den Internationalen Pakt über bürgerliche und politische Rechte. Damit ist aber nicht die Frage beantwortet, ob für den Fall, dass die genannten beiden Rechtsquellen unmittelbar einen Schadensersatzanspruch begründen, ein Ausschluss in entsprechender Anwendung derartiger landesrechtlicher Bestimmungen zum Amtshaftungsrecht möglich ist.

Der Senat hat daran bei vorläufiger summarischer Prüfung einige Zweifel. Es ist in der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs anerkannt, dass Art. 5 Abs. 5 EMRK dem Betroffenen einen unmittelbaren Anspruch gewährt, der an eine rechtswidrige Freiheitsentziehung anknüpft, jedoch kein Verschulden voraussetzt. Es handelt sich nicht um einen Amtshaftungs- sondern um einen Staatshaftungsanspruch, der einem Anspruch aus Gefährdungshaftung nach bundesdeutschem Recht ähnelt (BGHZ 45, 58, 65 f). Der Bundesgerichtshof hat allerdings auch anerkannt, dass dieser besondere Anspruch aus Gefährdungshaftung in der Nähe des deutschen Deliktsrechts steht und deshalb durch Bestimmungen des Deliktsrechts ergänzt werden kann. Vor diesem Hintergrund hat er insbesondere die entsprechende Anwendung der Verjährungsregelung des § 852 BGB bejaht (BGHZ 45, 58, 71 ff). § 7 des Preußischen Gesetzes über die Haftung des Staates und anderer Verbände für Amtspflichtverletzungen von Beamten bei Ausübung öffentlicher Gewalt vom 01. August 1909 i.V. mit Art. 77 EGBGB ist nun aber keine allgemeine Regel des deutschen Deliktsrechts, sondern ein ausnahmsweise geltender Ausschluß des Amtshaftungsanspruchs, also der mittelbaren Staatshaftung, die an eine schuldhafte Amtspflichtverletzung von Beamten anknüpft. Die genannte Ausnahmenorm schließt diese mittelbare Staatshaftung für den Angehörigen eines ausländischen Staates aus, wenn die sogenannte Gegenseitigkeit nicht verbürgt ist. In einem solchen Fall verbleibt dem geschädigten ausländischen Staatsangehörigen allerdings immer noch der Anspruch gegen den Beamten selbst. Sollte man diese Ausnahmenorm des Amtshaftungsrechtes aber übertragen wollen auf den unmittelbaren und verschuldensunabhängigen Staatshaftungsanspruch aus Art. 5 Abs. 5 EMRK, dann würde das für die betroffenen Ausländer von Staaten, mit denen die Gegenseitigkeit nicht verbürgt ist, bedeuten, dass im Fall rechtswidriger aber schuldloser Freiheitsentziehung jeglicher Anspruch ausscheidet. Die Anwendung dieser Ausnahmenorm würde mithin nicht zu einer Ergänzung des Art. 5 Abs. 5 EMRK führen, sondern vielmehr zu einem Ausschluß. Damit könnten die Grenzen einer Auslegung von Art. 5 Abs. 5 EMRK aber überschritten sein.

Soweit der Anspruch aus Art. 5 Abs. 5 EMRK durchgreifen sollte, kann daraus auch Schmerzensgeld verlangt werden (BGH NJW 1993, 2927 ff; Frowein/Peukert, EMRK, 2. A. 1996, Art. 5 Rdnr. 161).