VG Gießen

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Zitieren als:
VG Gießen, Urteil vom 23.01.2014 - 2 K 976/13.GI.A - asyl.net: M21528
https://www.asyl.net/rsdb/M21528
Leitsatz:

Die Flüchtlingseigenschaft ist einer Frau zuzuerkennen, deren Ehemann für die ISAF in Afghanistan (Kandahar) gearbeitet hat.

Schlagwörter: Kandahar, Afghanistan, Sippenhaft, Paschtu, Paschtunen, Dari, Taliban, nichtstaatliche Verfolgung, Alphabetisierungskampagne, Alphabetisierung,
Normen: AufenthG § 60 Abs. 1,
Auszüge:

[...]

Das Gericht hatte zunächst Zweifel, ob die Angaben der Klägerin zu 1., sie hätten die letzten Jahre in Kandahar gewohnt, der Wahrheit entsprechen. Diese Zweifel rührten aus dem Umstand, dass sie im Verfahren eine am 31.01.2011 in der Stadt Farah ausgestellte Tazkira für sich vorgelegt hat. Angesichts der Tatsache, dass in den bei der Ausländerbehörde des Vogelsbergkreises befindlichen Reisepässen für die Kinder als Geburtsort jeweils Kandahar eingetragen ist, erklärt sich das Gericht dies daraus, dass die Tazkira für die Klägerin zu 1. deshalb in Farah ausgestellt wurde, weil die Klägerin zu 1. dort geboren ist.

Weitere Zweifel rührten aus dem Umstand, dass der Vater der Klägerin zu 1. Paschtune ist und Paschtu spricht, während die Klägerin zu 1. lediglich Dari spricht. Dies hat der Vater der Klägerin bei seiner Vernehmung in der mündlichen Verhandlung jedoch überzeugend dahingehend erklärt, dass seine Ehefrau vorwiegend Dari spreche und im Haus mit den Kindern auch nur Dari gesprochen hätte. Aufgrund dessen sprächen die Kinder auch nur Dari. Vor diesem Hintergrund hält das Gericht die Angaben der Klägerin zu 1. insgesamt für glaubwürdig. Ihr glaubwürdiger Vortrag, ihr Ehemann, der für die Ausländer gearbeitet habe, sei von den Taliban entführt worden und sie sei wiederholt bedroht worden, weil ihre Mitarbeit im Rahmen der Alphabetisierungskampagne bei den Mullahs und vielen anderen konservativ denkenden Menschen in Kandahar in höchstem Maße unerwünscht gewesen sei, belegt eine Verfolgung durch nichtstaatliche Akteure im Sinne von § 60 Abs. 1 Satz 4c AufenthG. Dieser Verfolgung hätten sich die Kläger auch nicht durch einen Wegzug z.B. nach Kabul entziehen können, weil die Klägerin zu 1. als alleinstehende Frau nach dem Verschwinden ihres Ehemannes nicht in der Lage gewesen wäre, dort für den Lebensunterhalt der Familie zu sorgen. [...]