OVG Sachsen

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Zitieren als:
OVG Sachsen, Beschluss vom 26.11.2013 - A 1 A 535/12 - asyl.net: M21549
https://www.asyl.net/rsdb/M21549
Leitsatz:

1. Die Frage, ob der in der Provinz Kandahar in Afghanistan stattfindende innerstaatliche Konflikt ein so hohes Niveau willkürlicher Gewalt mit einer so hohen Gefahrendichte für die dortige Zivilbevölkerung aufweist, dass eine aus Kandahar stammende Person auch ohne gefahrerhöhende Umstände im Falle einer Rückkehr tatsächlich Gefahr liefe, dort als Zivilperson einer ernsthaften Bedrohung an Leib oder Leben ausgesetzt zu sein, ist ohne neuere quantitative Erkenntnismittel zur Gefahrendichte nicht neu zu bewerten.

2. Beim auf Unionsrecht beruhenden Abschiebungsverbot handelt sich um einen nicht weiter teilbaren Verfahrensgegenstand, so dass die Zulassung der Berufung nicht auf § 60 Abs. 7 S. 2 AufenthG beschränkt werden kann, sondern auf die Feststellung der Voraussetzungen des § 60 Abs. 2, 3 und 7 S. 2 AufenthG zu erstrecken ist.

Schlagwörter: Abschiebungsverbot, Afghanistan, Kandahar, willkürliche Gewalt, innerstaatlicher bewaffneter Konflikt, Wahrscheinlichkeitsmaßstab, Gefahrendichte,
Normen: AufenthG § 60 Abs. 7 S. 2, AufenthG § 60 Abs. 2, AufenthG § 60 Abs. 3,
Auszüge:

[...]

Diese Anforderungen erfüllt die von der Klägerin gestellte Frage 1, ob der in der Provinz Kandahar in Afghanistan stattfindende innerstaatliche Konflikt ein so hohes Niveau willkürlicher Gewalt mit einer so hohen Gefahrendichte für die dortige Zivilbevölkerung aufweist, dass eine aus Kandahar stammende Person auch ohne gefahrerhöhende Umstände in ihrer Person im Falle einer Rückkehr tatsächlich Gefahr liefe, dort allein als Zivilperson einer ernsthaften Bedrohung an Leib oder Leben ausgesetzt zu sein, nicht. Das Verwaltungsgericht hat das Vorliegen der Voraussetzungen des § 60 Abs. 7 Satz 2 AufenthG, wonach von der Abschiebung eines Ausländers in einen anderen Staat abzusehen ist, wenn er dort als Angehöriger der Zivilbevölkerung einer erheblichen Gefahr für Leib und Leben im Rahmen eines internationalen oder innerstaatlichen bewaffneten Konflikts ausgesetzt ist, anhand der vom Bundesverwaltungsgericht in seinem Urteil vom 27. April 2010 (BVerwGE 136, 360) entwickelten Maßstäbe und nach Auswertung der in den Blick genommenen Erkenntnismittel unter Hinweis auf das Fehlen der erforderlichen Gefahrendichte abgelehnt. Die Anzahl der Opfer in der Herkunftsregion rechtfertige im Verhältnis zu der Anzahl der dort lebenden Einwohner nicht die Annahme eines derart hohen Gefährdungsgrads, dass praktisch jede Zivilperson bei Rückkehr allein aufgrund ihrer Anwesenheit in der Region einer ernsthaften individuellen Bedrohung ausgesetzt sei.

Diese nach Auswertung der eingeführten Erkenntnismittel getroffene Entscheidung hat die Klägerin mit den von ihr genannten Erkenntnismitteln nicht derart in Frage gestellt, dass eine Neubewertung der Gefahrenlage im Berufungsverfahren veranlasst ist. Dabei lassen sich weder den zitierten Ausführungen aus dem Urteil des Verwaltungsgerichts Köln vom 13. Dezember 2011 - 14 K 4389/10. A -, denen des Verwaltungsgerichts Schleswig vom 22. April 2010 - 12 A 137/09 - noch aus den im Weiteren in Bezug genommenen Erkenntnismitteln quantitative Ermittlungen dazu entnehmen, dass die Gefahrendichte in der Provinz Kandahar entgegen der Annahme des Verwaltungsgerichts so hoch ist, dass praktisch jede Zivilperson allein aufgrund ihrer Anwesenheit in dieser Region einer ernsthaften individuellen Bedrohung ausgesetzt wäre (vgl. zu den Anforderungen BVerwG, Urt. v. 27. April 2010 a. a. O.). Den genannten Erkenntnismitteln lassen sich bereits keine quantitativen Ermittlungen zu den Gesamtzahlen der in der Region Kandahar lebenden Zivilpersonen und zu der Anzahl der Opfer bei der Zivilbevölkerung entnehmen. Abgestellt wird vielmehr im Wesentlichen auf die Erhöhung der Anschläge. Eine andere Beurteilung ergibt sich auch nicht aus dem Hinweis der Klägerin auf den Zulassungsbeschluss des Bayerischen Verwaltungsgerichtshofs vom 27. Oktober 2011 (- 13a ZB 11.30190 -), denn nach der Rechtsprechung des Bayerischen Verwaltungsgerichtshofs sind afghanische Staatsangehörige bei einer Rückkehr in die Provinz Kandahar nach derzeitiger Sicherheitslage im Allgemeinen keiner erheblichen individuellen Gefahr für Leib oder Leben nach § 60 Abs. 7 Satz 2 AufenthG ausgesetzt (vgl. u. a. BayVGH, Urt. v. 15. März 2012 - 13a B 11.30438 -, juris Rn. 18 ff., 22; Beschl. v. 15. April 2013 - 13a ZB 12. 30331 -, juris Rn. 3 ).

Ferner ist über das Begehren der Feststellung eines auf Unionsrecht beruhenden Abschiebungsverbotes nach der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts einheitlich zu entscheiden (vgl. BVerwG, Beschl. v. 8. Oktober 2012 - 10 B 38/12 -, juris Rn. 5). Es handelt sich um einen nicht weiter teilbaren Verfahrensgegenstand, so dass die Zulassung der Berufung nicht auf § 60 Abs. 7 Satz 2 AufenthG beschränkt werden konnte, sondern auf die Feststellung der Voraussetzungen des § 60 Abs. 2, 3 und 7 Satz 2 AufenthG zu erstrecken gewesen wäre. [...]