VG Hannover

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Zitieren als:
VG Hannover, Urteil vom 07.01.2014 - 13 A 6157/13 - asyl.net: M21557
https://www.asyl.net/rsdb/M21557
Leitsatz:

1. Hat der Inhaber einer Niederlassungserlaubnis Arbeitsverhältnisse mit deutschen Unternehmen, zu deren Erfüllung er immer wieder ins Ausland reist, könnte er dadurch seinen Lebensmittelpunkt ins Ausland verlagert haben.

2. Dies ist aber dann nicht der Fall, wenn seine Familie im Bundesgebiet verbleibt, keine Trennung von der Ehefrau vorliegt und er immer wieder die Familienbeziehungen auch durch immer wieder erfolgende Rückreisen nach Deutschland aufrecht erhält.

Schlagwörter: Auslandsaufenthalt, Lebensmittelpunkt, Verlassen, Niederlassungserlaubnis, vorübergehender Grund, nicht vorübergehender Grund, Arbeitnehmer, Familienangehörige, familiäre Lebensgemeinschaft, türkische Staatsangehörige, Erlöschen, eheliche Lebensgemeinschaft,
Normen: AufenthG § 51 Abs. 1 Nr. 6, AufenthG § 51 Abs. 2,
Auszüge:

[...]

Die Niederlassungserlaubnis des Klägers ist nicht durch seine Türkeiaufenthalte in der Zeit von 13.01.2011 bis Ende Mai 2013 erloschen.

Nach § 51 Abs. 1 Nr. 6 AufenthG erlischt eine Niederlassungserlaubnis, wenn der Ausländer aus einem seiner Natur nach nicht vorübergehenden Grunde ausreist

Ob ein Ausländer nicht nur vorübergehend ausreist, beurteilt sich nicht nach dem inneren Willen des Ausländers, sondern maßgebend sind jeweils die gesamten Umstände des Einzelfalls. Eine nicht nur vorübergehende Ausreise liegt unter anderem dann vor, wenn der Ausländer das Bundesgebiet zwar wegen eines begrenzten Zwecks mit der Absicht der späteren Rückkehr verlässt, wenn sich der Zweck aber nicht auf einen überschaubaren Zeitraum bezieht, sondern langfristig und zeitlich völlig unbestimmt auf unabsehbare Zeit ausgerichtet ist (Schäfer, in: GK-AufenthG, § 51, Rdnr. 48 m.w.N. zur Rspr.). Hierbei ist auch die Dauer der Abwesenheit zu berücksichtigen. Je länger sie wird und je deutlicher sie über einen bloßen Besuchs- und Erholungsaufenthalt im Ausland hinausgeht, desto mehr spricht dafür, dass der Auslandsaufenthalt nicht nur vorübergehender Natur ist. Dabei ist es selbstverständlich, dass der Ausländer das Erlöschen seines Aufenthaltstitels nicht dadurch vermeiden kann, dass er jeweils kurz vor Ablauf von sechs Monaten nach der Ausreise mehr oder weniger kurzfristig ins Bundesgebiet zurückkehrt (s.a. VG Ansbach, Beschluss vom 14.08.2013 - AN 5 E 13.01304, zit. n. juris).

Der Beklagten ist einzuräumen, dass der Kläger sich in dem Zeitraum, die Grundlage der "Ungültigkeitsstempelung" der Niederlassungserlaubnis war, überwiegend in der Türkei aufgehalten hat und immer nur kurzfristig nach Deutschland zurückgekehrt ist. Ein gewisses Indiz für eine Verlagerung des Lebensmittelpunktes in die Türkei ist auch, dass die Tochter des Klägers, Frau D., ebenfalls Anfang 2011 zwecks Schulbesuches in die Türkei gezogen ist.

Zu Recht weist die Beklagte weiterhin darauf hin, dass § 51 Abs. 2 AufenthG nicht zugunsten des Klägers eingreift. Nach dieser Vorschrift erlischt die Niederlassungserlaubnis eines Ausländers dann nicht, wenn sich der Ausländer mindestens 15 Jahre lang rechtmäßig im Bundesgebiet aufgehalten hat und sein Lebensunterhalt gesichert ist. Sollte der Kläger tatsächlich im Zeitraum 1998/1999 in die Türkei ausgereist und im September 199 erst wieder eingereist sein, wären schon die nach dieser Vorschrift erforderlichen 15 Jahre noch nicht herum. Schäfer (in: Gemeinschaftskommentar zum Aufenthaltsgesetz, § 51 Rdnr. 79) vertritt allerdings die Auffassung, weil das Gesetz nicht die Formulierung "seit" verwende, verlange diese Vorschrift keinen ununterbrochenen Aufenthalt. Ob dem zu folgen ist, ist fraglich, bedarf hier indes keiner abschließenden Entscheidung. Denn der Kläger bestreitet eine entsprechende Ausreise und Nachweise für diese Ausreise liegen nicht vor. Im Übrigen kommt es schon deshalb darauf nicht an, weil - wie unten noch ausgeführt - der Kläger tatsächlich nur aus einem vorübergehenden Grund ausgereist ist. Entsprechend kommt es nicht darauf an, ob die zweite Voraussetzung des § 51 Abs. 2 AufenthG - Sicherung des Lebensunterhalts - erfüllt ist oder nicht. Aber auch hier wäre nach Auffassung des Gerichts der Beklagten zu folgen. Es erscheint alleine sachgerecht, bei der Frage der Sicherung des Lebensunterhalts auf den Zeitpunkt abzustellen, in dem die Niederlassungserlaubnis gemäß § 51 Abs. 1 Nr. 6 AufenthG erlischt. Angesichts der mit dem Fortbestand einer Niederlassungserlaubnis verbundenen Rechtsfolgen (etwa dem Erwerb der deutschen Staatsangehörigkeit des Kindes nach § 4 Abs. 3 StAG) muss bereits zu diesem Zeitpunkt geklärt sein und gegebenenfalls festgestellt werden können, ob die Niederlassungserlaubnis noch besteht oder nicht (so auch Schäfer, a.a.O., Rdnr. 85). Zu diesem Zeitpunkt bezog der Kläger jedoch Leistungen nach dem SGB II, sein Lebensunterhalt war nach alledem nicht gesichert. Auch auf Art. 13 ARB 1/80, wonach keine neuen Beschränkungen der Bedingungen für den Zugang zum Arbeitsmarkt eingeführt werden dürfen, kann sich der Kläger nicht berufen. Der EuGH hat in seine Urteil vom 9.12.2010 (Toprak und Oguz, C-300/09 und C 301/09, zit. n. juris) ausgeführt: "Der Gerichtshof hat bereits entschieden, dass die Stillhalteklausel in Art. 13 des Beschlusses Nr. 1/80 nicht dazu dient, die schon in den Arbeitsmarkt eines Mitgliedstaats integrierten türkischen Staatsangehörigen zu schützen, sondern gerade für die türkischen Staatsangehörigen gelten soll, die noch keine Rechte in Bezug auf Beschäftigung und entsprechend auf Aufenthalt nach Art. 6 Abs. 1 dieses Beschlusses genießen." Und der Kläger dürfte vor seiner Ausreise 2011 bereits über Ansprüche auf Aufenthaltstiteln nach den ARB 1/80 verfügt haben. Und im Übrigen gab es auch im früheren Ausländergesetz bereits den Erlöschenstatbestand bei einer Ausreise aus einem seiner Natur nach nicht vorübergehenden Grunde (§ 9 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 AuslG 1965, § 44 BS: ! Nr: 2 AuslG 1990).

Letztendlich kommt es auf all diese Fragen im vorliegenden Fall aber nicht entscheidend an. Denn der Kläger hat nach Auffassung des Gerichts in den Jahren 2011 bis Mai 2013 die Bundesrepublik nur aus einem vorübergehendem Grund verlassen.

Der Kläger hatte Arbeitsverhältnisse mit deutschen Unternehmen. Nur zur Erfüllung seiner aus den Arbeitsverträgen ergebenen Verpflichtung reiste er immer wieder in die Türkei und hielt sich dort auf. Nun kann die Tätigkeit für ein deutsches Unternehmen in der Türkei auch durchaus mit einer Verlagerung des Lebensmittelpunktes in die Türkei einhergehen. Das dies beim Kläger nicht der Fall war, zeigt sich aber daran, dass seine Familie - seine Ehefrau, von der er nicht getrennt lebte - und seine Kinder (bis auf die älteste Tochter)- in Deutschland verblieben und er diese Familienbeziehungen auch durch immer wieder erfolgte Rückreisen nach Deutschland aufrechterhielt. Bei dieser Sachlage kann noch nicht davon ausgegangen werden, dass der Kläger trotz des zeitlichen Umfangs seiner Türkeiaufenthalte die Bundesrepublik nicht nur vorübergehend verlassen hat. Der Sachverhalt, den das Verwaltungsgericht Ansbach in seinem Beschluss vom 14.08.2013 (a.a.O.) zu entscheiden hatte, ist mit der vorliegenden Fallgestaltung nicht vergleichbar. Im dortigen Fall war der Kläger von seiner in Deutschland verbliebenen Frau geschieden und besuchte lediglich für kurze Zeit im Jahr das gemeinsame Kind, ging ansonsten jedoch seiner Tätigkeit aus dem unbefristeten Arbeitsvertrag nach, in dem als Einsatzort Afghanistan bestimmt war. Beim Kläger hingegen war und ist die eheliche Gemeinschaft nicht aufgehoben und wurde durch die immer wieder erfolgten noch hinreichend häufigen Rückreisen auch gepflegt und aufrechterhalten. Dieser Umstand spricht deshalb gegen eine nicht nur vorübergehende Ausreise. [...]