VG Trier

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Zitieren als:
VG Trier, Beschluss vom 11.02.2014 - 5 L 95/14.TR - asyl.net: M21581
https://www.asyl.net/rsdb/M21581
Leitsatz:

In Italien bestehen in Bezug auf die Durchführung eines Asylverfahrens und in Bezug auf die Betreuung solcher Personen, denen in Italien subsidiärer Schutz gewährt wurde, keine systemischen Mängel, die die Anordnung der aufschiebenden Wirkung einer Klage gegen eine auf §§ 27a, 34a AsylVfG gestützte Entscheidung des Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge rechtfertigen könnten.

Darauf, ob im Verfahren in den Vorschriften der Dublin-II-VO genannte Fristen beachtet wurden kommt es insoweit nicht an, da diesen Fristen keine den Asylbewerber schützende Wirkung zukommt.

Macht ein Asylbewerber geltend, dass Italien trotz der formalen Gewährung subsidiären Schutzes durch Zuerkennung eines Aufenthaltstitels gegen Art. 3 EMRK verstoße und deshalb ein Ausnahmefall vorliege, in dem ihm Rechtsschutz in Deutschland gewährt werden müsse, vermag sich das Gericht dem nicht anzuschließen. Angesichts der in der Dublin-II-VO europarechtlich geregelten Zuständigkeiten ist nämlich der einzelne Asylbewerber grundsätzlich darauf zu verweisen, ihm gegebenenfalls nach Abschluss eines Asylverfahrens zustehende Rechte in dem jeweils zuständigen Mitgliedstaat geltend zu machen und dabei - soweit erforderlich - um gerichtlichen Rechtsschutz nachzusuchen.

(Amtliche Leitsätze)

Schlagwörter: Italien, systemische Mängel, Aufnahmebedingungen, Dublin II-VO, Dublinverfahren, atypischer Ausnahmefall, subsidiärer Schutz, Asylverfahren,
Normen: AsylVfG § 27a, AsylVfG § 34a, EMRK Art. 3,
Auszüge:

[...]

Vorliegend kann die Kammer nicht erkennen, dass die bestehende Vermutung dafür, dass dem Antragsteller in Italien ein ordnungsgemäßes Asylverfahren zuteilwird und daher Italien für die Bearbeitung seines Asylantrags zuständig ist, widerlegt wäre.

Soweit der Antragsteller mit seinem Vorbringen im Wesentlichen geltend macht, dass Asylverfahren in Italien systemische Mängel aufwiesen und dass Personen, denen in Italien formal subsidiärer Schutz gewährt worden sei, letztlich schutzlos blieben, so dass Deutschland das Selbsteintrittsrecht im Sinne des Art. 3 der Dublin-II-VO ausüben müsse, kann sich das Gericht dem unter Berücksichtigung der ihm vorliegenden Erkenntnisquellen nicht anschließen. [...]

An der Richtigkeit der vorgenannten Auskünfte des Auswärtigen Amts hegt die Kammer keine Zweifel. Das Auswärtige Amt benutzt für seine Auskünfte alle ihm zugänglichen Informationsquellen. Gegen ihre Verwertung bestehen auch keine verfahrensrechtlichen Bedenken. Sie stellen, auch wenn ihr Inhalt – wie in Asylangelegenheiten regelmäßig - in einer gutachtlichen Äußerung besteht, nach ständiger Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts zulässige und selbständige Beweismittel dar, die grundsätzlich auch ohne Angabe der ihnen zugrundeliegenden Informationsquellen ohne förmliches Beweisverfahren im Wege des Freibeweises verwertet werden können (vgl. BVerwG, Urteil vom 22. Januar 1985, - 9 C 52/83 – und Beschluss vom 31. Juli 1985 – 9 B 71/85 -; OVG Rheinland-Pfalz, Beschluss vom 22. April 1988 – 11 E 58/87 -, alle veröffentlicht bei juris), wobei sie "wohl den tatsächlichen Verhältnissen am nächsten kommen" (so bereits BVerwG, Beschluss vom 8. September 1997 - 9 B 401/97 -, juris, mit weiteren Nachweisen).

Des Weiteren macht sich die Kammer die nachfolgenden Ausführungen des OVG Lüneburg in dessen Beschluss vom 2. August 2012 - 4 MC 133/12 -, juris, zu eigen, in dem es heißt:

"Ergänzend zu den Ausführungen des Verwaltungsgerichts wird auf die (aktuelle) Stellungnahme des Hohen Flüchtlingskommissars der Vereinten Nationen vom 24. April 2012 an das Verwaltungsgericht Braunschweig verwiesen, die ebenfalls keine hinreichenden Anhaltspunkte dafür bietet, dass ernsthaft zu befürchten ist, dass das Asylverfahren und die Aufnahmebedingungen für Asylbewerber in Italien grundlegende Mängel im Sinne der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs aufweisen. Nach dem Inhalt dieser Stellungnahme wurden in Italien die regionalen Regierungen im Jahr 2011, nach Ankunft einer erheblichen Zahl von Personen aus Nordafrika und der darauffolgenden Erklärung des "humanitären Zustands", gebeten, zusätzliche Aufnahmeeinrichtungen zu bestimmen. Zwischen den Regierungen und den örtlich zuständigen Behörden wurde eine Vereinbarung getroffen, in der die Kriterien für die landesweite Verteilung von bis zu 50.000 Personen festgehalten wurden. Der UNHCR erkennt vor diesem Hintergrund an, dass in den letzten Jahren Verbesserungen des Aufnahmesystems stattgefunden haben und die CARA, CDAs und SPRAR-Projekte insgesamt in der Lage sind, dem Aufnahmebedarf einer signifikanten Anzahl an Asylsuchenden nachzukommen (Seite 3 der Stellungnahme). Nach dem Inhalt der Stellungnahme des UNHCR ist des Weiteren davon auszugehen, dass die Unterkunft, Ernährung und medizinische Versorgung von Asylsuchenden in Italien sichergestellt ist, wenn ein formaler Antrag gestellt wurde, solange der Zeitraum von 6 Monaten Verfahrensdauer (ab formaler Antragstellung) nicht überschritten wird und soweit die aktuellen Zahlen der Asylbewerber die Kapazitäten nicht überschreiten (vgl. Stellungnahme des UNHCR, Seite 5). Eine angemessene Versorgung erscheint danach derzeit allerdings nicht sichergestellt für Asylsuchende mit besonderen Schutzbedürfnissen im Sinne von Art. 17 Abs. 1 der Richtlinie 2003/9/EG des Rates (ABl Nr. L 31 S. 18) vom 27. Januar 2003. Aus dieser Einschätzung lassen sich jedoch grundlegende Mängel, die eine unmenschliche oder erniedrigende Behandlung aller an diesen Mitgliedstaat überstellten Asylbewerber im Sinne von Art. 4 der Charta implizieren, nicht ableiten. Dieses gilt auch, soweit nach Einschätzung des UNHCR in der gegenwärtigen Situation davon auszugehen sei, dass derzeit die überwiegende Anzahl aller Asylverfahren nicht innerhalb von sechs Monaten abgeschlossen werden könne, zumal konkrete Zahlen zur Verfahrensdauer nach Auskunft des UNHCR nicht vorliegen. Allein der Umstand, dass die Situation der Flüchtlinge in Italien von den Verwaltungsgerichten unterschiedlich eingeschätzt wird, veranlasst ebenfalls nicht zu der Annahme, dass die Behandlung der Asylbewerber in Italien nicht in Einklang mit den Erfordernissen der Charta sowie der Genfer Flüchtlingskonvention und der Europäischen Menschenrechtskonvention steht (vgl. insoweit den 13. Senat des erkennenden Gerichts, Beschl. v. 2.5.2012 - 13 MC 22/12 -, der das Vorliegen eines offensichtlichen Ausnahmefalls im Sinne der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts in dem Urteil v. 14.5.1996, a.a.O., in Bezug auf Italien verneint)."

Soweit die Schweizerischen Flüchtlingshilfe in einem Bericht vom Oktober 2013 über die Aufnahme von Flüchtlingen in Italien (http://www.fluechtlingshilfe.ch/news/italienbericht/1310-sfh-bericht-italienaufnahmebedingungen. pdf) unter dem Unterpunkt "7.10 Fazit" unter der Überschrift "7. Rechtliche Beurteilung" zu der Schlussfolgerungen gelangt, dass in Italien bei der Unterbringung sowohl von Asylsuchenden als auch von Schutzberechtigten systemische Defizite bestünden, teilt die Kammer diese Auffassung nicht. Die in dem Bericht unter 4. und 5. enthaltenen umfangreichen Ausführungen zur Aufnahmesituation von Asylsuchenden und zur Aufnahmesituation von Personen mit Schutzstatus in Italien enthalten zwar zahlreiche Angaben dazu, welche Mängel insoweit im Einzelnen bestehen. Gleichwohl kann aus diesen Mängeln zur Überzeugung des Gerichts nicht die Schlussfolgerung gezogen werden, dass in Italien die Asylverfahren und die Aufnahmesituation von Personen mit Schutzstatus systemische Mängel im Sinne zitierten Rechtsprechung des EuGH aufweisen würde.

Schließlich kann die Kammer auch den "UNHCR-Empfehlungen zu wichtigen Aspekten des Flüchtlingsschutzes in Italien, Juli 2013" (http://www.unhcr.de/fileadmin/rechtsinfos/fluechtlingsrecht/6_laenderinformationen/6_4_europa/ITA_122013.pdf) keine Rückschlüsse auf in Italien bestehende systemische Mängel entnehmen. Der UNHCR-Mitarbeiter Roland Bank hat in einer E-Mail vom 29. Januar 2014 (BANK@unhcr.org an dublinliste @googlemail.com) ausdrücklich darauf hingewiesen, dass es aus Sicht von UNHCR die Aufgabe der Behörden und Gerichte ist, im Einzelfall zu entscheiden, ob drohende Grundrechtsverletzungen einer Überstellung in einen Mitgliedstaat entgegenstehen. Ferner weist der UNHCR eingangs seiner Empfehlungen darauf hin hat, dass Italien in den letzten Jahren weitreichende und lobenswerte Bemühungen unternommen, um Menschenleben auf See zu retten. Es sei ein dezentrales Verfahren zur Feststellung des internationalen Schutzstatus mit angemessenen Verfahrensgarantien und Ergebnissen geschaffen worden, und schließlich habe die Umsetzung der EU-Qualifikationsrichtlinie zu einer Reihe von signifikanten und positiven Entwicklungen des normativen Rahmens zur Definition des internationalen Schutzstatus und der daraus folgenden Rechte geführt. Ungeachtet dieser signifikanten Verbesserungen gebe es weiterhin eine Reihe von Lücken, insbesondere hinsichtlich der Aufnahme von Asylsuchenden und der Integration von Flüchtlingen und anderen Personen, die internationalen Schutz erhalten haben, die zu einer Situation führen, in der eine erhebliche Zahl dieser Personen ein benachteiligtes und marginalisiertes Leben führen.

Trotz dieses Schlusssatzes aus der Einleitung zu den Empfehlungen des UNHCR sieht die Kammer unter Berücksichtigung der in den Empfehlungen im Einzelnen dargestellten Tatsachen zu Asylverfahren und der Aufnahmesituation von Personen mit Schutzstatus in Italien keine hinreichenden Anhaltspunkte für das Vorliegen systemischer Mängel im Sinne der Rechtsprechung des EuGH. Diese Auffassung wird im Übrigen auch vom Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte (vgl. Beschlüsse vom 2. April 2013 - Nr. 27725/10 – und vom 18. Juni 2013 – Nr. 53852/11 –) und zahlreichen weiteren deutschen Verwaltungsgerichten geteilt (vgl. VG Regensburg, Beschluss vom 18. Dezember 2013 - RN 6 S 13.30720 -, juris, mit umfangreichen Nachweisen). Ferner verweist auch Prof. Dr. Daniel Thym, Konstanz, in ZAR 2013, 331 (Zulässigkeit von Dublin-Überstellungen nach Italien) zutreffend darauf, dass der EGMR in zwischenzeitlich vier Hauptsacheentscheidungen Überstellungen nach Italien für konventionskonform erklärt hat und dass der EGMR seine Entscheidungen auf der Grundlage zahlreicher Berichte von (Nicht-)Regierungsorganisationen unter Einschluss der Stellungnahmen des Menschenrechtskommissars des Europarats, des UNHCR sowie von ECRE, die allesamt die Situation in Italien in kritischen Worten geschildert hätten und die Funktionsfähigkeit des italienischen Asylsystems in Frage stellten, getroffen hat.

Ausgehend hiervon ist die Kammer der Auffassung, dass die zweifelsfrei bestehenden tatsächlichen Defizite des italienischen Asylsystems nicht das Ausmaß eines "systemischen Mangels" erreichen, der allein eine Aussetzung der Dublin-Überstellung unter Berufung auf die Menschenrechte rechtfertigen kann.

Der gegenteiligen Auffassung (vgl. entsprechende Nachweise im vorstehend zitierten Beschluss des VG Regensburg und VG Gelsenkirchen, Beschluss vom 11. April 2013 - 5a L 258/13.A -, VG Braunschweig, Urteil vom 21. Februar 2013 – 2 A 126/11 –, beide veröffentlicht bei juris) vermag sich die Kammer unter Zugrundelegung der vorstehenden Ausführungen nicht anzuschließen.

Soweit das OVG Rheinland-Pfalz mit Beschluss vom 19. Juni 2013 – 10 B 10627/13.OVG – und die beschließende Kammer mit Beschluss vom 23. September 2013 – 5 L 1274/13.TR – vorläufigen Rechtsschutz hinsichtlich einer von der Antragsgegnerin angeordneten Abschiebung von Asylbewerbern nach Italien gewährt haben, betrafen diese Entscheidungen atypische individuelle Sachverhalte, die mit demjenigen des Antragstellers des vorliegenden Verfahrens ersichtlich nicht vergleichbar sind.

Im Übrigen kommt es nicht darauf an, ob das von der Antragsgegnerin an Italien gerichtete Übernahmeersuchen innerhalb der in der Dublin-II-VO genannten Fristen übermittelt wurde, denn die Vorschriften der Dublin-II-VO als zwischenstaatliche Regeln richten sich vorrangig an die Mitgliedstaaten und begründen regelmäßig keine subjektiven Rechte von Asylbewerbern. Insoweit kann auch Art. 3 Abs. 2 Dublin-II-VO grundsätzlich nicht als Öffnungsklausel zur Durchsetzung individueller Ansprüche interpretiert werden (vgl. Hailbronner, Kommentar zum Ausländerrecht, Bd. 3, B2, § 27a Rdnrn. 26 und 60 ff., Gemeinschaftskommentar zum AsylVfG, Bd. 2, I, § 27a Rdnr. 25), zumal der EUGH in seinem Urteil vom 14. November 2013 (– C 4/11 -, juris) ausdrücklich ausgeführt hat, dass der Umstand, dass in dem (ersten) Mitgliedstaat, der nach den in Kapitel III der Dublin-II-VO angeführten Kriterien für die Prüfung des Asylantrags zuständig ist, die Grundrechte des Asylantragstellers gefährdet sind, nicht die Schlussfolgerung rechtfertigt, dass der nunmehrige Aufenthaltsstaat verpflichtet wäre, das Selbsteintrittsrecht nach Art. 3 II Dublin-II-VO auszuüben, wenn die Zuständigkeit eines weiteren Mitgliedstaates in Betracht kommt.

Wenn der Antragsteller des Weiteren der Auffassung ist, dass Italien trotz der formalen Gewährung subsidiären Schutzes durch Zuerkennung eines Aufenthaltstitels gegen Art. 3 EMRK verstoße und deshalb ein Ausnahmefall vorliege, in dem ihm Rechtsschutz in Deutschland gewährt werden müsse, vermag sich das Gericht dem ebenfalls nicht anzuschließen. Angesichts der in der Dublin-II-VO europarechtlich geregelten Zuständigkeiten ist nämlich der einzelne Asylbewerber grundsätzlich darauf zu verweisen, ihm gegebenenfalls nach Abschluss eines Asylverfahrens zustehende Rechte in dem jeweils zuständigen Mitgliedstaat geltend zu machen und dabei – soweit erforderlich – um gerichtlichen Rechtsschutz nachzusuchen. Eine Selbsteintrittspflicht eines anderen Staates kann insoweit nur dann in Betracht kommen, wenn offensichtlich ist, dass in dem anderen Staat der europa- bzw. menschenrechtlich vorgegebene Mindeststandart für ein faires Asylverfahren und eine Wahrung der Menschenrechte nicht gewährleistet ist. [...]