1. Die Rechtskraft eines zur Flüchtlingsanerkennung verpflichtenden Urteils steht der Rücknahme der Anerkennung jedenfalls dann nicht entgegen, wenn das Urteil sachlich unrichtig ist, die von dem Urteil Gebrauch machenden Personen dies wissen und besondere Umstände hinzutreten, die die Ausnutzung des Urteils als sittenwidrig erscheinen lassen (Rechtsgedanke des § 826 BGB).
2. Ein sittenwidriger Missbrauch der auf einem Urteil beruhenden Flüchtlingsanerkennung liegt jedenfalls dann vor, wenn das Gericht über den Kern des Verfolgungsschicksals gezielt getäuscht wurde, insbesondere über die Identität und die Staatsangehörigkeit der Asylbewerber sowie die Akteure, von denen Verfolgung droht.
3. Die einjährige Ausschlussfrist des § 48 Abs. 4 Satz 1 VwVfG findet auf die Rücknahme nach § 73 Abs. 2 AsylVfG keine Anwendung (im Anschluss an Urteil vom 5. Juni 2012 - BVerwG 10 C 4.11 - BVerwGE 143, 183 für den Widerruf).
(Amtliche Leitsätze)
[...]
3. Das Berufungsgericht hat im Ergebnis zu Recht angenommen, dass der Bescheid vom 7. Oktober 1999 über die Feststellung der Voraussetzungen der §§ 51 und 53 Abs. 1 und 4 AuslG durch Ziffer 1 des streitgegenständlichen Bescheids vom 2. November 2010 nicht widerrufen werden durfte.
Maßgeblich für die rechtliche Beurteilung ist § 73 AsylVfG in der seit dem Inkrafttreten des Gesetzes zur Umsetzung aufenthalts- und asylrechtlicher Richtlinien der Europäischen Union vom 19. August 2007 (BGBl I S. 1970) - Richtlinienumsetzungsgesetz - am 28. August 2007 geltenden Fassung (Bekanntmachung der Neufassung des Asylverfahrensgesetzes vom 2. September 2008, BGBl I S. 1798, zuletzt geändert durch das Gesetz zur Umsetzung aufenthaltsrechtlicher Richtlinien der Europäischen Union und zur Anpassung nationaler Rechtsvorschriften an den EU-Visakodex vom 22. November 2011, BGBl I S. 2258); die zum 1. Dezember 2013 in Kraft getretenen Änderungen des Asylverfahrensgesetzes durch Art. 1 des Gesetzes zur Umsetzung der Richtlinie 2011/95/EU vom 28. August 2013 (BGBl I S. 3474), die im Übrigen die hier maßgeblichen Vorschriften im entscheidungserheblichen Gehalt unverändert gelassen haben, sind noch nicht anzuwenden.
Nach § 73 Abs. 1 Satz 1 AsylVfG muss die Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft unverzüglich widerrufen werden, wenn die Voraussetzungen für sie nicht mehr vorliegen. Dies ist nach Satz 2 der Vorschrift insbesondere der Fall, wenn der Ausländer es nach Wegfall der Umstände, die zur Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft geführt haben, nicht mehr ablehnen kann, den Schutz seines Heimatstaates in Anspruch zu nehmen. Ein rechtskräftiges Gerichtsurteil, das zu der Flüchtlingsanerkennung geführt hat, steht dem Widerruf nicht entgegen, wenn nach dem für das Urteil relevanten Zeitpunkt neue erhebliche Tatsachen eingetreten sind, die sich so wesentlich von den früher maßgeblichen Umständen unterscheiden, dass auch unter Berücksichtigung des Zwecks der Rechtskraft eine erneute Sachentscheidung durch die Verwaltung oder ein Gericht gerechtfertigt ist. Dabei kommt es nicht darauf an, ob die Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft rechtmäßig oder rechtswidrig war, weil Anknüpfungspunkt für den Widerruf eine Veränderung der tatsächlichen Situation, nicht aber die rechtliche Bewertung der ursprünglichen Zuerkennung des Flüchtlingsstatus ist (Urteile vom 22. November 2011 - BVerwG 10 C 29.10 - BVerwGE 141, 161 = Buchholz 402.25 § 73 AsylVfG Nr. 42 jeweils Rn. 16 und vom 18. September 2001 - BVerwG 1 C 7.01 - BVerwGE 115, 118 = Buchholz 402.25 § 73 AsylVfG Nr. 8). Ob eine relevante Veränderung in dem vorerwähnten Sinn stattgefunden hat, bestimmt sich nach den in dem rechtskräftigen Verpflichtungsurteil zu Grunde gelegten Tatsachen, denen die Lage im Zeitpunkt der letzten tatrichterlichen Entscheidung über den Widerruf entgegenzustellen ist. Maßgeblich sind dabei die konkreten Umstände des Einzelfalls. Ob die tatsächlichen Annahmen des Verwaltungsgerichts zutreffend waren, spielt für diese erste Stufe der Widerrufsprüfung keine Rolle (Urteil vom 22. November 2011 a.a.O. Rn. 18 f.). Haben sich die bei der Anerkennung - gegebenenfalls auch fehlerhaft - zu Grunde gelegten Verhältnisse in diesem Sinne grundlegend und dauerhaft geändert, ist in einer zweiten Stufe zu prüfen, ob nicht anderweitige Gründe für eine Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft vorliegen. Hierfür ist dann auf die Sach- und Erkenntnislage im Zeitpunkt der Entscheidung über den Widerruf abzustellen. Aus Art. 14 Abs. 1 i.V.m. Art. 11 Abs. 1 Buchst. e der Richtlinie 2004/83/EG des Rates (Qualifikationsrichtlinie, ebenso Art. 14 Abs. 1 der Richtlinie 2011/95/EU des Europäischen Parlaments und des Rates vom 13. Dezember 2011) ergibt sich hierzu nichts Abweichendes.
Nach diesen Grundsätzen ist bei dem Vergleich zwischen der vom Verwaltungsgericht in seinem Urteil vom 9. August 1999 angenommenen Sachlage und der Situation im Zeitpunkt der Entscheidung über den Widerruf davon auszugehen, dass den Klägern die Flüchtlingseigenschaft als türkischen Staatsangehörigen und im Hinblick auf ein von der Klägerin zu 1 behauptetes individuelles Vorverfolgungsschicksal zuerkannt worden ist. Eine im Zeitpunkt der Entscheidung über den Widerruf vorliegende wesentliche Veränderung der auf diese Umstände bezogenen Gefährdungslage hat weder die Beklagte noch das Berufungsgericht festgestellt, so dass auf der Grundlage des bislang festgestellten Sachverhalts ein Widerruf der Flüchtlingsanerkennung nach § 73 Abs. 1 AsylVfG nicht in Betracht kommt. Einer Zurückverweisung der Sache zur weiteren Tatsachenaufklärung bedarf es im vorliegenden Fall dennoch nicht, weil die Rücknahme des Bescheids vom 7. Oktober 1999 rechtlichen Bedenken nicht begegnet, so dass es auf die Zulässigkeit eines Widerrufs nicht mehr ankommt (dazu 4.). Abweichend von der Annahme der Beklagten und des Vertreters des Bundesinteresses beim Bundesverwaltungsgericht kommt es hingegen nicht auf die Frage an, ob sich die Lage der syrisch-orthodoxen Christen in der Türkei seit 1999 geändert hat. Denn dieser Gesichtspunkt hat für das rechtskräftige Verpflichtungsurteil vom 9. August 1999 keine entscheidungstragende Rolle gespielt.
4. Der Bescheid vom 2. November 2010 umfasst indes auch eine ex nunc-Rücknahme des Bescheids vom 7. Oktober 1999 (4.1), die sich auf § 73 Abs. 2 AsylVfG stützen kann (4.2) und der angesichts der Besonderheiten des Einzelfalles die Rechtskraft des verwaltungsgerichtlichen Urteils nicht entgegensteht (4.3); die Beklagte hat auch ein ihr etwa eingeräumtes Ermessen fehlerfrei betätigt (4.4). Offenbleiben kann daher, ob eine Rücknahme hier unionsrechtlich nicht nur möglich, sondern geboten gewesen wäre (4.5).
4.1 Der Bescheid vom 2. November 2010 lässt zwar nicht im Tenor, wohl aber in seiner Begründung mit der erforderlichen Bestimmtheit erkennen, dass mit Wirkung für die Zukunft neben dem auf einer Ermessensentscheidung gründenden Widerruf hilfsweise eine Rücknahme des Anerkennungsbescheids vom 7. Oktober 1999 ausgesprochen worden ist; die Beklagte hat im Verfahren klargestellt, dass auch insoweit die Aufhebung nur mit Wirkung für die Zukunft erfolgt ist.
4.2 Nach § 73 Abs. 2 Satz 2 i.V.m. Satz 1 AsylVfG ist die Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft zurückzunehmen, wenn sie auf Grund unrichtiger Angaben oder infolge Verschweigens wesentlicher Tatsachen ausgesprochen worden ist und wenn der Ausländer auch aus anderen Gründen nicht anerkannt werden könnte. Der Einhaltung einer Rücknahmefrist bedarf es nicht. In § 73 AsylVfG ist eine derartige Frist nicht geregelt, und jedenfalls seit Einführung der Dreijahresfrist in § 73 Abs. 2a AsylVfG ist auch hinsichtlich der Rücknahme nach § 73 Abs. 2 AsylVfG kein Raum für die Anwendung der Jahresfrist des § 48 Abs. 4 VwVfG neben § 73 AsylVfG (ebenso für den Widerruf bereits Urteil vom 5. Juni 2012 - BVerwG 10 C 4.11 - BVerwGE 143, 183 = Buchholz 402.25 § 73 AsylVfG Nr. 45 jeweils Rn. 17 f.).
Diese Voraussetzungen für die Rücknahme der Flüchtlingsanerkennung liegen vor. Die Angaben der Klägerin zu 1 zu ihrem angeblichen Verfolgungsschicksal waren, wie sie selbst eingeräumt hat, in allen wesentlichen Punkten unzutreffend; zudem hat die Klägerin zu 1 ihre armenische Staatsangehörigkeit verschwiegen. Eine Zuerkennung des Flüchtlingsstatus aus anderen Gründen ist nach ihren eigenen Angaben ausgeschlossen. Auch soweit die Kläger eine Rückkehr nach Armenien für rechtlich unzulässig halten, beziehen sie dies lediglich auf möglicherweise vorliegende Abschiebungsverbote, nicht aber auf behauptete Gründe für die Zuerkennung des Flüchtlingsstatus.
Die tatbestandlichen Voraussetzungen des § 73 Abs. 2 AsylVfG liegen auch hinsichtlich der Kläger zu 2 und 3 vor. Denn eine Rücknahme der Flüchtlingsanerkennung ist nicht davon abhängig, dass der betroffene Ausländer selbst unrichtige Angaben gemacht oder wesentliche Tatsachen verschwiegen hat; erst recht ist keine subjektive Täuschungs- oder Unterdrückungsabsicht erforderlich. Hier reicht aus, dass den im Zeitpunkt der Anerkennung asylverfahrensrechtlich nicht handlungsfähigen Klägern zu 2 und 3 die unrichtigen Angaben oder das Verschweigen wesentlicher Tatsachen, die zu einer objektiv fehlerhaften tatsächlichen Grundlage für ihre lüchtlingsanerkennung geführt haben, zuzurechnen waren; dies ist hier der Fall.
4.3 Die Beklagte war zur Rücknahme des Bescheids vom 7. Oktober 1999 ausnahmsweise auch unter Durchbrechung der Rechtskraft des Urteils vom 9. August 1999 berechtigt, weil eine Berufung der Kläger auf das Urteil einen Urteilsmissbrauch bedeutete.
Zwar schließt die Rechtskraft eines zur Flüchtlingsanerkennung verpflichtenden Urteils die Rücknahme des zuerkannten Status grundsätzlich aus, wenn das Urteil - wie hier - einer Korrektur im Wege der Restitutionsklage (§ 153 VwGO, § 580 ZPO) nicht mehr zugänglich ist. Denn regelmäßig überwiegt in einem solchen Fall das Interesse an der Beibehaltung des durch das Urteil bewirkten Rechtszustands gegenüber dem Interesse an dem nachträglichen Entzug einer auf fehlerhafter Tatsachengrundlage beruhenden Begünstigung: Die Rechtskraft soll zum Schutz von Rechtssicherheit und Rechtsfrieden gerade auch fehlerhaft entschiedene Fälle weiterem Streit entziehen (zum umgekehrten Fall der zu Gunsten des Betroffen ausnahmsweise erforderlichen Korrektur einer rechtskräftigen fehlerhaften Entscheidung entsprechend § 51 Abs. 5 VwVfG: Urteil vom 22. Oktober 2009 - BVerwG 1 C 15.08 - BVerwGE 135, 121 = Buchholz 316 § 51 VwVfG Nr. 55 jeweils Rn. 24 ff., 30 ff.).
Die Rücknahme einer Flüchtlingsanerkennung trotz rechtskräftiger Verpflichtung zur Zuerkennung dieses Status kann jedoch bereits nach nationalem Recht in Ausnahmefällen dann geboten sein, wenn das zu Grunde liegende Urteil unrichtig ist, wenn die Unrichtigkeit den von dem Urteil Begünstigten bekannt ist und wenn besondere Umstände hinzutreten, die die Ausnutzung des Urteils als sittenwidrig erscheinen lassen. Solche Umstände liegen bei der auf einem Urteil beruhenden Flüchtlingsanerkennung jedenfalls dann vor, wenn das Gericht über den Kern des Verfolgungsschicksals gezielt getäuscht wurde, insbesondere über die Identität und die Staatsangehörigkeit der Asylbewerber sowie die Akteure, von denen Verfolgung droht. Eine lediglich objektiv falsche Tatsachengrundlage des Verpflichtungsurteils reicht hier - anders als bei der Prüfung der Tatbestandsvoraussetzungen des § 73 Abs. 2 AsylVfG - nicht aus.
Auf der anderen Seite führt nicht jede - auch gezielte - Täuschung über untergeordnete, weniger gewichtige oder gar nicht ergebnisrelevante Umstände des asylbegründenden Vortrags bereits dazu, dem Flüchtling die Berufung auf die Rechtskraft eines Verpflichtungsurteils zu verwehren, denn eine nicht auf Ausnahmefälle beschränkte Korrektur inhaltlich falscher Gerichtsentscheidungen würde das Institut der Rechtskraft entwerten. Die eine Berufung auf die Rechtskraft ausschließende Schwelle des sittenwidrigen Urteilsmissbrauchs ist vielmehr erst überschritten, wenn sich die Täuschung auf wesentliche Umstände bezogen hat, ohne die eine positive Entscheidung über eine Asylanerkennung oder die Zuerkennung von Flüchtlingsschutz nicht möglich gewesen wäre.
Die nach Art. 20 Abs. 3 GG für jede Einschränkung der nach § 121 VwGO mit der Rechtskraft verbundenen Wirkungen erforderliche gesetzliche Grundlage (vgl. Urteil vom 22. Oktober 2009 - BVerwG 1 C 26.08 - BVerwGE 135, 137 = Buchholz 316 § 51 VwVfG Nr. 54 jeweils Rn. 14) ist mit § 826 BGB gegeben. Die im Verwaltungsrecht entsprechend anwendbare Vorschrift ist neben ihrer Funktion als Rechtsgrundlage für Schadensersatzansprüche zugleich gesetzlicher Ausdruck des Verbots der unzulässigen Rechtsausübung und wird als positivrechtliche Grundlage für den Einwand des sittenwidrigen Urteilsmissbrauchs - beschränkt auf besonders gewichtige Fälle - von der höchstrichterlichen Rechtsprechung herangezogen (Urteil vom 28. März 1963 - BVerwG 2 C 98.60 - BVerwGE 16, 36 = Buchholz 232 § 151 BBG Nr. 1; vgl. auch RG, Urteile vom 9. Februar 1911 - IV 119/10 - RGZ 75, 213 und vom 3. Mai 1937 - VI 333/36 - RGZ 155, 55; BGH, Urteile vom 21. Juni 1951 - III ZR 210/50 - NJW 1951, 759 und vom 6. Mai 1987 - IVb ZR 54/86 - NJW-RR 1987, 1032; BSG, Urteil vom 26. September 1986 - 2 RU 45/85 - BSGE 60, 251; BAG, Urteil vom 14. Oktober 1960 - 1 AZR 233/58 - BAGE 10, 88). Insoweit erfasst die Vorschrift mit dem Verbot rechtsmissbräuchlichen Verhaltens zugleich auch den hier auf die sittenwidrige Ausnutzung inhaltlich falscher rechtskräftiger Entscheidungen bezogenen Einwand des nemo auditur propriam turpitudinem allegans: Niemand wird vor Gericht damit gehört, dass er die für ihn günstigen Folgen eigenen rechtsmissbräuchlichen Verhaltens für sich in Anspruch nehmen will, unabhängig davon, ob bereits die Erwirkung oder erst die Ausnutzung eines inhaltlich falschen Titels betroffen ist. In einem solchen Fall müssen die Rechtswirkungen der Rechtskraft ausnahmsweise jedenfalls dann zurücktreten, wenn die dauerhaft wirkende Entscheidung (Asyl- oder Flüchtlingsanerkennung bzw. subsidiärer Schutz) auf einem begünstigenden rechtswidrigen Urteil gründet, das durch eine gezielte grobe Täuschung auf sittenwidrige Weise erwirkt worden ist. Die Restitutionsklage (§ 153 VwGO i.V.m. § 580 ZPO) schließt jedenfalls in Fällen der Fortwirkung des durch das sittenwidrig erwirkte Urteil bewirkten Rechtsvorteils den Grundsatz des Verbots des Rechtsmissbrauchs nicht aus. Sie erfasst nur bestimmte, vor allem an der Entscheidungsfindung im Zivilprozess ausgerichtete Formen der gezielten Erwirkung eines grob fehlerhaften Urteils, ist zudem nur innerhalb bestimmter Fristen eröffnet (§ 586 ZPO) und bildet daher eine gewichtige Konkretisierung der Möglichkeiten zur Beseitigung der Rechtskraft, enthält aber keine abschließende Regelung, um in Anwendung des Verbots des Rechtsmissbrauchs zwingenden Gerechtigkeitsanforderungen Geltung zu verschaffen.
Nach diesen Grundsätzen ist den Klägern die Berufung auf die rechtskräftige Entscheidung des Verwaltungsgerichts vom 9. August 1999 verwehrt. Dass diese Entscheidung inhaltlich falsch ist, räumen die Kläger ein, ebenso den Umstand, dass dies jedenfalls der Klägerin zu 1 von Anfang an bekannt war und den Klägern zu 2 und zu 3 bekannt ist. Denn das Verwaltungsgericht hat die Verpflichtung der Beklagten zur Zuerkennung des Flüchtlingsstatus und zur Feststellung von Abschiebungshindernissen mit dem Vortrag der Klägerin zu 1 zu ihrem angeblichen individuellen Verfolgungsschicksal begründet, ausgehend von der Annahme, es handle sich um Personen türkischer Staatsangehöriger und syrisch-orthodoxen Glaubens. Auch die Schwelle des sittenwidrigen Urteilsmissbrauchs ist im vorliegenden Fall überschritten, da die Klägerin zu 1 das rechtskräftige Urteil durch Falschangaben zu ihrer Identität, ihrer Staatsangehörigkeit und zur gesamten für das Gericht maßgeblichen Verfolgungsgeschichte erwirkt hat. Nach ihren späteren Angaben ist sie armenische Staatsangehörige und hat keinerlei Bezüge zur Türkei; die von ihr vorgetragenen Behauptungen über eine Vergewaltigung als Reaktion auf eine Weigerung ihres Ehemannes zur Kooperation mit den Sicherheitskräften sind ausnahmslos falsch, während sie Verfolgung in ihrem Heimatland Armenien zu keinem Zeitpunkt geltend gemacht hat. Diese Täuschung beschränkt sich mithin nicht auf Umstände, die für das Verwaltungsgericht von geringem Gewicht oder gar unerheblich waren, sondern erfasst den gesamten Vortrag zu ihrem angeblichen Vorfluchtschicksal und ist damit von ausschlaggebender Bedeutung für das zu Gunsten der Kläger gefällte Verpflichtungsurteil.
Auch die Kläger zu 2 und 3 können sich auf die für sie günstige rechtskräftige Entscheidung vom 9. August 1999 nicht berufen. Dabei kommt es nicht auf die Frage an, ob ihnen bereits die Täuschungshandlung der Klägerin zu 1 in dem jener Entscheidung vorausgegangenen verwaltungsgerichtlichen Verfahren im Hinblick auf ihr damaliges Alter zurechenbar war. Denn mit der Ausnutzung des durch diese qualifizierte Täuschung erwirkten inhaltlich falschen rechtskräftigen Urteils im Wissen um sein Zustandekommen überschreiten sie in gleicher Weise die Schwelle des sittenwidrigen Urteilsmissbrauchs wie die Klägerin zu 1.
4.4 Offenbleiben kann die Frage, ob der Beklagten bei der streitgegenständlichen Entscheidung ein Ermessen eingeräumt war oder ob sie trotz des Wortlauts des § 73 Abs. 2a Satz 4 AsylVfG aus unionsrechtlichen Gründen zur Rücknahme der Zuerkennung des Flüchtlingsstatus verpflichtet war. Denn im vorliegenden Fall hat die Beklagte ein im Hinblick auf die nach § 73 Abs. 2a Satz 1 i.V.m. Abs. 7 AsylVfG durchgeführte Prüfung etwa bestehendes Ermessen jedenfalls sachgerecht dahin ausgeübt, dass eine Rücknahme angesichts der Umstände des Falles ausgesprochen werden durfte. Auch wenn die Begründung des angegriffenen Bescheids zur Rücknahme der Zuerkennung des Flüchtlingsstatus keine gesonderten Ermessenserwägungen enthält, lässt sich jedenfalls der Begründung der Widerrufsentscheidung zweifelsfrei entnehmen, dass die dort angeführten Ermessenserwägungen auch für die hilfsweise ausgesprochene Rücknahmeentscheidung gelten sollen. Es muss daher nicht geklärt werden, ob Art. 14 Abs. 3 der Qualifikationsrichtlinie - wofür allerdings vieles spricht - nach seinem Wortlaut und Regelungszweck dahin auszulegen ist, dass der zuständigen Behörde ein Ermessen bei der Entscheidung über den Widerruf bzw. die Rücknahme einer Asyl- bzw. Flüchtlingsanerkennung entgegen § 73 Abs. 2a Satz 4 AsylVfG nicht eingeräumt sein darf und daher jedenfalls im Regelfall von einer unionsrechtskonformen Reduzierung des vom Gesetz eingeräumten Ermessens auf Null auszugehen sein könnte. [...]