VG Augsburg

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Zitieren als:
VG Augsburg, Urteil vom 25.10.2013 - Au K 13.30218 - asyl.net: M21627
https://www.asyl.net/rsdb/M21627
Leitsatz:

Für Rückkehrer in die D.R.Kongo ist die Sicherung der Existenzgrundlage davon abhängig, inwiefern der Rückkehrer vor Ort Unterstützung durch den - weit zu fassenden - Familienverband finden kann. Soweit einem Ausländer die Rückkehr in seine Heimatregion nicht möglich ist, kann ein Ausweichen auf andere Landesteile auf faktische Hürden stoßen, da die schlechte Infrastruktur das Reisen im Land behindert und die örtliche Bevölkerung häufig nicht zur Aufnahme von Personen anderer Ethnien bzw. aus anderen Gebieten bereit ist.

Schlagwörter: Demokratische Republik Kongo, Existenzgrundlage, Versorgungslage, interne Fluchtalternative, Infrastruktur, medizinische Versorgung, Ostkongo, Familienangehörige, Existenzminimum, erhebliche individuelle Gefahr,
Normen: AufenthG § 60 Abs. 7 S. 1,
Auszüge:

[...]

Nach dem aktuellen Lagebericht des Auswärtigen Amtes "sind Rückkehrer zur Sicherung ihrer Existenzgrundlage bis zur Aufnahme einer Erwerbstätigkeit auf Unterstützung aus dem Familienkreis bzw. durch Nichtregierungsorganisationen (international oder national) oder kirchliche Institutionen angewiesen. Staatliche Hilfe (Aufnahmeeinrichtung, Wohnraum, Sozialhilfe) steht nicht zur Verfügung. Der überwiegende Teil der Bevölkerung lebt am Rande des Existenzminimums. Auch innerhalb der Großfamilie gelingt es nicht immer, Härten durch wechselseitige Unterstützung aufzufangen. Die Stadtbevölkerung in der Millionenstadt Kinshasa ist immer weniger in der Lage, mit städtischer Kleinstlandwirtschaft und Kleinviehhaltung die Grundversorgung mit Nahrungsmitteln zu sichern… Die Versorgung mit Lebensmitteln ist für die Bevölkerung in Kinshasa und in den übrigen Landesteilen zwar schwierig, es herrscht jedoch noch keine akute Unterversorgung" (S. 21).

Allerdings ist für die Beurteilung der Versorgungslage weiter zu berücksichtigen, welcher Personengruppe der in die D.R. Kongo zurückkehrende Ausländer zuzurechnen ist. Die Sicherung der Existenzgrundlagen hängt wesentlich davon ab, in wieweit der Rückkehrer vor Ort Unterstützung durch den – weit zu fassenden – Familienverband finden kann. Ist ein derartiger familiärer Rückhalt vorhanden, ist eine Extremgefahr dahingehend, dass die notwendigen Lebensgrundlagen nicht gesichert werden können, zu verneinen (OVG Nordrhein-Westfalen, U.v. 13.10.2010 – 4 A 1008/07.A - juris Rn. 50, 54 unter Verweis auf den Lagebericht des Auswärtigen Amtes und weitere Auskünfte). Soweit einem Ausländer die Rückkehr in seine Herkunftsregion nicht möglich ist, kann ein Ausweichen auf andere Landesteile auf faktische Hürden stoßen, da die schlechte Infrastruktur das Reisen im Land behindert und die örtliche Bevölkerung häufig nicht zur Aufnahme von Personen anderer Ethnien bzw. aus anderen Gebieten bereit ist (Lagebericht S. 17).

Die medizinische Versorgung in der D.R. Kongo ist aufgrund des sehr schlechten Zustandes des Gesundheitswesens schwierig. Die medizinische Versorgung ist völlig unzureichend. Eine Basisversorgung ist auch in den größeren Städten nur gewährleistet, soweit die Familie über Geld verfügt.

cc) Ausgehend hiervon gelangt das Gericht zu der Überzeugung, dass beim Kläger die Voraussetzungen für die Annahme eines Abschiebungsverbots nach § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG vorliegen. Er stammt aus dem ...-Kongo und hat dort sein bisheriges Leben verbracht. Ausweislich der vorgelegten Atteste ist er psychisch erkrankt, so dass er angesichts der schwierigen Lebensverhältnisse in der D.R. Kongo bei einer Rückkehr dringend unterstützt werden müsste. Er verfügt jedoch über keine familiären Beziehungen nach Kinshasa, so dass es ihm nicht möglich ist, sich in zumutbarer Weise dort niederzulassen.

Die Angaben des Klägers zu seiner Herkunft sind für das Gericht glaubhaft. Seine Ausführungen beim Bundesamt und in der mündlichen Verhandlung zu seinen familiären Beziehungen und zu seinen bisherigen Aufenthaltsorten sind weitgehend deckungsgleich. So hat der in der Provinz ... geborene Kläger sein bisheriges Leben dort und im Norden der Provinz ... verbracht. Angesichts der insbesondere in den letzten eineinhalb Jahren verstärkten gewalttätigen Auseinandersetzungen im Osten der D.R. Kongo sind die im Klageverfahren vorgelegten ärztlichen Atteste des Klägers nachvollziehbar. Nach dem ärztlichen Attest eines Facharztes für Psychiatrie und Psychotherapie vom 15. Oktober 2013 befindet sich der Kläger in einer fachärztlich-psychiatrischen Behandlung. Bei ihm seien Schlafstörungen, Antriebsstörungen, eine Anhedonie, Stimmungsschwankungen, Alpträume, Intrusionen, Angstzustände, ein depressiver Affekt mit Grübelneigung, soziale Rückzugstendenzen mit Vermeidungsverhalten sowie ein Hyperarousal feststellbar. Diese Symptomatik stehe im Zusammenhang mit einer explorierbaren Traumatisierung durch den Bürgerkrieg in seinem Heimatland Kongo. Auch die behandelnde Psychotherapeutin kommt zu einer entsprechenden Diagnose. Zwar stützt sie diese zunächst auf die vom Kläger geschilderten Ereignisse, die das Gericht für unglaubwürdig hält. An anderer Stelle berichtet sie jedoch von Problemen mit Geräuschen, die den Kläger an Bombenangriffe erinnerten und zu Angstzuständen führten, was die ärztliche Diagnose einer bürgerkriegsbedingten Traumatisierung stützt. Da sich der Kläger relativ zügig nach seiner Einreise in ärztliche Behandlung begeben hat und die Zustände in seiner Herkunftsregion eine Traumatisierung nachvollziehbar erscheinen lassen, sind die ärztlichen Atteste für das Gericht so schlüssig, dass sie die Feststellung eines Abschiebungsverbots trotz der begründeten Zweifel an dem vom Kläger geschilderten Verfolgungsschicksal tragen. Die krankheitsbedingt eingeschränkte Leistungs- und Konzentrationsfähigkeit des Klägers, die in der mündlichen Verhandlung am 24. Oktober 2013 deutlich zu Tage trat, führt in Zusammenhang mit den schwierigen Verhältnissen in seinem Heimatland zu der Feststellung eines Abschiebungsverbotes. Belastbare familiäre Bindungen hat er nur im Osten des Landes, dessen Sicherheitslage trotz der jüngsten Kapitulation der M 23 – Rebellen labil ist. In den übrigen Landesteilen stößt die Rückkehr auf erhebliche Schwierigkeiten, da er die Sprache nicht spricht und ausweislich des Lageberichts aufgrund seiner Herkunft aus einem anderen Landesteil auf Ablehnung stoßen kann. Zudem hat er in Kinshasa keinerlei Anknüpfungspunkte und keine familiären Beziehungen. In zumutbarer Weise kann sich der auf Hilfe angewiesene, behandlungsbedürftige Kläger dort nicht niederlassen. Dies steht einer Abschiebung in die D.R. Kongo entgegen. [...]