VG Berlin

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Zitieren als:
VG Berlin, Urteil vom 30.10.2013 - 9 K 102.13.A - asyl.net: M21712
https://www.asyl.net/rsdb/M21712
Leitsatz:

Die Auskunftslage hinsichtlich der Situation besonders schutzbedürftiger Personen in Italien ist uneinheitlich. Das Gericht hält nach Auswertung der Erkenntnisse eine angemessene Versorgung psychisch kranker Menschen für nicht gesichert.

Schlagwörter: Italien, Dublinverfahren, Dublin II-VO, psychische Erkrankung, Suizidgefahr, Durchentscheiden, systemische Mängel, medizinische Versorgung, unmenschliche Behandlung, unmenschliche oder erniedrigende Behandlung, besonders schutzbedürftig, Posttraumatische Belastungsstörung, Aufnahmebedingungen, Obdachlosigkeit,
Normen: AsylVfG § 27a, VO 343/2003 Art. 3 Abs. 2,
Auszüge:

[...]

Die Klage ist auch begründet. Der Bescheid der Beklagten vom 25. Juni 2012 ist rechtswidrig und verletzt den Kläger in seinen Rechten, § 113 Abs. 1 und 5 VwGO. Der Asylantrag des Klägers ist nicht nach § 27a Asylverfahrensgesetz (AsylVfG) unzulässig. Er hat einen Anspruch auf Ausübung des Selbsteintrittsrechts nach Art. 3 Abs. 2 Dublin II-VO durch die-Beklagte und damit auf Durchführung seines Asylverfahrens in der Bundesrepublik Deutschland. Die Durchführung des Asylverfahrens in Italien kann dem Kläger aufgrund seiner behandlungsbedürftigen psychischen Erkrankung nicht zugemutet werden kann. Das der Beklagten durch Art. 3 Abs. 2 Satz 1 Dublin II-VO eröffnete Ermessen ist zugunsten des Klägers auf die Wahrnehmung des Selbsteintrittsrechts als einzig rechtmäßiger Entscheidung reduziert. Die Abschiebungsanordnung ist ebenfalls rechtswidrig.

Nach § 27a AsylVfG ist ein Asylantrag unzulässig, wenn ein anderer Staat aufgrund von Rechtsvorschriften der Europäischen Gemeinschaft oder eines völkerrechtlichen Vertrages für die Durchführung des Asylverfahrens zuständig ist. Nach Art. 3 Abs. 1 Satz 1 Dublin-II-VO prüfen die Mitgliedstaaten jeden Asylantrag, den ein Drittstaatsangehöriger an der Grenze oder im Hoheitsgebiet eines Mitgliedstaates stellt. Nach Satz 2 der Bestimmung wird der Antrag von einem einzigen Mitgliedstaat geprüft, der nach den Kriterien des Kapitels III der Verordnung als zuständiger Staat bestimmt wird.

Das Gericht geht davon aus, dass zunächst die Italienische Republik für die Prüfung des Asylbegehrens des Klägers zuständig war. [...]

Diese ursprüngliche Zuständigkeit Italiens ist nicht nach Art. 17 Abs. 1 UA 2 Dublin II-VO analog auf die Beklagte übergegangen. Art. 17 ist nicht direkt anwendbar, da er sich auf das Aufnahmeverfahren und nicht auf das hier zum Tragen kommende Wiederaufnahmeverfahren des Art. 20 Dublin II-VO bezieht. Zwar trifft es zu, dass künftig auch bei Wiederaufnahmeersuchen eine Ausschlussfrist gilt, die mit nur zwei Monaten im Vergleich zur derzeitigen Regelung in Art. 17 Abs. 1 Dublin II-VO sogar noch verkürzt wurde (vgl. Art. 23 Abs. 2 und Abs. 3 der Verordnung (EU) Nr. 604/2013 vom 26. Juni 2013 = Dublin-III-VO). Diese Regelung greift aber nicht für Altfälle (vgl. Art. 49 Dublin-III-VO). Der Gerichtshof der Europäischen Union (EuGH) hat bezüglich der Dauer des Verfahrens zur Klärung der Zuständigkeit keine konkrete Frist genannt, sondern lediglich festgelegt, dass diese nicht "unangemessen lang" sein dürfe (EuGH, Urteil vom 21. Dezember 2011, verbundene Rs. C-411/10 und C-493/10, Rn. 108). Auch für eine analoge Anwendung der in Art. 17 Abs. 1 UA 2 Dublin II-VO geregelten Frist auf Wiederaufnahmeersuchen nach Art. 20 Dublin II-VO ist mangels planwidriger Regelungslücke kein Raum (a. A. VG Göttingen, Urteil vom 25. Juli 2013 - 2 A 652/12 - Juris, Rn. 27 ff.). [...]

Das Ermessen der Beklagten auf Ausübung ihres Selbsteintrittsrechts nach Art. 3 Abs. 2 Satz 1 Dublin II-VO ist vorliegend auf Null reduziert.

Nach Art. 3 Abs. 2 Satz 1 Dublin II-VO kann jeder Mitgliedstaat einen von einem Drittstaatsangehörigen eingereichten Asylantrag prüfen, auch wenn er nach den in dieser Verordnung festgelegten Kriterien nicht für die Prüfung zuständig ist. Dadurch wird er gemäß Satz 2 dieser Vorschrift zum zuständigen Mitgliedstaat und übernimmt die mit dieser Zuständigkeit einhergehenden Verpflichtungen. Diese Vorschrift hat subjektiv-rechtlichen Charakter, so dass sich der Kläger auf diese berufen kann. Zwar richtet sich die Vorschrift nach ihrem Wortlaut an die Mitgliedstaaten. Gleichwohl ist sie nicht allein Im öffentlichen Interesse geschaffen worden, sondern verleiht auch dem von ihr Betroffenen ein subjektives Recht. Dies folgt schon aus der ersten Begründungserwägung der Dublin II-Verordnung, wonach die Ausarbeitung einer gemeinsamen Asylpolitik auch helfen soll, einen Raum der Freiheit, der Sicherheit und des Rechts aufzubauen, "der allen offen steht, die wegen besonderer Umstände rechtmäßig in der Gemeinschaft um Schutz nachsuchen", sowie aus der fünfzehnten Begründungserwägung, wonach die Dublin II-Verordnung Insbesondere darauf ab[zielt], die uneingeschränkte Wahrung des in Art. 18 verankerten Rechts auf Asyl zu gewährleisten (ebenso VG Osnabrück, Urteil vom 23. Januar 2012 - 5 A 212/11 -, Juris Rn. 83; VG Berlin, Urteil vom 8. März 2012, a.a.O.).

Das Recht zum Selbsteintritt kann sich unter bestimmten Umständen zu einer Pflicht verdichten, wie sich aus der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts zu Art. 169 Abs. 2 GG und des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte (EGMR) und des EuGH zur Rückführung von Asylbewerbern im Rahmen des Dublin II-Verfahrens nach Griechenland ergibt. Ein Selbsteintritt ist geboten, wenn systemische Mängel des Asylverfahrens und der Aufnahmebedingungen eines Zielstaates ernstlich und erwiesenermaßen für eine tatsächliche Gefahr einer unmenschlichen oder erniedrigenden Behandlung des Asylbewerbers i.S.v. Art. 4 der Grundrechtecharta im Mitgliedstaat, in den der Asylbewerber überstellt werden soll, sprechen und kein anderer Mitgliedstaat zuständig ist.

Zwar bestimmt Art. 16a Abs. 2 GG, dass sich auf das Asylrecht des Absatzes 1 nicht berufen kann, wer aus einem Mitgliedstaat der Europäischen Gemeinschaften oder aus einem anderen Drittstaat einreist, in dem die Anwendung des Abkommens über die Rechtsstellung der Flüchtlinge und der Konvention zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten sichergestellt ist. Italien gilt damit kraft Verfassung als sicherer Drittstaat. Art. 16a Abs. 2 GG sieht dabei nicht vor, dass dies im Einzelfall überprüft werden kann. Entsprechend kann der Ausländer, der In den sicheren (EU-) Drittstaat zurückgewiesen werden soll, den Schutz der Bundesrepublik Deutschland vor einer politischen Verfolgung oder sonstigen schwerwiegenden Beeinträchtigungen in seinem Herkunftsstaat grundsätzlich nicht mit der Begründung einfordern, für ihn bestehe in dem betreffenden Drittstaat keine Sicherheit, weil dort in seinem Einzelfall - trotz normativer Vergewisserung - die Verpflichtungen aus der Genfer Flüchtlingskonvention und der Europäischen Menschenrechtskonvention nicht erfüllt würden. Die Bundesrepublik Deutschland hat allerdings dann Schutz zu gewähren, wenn Abschiebungshindernisse durch solche Umstände begründet werden, die ihrer Eigenart nach nicht vorweg im Rahmen des Konzepts normativer Vergewisserung von Verfassung oder Gesetz berücksichtigt werden können und die damit von vornherein außerhalb der Grenzen liegen, die der Durchführung eines solchen Konzeptes aus sich selbst heraus gesetzt sind. Dabei sind an die Darlegung eines solchen Sonderfalles strenge Anforderungen zustellen (BVerfG, Urteil vom 14. Mai 1996 - 2 BvR 1938/93, 2 BvR 2316/93 - BVerfGE 94, 49 [99 f.]).

Die Regelungen in Art. 16a Abs. 2 GG und § 27a AsylVfG sind zudem im Lichte des europäischen Gemeinschaftsrechts einschränkend auszulegen. Nach dem Urteil des Europäischen Gerichtshofs vom 21. Dezember 2011 (verbundene Rs. C-411/10 und C-493110) dürfen die Mitgliedstaaten zwar im Rahmen des europäischen Asylsystems einander vertrauen, dass die Grundrechte beachtet werden. Aufgrund dieses Prinzips des gegenseitigen Vertrauens wurde die Dublin-II-Verordnung erlassen, die im Wesentlichen die Bearbeitung der Asylanträge im Interesse sowohl der Antragsteller als auch der Dublin-Staaten beschleunigen will. Deshalb reicht nicht schon der geringste Verstoß gegen asylrechtliche Normen aus, um eine Überstellung an den zuständigen Mitgliedstaat zu hindern. Andernfalls würden die Verpflichtungen der Staaten Im gemeinsamen europäischen Asylsystem ausgehöhlt und das Ziel gefährdet, den zuständigen Staat rasch zu bestimmen. Allerdings steht das Unionsrecht einer unwiderlegbaren Vermutung, dass ein Zielstaat der Überstellung die Unionsgrundrechte beachtet, entgegen. Es obliegt den Mitgliedstaaten einschließlich ihrer Gerichte, von einer Überstellung bei erheblichen Defiziten abzusehen. Ein solcher Fall liegt vor, wenn Mitgliedstaaten nicht verborgen geblieben sein kann, dass systemische Mängel des Asylverfahrens und der Aufnahmebedingungen eines Zielstaates ernstlich und erwiesenermaßen für eine tatsächliche Gefahr einer unmenschlichen oder erniedrigenden Behandlung i.S.v. Art. 4 der Grundrechtecharta sprechen (vgl. auch EGMR, Urteil vom 21. Januar 2011, M.S.S./Belgien und Griechenland, appl. no. 30698/09, § 353). In diesem Fall besteht eine Verpflichtung, den Asylbewerber nicht an den an sich zuständigen Mitgliedstaat zu überstellen. Soweit in angemessener Zelt kein anderer Mitgliedstaat anhand der Kriterien der Art. 5 ff. der Dublin II-VO als zuständiger Mitgliedstaat festgestellt werden kann, an den eine Überstellung erfolgen kann, verdichtet sich das aus Art. 3 Abs. 2 Dublin II-VO folgende Selbsteintrittsrecht zu einer Selbsteintrittspflicht, auf dessen Ausübung der Asylbewerber einen subjektiv-rechtlichen-Anspruch hat (vgl. Urteil des EuGH vom 14. November 2013, Re. C-4/11, Puid, Rn. 299 ff., 35).

Im vorliegenden Fall besteht eine derartige tatsächliche Gefahr einer unmenschlichen und erniedrigenden Behandlung des Klägers bei einer Rückführung nach Italien. Dabei kann dahingestellt bleiben, ob die Aufnahmebedingungen In Italien insbesondere hinsichtlich Unterkunft und Gesundheitsversorgung so defizitär sind, dass derzeit eine Rückschiebung von Asylbewerbern nach Italien generell unzulässig wäre. Denn das Gericht stellt hier entscheidend auf die Aufnahmebedingungen für besonders schutzbedürftige Personen ab.

Der Kläger gehört nach Überzeugung des Gerichts zum Kreis besonders schutzbedürftiger Personen. Er befindet sich seit September 2012 in psychotherapeutischer, seit August 2013 zusätzlich in psychiatrischer Behandlung. Bereits seit Anfang des Jahres 2012 begab er sich mehrfach in psychisch stark belastetem Zustand zu Xenion zur Krisenintervention und psychosozialen Beratung. Hinzu kamen zwei stationäre Aufenthalte Ende des Jahres 2012 im Evangelischen Krankenhaus ... u. a. aus Anlass von Suizidgedanken. In den Behandlungsberichten des Ev. Krankenhauses .... vom 17. Oktober 2012 und vom 3. Januar 2013 wurde beim Kläger eine Anpassungsstörung (ICO 10 F 43.2) mit depressiver Reaktion diagnostiziert. Im Verlauf der stationären Aufenthalte habe er sich von Suizidalität entfernen können, eine ambulante Therapie sei zu empfehlen. Im vom Gericht eingeholten Befundbericht vom 17. Juni 2013 diagnostizierte die behandelnde Diplom-Psychologin und psychologische Psychotherapeutin ... beim Kläger eine andauernde Persönlichkeitsänderung nach Extrembelastung (ICD 10 F 82.0) - entwickelt aus einer posttraumatischen Belastungsstörung - in Kombination mit Anpassungsstörungen (ICD 10 F - 43.22). Die Behandlungen fänden einmal wöchentlich statt. Im Zentrum der Störung stehe ein selbstzerstörerisches Verhalten. Der Kläger sei aufgrund der seit vielen Jahren anhaltenden existenziellen Bedrohung, Flucht und Misshandlungen ohne Erholungsphasen extrem erschöpft. Dies führe zu nicht steuerbaren Affekten, die nicht durchbrochen werden könnten. Hierdurch entstehe die Gefahr einer akuten Selbstgefährdung durch Selbstverletzung bis hin zu Suizidhandlungen. Der Kläger bedürfe einer spezifischen Trauma- sowie längerfristigen kompetenzaufbauenden Behandlung. Eine medikamentöse Therapie sei nicht ausreichend. Im Falle eines Behandlungsabbruchs sei beim Kläger mit einer erheblichen Gesundheitsverschlechterung bis hin zu suizidalen Handlungen zu rechnen. Im Attest vom 1. Oktober 2013 diagnostiziert die Fachärztin für Psychiatrie und Psychotherapie ... beim Kläger eine posttraumatische Belastungsstörung (ICD 10 F 43.1) aufgrund der Erlebnisse im Heimatland. Der Befund zeige u. a. Ängste, den Alltag nicht zu bewältigen, bis hin zu lebensmüden Gedanken. Die psychische Belastbarkeit sei deutlich vermindert, die in Deutschland begonnene therapeutische und medikamentöse Behandlung solle dringend fortgesetzt werden.

Das Gericht geht davon aus, dass dem Kläger wegen seiner psychischen Krankheit in Italien Gefahren i. S. v. Art. 4 Grundrechtecharta drohen. Zwar Ist die Auskunftslage auch hinsichtlich der Situation besonders schutzbedürftiger Personen in Italien nach wie vor uneinheitlich. Nach den dem Gericht vorliegenden Berichten des Auswärtigen Amtes sollen für Dublin-Rückkehrer ausreichend Unterkunftsplätze vorhanden sowie Behandlungsmöglichkeiten für psychisch Kranke sichergestellt sein. Dies gelte gleichermaßen für die Zeit zwischen Antragstellung und Registrierung wie zwischen Registrierung und Entscheidung über das Asylbegehren. Mit Hilfe von Sammeladressen, die die Caritas anbiete, hätten auch Personen ohne festen Wohnsitz Zugang zur Gesundheitsversorgung. Ferner existiere eine Not- und Grundversorgung für alle in Italien aufhältigen Personen. Zudem gebe es eine reale Chance, dass Asylbewerber die ihnen gesetzlich zustehenden Rechte zeitnah vor Gericht durchsetzen könnten (Auskünfte an das OVG Sachsen-Anhalt vom 21. August 2013 und vom 21. Januar 2013), in der Praxis verzichteten viele Dublin-II-Rückkehrer allerdings darauf, einen Asyl- oder Schutzantrag In Italien zu stellen, weil sie nicht in Italien bleiben wollten. Damit stünden ihnen die staatlichen Aufnahmezentren und andere Leistungen nicht mehr offen (Auskunft an das VG Freiburg vom 11. Juli 2012).

Flüchtlingsorganisationen beschreiben die Situation in Italien für besonders schutzbedürftige Personengruppen hingegen als sehr schwierig. [...]

In der Rechtsprechung wird zum Teil davon ausgegangen, dass es nahezu ausgeschlossen ist, dass nach Italien rücküberstellte psychisch Kranke einen Unterkunftsplatz erhalten bzw. dass besonders schutzbedürftige Personen dort angemessen versorgt werden (VG Kassel, Beschluss vom 14. Juni 2013 - 3 L 654/13.KS.A; VG Frankfurt a. M., Urteil vom 18. April 2013 - 9 K 28/11.F.A; VGH Bayern, Beschluss vom 6. Februar 2013 - 20 ZB 12.30286 - Juris, Rn. 4; VG Berlin, Urteil vom 8. März 2012 - 9 K 340.11). Zum Teil wird von einer für alle Dublin-Rückkehrenden unzumutbaren Lage in Italien ausgegangen (VG Braunschweig, Urteil vom 21. Februar 2013 - 7 A 57/11 - Juris und vom 20. September 2013 - 7 A 68/12; VG Frankfurt a. M., Urteil vom 9. Juli 2013 - 7 K 560/11.F.A - Juris). Zum Teil wurde die Frage, wie sich die Situation besonders schutzbedürftiger Personen in Italien darstellt, offen gelassen (OVG Berlin-Brandenburg, Beschluss vom 17. Juni 2013 - OVG 7 S 33.13 - Juris, Rn. 31), zum Teil auch für diese Personen von einer prinzipiell zumutbaren Rückkehr nach Italien ausgegangen (VG Hamburg, Urteil vom 18. Juli 2013 - 10 A 581/13 - Juris; Rn. 39, VG Düsseldorf, Urteil vom 16. April 2013 - 17 K 1778/12.A - Juris, Rn. 71 ff.). Der EGMR wies eine Beschwerde einer somalischen Staatsangehörigen, die bereits von Italien subsidiären Schutz im Sinne der Qualifikationsrichtlinie (Richtlinie 2004/83/EG) erhalten hatte, gegen ihre Überstellung nach Italien als unzulässig zurück (Beschluss vom 2. April 2013, Hussein et al./die Niederlande und Italien, appl. no. 27725/10). Die Tragweite dieser Entscheidung wird unterschiedlich interpretiert (vgl. Urteil des VG Frankfurt a. M. vom 9. Juli 2013 - 7 K 660/11.F.A - Juris, Rn. 51 ff., einerseits und Urteil des VG Hamburg vom 18. Juli 2013 - 10 A 581/13 -Juris, Rn. 29 ff., andererseits).

Das Gericht hält nach Auswertung dieser Erkenntnisse eine angemessene Versorgung psychisch kranker Dublin-II-Rückkehrer, deren Asylverfahren - wie beim Kläger - in Italien noch nicht abgeschlossen war, für nicht gesichert. Diese Einschätzung stützt sich auf die diesbezüglichen Angaben in dem zitierten Bericht der Schweizerischen Flüchtlingshilfe, die hinsichtlich der Anzahl der dieser Personengruppe offen stehenden Unterkunftsplätze und der Schwierigkeiten beim Zugang zu diesen Unterkünften wesentlich detaillierter und aktueller sind als diejenigen des Auswärtigen Amtes in der Auskunft vom 21. August 2013. Das angesichts der geringen Anzahl vorhandener Unterkunftsplätze für Personen wie den Kläger bestehende Risiko, jedenfalls kurzfristig keine Unterkunft zu erhalten, ist diesem angesichts seines oben geschilderten Gesundheitszustandes nicht zumutbar. Er bedarf - wie sich aus den medizinischen Unterlagen ergibt - weiterhin einer kontinuierlichen therapeutischen und medikamentösen Behandlung. Dabei geht das Gericht davon aus, dass schon eine kurzfristige Unterbrechung der derzeit wöchentlich stattfindenden Therapietermine zu einer Gesundheitsverschlechterung beim Kläger führen wird. Zudem ergibt sich aus den vorliegenden medizinischen Unterlagen, dass der Kläger extrem erschöpft und nicht in der Lage ist, herausfordernde Alltagssituationen zu meistern. Vor dem Hintergrund der unklaren Unterkunftsverhältnisse In Italien für Dublin-Rückkehrer und der konkreten Gefahr von jedenfalls zeitweiser Obdachlosigkeit sowie der damit verbundenen Unsicherheiten hätte eine Überstellung des Klägers nach Italien eine erhebliche Gesundheitsverschlechterung beim Kläger zur Folge. Auch wenn in Italien an sich die Möglichkeit der Behandlung psychischer Erkrankungen für Asylbewerber besteht, ist unwahrscheinlich, dass der Kläger konkret und schnell Zugang zu dieser Behandlung erhielte. Selbst wenn es ihm gelänge, durch Anmeldung bei einer Hilfsorganisation Zugang zur Gesundheitsversorgung zu erlangen, löste eine solche Behandlungsmöglichkeit nicht das Problem, dass der Kläger nicht sicher sein kann, eine Unterkunft in Italien zu erhalten. Aufgrund der beim Kläger bestehenden extremen Erschöpfung ist es ihm auch nicht zuzumuten, die ihm zustehende Grundversorgung in Italien erst gerichtlich durchzusetzen. Ressourcen hierfür sind beim Kläger nicht vorhanden. [...]

Da kurzfristig weder eine Verbesserung des Gesundheitszustands des Klägers noch der Unterbringungsmöglichkeiten für psychisch kranke Dublin-II-Rückkehrer in Italien zu erwarten ist, darf der Kläger nicht dorthin überstellt werden. Die Beklagte hat auch keinen sonst zuständigen Mitgliedstaat für die Prüfung des Asylantrages des Klägers ermittelt oder gar ein Wiederaufnahmeverfahren bezüglich anderer Mitgliedstaaten eingeleitet. Somit bleibt als einzige rechtmäßige Entscheidung die Ausübung des Selbsteintrittsrechts durch die Beklagte. [...]