VG Trier

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Zitieren als:
VG Trier, Urteil vom 30.04.2013 - 1 K 112/13.TR - asyl.net: M21716
https://www.asyl.net/rsdb/M21716
Leitsatz:

Einem Mitglied der oppositionellen Aserbaidschanischen Demokratischen Partei, der u.a. als Wahlbeobachter tätig war und deshalb von der Polizei als Unruhestifter eingestuft wurde, und der zudem von Unbekannten misshandelt wurde, droht bei der Rückkehr nach Aserbaidschan erneut politische Verfolgung.

Schlagwörter: Aserbaidschan, ADP, Aserbaidschanische Demokratische Partei, Opposition, Oppositionspartei, politische Verfolgung,
Normen: GG Art. 16a Abs. 2, AufenthG § 60 Abs. 1
Auszüge:

[...]

Die Voraussetzungen des Anspruchs auf Asyl liegen hier vor. Zu Unrecht hat die Beklagte darauf geschlossen, dass die Kläger vor der Ausreise nicht im Auftrag der aserbaidschanischen staatlichen Stellen verfolgt worden seien. Vielmehr haben diese glaubhaft vorgetragen, dass ihnen in Aserbaidschan politische Verfolgung widerfahren ist. Hierzu haben sie auch stichfeste Dokumente vorgelegt.

Die Kläger sind seit dem Jahr 2002 Mitglieder der oppositionellen Aserbaidschanischen Demokratischen Partei. Bereits in den Jahren 2003 und 2006 soll es zu Repressalien gekommen sein, die insbesondere den Kläger zu 1. schwer getroffen haben. Dieser hat ferner glaubhaft vorgetragen, bereits im Jahr 2009 als Wahlbeobachter eingesetzt gewesen zu sein. Damals ging es um die Bürgermeisterwahl. Ihm war aufgefallen, dass viele Wähler in verschiedenen Wahllokalen mehrfach ihre Stimme abgegeben haben. Derartige Vorgänge lassen sich in den Auskünften nachvollziehen. Auf den hiergegen erhobenen Protest stufte ihn die Polizei als Unruhestifter ein. Sein Verhalten wurde als Ordnungswidrigkeit eingestuft.

Am 7. November 2010 fanden die Parlamentswahlen in Aserbaidschan statt. Der Kläger zu 1. war als zweiter stellvertretender Parteivorsitzender als Wahlbeobachter bestellt. Die Klägerin zu 2. und die beiden Söhne waren ebenfalls als Wahlbeobachter eingesetzt. Die Tätigkeiten übten sie in zwei unterschiedlichen Wahllokalen aus. Die Kläger stellten bereits im Wahllokal Wahlbetrug fest und artikulierten dies. Hierauf gab es bereits im Wahllokal Druck.

Als sie mit dem Auto nach Hause fuhren, kamen zwei Autos. Es sprangen mehrere kräftige Männer aus den Autos und schlugen die gesamte Familie. Der Kläger zu 1. wurde gewürgt. Der Klägerin zu 2. wurde ein Zahn ausgeschlagen. Die Angreifer wollten das Wahlprotokoll haben. Wahrheitswidrig behauptete der Kläger zu 1., dass er es schon an einen Parteigenossen weitergegeben habe. In dem Protokoll befanden sich Beobachtungen über Wahlfälschungen. Die Männer drohten sodann damit, man werde den Kläger zu 1. umbringen, wenn kritische Worte in den Medien erscheinen würden, die den Wahlablauf beträfen. Am nächsten Tag ging der Kläger zu 1. zur Polizei. Dort wurde ihm gegen Zahlung eines Schmiergeldes mitgeteilt, dass er auf einer schwarzen Liste stehe. Man werde versuchen, ihm etwas - zum Beispiel Drogen - in die Tasche zu stecken, um ein Delikt vorzutäuschen. Es sei auch nicht ausgeschlossen, dass man ihn umbringen wolle.

Später erschien in der Zeitschrift ... ein Artikel mit einem Bild des Klägers, der im Verfahren neben weiteren Zeitungsberichten vorgelegt wurde, inhaltlich ging es dabei um Wahlfälschungen. Am Tag nach dem Erscheinen der Zeitung wurden der Kläger zu 1. und der Sohn ... zusammengeschlagen. Sie wurden auf den Artikel angesprochen. Wiederum wurde dem Kläger zu 1. und am Abend auch der Klägerin zu 2. telefonisch gedroht.

Dieser Vortrag steht fest aufgrund des Inhalts der Verwaltungsakten, der Ausführungen in der mündlichen Verhandlung, aufgrund der von den Klägern im Verfahren vorgezeigten Unterlagen und dem von den Klägern gewonnenen persönlichen Eindruck. Soweit die Beklagte von einem unglaubhaften Vortrag ausgeht, haben die Kläger im Rahmen der mündlichen Verhandlung die auf Seite 5 des angefochtenen Bescheides niedergelegten Widersprüche aufgeklärt bzw. klargemacht, dass Widersprüche nicht vorlagen.

Bei dem angeblichen Gegenstand, mit dem auf den Kläger zu 1. eingeschlagen worden sein soll, handelte es sich nach den übereinstimmenden Angaben der Familie um eine Schnur bzw. ein Kabel, mit dem der Kläger zu 1. gewürgt wurde. Soweit der Sohn ... angegeben hat, der Vater sei von drei Personen geschlagen worden, handelte es sich um eine Momentaufnahme. Dies ist nachvollziehbar, wurde der Sohn ... doch selbst von zwei Personen geschlagen und konnte sich nur kurz zu seinem Vater umdrehen.

Die Klägerin zu 2. hat klargestellt, dass sie beim Bundesamt nicht gesagt hat, ihr Mann sei zweimal bei der Polizei gewesen. Sie hat nachvollziehbar und glaubwürdig dargelegt, dass sie das so formuliert habe, dass selbst dann, wenn der Kläger zu 1. mehrfach zur Polizei gegangen wäre, man nichts getan hätte. Der Kläger zu 1. und der Sohn ... haben auch klargestellt, wie es sich am 19. Dezember 2010 verhalten hat. An jenem Tag gingen sie vom Basar zum Auto, das sich in der Werkstatt befand. Danach sind sie nach Hause gefahren und wurden während der Fahrt gestoppt. Es kam dann zu den von den Klägern geschilderten Übergriffen.

Die genannten Vorfälle sind auch den offiziellen aserbaidschanischen Stellen zuzurechnen. Einerseits handelt es sich bei den Vorwürfen des Wahlbetruges um sehr sensible Anwürfe gegen die Wahlgewinner. Andererseits wurde dem Kläger zu 1. auf der Polizeidienststelle gesteckt, dass er auf einer schwarzen Liste stehe. Mithin waren staatliche Stellen in die glaubhaft geschilderten Verfolgungsmaßnahmen involviert.

Beiden Klägern würden auch hinreichend wahrscheinlich erneut Verfolgungsmaßnahmen drohen, wenn sie nach Aserbaidschan zurückkehren müssten. Für diese Einschätzung sind die besonders herausstechenden Besonderheiten des Einzelfalls maßgeblich. Bei den Vorfällen handelt es sich um sehr nachhaltige Geschehnisse, die auch noch hinreichend aktuell sind. Der Kläger zu 1. und sein Bruder haben bzw. hatten hervorgehobene Positionen in der Oppositionspartei ADP inne. Der Kläger zu 1. ist in Aserbaidschan bekannt. Es wurde in mehreren großen Zeitungen über die von ihm erhobenen Vorwürfe berichtet. Angesichts all dessen und der insgesamt herausragenden politischen Betätigung des Klägers zu 1. sind die Kläger, die Klägerin zu 2. auch nach Maßgabe des § 26 AsylVfG, als Asylberechtigte anzuerkennen und ihnen ist gleichzeitig die Flüchtlingseigenschaft zuzuerkennen. [...]