VG Braunschweig

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Zitieren als:
VG Braunschweig, Urteil vom 15.05.2013 - 7 A 236/11 - asyl.net: M21719
https://www.asyl.net/rsdb/M21719
Leitsatz:

Zwar ist grundsätzlich nicht von einer Verfolgung von Personen allein wegen ihrer Mitgliedschaft in der Oppositionspartei FPI auszugehen, es ist aber wahrscheinlich, dass Vertreter des alten Regimes von Gbagbo oder so wahrgenommene Personen sowohl staatlichen wie auch nichtstaatlichen Übergriffen ausgesetzt sein können, wobei eine klare Trennung zwischen staatlichen und nichtstaatlichen Akteuren nicht möglich und zudem die Schutzfähigkeit sowie -willigkeit staatlicher Organe unwahrscheinlich ist.

Schlagwörter: Côte d’Ivoire, Gbagbo, Ouattara, FPI, Opposition, Oppositionspartei, Front Populaire Ivoirien, nichtstaatliche Verfolgung, Schutzfähigkeit, Schutzbereitschaft,
Normen: AufenthG § 60 Abs. 1, GG Art. 16a,
Auszüge:

[...]

Die zulässige Klage, über die das Gericht trotz Ausbleiben der Beklagten verhandeln konnte und entscheiden kann, weil es in der ordnungsgemäßen Ladung auf diese Möglichkeit hingewiesen hat (§ 102 Abs. 2 VwGO), ist begründet. Der angefochtene Bescheid ist rechtswidrig und verletzt den Kläger in seinen Rechten. Der Kläger hat einen Anspruch auf Anerkennung als Asylberechtigter und Feststellung der Voraussetzung des § 60 Abs. 1 AufenthG (§ 113 Abs. 5, 1 VwGO).

Wegen der Voraussetzungen für die Anerkennung als Asylberechtigte sowie die Gewährung von Abschiebungsschutz nach § 60 Abs. 1 AufenthG nimmt das Gericht gem. § 77 Abs. 2 AsylVfG auf die zutreffenden Ausführungen des angefochtenen Bescheids Bezug.

Diese Voraussetzungen liegen im Hinblick auf den Kläger vor. Der Kläger legte zur Überzeugung des Gerichts dar, dass er vor seiner Ausreise in der Côte d'Ivoire politisch verfolgt wurde. Er war in der mündlichen Verhandlung in der Lage, sein Vorbringen zu konkretisieren und dieses bildhaft darzustellen. Danach war er zunächst als Fahrer für die Regierung von Gbagbo tätig. Zwar fuhr er diesen nicht persönlich. Er fuhr aber seine Angestellten. Dementsprechend ist es durchaus nachvollziehbar, dass er als Mitarbeiter und Unterstützer von Gbagbo angesehen und vermutet wurde, dass er über Waffen verfüge und bei sich verstecke. Er konnte weiterhin anschaulich und nachvollziehbar schildern, dass sein Haus durchsucht und er in ein Lager verschleppt wurde. Weiterhin legte er dar, dass er dort voraussichtlich getötet worden wäre, wenn ihm sein Bekannter nicht zur Flucht verholfen hätte. Insgesamt schilderte er das Geschehen in der mündlichen Verhandlung in sich stimmig mit vielen Unterbrechungen, Einschüben und zeitlichen Sprüngen, wie es für ein tatsächlich erlebtes und aus der Erinnerung wiedergegebenes Geschehen, nicht aber für ein erfundenes typisch ist. Da der Kläger in seinem Haus verschleppt und in ein nicht weit entferntes Lager gebracht wurde, erscheint es dem Gericht auch nicht abwegig, dass einer der Bewacher ein Bekannter des Klägers war. Der Kläger konnte insoweit nämlich überzeugend darlegen, dass dieser ebenfalls in seinem Viertel lebte und er ihm und seiner schwangeren Frau zuvor helfen konnte. Da er weiterhin angab, von Sympathisanten Ouattaras und nicht von regulären Soldaten verschleppt worden zu sein, erscheint es auch nicht unwahrscheinlich, dass diese unter anderem auch aus seinem Viertel stammten und daher unter diesen durchaus auch der ebenfalls in dem Viertel lebende Bekannte des Klägers sein konnte. Vor diesem Hintergrund erscheint es auch nachvollziehbar, dass der Kläger auf einer handgeschriebenen Liste dieser Sympathisanten Ouattaras aufgeführt war.

Auch derzeit ist eine Verfolgung bei einer Rückkehr des Klägers in die Côte d'Ivoire nicht ausgeschlossen. Zwar ist grundsätzlich nicht von einer Verfolgung von Personen allein wegen ihrer Mitgliedschaft in der FPI auszugehen, denn diese ist politisch nicht verboten und als Oppositionspartei aktiv (vgl. Auskunft des Auswärtigen Amts an VG Braunschweig vom 05.11.2012, aufgeführt in der Erkenntnismittelliste des Gerichts zur Côte d'Ivoire). Es ist aber weiterhin wahrscheinlich, dass Vertreter oder so wahrgenommene Personen des alten Regimes von Gbagbo sowohl staatlichen wie auch nichtstaatlichen Übergriffen ausgesetzt sein können. Insoweit ist eine klare Trennung zwischen staatlichen und nichtstaatlichen Akteuren bereits nicht möglich und es ist auch unwahrscheinlich, dass die Staatsorgane zum Schutz einer solchen Person fähig und willig sind (vgl. dazu die nachvollziehbare und überzeugende Auskunft des GIGA an VG Braunschweig vom 09.10.2012, aufgeführt in der Erkenntnismittelliste des Gerichts zur Côte d'Ivoire; vgl. ferner auch VG Braunschweig, Urteil vom 15.04.2013 - 7 A 279/11 -, Veröffentlichung nicht bekannt). Der Kläger gehört zu diesem Personenkreis, denn er wurde als Mitarbeiter und Unterstützer Gbagbos angesehen und reiste als solcher vorverfolgt aus. [...]