VG Düsseldorf

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Zitieren als:
VG Düsseldorf, Urteil vom 10.06.2013 - 23 K 286/11.A - asyl.net: M21744
https://www.asyl.net/rsdb/M21744
Leitsatz:

Eine Verurteilung zu einer langjährigen Gefängnisstrafe in Kamerun stellt unter Berücksichtigung der dort bestehenden Haftbedingungen und Verhältnisse in den Gefängnissen sowie der individuellen Verhältnisse (Lebensalter, Gesundheitszustand) eine unmenschliche Behandlung im Sinne von Art. 3 EMRK dar.

Schlagwörter: Kamerun, Freiheitsstrafe, Haftbedingungen, Misshandlung, Vergewaltigung, unmenschliche Behandlung,
Normen: AufenthG § 60 Abs. 2, EMRK Art. 3,
Auszüge:

[...]

Steht damit zur Überzeugung des Gerichts fest, dass es sich beim Kläger um ... handelt und dieser wegen Tatbeteiligung an einer Veruntreuung öffentlicher Mittel durch den Cour d'Appel du Centre in Jaunde zu einer Freiheitsstrafe von zehn Jahren verurteilt worden ist, droht ihm mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit bei Rückkehr nach Kamerun erniedrigende oder unmenschliche Behandlung. Diese liegt in den Haftbedingungen in den kamerunischen Gefängnissen begründet. Es ist nicht klar, in welchem Gefängnis der Kläger seine Haftstrafe verbüßen muss. Darauf kommt es auch nicht an, weil die Haftbedingungen allgemein menschenrechtswidrig sind. Dies entnimmt das Gericht den vorliegenden Auskünften und Erkenntnissen, insbesondere den Lageberichten.

Danach werden vom Auswärtigen Amt die Haftbedingungen in den kamerunischen Gefängnissen seit Jahren als sehr schlecht beschrieben, da die Gefängnisse massiv überbelegt sind. Misshandlungen von Häftlingen sind häufig, Vergewaltigungen in der Haft kommen immer wieder vor. Der Staatshaushalt sah 2009 zur Ernährung eines Häftlings 0,33 Euro täglich vor. Insofern gab es 2010 wohl gewisse Verbesserungen, so dass in einigen Gefängnissen nunmehr zwei statt nur einer täglichen Mahlzeit ausgegeben werden. Es gibt für die Gefangenenbetreuung Hilfen von der Europäischen Union (EU) und der bundesdeutschen Gesellschaft für internationale Zusammenarbeit (GIZ). Bei den schlechten Haftbedingungen gibt es Unterschiede nach den finanziellen Möglichkeiten der Inhaftierten. Für deren Versorgung mit Nahrungsmitteln sind im Wesentlichen die Familienangehörigen verantwortlich. Die medizinische Versorgung ist oft nicht ausreichend. Ein weiteres Hauptproblem ist die Überbelegung der Gefängnisse. Im Mai 2010 waren in den zehn Zentralgefängnissen Kameruns bei einer vorgesehenen Kapazität von 4.242 Insassen tatsächlich 12.510 Häftlinge untergebracht, die Gefängnisse also zu 295 % überbelegt (vgl. Auswärtiges Amt (AA), Lageberichte vom 14. Juni 2011 (Stand Mai 2011), Ziff. I., S. 7, Ziff. III.4, S. 15, vom 29. April 2010 (Stand März 2010), Ziff. III.4, S. 15 f., vom 23. Januar 2009 (Stand Januar 2009), Ziff. III.4., S. 13).

Diese Einschätzung wird im Wesentlichen von den Berichten zur Menschenrechtslage von amnesty international (ai), sowie deren übrigen Veröffentlichungen, geteilt. Der aktuellste ai-Report 2013 zu Kamerun geht sogar explizit davon aus, dass die Haftbedingungen in den beiden größten Gefängnissen von Kamerun in Duala und Jaunde - New Bell in Duala und Kondengui in Jaunde, Anmerkung des Einzelrichters - den Tatbestand der grausamen, unmenschlichen und erniedrigenden Behandlung erfüllen und in einigen Fällen lebensbedrohlich sind. Zum Jahresende habe die Zahl der Häftlinge in den beiden Gefängnissen die vorgesehene Kapazität um das Fünffache überstiegen. Zugleich bedienen sich die Gefängnisaufseher Gruppen von Häftlingen (teils Langzeitinsassen oder Schwerkriminelle - sog. "anti-gang"), die sie zur Aufrechterhaltung der inneren Ordnung einsetzen und die für Misshandlungen und Schreckensherrschaft verantwortlich zeichnen. Besondere Gesundheitsgefahren bestehen in Bezug auf HIV/AIDS sowie Lungentuberkulose, bei zugleich unzureichender medizinischer Versorgung und katastrophalen hygienischen Bedingungen. Bei erschreckender Überbelegung findet keine Trennung von Untersuchungshäftlingen und Verurteilten statt. ai sieht eher Anhaltspunkte für eine Verschlechterung der Verhältnisse in Bezug auf die Überbelegung als für deren Verbesserung (ai vom 22. Mai 2013, Report 2013: Kamerun; ai von 2009: Cameroon - Impunity underpins persistent abuse, Ziff. 7, S. 29 ff.; sehr eingehend, insbesondere zu Kondengui in Jaunde: ai von Januar 2013: Republic of Cameroon - Make human rights a reality, Ziff. 5 ("Prison conditions"), S. 41 ff.).

Auch die Schweizerische Flüchtlingshilfe (SFH) sieht die Verhältnisse in den kamerunischen Gefängnissen so, schätzt diese - insbesondere New Bell und Kondengui - sogar als "die schlimmsten in der Region" ein. Ausgeprägte informelle Machtstrukturen mit einem großen Gewaltpotenzial bestimmen den Gefängnisalltag, Sowohl das Gefängnispersonal als auch die Gefangenen untereinander üben Gewalt aus (SFH, Auskunft vom 9. September 2010: Kamerun: Psychiatrische Versorgung, Zu Frage 11, S. 6 f.).

In Übereinstimmung mit diesen Erkenntnissen geht der aktuelle Menschenrechts-Bericht des U.S.-Außenministeriums noch mehr ins Detail: Die Verhältnisse in den Gefängnissen sind hart und lebensbedrohlich. Zahlreiche internationale Menschenrechts-Gruppen berichten, dass Folter verbreitet ist. Im Gefängnis New Bell in Duala und anderen Gefängnissen niedriger Sicherheitsstufe schlägt das Gefängnispersonal die Gefangenen; auch kommt es vor, dass Gefangene in den Zellen angekettet oder sogar ausgepeitscht werden. Bei Disziplinar-Verstößen droht als Sanktion Einzelhaft mit Kontaktsperre. Überbelegung war ein überall anzutreffendes Phänomen. Die Gefangenen werden in heruntergekommenen Gefängnissen aus der Kolonialzeit gehalten, in denen die Belegung die Soll-Belegung teils um das 4- bis 5-fache übersteigt. Es fehlt auch an Schlafgelegenheiten. Gefangene können bzw. müssen sich Verbesserungen ihrer Haftbedingungen bei ihren Aufsehern erkaufen. Im Dezember 2011 befanden sich in den 74 Gefängnissen des Landes bei einer Soll-Kapazität von 16.995 Insassen tatsächlich ca. 24.000 Inhaftierte in den Anstalten. Das für 1000 Personen vorgesehene Kondengui-Gefängnis in Jaunde beherbergte zu diesem Zeitpunkt etwa 4000 Gefangene. Die sanitäre und hygienische Situation war in allen Gefängnissen ein großes Problem, wobei die Gesundheitsversorgung, sowohl mit Medikamenten als auch die ärztliche Behandlung der aus den Verhältnissen folgenden verbreiteten Krankheiten äußerst mangelhaft ist. Auch die Trinkwasserversorgung ist unzureichend; im New Bell-Gefängnis in Duala soll es z. B. für etwa 2000 Gefangene nur sieben Wasserhähne geben, was zu hygienischen und gesundheitlichen Problemen beiträgt und bis zum Tod führt. Es wurde von der Gefängnisverwaltung erwartet, dass die Familien der Gefangenen diese mit Nahrung versorgen. Es herrscht Korruption unter dem Aufsichtspersonal. Gefangene können sich mit Geld fast alles kaufen, einschließlich zeitweiligem Freigang, Betten und die Verlegung in weniger überfüllte Bereiche von Gefängnissen. Zugleich verlangte das Aufsichtspersonal von den Gefangenen teils "Zellengebühren", mit denen diese weitere Misshandlungen abwenden konnten. Mit internationaler Hilfe sind seit 2010 Verbesserungen in die Wege geleitet worden, die jedoch bisher noch nicht zu wesentlichen Verbesserungen der Gesamtsituation geführt haben (USDS vom 19. April 2013: Country Reports on Human Rights Practices 2012: Cameroon: Section 1. c) "Torture and other cruel, inhuman or degrading treatment or punishment", insbesondere zu "Prison and detention center conditions" im Wesentlichen ähnlich die Berichte der Vorjahre vom 24. Mai 2012 (zu 2011) und vom 8. April 2011 (zu 2010).

Diese katastrophale Situation stellt für den Kläger in besonderer Weise eine unmenschliche Behandlung dar, als er derzeit bereits 61 Jahre alt ist und an behandlungsbedürftiger Diabetes leidet, vgl. Attest des Dr. med. ... aus ... vom 26. März 2013. Es spricht sehr viel dafür, dass er eine mehrjährige (potentiell 10 Jahre, gegebenenfalls unter Anrechnung des bereits verbüßten Jahres in der Untersuchungshaft bis zum Freispruch in 1. Instanz) Haftstrafe nicht überleben dürfte. Dabei besteht eine gewisse Wahrscheinlichkeit, dass der zuletzt in Jaunde ansässige und durch das Berufungsgericht in Jaunde verurteilte Kläger, der zuvor schon in Kondengui gewesen sein will, erneut dort inhaftiert wird. Dieses Gefängnis ist besonders schlimm; jedoch stellen auch die anderen Gefängnisse Kameruns nach den bekannten Haftbedingungen unmenschliche Behandlung der Inhaftierten dar. Es mag nach den Verhältnissen in Kamerun und den dortigen Gefängnissen zwar denkbar sein, dass die Ehefrau des Klägers für ihn Verbesserungen der Haftbedingungen mit ihren für Kamerun ordentlichen wirtschaftlichen Möglichkeiten erkauft. Solcherlei durch Korruption eventuell zu erlangende Vorteile sind jedoch in die Betrachtung, ob ein Abschiebungsverbot vorliegt, nicht einzubeziehen, da illegales Verhalten nicht zumutbar ist. Eine Besser-Behandlung als "VIP-Häftling", auf die die Erkenntnisse über die Haftbedingungen in Kamerun teils hinweisen, dürfte zum einen nicht ohne Bestechung vonstatten gehen, zum anderen ist der Kläger im FEICOM-Skandal eher ein "kleines Licht", der lediglich als agent comptable dort gearbeitet hat, und deshalb mit inhaftierten früheren Ministern oder dem Generaldirektor ONDO NDONG kaum vergleichbar ist. Von einer bestechungsunabhängigen Besser-Behandlung ist mithin nicht auszugehen. [...]