VG Sigmaringen

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Zitieren als:
VG Sigmaringen, Urteil vom 09.12.2013 - A 6 K 171/12 - asyl.net: M21745
https://www.asyl.net/rsdb/M21745
Leitsatz:

In Kamerun kam es zu Beginn des Jahres 2008 zu Streiks und Demonstrationen, und die kamerunischen Sicherheitskräfte gingen massiv gegen Aktivisten vor.

Schlagwörter: Kamerun, Flüchtlingsanerkennung, CODE, Collectif des Organisations Démocratiques et Patriotiques de la Diaspora Camerounaise, Exilpolitik,
Normen: AufenthG § 60 Abs. 1,
Auszüge:

[...]

2. Der Kläger hat einen Anspruch auf die Feststellung, dass die Voraussetzungen des § 60 Abs. 1 AufenthG in seiner Person hinsichtlich der Republik Kamerun vorliegen, und auf Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft gemäß § 3 Abs. 1 AsylVfG (§ 113 Abs. 5 Satz 1 VwGO). [...]

Danach liegen die Voraussetzungen des § 60 Abs. 1 Satz 1 AufenthG vor. Der Kläger hat eine für die Feststellung von Abschiebungsverboten nach § 60 Abs. 1 AufenthG i.V. mit Art. 33 GFK und Art. 13 der RL 2004/83/EG nach den dargelegten Maßgaben hinreichende begründete Verfolgungsfurcht dargelegt. Er ist vorverfolgt aus Kamerun ausgereist. Flüchtlingsrechtlich erhebliche Beeinträchtigungen oder Schädigungen im Sinne der Kapitel II und III (Art. 4 bis 12) der Richtlinie 2011/95/EU (Qualifikationsrichtlinie) sind für den Fall einer Rückkehr nicht mit hinreichender Sicherheit auszuschließen.

De Kläger hat schlüssig vorgetragen, dass er in der Woche vom 25. bis 29. Februar 2008 in der Stadt Bana an einem Streik gegen Benzinpreiserhöhungen und Verfassungsänderungen teilgenommen hat und deshalb das Militär (nicht die Polizei) nach ihm gesucht hat. In diesem Zeitraum hat es in Kamerun aus diesem Grund Unruhen gegeben. Ende Februar 2008 kam es zu landesweiten Streiks und Demonstrationen, die von Gewerkschaften und Oppositionsparteien initiiert waren; im Zentrum des Protests standen die Preiserhöhungen und die in Aussicht gestellte Verfassungsänderung, wonach die Beschränkung der Amtszeit des Präsidenten aufgehoben werden sollte (Auskunft der SFH an VG Sigmaringen vom 17.03.2011 m.w.N.), Vor diesem Hintergrund ist die Schilderung des Klägers glaubhaft, dass diese Demonstration zum einen überhaupt stattgefunden und zum anderen er selbst sich hieran beteiligt hat. In der mündlichen Verhandlung vom 09.12.2013 hat er Einzelheiten zu seiner Tätigkeit als Taxifahrer und auch zu den Rahmenbedingungen hierfür geschildert, wonach er damals als Taxifahrer und nicht (wie beim Bundesamt angegeben) als LKW-Fahrer tätig war. Da er als Taxifahrer den Sprit selbst bezahlen musste, war er von den Benzinpreiserhöhungen persönlich in besonderer Weise betroffen und hatte einen besonderen Anlass zur Demonstrationsteilnahme, auch wenn er im Übrigen ein eher unpolitischer Mensch war und bis heute ist. [...]

Glaubwürdig ist auch die Tätigkeit des Klägers für die Organisation CODE. Dass sein Jugendfreund T. ihn dafür telefonisch - wohl von Belgien aus - geworben hat, hat er in seinen Anhörungen mehrfach und widerspruchsfrei wiederholt. Auch Herr T. hat dies auf schriftliche Nachfrage des Gerichts gegenüber dem Gericht schriftlich bestätigt. Dieses Anwerben, diese Kontaktaufnahme mit dem Kläger durch T., nachdem sie sich etwa neun Jahren nicht mehr gesehen hatten, mag sich aufs erste befremdlich anhören. Jedoch war T. zu dieser Zeit als Exilkameruner in Belgien aktiv. In Kamerun hatten die Unruhen zu Beginn des Jahres 2008 länger angedauert und zugenommen, so dass es trotzdem plausibel ist, dass T. zu diesem Zeitpunkt versuchte, alte Kontakte zu aktivieren, um die politische Krise in Kamerun zur Entscheidung und zum Umsturz zu bringen. Dass die kamerunischen Sicherheitskräfte im Februar 2008 massiv gegen CODE-Aktivisten eingeschritten sind, belegt auch die Auskunft des Auswärtigen Amtes an das BAMF vom 18.04.2011. Das AA berichtet hierin, dass CODE-Mitglieder in Kamerun unter staatlicher Beobachtung stünden und von der Regierung immer wieder beschuldigt würden, Ursprung für Destabilisierung und Aufruhr zu sein; ferner dass am 28.02.2008 ein CODE-Funktionär bei Rückkehr aus dem Ausland getötet worden sei. Diesen kannte der Kläger zwar nicht. Aber das spricht nicht gegen seine Glaubwürdigkeit, da er ja nur in diesem begrenzten Zeitraum aufgrund der persönlichen Ansprache durch T. für den CODE aktiv war, hingegen ein dauerhaftes politisches Engagement für sich sowohl in Kamerun als auch jetzt in Deutschland abgelehnt hat. Aus diesem grundsätzlichen politischen Desinteresse und seiner Abwesenheit von Kamerun heraus ist es auch plausibel, dass er bei seiner Anhörung durch das Bundesamt keine zutreffenden Angaben machen konnte, was sich zu den Jahrestagen dieser Unruhen in den Jahren 2009 und 2011 ereignet hat. Daraus kann entgegen dem Bundesamt nicht auf die Unglaubwürdigkeit des Klägers zu seinem Verfolgungsgeschehen im Februar 2008 geschlossen werden.

Insgesamt spricht für die Glaubwürdigkeit des Klägers auch, dass seine Angaben durch die schriftliche Antwort von Herrn T. gegenüber dem Gericht im Wesentlichen bestätigt wurden. [...]