VG Kassel

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Zitieren als:
VG Kassel, Urteil vom 13.12.2013 - 2 K 734/11.KS.A - asyl.net: M21747
https://www.asyl.net/rsdb/M21747
Leitsatz:

Einer alleinerziehenden jungen Mutter aus Kenia ohne familiären Rückhalt droht konkrete Gefahr für Gesundheit und Leben. Gerade für Frauen sind die Möglichkeiten, Arbeit zu finden, sehr begrenzt. Der Zugang zu medizinischer Versorgung ist ohne ausreichende finanzielle Mittel nicht gesichert.

Schlagwörter: Kenia, Frauen, alleinstehende Frauen, alleinerziehend, Kleinkind, Existenzminimum, medizinische Versorgung,
Normen: AsylVfG § 60 Abs. 7 S. 1,
Auszüge:

[...]

Eine einzelfallbezogene Betrachtung der Situation der Klägerin ergibt, dass ihr eine konkrete Gefahr für ihre Gesundheit und ihr Leben im Falle ihrer Rückkehr droht. Sie wäre im Falle ihrer Rückkehr zur Überzeugung des Gerichts nicht in der Lage, ihre Existenz zu sichern. Für den Fall ihrer Rückkehr wäre die Klägerin mit ihrem Kleinkind auf sich allein gestellt, denn zu ihrem Vater könnte sie nach den Vorfällen, die ihre Flucht ausgelöst haben, nicht zurückkehren. Die Klägerin leidet zudem an einer posttraumatischen Belastungsstörung. Amnesty international führt in seiner Auskunft vom 02.05.2013 aus, dass die Möglichkeiten, auf dem kenianischen Arbeitsmarkt Arbeit zu finden, gerade für Frauen sehr begrenzt sei. Kenias Jugendarbeitslosigkeit zähle zu den höchsten der Welt. 90% der Menschen unter 25 Jahre arbeiteten im informellen Sektor. In informellen Arbeitsverhältnissen würden deutlich geringere Gehälter gezahlt. Dies betreffe insbesondere die Berufsgruppe der Gelegenheitsarbeiter. Zu dieser Gruppe dürfte die Klägerin gehören, verfügt sie doch über keine Berufsausbildung. Das AA führt zwar in seiner Auskunft vom 03.04.2013 aus, es bestehe die Möglichkeit, dass Frauen aufgrund von Deutsch- und Englischkenntnissen z.B. in der Tourismusbranche tätig würden. Die Beschäftigung im Hotel- und Restaurantsektor verzeichne seit 2008 Zuwachsraten. Dabei steige die Beschäftigungszahl von Frauen in diesem Bereich deutlich stärker als die von Männern. In diesem Zusammenhang ist allerdings zu berücksichtigen, dass die Klägerin mit ihrem Kleinkind gemeinsam zurückkehren müsste und ihr zumindest bis auf weiteres wegen des Kindes diese Möglichkeit der Arbeitstätigkeit vermutlich verschlossen bleiben wird.

Zusätzlich ist anzunehmen, dass sich der psychische Gesundheitszustand der Klägerin bei Rückkehr drastisch verschlechtert, da sie voraussichtlich keinen Zugang zu der nach der vorgelegten ärztlichen Stellungnahme erforderlichen Psychotherapie haben wird. Das Gesundheitssystem in Kenia ist hochgradig fragmentiert, einem finanziell und personell schlecht ausgestattetem öffentlichen Gesundheitssystem stehen viele kirchliche Einrichtungen (vor allem kleine Krankenhäuser im ländlichen Raum) und viele private Anbieter (vor allem im städtischen Räumen) sehr unterschiedlicher Qualität gegenüber. Ein gesicherter Zugang zu qualitativ hochwertiger fachmedizinischer und medikamentöser Versorgung ist vor diesem Hintergrund in Kenia nur mit ausreichenden finanziellen Mitteln gewährleistet, die deutlich über den Möglichkeiten der meisten Armen in diesem Land liegen (medico international vom 27.08.2012). Im Falle der Mittellosigkeit eines Patienten besteht grundsätzlich keine Möglichkeit einer kostengünstigen Behandlung bzw. der Kostenübernahme durch staatliche Stellen (Botschaft der Bundesrepublik Deutschland in Kenia vom 23.07.2012).

Angesichts der für Rückkehrer ohnehin desolaten Lage kann nicht davon ausgegangen werden, dass es der Klägerin, die über keinerlei Berufserfahrung verfügt, (erstmals in ihrem Leben) gelingen würde, ihren Lebensunterhalt und den ihres Kindes ohne die Hilfe Dritter sicherzustellen. Es ist vielmehr zu erwarten, dass sie im Falle ihrer Rückkehr verelenden würde. Vor diesem Hintergrund ist hier insgesamt die Schwelle einer konkreten Existenzgefährdung im Sinne des § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG erreicht. [...]