VGH Baden-Württemberg

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Zitieren als:
VGH Baden-Württemberg, Beschluss vom 27.11.2013 - A 6 S 919/13 - asyl.net: M21755
https://www.asyl.net/rsdb/M21755
Leitsatz:

Ein Kind erwirbt die mazedonische Staatsangehörigkeit mit der Geburt, wenn beide Elternteile zum Zeitpunkt der Geburt des Kindes Staatsangehörige der Sozialistischen Republik Mazedonien waren.

Die Behandlung einer schweren Hämophilie A ist in Mazedonien möglich.

Schlagwörter: Hämophilie, Hämophilie A, Faktor VIII-Konzentration, Mazedonien, medizinische Versorgung, Behandlungskosten, Krankheit, Krankenversicherung, Versicherungsschutz, Versicherung,
Normen: AufenthG § 60 Abs. 7 S. 1,
Auszüge:

[...]

Das Verwaltungsgericht hat weiter im Ergebnis zutreffend angenommen, dass die im Berufungsverfahren allein im Hinblick auf die Erkrankung des Klägers streitigen Voraussetzungen des § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG nicht vorliegen.

Nach dieser Vorschrift soll von der Abschiebung eines Ausländers in einen anderen Staat abgesehen werden, wenn diesem dort eine erhebliche konkrete Gefahr für Leib, Leben oder Freiheit droht. Dies setzt das Bestehen individueller Gefahren voraus, die aber im Fall des Klägers nicht vorliegen.

Der Kläger leidet an einer schweren Hämophilie A. Die für seine Behandlung dreimal pro Woche erforderliche Gabe von Faktor VIII-Konzentraten ist nach der bereits im Verwaltungsverfahren eingeholten Auskunft (BAS. 31) in Mazedonien ebenso möglich wie die erforderliche ambulante, stationäre, labortechnische und notfallmäßige Versorgung des Klägers. Aus den im Berufungsverfahren eingeholten Stellungnahmen der Deutschen Botschaft in Mazedonien ergibt sich entgegen der Auffassung des Klägers nichts anderes.

Diese im Verwaltungsverfahren erfolgte Auskunft gab für den Senat allerdings deshalb Anlass zur Beweiserhebung, weil die maßgebliche Behandlungseinrichtung darin als "privat" bezeichnet worden war. Tatsächlich handelt es sich aber nach der Auskunft der Deutschen Botschaft in Mazedonien vom 02.10.2013 um eine staatliche Klinik. Diese Behandlung ist für den Kläger in Mazedonien auch finanzierbar. Aus der Stellungnahme der Deutschen Botschaft vom 06.08.2013 und vom 02.10.2013 ergibt sich zu den hierbei anfallenden Behandlungskosten Folgendes:

"Die Behandlungskosten werden bei versicherten Personen von der gesetzlichen Krankenversicherung in Mazedonien, dem "Help Insurance Fond of Macedonia" (FZO), komplett übernommen ...

Jeder offiziell registrierte Bürger Mazedoniens kann in den Genuss des Versicherungsschutzes kommen, entweder als Arbeitnehmer (auch Arbeitnehmer im Ausland), als Rentner, als Arbeitsloser, als Empfänger von Sozialhilfe oder im Rahmen der Familienversicherung. Inzwischen gibt es 15 verschiedene Kategorien von Versicherungsnehmern unterteilt in Arbeitnehmer (diese zahlen 7,3 % ihres Gehalts an Beiträgen) sowie Arbeitslose und Rentner (diese zahlen keine Beiträge). Die Anmeldebedingungen in der Kategorie für arbeitslose Versicherte wurden im vergangenen Jahr vereinfacht, um den Zugang zur Krankenversicherung für mehr Personen als vorher zu ermöglichen. Das bedeutet, dass ein arbeitsloser Mazedonier, gleich ob er früher gearbeitet hat oder nicht, sich unter Vorlage einer Bescheinigung des Arbeitsamts seines Wohnsitzes über seine fehlenden Einkünfte versichern lassen kann. Mit diesem Beleg kann er sich beim FZO als Versicherungsnehmer melden. Diese Möglichkeit steht auch mittellosen Rückkehrern offen - auch Abschüblingen. Für diese ist das Arbeitsamt am Ort der Niederlassung nach Rückkehr zuständig. Voraussetzung ist jeweils, dass diese Person nach Rückkehr offiziell in Mazedonien registriert ist. Für Arbeitslose, welche nicht als arbeitslos gemeldet sind, wurde inzwischen auch im Jahr 2011 eine Versicherungsberechtigung geschaffen, so dass alle arbeitslosen Personen in den Genuss eines Versicherungsschutzes kommen können. Lediglich um die Formalitäten zu Anmeldung beim FZO muss sich die Person kümmern ...

Patienten mit Hämophilie sind von jeder Zuzahlung befreit, dies betrifft auch Medikamente."

Die Behandlung des Klägers ist in Mazedonien mithin tatsächlich und finanziell möglich. Der Senat geht mit dem Verwaltungsgericht insbesondere davon aus, dass der Kläger mazedonischer Staatsangehöriger ist.

Nach Art. 29 Abs. 1 des Gesetzes über die Staatsangehörigkeit der Republik Mazedonien vom 27.10.1992 (mit nachfolgenden Änderungen, zitiert nach Bergmann/Ferid/Henrich, Internationales Ehe- und Kindschaftsrecht, Stand 15.02.2012) gilt als Staatsangehöriger der Republik Mazedonien die Person, die nach den bisherigen Vorschriften die Staatsangehörigkeit der Republik Mazedonien besessen hat.

Nach Art. 4 Abs. 1 des im Zeitpunkt der Geburt des Klägers maßgeblichen Gesetzes über die Staatsangehörigkeit der Sozialistischen Republik Mazedonien aus dem Jahr 1977 (zitiert nach VG Augsburg, Beschluss vom 25.05.2009 - Au 1 S 09.357 juris) erwarb ein Kind mit der Geburt die mazedonische Staatsangehörigkeit (unter anderem) dann, wenn beide Elternteile zum Zeitpunkt der Geburt des Kindes Staatsangehörige der Sozialistischen Republik Mazedonien waren. Der Mutter des Klägers ist am 05.04.2011 ein mazedonischer Pass ausgestellt worden, aus dem sich ihre mazedonische Staatsangehörigkeit ergibt. Es ist nichts dafür ersichtlich, dass sie diese Staatsangehörigkeit erst nach der Geburt des Klägers erworben hätte. Vielmehr ist in diesem Zusammenhang zu berücksichtigen, dass sie sich seit 1986 auf dem Gebiet des heutigen Kroatiens und später in Deutschland aufgehalten hat, was gegen einen späteren Erwerb spricht (vgl. VG Karlsruhe, Urteil vom 18.07.1996 - A 6 K 14843/94 -). Der Vater des Klägers wurde 1997 nach Mazedonien abgeschoben (vgl. VGH Baden-Württemberg, Urteil vom 22.07.2009 - 11 S 1622/07 -). Dies spricht für das Vorliegen einer mazedonischen Staatsangehörigkeit, weil ein anderer Grund für seine Aufnahme in Mazedonien nicht ersichtlich ist. Insbesondere hat er sich dort nicht vor seiner Ausreise nach Deutschland aufgehalten, sondern hat - ebenso wie die Mutter des Klägers - seit 1986 auf dem Gebiet des heutigen Kroatiens gelebt (VG Karlsruhe, a.a.O.). Wie bei der Mutter des Klägers gibt es keine Anhaltspunkte dafür, dass diese Staatsangehörigkeit erst nach der Geburt des Klägers erworben worden wäre, vielmehr spricht auch hier der Aufenthalt in Kroatien und später in Deutschland gegen einen späteren Erwerb.

Damit hat der Kläger aber mit seiner Geburt die mazedonische Staatsangehörigkeit erworben, ohne dass ersichtlich wäre, dass er diese zwischenzeitlich wieder eingebüßt haben könnte.

Soweit die Erlangung von Versicherungsschutz von einer Registrierung des Klägers abhängt und hierzu mazedonische Ausweispapiere erforderlich sind, steht dies einer Behandelbarkeit des Klägers nicht entgegen. Denn ohne solche Papiere, über die er derzeit noch nicht verfügt, kann auch keine Abschiebung erfolgen.

Der Senat ist mit dem Verwaltungsgericht auch der Auffassung, dass der Kläger über die erforderlichen Sprachkenntnisse verfügt, um die Registrierung, ebenso wie staatliche Unterstützung zum Lebensunterhalt, zu erlangen. Der Kläger trägt selbst vor, Muttersprache seiner Mutter sei Romani, das zumindest regional in Mazedonien gesprochen werde und mit ihm in den ersten Lebensjahren - neben Serbo-Kroatisch - auch gesprochen worden sei. Dass sich dies später in entscheidungserheblicher Weise verloren haben soll, hält der Senat nicht für glaubhaft, da die Mutter des Klägers nach den unwidersprochen gebliebenen Feststellungen des Verwaltungsgerichts bei ihrer Einreise der deutschen Sprache nicht mächtig war und weder vorgetragen noch sonst ersichtlich ist, dass sich hieran später etwas grundlegend geändert hätte (vgl. dazu vielmehr auch VGH Baden-Württemberg, a.a.O.).

Einer Abschiebung nach Mazedonien steht auch nicht die Feststellung im Bescheid des Bundesamts für die Anerkennung ausländischer Flüchtlinge vom 04.11.1994 entgegen, wonach die Voraussetzungen des § 53 Abs. 6 AuslG "hinsichtlich Kroatien und allen den Ländern" vorliegen, die keinen mit Deutschland vergleichbaren medizinischen Standard besitzen, um die Therapierung der Hemmkörper-Hämophilie des Klägers zu gewährleisten. Der Senat kann offenlassen, ob Mazedonien über einen solchen Standard verfügt. Denn der Bescheid ist insoweit mangels Bestimmtheit teilweise nichtig (so bereits VGH Baden-Württemberg, a.a.O.). Selbst wenn man keine Teilnichtigkeit annähme, ergäbe sich kein anderes Ergebnis. Die Feststellung eines Abschiebungshindernisses im Bescheid vom 04.11.1994 ist vor dem Hintergrund der Regelung des § 53 Abs. 6 AuslG dahingehend zu verstehen, dass der Kläger nicht in ein Land abgeschoben werden darf, in dem seine Behandlung nicht gewährleistet ist, weil ihm sonst Lebensgefahr droht (so bereits VG Karlsruhe, Urteil vom 13.02.2008 - A 4 K 343/07 -). Dies entspricht aber dem Prüfungsmaßstab des § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG. [...]