VG Stade

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Zitieren als:
VG Stade, Urteil vom 05.03.2013 - 3 A 786/10 - asyl.net: M21762
https://www.asyl.net/rsdb/M21762
Leitsatz:

Es besteht eine erhebliche Rückkehrgefahr für ein bekennendes Mitglied der ruandischen Exilpartei FDU-Inkingi.

Schlagwörter: Flüchtlingsanerkennung, Ruanda, Exilpolitik, FDU-Inkingi, Forces Democratiques Unifiées, RDR, Politmalus, Visavergehen, Urkundenfälschung,
Normen: AufenthG § 60 Abs. 1, AsylVfG § 3,
Auszüge:

[...]

Ausgehend von diesen rechtlichen Maßstäben sind die Voraussetzungen für eine Flüchtlingszuerkennung nach § 3 AsylVfG erfüllt Das Gericht ist zu der Erkenntnis gelangt, dass der Klägerin im Falle einer - freiwilligen oder zwangsweisen - Rückkehr den Schutzbereich des § 60 Abs. 1 AufenthG unterfallende Rechtsverletzungen mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit drohen. Nach Überzeugung des Gerichts droht der Klägerin aufgrund eines subjektiven Nachfluchtgrundes, nämlich wegen ihrer aktiven Mitgliedschaft für die FDU-lnkingi in der Zusammenschau mit dem Bekanntwerden der Umstände ihrer Ausreise im Zusammenhang mit den behördlichen Ermittlungen anlässlich der Abschiebung des Herrn ... nach Ruanda im Falle einer Rückkehr nach Ruanda mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit eine Verfolgung anknüpfend an ihre politische Einstellung.

Aufgrund der von der Klägerin vorgelegten Bescheinigung vom 23. Februar 2013, die vom Vorsitzenden der FDU Deutschland ..., der zunächst seit 2003 Präsident der Deutschland-Sektion der RDR war, aus der die Exilpartei FDU (Vereinte Demokratische Kräfte) entstanden ist (vgl. taz vom 23.03.2011 und 16.09.2011), unterzeichnet ist, geht das Gericht davon aus, dass die Klägerin sich hier in Deutschland der FDU-lnkingi angeschlossen hat und dort als Mitglied registriert ist. Zur Gefährdungslage von FDU-Mitgliedern hat das Auswärtige Amt auf Frage des Verwaltungsgerichts Braunschweig, ob ruandische Asylsuchende wegen einer Tätigkeit für die bzw. Mitgliedschaft in der FDU in Deutschland bei einer Rückkehr nach Ruanda mit Inhaftierung, Folter, anderen Eingriffen in die körperliche Unversehrtheit oder mit sonstigen Nachteilen rechnen müssten, erklärt, dass Ruander wegen exilpolitischer Tätigkeiten bei Rückkehr regelmäßig Befragungen unterzogen würden. Festnahmen und Inhaftierungen könnten nicht ausgeschlossen werden. Es könne auch nicht ausgeschlossen werden, dass aktive Mitglieder der FDU bei ihrer Rückkehr in ihrer Berufsfreiheit eingeschränkt würden (AA an VG Braunschweig vom 23.8.2012), Weiter wird die Einschätzung vertreten, die FDU-Inkingi in Europa werde in Kigali als Interessenvertretung der "Hutu-Völkermörder" angesehen (Strizek an VG Braunschweig vom 21.8.2012). Kagames Kampf gegen die FDU-Inkingi habe sich noch verschärft, seit die FDU-Inkingi mit der Partei Rwanda National Congress (RNC) kooperiere, in der sich wichtige Dissidenten und frühere Gefährten organisiert hätten und die bezeugten, Kagame sei für das Attentat vom 6. April 1994 verantwortlich. Es sei zu vermuten, dass eine von Deutschland nach Kigali abgeschobene Asylbewerberin, die sich zur FDU-Inkingi bekenne, die ganze Härte des Regimes treffen würde.

Das GIGA Institute of African Affairs ist der Auffassung, dass zwischen der Mitgliedschaft in der FDU in Ruanda und in Deutschland nicht unterschieden werden müsse (Auskunft an VG Braunschweig vom 30.7.2012). Wenn auch die FDU in Ruanda nicht explizit verboten sei, so sei sie doch eine in Ruanda nicht zugelassene Partei. Die ruandische Regierung setze der Ausübung der Vereinigungs-, Meinungs- und Versammlungsfreiheit in der Praxis und teilweise auch rechtlich sehr enge Grenzen. Das Trauma des Völkermordes von 1994 wiege schwer, so dass alle Aktivitäten, die auch nur im Entferntesten mit sogenanntem "genozidärem Gedankengut" in Verbindung gebracht werden könnten, zum strafbaren und hoch strafbewehrten Vorwurf des "Divisionismus" führen könnten. Dieser werde als Gefährdung der öffentlichen Ordnung und nationalen Sicherheit aufgefasst. Sollte einem Rückkehrer eine individuelle oder durch die Funktion in der FDU vermittelte Nähe zu genozidärem Gedankengut unterstellt werden, wäre eine Inhaftierung fast unausweislich.

Auch wenn in die Betrachtung, welche exilpolitischen Aktivitäten bei einer Rückkehr nach Ruanda Verfolgungsmaßnahmen nach sich ziehen, gleichfalls der Umstand einzubeziehen ist, dass den Sicherheitsbehörden auch bewusst sein dürfte, dass ein nach außen zum Ausdruck gebrachtes politisches Engagement vielfach nicht wirklich ernsthaft gemeint ist und nur zur Erlangung von Vorteilen im Asylverfahren an den Tag gelegt wird, hat das Gericht in der mündlichen Verhandlung den Eindruck gewonnen, dass die Klägerin sich bewusst aus politischer Überzeugung der FDU-Inkingi angeschlossen hat. Ihre regierungskritische Einstellung hat die Klägerin auch durchgängig in allen Anhörungen zum Ausdruck gebracht, was für die Glaubhaftigkeit der Angaben insoweit spricht.

Das Gericht geht auf Grund der bestehenden Auskunftslage davon aus, dass die Klägerin als bekennendes Mitglied der FDU-lnkingi nach einer Rückkehr Gefahr läuft, Opfer von an ihre politische Überzeugung anknüpfenden Verfolgungsmaßnahmen zu werden. Ob es bei jedem einfachen FDU-lnkingi Mitglied nach Rückkehr mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit zu verfolgungsrelevanten Maßnahmen kommt, kann im vorliegenden Fall offen bleiben. Denn die Klägerin ist hier in besonderem Maße aufgrund der Umstände in ihrem Einzelfall in den Fokus der ruandischen Sicherheitsbehörden geraten. Dies folgt zur Überzeugung des Gerichts aus dem Umstand, dass sie zu der Gruppe von ruandischen Staatsbürgern gehört, die mit Herrn ... nach Deutschland eingereist sind. Nach der Abschiebung des Herrn ... nach Ruanda wurde er dort nach Ankunft auf dem Flughafen verhaftet, verhört und inhaftiert. Gegen ihn wurde Anklage wegen Urkundenfälschung und Verstoßes gegen das Gesetz gegen die Leugnung des Genozid erhoben, Mit Urteil des Gerichts der 2. Instanz vom 27. November 2009 wurde er der Urkundenfälschung und des Gebrauchs von gefälschten Dokumenten schuldig gesprochen und zu vier Jahren Haft verurteilt. Wegen der ihm vorgeworfenen Straftaten der Genozidleugnung wurde er für unschuldig erklärt. In der Begründung ist ausgeführt, dass das Gericht hinsichtlich der Urkundenfälschung und des Gebrauchs der gefälschten Dokumente finde, dass der Kläger die Straftat begangen habe, da er "mit gefälschten Vorladungsformularen des Gacaca-Gerichts sowie der Polizei in Deutschland ertappt wurde und er nicht beweisen konnte, wer ihm die Dokumente erstellt hat." Dies zeige, dass er selbst die Dokumente gefälscht habe, zumal er in der Gerichtsverhandlung zugegeben habe, dass die Dokumente Fälschungen seien, da er nie vor die oben genannten Instanzen geladen worden sei und er sie nur benutzt habe, um ein Bleiberecht in Deutschland zu erlangen. Da er den Justizinstanzen erleichtert habe, die Wahrheit herauszufinden, werde die Haftstrafe, die normalerweise auf 10 Jahre angesetzt habe werden sollen, auf 4 Jahre herabgesetzt. Auf die Berufung des Klägers wurde das Strafmaß mit Urteil des Obersten Gerichtshofes vom 30. November 2010 auf zwei Jahre Gefängnis, beginnend mit der Untersuchungshaft, herabgesetzt (vgl. dazu das klagabweisende Urteil des VG Braunschweig im Fall des ... - 7 A 281/09). Die Rückkehr des Herrn ... nach Ruanda hat dort bei den ruandischen Sicherheitsbehörden weitere Ermittlungen sowie Verdachtsmomente gegen die mit Herrn ... ausgereisten ruandischen Staatsangehörigen ausgelöst. Das wird daran deutlich, dass in der ruandischen Presse darüber berichtet worden ist, dass der Schleuser Pastor ... kurz nach der Rückkehr von ... verhaftet worden ist, weil er unter dem Deckmantel der Kirche für diese Gruppe gegen Zahlung von Geld unter Vorspiegelung falscher Tatsachen Visa für diese Gruppe besorgt habe. Die NPPA führe insoweit detaillierte Ermittlungen (vgl. New Times Rwanda vom 28.10.2009, vgl. Verwaltungsvorgänge des Bundesamtes Beiakte A, Bl. 95).

Aus diesen Gesamtumständen leitet das Gericht ab, dass die Klägerin bei einer Rückkehr nach Ruanda mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit dem besonderen Augenmerk der ruandischen Sicherheitsbehörden am Flughafen in Kigali unterliegen und sie nach ihrer Ankunft in Kigali am Flughafen festgenommen und einem intensiven Verhör ausgesetzt sein würde. Der Fall ... zeigt, dass die ruandischen Behörden gegen diejenigen, die sich unter Vorspiegelung falscher Tatsachen mit Hilfe des Schleusers ein echtes Visum erschwindelt haben, ermitteln, Verdächtige inhaftieren und gegen sie vorgehen.

In diesem Zusammenhang kann dem hierzu gewährenden Flüchtlingsschutz nach § 60 Abs. 1 AufentG nicht mit Erfolg entgegengehalten werden, dass das Vorgehen der ruandischen Sicherheitsbehörden und der Justiz allein dem strafrechtlichen Rechtsgüterschutz diene und ausschließlich eine Verfolgung kriminellen Unrechts darstelle. Denn im vorliegenden Fall tritt der Umstand hinzu, dass die Klägerin sich in Deutschland als aktives Mitglied der FDU-Inkingi angeschlossen hat und daher von den Sicherheitskräften aufgrund der bei ihr vermuteten regierungsfeindlichen Einstellung mit besonderem Misstrauen belegt wird, nicht zuletzt auch deshalb, weil es sich bei der Klägerin um eine ehemalige Bedienstete im ruandischen Staatsdienst handelt. Diese Mitgliedschaft in der FDU-Inkingi werden die ruandischen Sicherheitskräfte mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit bei ihren Ermittlungen zur Person der Klägerin und bei Verhören der Klägerin nach Rückkehr herausfinden. Aufgrund der bestehenden Auskunftslage ist unter diesen Umständen die Annahme gerechtfertigt, dass die Klägerin einem "Politmalus" in Anknüpfung an ihre Mitgliedschaft in der FDU-Inkingi und an die damit verbundene regierungskritische Einstellung unterliegt, d.h die ruandischen Sicherheitsbehörden werden mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit allgemein die politische Gesinnung oder Betätigung der Klägerin ahnden wollen. Es muss daher mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit befürchtet werden, dass sie im Vorfeld des ihr etwaig drohenden Strafverfahrens menschenrechtswidrigen Maßnahmen ausgesetzt sein wird bzw. sie im Falle einer Anklageerhebung kein fairer Prozess erwartet. Es erscheint auch denkbar, dass sie bei einer Verurteilung mit einer überhöhten Strafe wegen ihrer Mitgliedschaft in der FDU-Inkingi und der damit vermuteten Gegnerschaft zum herrschenden ruandischen Regime im Sinne eines Politmalus rechnen müsste, die nicht mehr allein der strafrechtlichen Ordnungsfunktion Rechnung trägt. [...]