VG Minden

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Zitieren als:
VG Minden, Urteil vom 28.03.2014 - 8 K 2242/12.A - asyl.net: M21822
https://www.asyl.net/rsdb/M21822
Leitsatz:

Flüchtlingsanerkennung bei Gefahr des Ehrenmordes durch den Vater, da in Pakistan die notwendige tatsächliche Schutzgewährung nicht gewährleistet ist.

Schlagwörter: Pakistan, Peshawar, Ehrenmord, Schutzbereitschaft, Schutzfähigkeit, geschlechtsspezifische Verfolgung, Familienehre, soziale Gruppe, Honour Killing Act, Frauen,
Normen: AsylVfG § 3 Abs. 1, AsylVfG § 3 Abs. 4, AufenthG § 60 Abs. 1, AsylVfG § 3e, AufenthG 3 60 Abs. 2,
Auszüge:

[...]

Daran gemessen hat das Gericht die Überzeugung gewonnen, dass die Kläger ihr Heimatland aus begründeter Furcht vor einer ihnen drohenden Verfolgung verlassen haben. Die Klägerin hat insbesondere in der mündlichen Verhandlung überzeugend dargelegt, dass sie ernsthaft befürchten musste, in Karachi von ihrem Vater entdeckt und getötet zu werden. Angesichts der dokumentierten Gewaltexzesse des Vaters im Rahmen sogenannter "Ehrenmorde" ist ohne weiteres nachvollziehbar, dass die Klägerin keine ausreichende Sicherheit genoss. Sie hat eindrücklich geschildert, welche Maßnahmen sie auch nach Verlassen des "Shelters" ergriffen hatte, um unentdeckt zu bleiben. Die Vollverschleierung in der Öffentlichkeit und die Angabe anderer Personalien sowie der Versuch, ihre regionale Herkunft zu verschleiern, deuten auf die nach wie vor aktuelle Furcht vor Übergriffen hin. Diese Furcht hatte einen realen Hintergrund, nachdem auch Verwandte - wie der Schwager als Richter - keinen Schutz durch pakistanische Behörden erhalten konnten. Die Klägerin ist insgesamt glaubwürdig. Die Angaben sind nicht nur im Hinblick auf das Vorbringen im Verwaltungsverfahren in sich im Wesentlichen widerspruchsfrei, sondern darüber hinaus detailreich und konkret. Auf Nachfragen war sie in der Lage, konsistent und ausführlich zu berichten. Die Ermordung ihres Ehemannes und die Unzumutbarkeit des Aufenthalts in Peshawar sind durch weitere Quellen belegt. Die Schilderung ihrer - verhältnismäßig - guten eigenen Erwerbstätigkeit und ihrer Unterbringung bei einer Vertrauensperson belegen, dass nicht wirtschaftliche Gründe maßgebend waren, sondern deuten auf die Furcht vor Verfolgungshandlungen als Motiv für den Ausreiseentschluss hin. Dafür spricht auch der Umstand, dass sie nach ihrem Aufenthalt 2008 in Deutschland zurückgekehrt war, um ihrem Sohn eine Zukunft in Pakistan zu ermöglichen. Nachdem aber auch in den nachfolgenden Jahren offenbar die Situation keine Entspannung versprach, ist der Ausreiseentschluss 2011 als Reaktion auf die Bedrohungslage plausibel.

Nach den oben dargestellten rechtlichen Voraussetzungen liegt daher die begründete Furcht vor Verfolgungshandlungen vor, die an Verfolgungsgründe anknüpfen. Die Verfolgung geht hier von nichtstaatlichen Akteuren aus, die hinsichtlich des Verfolgungsgrundes an die Geschlechtszugehörigkeit und darüber hinaus an die Zugehörigkeit einer bestimmten sozialen Gruppe - Frauen, deren Handeln aus Sicht des familiären Umfeldes und nach Auffassung breiter Kreise die "Familienehre" verletzt haben -anknüpfen (vgl. zu "Ehrenmorden": VG Augsburg, Urteil vom 19. Juli 2012 - Au 6 K 12.30123 -, juris; im Übrigen: VG Gelsenkirchen, Urteil vom 16. Juli 2013 - 5a K 4418/11.A - mit weiteren Nachweisen aus der Rechtsprechung, juris).

Gegen diese Verfolgungshandlungen gab es keinen hinreichenden landesinternen Schutz gemäß § 3e AsylVfG. Dabei kann offen bleiben, ob die Schutzgewährung durch Frauenhäuser generell als ein solcher Schutz in Betracht gezogen werden kann, da der dortige Schutz erhebliche Einschränkungen für die persönliche Lebensführung mit sich bringt. Ungeachtet dessen ist aber keine grundlegende Verbesserung der Situation aufgrund des 2004 verabschiedeten Honour Killing Act festzustellen, der die sog. "Ehrentötungen" unter Strafe stellt. Die notwendige tatsächliche Schutzgewährung ist damit noch nicht gewährleistet, was aus der bekannten Zahl von über 900 Tötungsdelikten (ohne Dunkelziffer) in diesem Zusammenhang offenkundig wird (vgl. Auswärtiges Amt, Lagebericht vom 02. November 2012, S. 19).

Die damit einhergehende Vermutung der fortbestehenden Gefährdungslage und Unzumutbarkeit einer Rückkehr wird nicht durch stichhaltige Gründe widerlegt. Davon geht auch letztlich das Bundesamt aus, da es ein Abschiebungsverbot nach § 60 Abs. 2 AufenthG bejaht hat. Der Kläger ist als Kind aus der vom Vater der Klägerin missbilligten Ehe in demselben Maß wie die Klägerin gefährdet. [...]