VG Hamburg

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Zitieren als:
VG Hamburg, Beschluss vom 17.03.2014 - 8 A 445/14 - asyl.net: M21828
https://www.asyl.net/rsdb/M21828
Leitsatz:

Die Dublin II-Verordnung wird auch dann unanwendbar, wenn ein einziger in der EU gestellter Asylantrag zurückgenommen wird, nachdem der an sich für die Prüfung dieses Asylantrags zustände Mitgliedstaat dem Übernahmeersuchen des Mitgliedstaats, in dem der Asylantrag gestellt wurde, zugestimmt hat. Die Rücknahme eines Asylantrags kann in einem solchen Fall jedenfalls dann nicht rechtsmissbräuchlich sein, wenn der Schutzsuchende zu seinem Verfolgungsschicksal noch nicht angehört worden ist.

(Amtlicher Leitsatz)

Schlagwörter: Dublin II-VO, Dublinverfahren, Übernahmeersuchen, Rücknahme, Rücknahme des Asylantrags, Rechtsmissbrauch, EuGH, Kastrati,
Normen: AufenthG § 60 Abs. 5, AufenthG § 60 Abs. 7 S. 1, AsylVfG § 27a,
Auszüge:

[...]

Zwar haben die Kläger mit weiterem Schreiben vom ... März 2014 ausdrücklich nur die Rücknahme des Antrages auf Anerkennung als Asylberechtigte bzw. als Flüchtlinge, nicht jedoch die Rücknahme des Antrags auf unionalen subsidiären Schutz – erklärt. Damit sollten jedoch keine Rechtswirkungen ausgelöst werden, die von denen abweichen, die von dem Schreiben vom ... Februar 2014 ausgingen, da das Schreiben vom ... März 2014 ausdrücklich nur der "Klarstellung" diente.

1.2 Die Antragsrücknahme ist nicht wegen Rechtsmissbrauchs unwirksam. Rechtsmissbrauch liegt vor, wenn die Ausübung eines individuellen Rechts als treuwidrig beanstandet wird (Palandt/Grüneberg, 72. Auflage 2013, § 242 Rn. 40). Dieser Grundsatz gilt auch im öffentlichen Recht (Kopp/Ramsauer, VwVfG, 14. Auflage 2013, § 79 Rn. 33). Vorliegend kommt die Fallgruppe des widersprüchlichen Verhaltens in Betracht, weil sich die Kläger trotz Antragsrücknahme auf Verfolgungsgründe berufen könnten, wegen deren man Flüchtlingsschutz oder subsidiären unionalen Schutz erlangen könnte. Grundsätzlich lässt die Rechtsordnung widersprüchliches Verhalten zu. Erst wenn besondere Umstände hinzukommen, etwa wenn bei der anderen Seite ein Vertrauenstatbestand geschaffen wurde, kann das widersprüchliche Verhalten unwirksam sein (Palandt/Grüneberg, a.a.O., Rn. 55). Solche besonderen Umstände sind nicht ersichtlich. Zunächst ist schon nicht klar, auf welche Verfolgungsgründe sich die Kläger konkret berufen, weil sie bisher zu ihrem Verfolgungsschicksal nicht angehört wurden. Es ist auch nicht so, dass die Kläger durch die Rücknahme des Asylantrags etwas erreichen würden, das ihnen die Rechtsordnung nicht zuerkennen will. Zwar würden sie durch die Zuerkennung eines Abschiebungsverbots nach § 60 Abs. 5 oder Abs. 7 Satz 1 AufenthG in Deutschland ein Aufenthaltsrecht erlangen, obwohl nach der Dublin II-Verordnung ein anderer Mitgliedstaat der EU für die Prüfung des Asylantrags zuständig wäre. Die Rechtsposition, die sie in Deutschland erlangen können, ist jedoch eine andere als bei Durchführung eines Asylverfahrens in Spanien, da § 60 Abs. 5 und Abs. 7 Satz 1 AufenthG rein mitgliedstaatliche Vorschriften sind. Auch auf Deutschland bezogen können sie nicht Dasselbe erlangen wie bei Durchführung eines Asylverfahrens. Die Aufenthaltserlaubnis nach § 25 Abs. 3 AufenthG, die bei Feststellung eines Abschiebungsverbots nach § 60 Abs. 5 oder Abs. 7 Satz 1 AufenthG erteilt werden soll, gewährt den Inhabern nicht dieselben Rechte wie den Inhabern einer Aufenthaltserlaubnis nach § 25 Abs. 1 oder Abs. 2 AufenthG, die beispielsweise die Erwerbstätigkeit gestattet (§ 25 Abs. 1 Satz 4, Abs. 2 Satz 2 AufenthG). Den Angehörigen von Schutzsuchenden, zu deren Gunsten ein mitgliedstaatliches Abschiebungsverbot festgestellt wurde, ist es verwehrt, sich auf den Familienflüchtlingsschutz bzw. subsidiären Familienschutz (§ 26 AsylVfG) zu berufen. Es lässt sich dem Gesetz auch nicht entnehmen, dass keine Situation eintreten soll, bei der nur über das Bestehen ausgewählter Schutzgründe entschieden wird. Im Gegenteil lässt § 13 Abs. 2 Satz 2 AsylVfG die Beschränkung des Asylantrags auf die Zuerkennung internationalen Schutzes ausdrücklich zu. Wieso vor diesem Hintergrund die Beschränkung des Schutzbegehrens auf andere Abschiebungsverbote rechtsmissbräuchlich sein soll, ist nicht ersichtlich, zumal das Bestehen dieser Abschiebungsverbote nach Rücknahme des Asylantrages von Amts wegen zu prüfen ist (§ 32 Satz 1 AsylVfG). Ein Rechtsmissbrauch ist auch nicht darin zu sehen, dass durch die Rücknahme des Asylantrags die Dublin II-Verordnung unanwendbar wird. Die Herbeiführung einer von der Rechtsordnung gewollten Rechtsfolge (dazu sogleich) kann nämlich nicht rechtsmissbräuchlich sein.

Die Kläger erlangen durch die Rücknahme des Asylantrags auch keinen Vorteil, den sie ohne Stellung des Asylantrages nicht erhalten hätten. Hätten sie nämlich keinen Asylantrag gestellt und sogleich um die Feststellung der mitgliedstaatlichen Abschiebungsverbote ersucht, wären die Voraussetzungen von § 60 Abs. 5 und Abs. 7 Satz 1 AufenthG ebenfalls zu prüfen gewesen. Der einzige Unterschied besteht darin, dass dies im zuerst genannten Fall durch die Ausländerbehörde der Freien und Hansestadt Hamburg erfolgt wäre, während dies hier der Beklagten obliegt. Da die Ausländerbehörde gemäß § 72 Abs. 2 AufenthG die Beklagte an der Entscheidung beteiligten müsste, würde die unterschiedliche Zuständigkeit in der Sache keinen Unterschied machen.

2. Die Anordnung der Abschiebung nach Spanien ist rechtswidrig, weil Spanien kein für die Durchführung des Asylverfahrens zuständiger Staat im Sinne von § 27a AsylVfG ist. Zwar war Spanien nach der Dublin II-Verordnung, die hier zunächst anwendbar war (dazu 2.1), ursprünglich zuständig (dazu 2.2). Die Zuständigkeit ist jedoch mit Rücknahme des Asylbegehrens entfallen (dazu 2.3).

2.1 Die Dublin II-Verordnung findet auf den vorliegenden Fall noch Anwendung, obwohl sie inzwischen durch Art. 48 UAbs. 1 der Verordnung (EU) Nr. 604/2013 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 26. Juni 2013 zur Festlegung der Kriterien und Verfahren zur Bestimmung des Mitgliedstaats, der für die Prüfung eines von einem Drittstaatsangehörigen oder Staatenlosen in einem Mitgliedstaat gestellten Antrags auf internationalen Schutz zuständig ist (im Folgenden: Dublin III-VO oder Dublin III-Verordnung) aufgehoben worden ist. Die Dublin III-Verordnung ist (nur) auf Anträge auf internationalen Schutz anwendbar, die ab dem 1. Januar 2014 gestellt werden; sie gilt jedoch – ungeachtet des Zeitpunkts der Antragstellung – ab diesem Zeitpunkt für alle Gesuche um Aufnahme und Wiederaufnahme von Antragstellern, Art. 49 UAbs. 2 Satz 1 Dublin III-VO. Art. 49 UAbs. 2 Satz 2 Dublin III-VO stellt klar, dass für einen Antrag auf internationalen Schutz, der vor diesem Datum eingereicht wurde, die Bestimmung des zuständigen Mitgliedstaats nach den Kriterien der Dublin II-VO erfolgt. Die Kläger haben ihre Asylanträge bei der Beklagten am ... September 2013 und damit vor dem 1. Januar 2014 gestellt. Das an Spanien gerichtete Übernahmeersuchen datiert vom ... November 2013 und ist mithin ebenfalls vor dem maßgeblichen Stichtag ergangen.

2.2 Bis zur Rücknahme des Asylantrags war Spanien im nach Art. 5 Abs. 2 Dublin II-VO maßgeblichen Zeitpunkt der erstmaligen Asylantragstellung in einem Mitgliedstaat gemäß Art. 9 Abs. 2 Satz 1 Dublin II-VO zuständig. Danach ist der Mitgliedstaat für die Prüfung des Asylantrags zuständig, der das gültige Visum, das der Asylbewerber besitzt, ausgestellt hat, es sei denn, es wurde in Vertretung oder mit schriftlicher Zustimmung eines anderen Mitgliedstaats erteilt. Als die Kläger am ... September 2013 erstmals in der Europäischen Union einen Asylantrag stellten, war das Visum, mit dem sie eingereist sind und das bis zum ... September 2013 galt, noch nicht ungültig geworden. Dafür, dass das Visum in Vertretung oder mit Zustimmung der Beklagten ausgestellt worden sein könnte, ist nichts ersichtlich.

2.3 Durch die Rücknahme des Asylantrags vom ... Februar 2014 ist die Anwendbarkeit der Dublin II-Verordnung – und damit auch die Zuständigkeit Spaniens – rückwirkend entfallen. Die Rücknahme eines einzigen in der EU gestellten Asylantrags führt auch dann zur Unanwendbarkeit der Dublin II-Verordnung, wenn sie nach der Zustimmung des an sich zuständigen Mitgliedstaats zum Aufnahmeersuchen des Mitgliedstaats, in dem der Antrag gestellt wurde, erfolgt (im Ergebnis ebenso VG München, Urt. v. 9.9.2010 2 K 09.50582, juris, Rn. 14 ff.; VG Frankfurt, Beschl. v. 6.7.2011, 7 L 1757/11, juris, Rn. 5, 12 ff.; VG Ansbach, Beschl. v. 15.9.2011, 9 E 11.30233, juris, Rn. 23; VG Sigmaringen, Beschl. v. 16.3.2012, 1 K 459/12, juris Rn. 7 ff.; VG Regensburg, Urt. v. 2.8.2012, 7 K 12.30025, juris, Rn. 17 ff.; VG Frankfurt, Urt. v. 12.12.2012, 1 K 2973/12, juris, Rn. 21; a. A. die unten genannten Entscheidungen sowie wohl auch Marx, ZAR 2014, 5, 5). Dies ergibt die Auslegung des Urteils des EuGH vom 3. Mai 2012 in der Rs. C-620/10 (Kastrati). In jenem Verfahren ging es um einen Ausländer, der mit einem französischen Visum in die Union eingereist war und in Schweden seinen einzigen Asylantrag gestellt hatte. Noch bevor die französischen Behörden dem Übernahmeersuchen Schwedens zustimmten, nahm er diesen Asylantrag zurück. Der EuGH entschied, dass die Dublin II-Verordnung nicht mehr anzuwenden sei, wenn der Asylantrag zurückgenommen wurde, bevor der für die Prüfung des Antrags zuständige Mitgliedstaat der Aufnahme des Antragstellers zugestimmt hat. Da der EuGH in der Regel die ihm vorgelegten Rechtsfragen nur insoweit beantwortet, wie es für die Entscheidung des Ausgangsverfahrens erforderlich ist, kann man allein aus der Formulierung der Antwort auf die Vorlagefrage nicht den Umkehrschluss ziehen, dass im vorliegenden Fall, in dem die Rücknahme nach Zustimmung der Übernahme erfolgte, die Rücknahme unerheblich sei (so aber VG Minden, Beschl. v. 18.7.2012, 1 L 268/12, juris, Rn. 17; VG Augsburg, Urt. v. 11.1.2013, 6 K 12.30358, juris, Rn. 32). Dies gilt hier gerade auch deshalb, weil der EuGH die vom vorlegenden Gericht offen gestellte Frage, ob es für die Folgen der Rücknahme des Asylantrags von Bedeutung sei, in welchem Stadium der Bearbeitung des Asylantrags die Rücknahme erfolge (Rn. 35 des Urteils), nur in dem für das Ausgangsverfahren streitentscheidenden Umfang beantwortet hat.

Bei Anwendung der vom EuGH in der Kastrati-Entscheidung getroffenen Aussagen zur Anwendung der Dublin II-Verordnung kommt das Gericht zu dem Ergebnis, dass es für die Rechtsfolgen der Rücknahme eines einzigen in der EU gestellten Asylantrags keinen Unterschied macht, ob der aufnehmende Staat der Übernahme bereits zugestimmt hat oder nicht. Dies ergibt sich aus Folgendem: Der EuGH hält in der Kastrati- Entscheidung zunächst fest, dass in dem Fall, in dem ein Asylbewerber seinen einzigen Asylantrag zurücknimmt, bevor der ersuchte Mitgliedstaat der Aufnahme zugestimmt hat, der Hauptzweck der Dublin II-Verordnung nicht mehr erreicht werden könne. Der Hauptzweck läge in der Ermittlung des für die Prüfung des Asylantrags zuständigen Mitgliedstaats, um den effektiven Zugang zu den Verfahren zur Beurteilung der Flüchtlingseigenschaft zu gewährleisten (Rn. 42 des Urteils [Hervorhebung hinzugefügt]). Weiter hält der EuGH fest, dass die Situation, in der der Asylbewerber seinen Antrag zurückgenommen hat, ohne in zumindest einem anderen Mitgliedstaat einen solchen Antrag gestellt zu haben, nicht geregelt sei (Rn. 43 des Urteils). Zwar enthielten Art. 4 Abs. 5 UAbs. 2 und Art. 16 Abs. 3 UAbs. 4 Dublin II-VO grundsätzlich abschließende Regelungen für die Fälle, in denen die Verpflichtung des für die Prüfung eines Asylantrags zuständigen Mitgliedstaates erlösche, einen Antragsteller, der in einem anderen als dem zuständigen Mitgliedstaat einen Asylantrag gestellt hat, aufzunehmen oder wiederaufzunehmen. Sie setzten aber das Vorliegen eines Asylantrags voraus, den der zuständige Mitgliedstaat prüfen müsse, zu prüfen im Begriff sei oder bereits beschieden habe (Rn. 45 des Urteils). Hieraus muss gefolgert werden, dass für die Fälle, in denen es nach der Rücknahme gerade keinen Asylantrag mehr gibt, den der an sich zuständige Mitgliedstaat "prüfen muss, zu prüfen im Begriff ist oder bereits beschieden hat", die genannten Ausnahmevorschriften nicht abschließend sein können. Der EuGH teilt sodann mit, dass "das Gleiche" für Art. 5 Abs. 2 Dublin II-VO gelte (Rn. 46 des Urteils). Dies ist so zu verstehen, dass die dort geregelte sog. "Versteinerungsklausel" ebenfalls voraussetzt, dass es einen Asylantrag gibt, den der zuständige Mitgliedstaat "prüfen muss, zu prüfen im Begriff ist oder bereits beschieden hat".

Hieraus folgt für das erkennende Gericht, dass auch im vorliegenden Fall der Rücknahme des Asylantrags nach Zustimmung zum Übernahmeersuchen die Anwendbarkeit der Dublin II-Verordnung nachträglich wegfällt, weil bei allen vom EuGH in der Kastrati-Entscheidung angeführten Gründen und Gesichtspunkten der Zeitpunkt der Rücknahme des Asylantrages keine Rolle spielt. Nimmt ein Asylbewerber – wie im vorliegenden Fall – seinen Asylantrag nach der Zustimmung des ersuchten Mitgliedstaates zurück, kann der vom EuGH identifizierte Hauptzweck der Dublin II-Verordnung ebenfalls nicht mehr erfüllt werden. Zwar steht mit Zustimmung zum Übernahmegesuch der für die Prüfung des Asylantrags zuständige Mitgliedstaat fest (hierauf abstellend VG Hamburg, Beschl. v. 12.2.2014, 10 A 5062/13). Die Bestimmung des zuständigen Mitgliedstaates ist jedoch kein Selbstzweck. Sie erfolgt nämlich, "um den effektiven Zugang zu den Verfahren zur Beurteilung der Flüchtlingseigenschaft des Antragstellers zu gewährleisten". Wenn der Antragsteller durch Rücknahme des Asylantrages zum Ausdruck gebracht hat, dass er eine Prüfung des Vorliegens der Flüchtlingseigenschaften nicht mehr wünscht, bedarf es auch nicht mehr der Ermittlung des hierfür zuständigen Mitgliedstaats. Wenn dessen Ermittlung nur erfolgt, um dem Antragsteller effektiven Zugang zur materiellen Prüfung der Flüchtlingseigenschaft zu gewährleisten, kann der Hauptzweck der Verordnung auch dann nicht mehr erfüllt werden, wenn der (einzige) Asylantrag nach Zustimmung des ersuchten Mitgliedstaates zurückgenommen wird.

Dass die Anwendbarkeit der Dublin II-Verordnung im vorliegenden Fall durch die Rücknahme des Asylantrags nicht wegfällt, ergibt sich nicht aus der Versteinerungsklausel des Art. 5 Abs. 2 Dublin II-VO (so VG Karlsruhe, Urt. v. 13.4.2011, 3 K 2110/10, juris, Rn. 29; VG Trier, Beschl. v. 20.12.2011, 5 L 1595/11, juris, Rn. 5). Diese Norm setzt nämlich – wie der EuGH ausgeführt hat – voraus, dass es überhaupt einen Asylantrag gibt, den der zuständige Mitgliedstaat prüfen muss, zu prüfen im Begriff ist oder bereits beschieden hat. Dies ist jedoch auch hier nach der Rücknahme nicht mehr der Fall.

Dass der Schutzsuchende es bei der hier vertretenen Ansicht noch im gerichtlichen Verfahren in der Hand hat, die Verteilungsregeln der Dublin II-Verordnung außer Kraft zu setzen, führt zu keiner anderen Auslegung. Die Generalanwältin T. hat in ihren Schlussanträgen vom 12. Januar 2012 zwar die Verhinderung des Missbrauchs durch Mehrfachanträge als ein wesentliches Ziel der Dublin II-Verordnung identifiziert und den Grundsatz betont, dass der Mitgliedstaat zuständig sein solle, der am stärksten an der Einreise des Ausländers beteiligt war (Rn. 24 der Schlussanträge). Diese Ziele und Grundsätze würden am besten gewahrt, wenn die Anwendbarkeit der Dublin II-Verordnung durch eine Antragsrücknahme nicht mehr ausgeschlossen werden könnte (wobei auch in diesem Fall der Zeitpunkt der Rücknahme unerheblich wäre, siehe den Vorschlag der Generalanwältin für die Antwort auf die zweite Vorlagefrage, Rn. 54 der Schlussanträge). Der EuGH hat sich bei seiner Entscheidung jedoch gerade nicht von den Überlegungen der Generalanwältin leiten lassen, sondern das Begehren des Schutzsuchenden als "den Hauptzweck" der Dublin II-Verordnung ins Zentrum seiner Überlegungen gerückt (Rn. 42 des Urteils). Hiervon ausgehend ist es konsequent, die Anwendbarkeit der Verordnung bei Rücknahme eines einzigen in der Union gestellten Asylantrags unabhängig von dessen Zeitpunkt entfallen zu lassen. [...]