OVG Thüringen

Merkliste
Zitieren als:
OVG Thüringen, Beschluss vom 06.02.2002 - 2 KO 582/97 - asyl.net: M2184
https://www.asyl.net/rsdb/M2184
Leitsatz:

Zur allgemeinen politischen und menschenrechtlichen Situation in Togo; keine quantitative oder qualitative Steigerung von Verfolgungshandlungen in jüngerer Zeit; keine beachtliche Verfolgungsgefahr allein wegen Asylantragstellung; keine beachtliche Verfolgungsgefahr wegen Mitgliedschaft in Exilorganisation oder einfacher exilpolitischer Betätigung, sondern allenfalls bei exponierter Tätigkeit, die aus Sicht des Regimes eine ernstzunehmende Gefahr darstellt.(Leitsatz der Redaktion)

Schlagwörter: Togo, UFC, PFC, Mitglieder, Vorladung, Glaubwürdigkeit, Objektive Nachfluchtgründe, Politische Entwicklung, Subjektive Nachfluchtgründe, Antragstellung als Asylgrund, Exilpolitische Betätigung, URTT, ATLMC, Überwachung im Aufnahmeland
Normen: AuslG § 51 Abs. 1; AuslG § 53
Auszüge:

Im Falle des Klägers liegen die Voraussetzungen des § 51 Abs. 1 AuslG nicht vor.

Der Senat geht zunächst davon aus, dass der Kläger sein Heimatland unverfolgt verlassen hat.

Entgegen der Ansicht des Verwaltungsgerichts besteht im Falle des Klägers keine beachtliche Wahrscheinlichkeit dafür, dass er bei Rückkehr nach Togo mit politischer Verfolgung rechnen muss. Dem Kläger stehen weder objektive noch subjektive Nachfluchtgründe zur Seite, die eine solche Verfolgungsgefahr begründen könnten.

Objektive Nachfluchtgründe beruhen auf Vorgängen oder Ereignissen, die ohne (neues) Zutun des Asylbewerbers nach seiner Ausreise eingetreten sind. Hierzu zählen insbesondere nachträgliche Veränderungen der politischen Verhältnisse im Herkunftsstaat sowie die Einleitung von Maßnahmen auf Grund eines vor der Ausreise des Asylbewerbers liegenden Verhaltens.

Für derartige Maßnahmen ist hier indes nichts ersichtlich, und es ist auch keine für den Kläger nachteilige Veränderung der politischen Verhältnisse in Togo eingetreten, die eine relevante Verfolgungsgefahr begründen könnte.

Es ist nichts dafür vorgetragen oder ersichtlich, dass sich die politischen Verhältnisse in Togo seit den Urteilen vom 28. September 1999 in einer Weise geändert hätten, die zu einer anderen Bewertung der Verfolgungsgefahr für den Käger führen könnten.

Die politische Situation in Togo (vgl. Auswärtiges Amt, Lagebericht vom 15. November 2000) ist verglichen mit der Lage im Anschluss an die zu Gunsten Eyadémas manipulierten Präsidentschaftswahlen vom Juni 1998 durch eine gewisse Entspannung im Verhältnis zwischen Regierung und Opposition gekennzeichnet. Zwar wurde von den Oppositionsparteien die Parlamentswahl vom 21. März 1999 wegen der Nichterfüllung ihrer auf einen demokratischen Dialog gerichteten Forderungen boykottiert und es fielen somit sämtliche Parlamentssitze an die Regierungspartei RPT oder ihr nahestehender Kandidaten. Gleichwohl kam es im Juli 1999 - vermittelt auch durch ausländische Hilfe - tatsächlich zum politischen Dialog zwischen Vertretern der Regierung und den führenden Repräsentanten der Oppositionsparteien, darunter Gilchrist Olympio. Präsident Eyadéma sagte im Rahmen dieser Gespräche zu, sich im März 2003 nicht zur Wiederwahl zu stellen und das Parlament nach Ablauf der in der Verfassung vorgeschriebenen Mindestfrist von einem Jahr aufzulösen, um der Opposition den Wiedereinzug in das Parlament zu ermöglichen. Begleitet war dieser Dialog auch durch eine vorsichtige Öffnung der staalichen Medien für die Opposition; so wurde im Staatsfernsehen über Veranstaltungen der Opposition berichtet. Am 29. Juni 1999 kam es zur Unterzeichnung einer gemeinsamen Erklärung (Accord-Cadre de Lome), in dem wichtige kontroverse Punkte zur Sprache kamen und einem paritätisch besetzten "Comite Paritaire de Suivi" (Implementierungskomitee) die Ausarbeitung von Vorschlägen zur Verbesserung des Wahlprozesses (insbesondere die Reform des Wahlgesetzes) übertragen wurde. Neben weiteren wahlrechtlichen Vereinbarungen wurde die Einsetzung einer paritätisch besetzten unabhängigen Wahlkommission beschlossen, der Aufgaben der Wahlaufsicht und -organisation obliegen sollen. Hinsichtlich der Menschenrechte ist u.a. festgehalten, dass Opfer von Gewalttaten Entschädigungen auf dem Rechtsweg einklagen können und die Amnestie von 1999 umgesetzt wird, damit alle Flüchtlinge tatsächlich zurückkehren können.

Dieser positiven Entwicklung stehen wiederum der Verwirklichung der Menschenrechte entgegenstehende Momente gegenüber, wie sie seit Dezember 1999 in der Verhinderung von Demonstrationen von Lehrern und Studenten durch die Regierung und von Verhaftungen und Verurteilungen in diesem Zusammenhang sowie der Verschärfung des Pressegesetzes und anhaltender Kontroll- und Überwachungsmaßnahmen gegenüber amnesty international zum Ausdruck kommen. Der Demokratisierungsprozess wurde dennoch fortgesetzt. Im verabredeten Verfahren zwischen Regierung und Opposition wurde im April 2000 ein Wahlgesetz in Kraft gesetzt. Infolge hierbei aufgetretener Verzögerungen steht der endgültige Termin für die Wahl zur Nationalversammlung noch nicht fest.

Trotz dieser eingetretenen politischen Entspannung kann von einem gefestigten demokratischen Wandel, der mit der Achtung der Menschenrechte und der übrigen Rechtsordnung einhergeht, nicht gesprochen werden. So wurde mit dem Präsidenten der Nationalversammlung Agbeyome Kodjo im Sommer 2000 ein Mann Premierminister, der als ein Verfechter einer besonders unnachgiebigen Haltung gegenüber der Opposition gilt und dem das massive Einschreiten gegen die Demonstranten im Januar 1993 zugeschrieben wird. Für den Zeitraum seit 1999 wird zudem von weiteren Maßnahmen staatlicher Stellen gegen Oppositionspolitiker, Vertreter von Menschenrechtsorganisationen, unabhängige Journalisten und andere Regimekritiker berichtet. Diese Fälle zeigen jedoch in ihrer Tendenz, dass das Regime im Zuge der Demokratisierungsbewegung, aber auch im Zusammenhang mit der Übernahme der OAU-Präsidentschaft im August 2000 durch General Eyadéma zurückhaltender gegen Regimegegner vorgeht. So sind auch im Gegensatz zu früheren Jahren in letzter Zeit keine Fälle von politisch motiviertem "Verschwindenlassen" von Personen bekannt geworden (vgl. Lagebericht des Auswärtigen Amtes vom 25. April 2001).

Unter Beachtung aller dieser Gesamtumstände hält der Senat an seiner Rechtsauffassung vom September 1999 fest. Es ist auch weiterhin keine quantitative oder qualitative Steigerung staatlichen Stellen zurechenbarer Verfolgungshandlungen feststellbar, die für den Kläger nunmehr eine aktuelle Gefahr eigener Betroffenheit im Falle seiner Rückkehr in sein Heimatland annehmen lassen.

Auch subjektive, d.h. nach Verlassen des Herkunftsstaates aus eigenem Entschluss geschaffene Nachfluchtgründe, liegen im Falle des Klägers nicht vor, insbesondere nicht wegen des Umstands, dass er einen Asylantrag gestellt hat.

Gleiches gilt für die vom Kläger vorgetragene Mitgliedschaft in togoischen Exilorganisationen und der Teilnahme an deren Veranstaltungen. Denn in aller Regel begründen weder die bloße Mitgliedschaft in einer oppositionellen Organisation noch eine darüber hinausgehende exilpolitische Aktivität eine beachtlich wahrscheinliche Verfolgungsgefahr; ausnahmsweise mag dies anders sein, wenn es sich um eine spektakuläre, herausgehobene und nachhaltige politische Tätigkeit handelt.

Solche exponierte Aktivitäten hat der Kläger hier aber nicht vorgetragen.

Es spricht vieles dafür, dass sogar in Togo aktive Oppositionelle, etwa solche, die bestimmte Parteifunktionen innehaben, im allgmeinen nicht mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit politischer Verfolgung ausgesetzt sind (vgl. BayVGH, Urteil vom 30. März 1999 - 25 BA 95.34283 -, S. 15 des Urteilsumdrucks, m. w. N.). Dafür, dass aber eine bloße Parteimitgliedschaft und/oder eine untergeordnete oppositionelle Tätigkeit zu einer relevanten Verfolgungsgefahr führte, gibt es derzeit keinen Anhaltspunkt (vgl. dazu ebenfalls BayVGH, a.a.O., S. 14 f., m. w. N.).

Umso mehr gilt dies für exilpolitische Tätigkeiten in Deutschland. Dies ergibt sich bereits daraus, dass die Exilorganisationen im europäischen Ausland als Bedrohungsfaktor für den Herrschaftsanspruch des Regimes im Vergleich zu oppositionellen Gruppierungen im eigenen Lande nur eine untergeordnete Nebenrolle spielen können (vgl. hierzu auch BayVGH, a. a. O., S. 16). Außerdem fehlen Erkenntnisse darüber, mit welcher Intensität die togoische exilpolitische Szene in Deutschland überhaupt vom togoischen Regime beobachtet wird und diesem zur Kenntnis gelangt.

Schon deswegen, weil eine umfassende Erfassung exilpolitischer Tätigkeit nicht festgestellt werden kann und weiter gehende Hinweise auf eine systematische und flächendeckende "Rückmeldung" exilpolitischer Aktivität an togoische Stellen fehlen, kann von einer Kenntniserlangung des togoischen Regimes allenfalls bei exponierter - also spektakulärer, herausgehobener und nachhaltiger - politischer Tätigkeit ausgegangen werden.

Selbst wenn die togoische Regierung überhaupt Kenntnis von exilpolitischen Tätigkeiten erlangt, so wird dies nicht ohne weiteres dazu führen, dass daran anknüpfend mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit politische Verfolgung droht. Nicht zuletzt wegen gewisser außenpolitischer Notwendigkeiten, die insbesondere durch wirtschaftliche Interessen bedingt sind, weil Togo auf die wirtschaftliche Hilfe namentlich von den EU-Staaten und USA angewiesen ist (vgl. dazu die ausführliche Darstellung des BayVGH, a. a. O., S. 12 ff. des Urteilsumdrucks, sowie SaarlOVG, Urteil vom 26. August 1999 - 1 R 3/99 -, S. 33 f. des Urteilsumdrucks, jeweils m. w. N.; ferner bereits das Urteil des Senats vom 28. September 1999 - 2 KO 534/97 -, S. 25 f. des Urteilsumdrucks), kann nicht davon ausgegangen werden, dass jedwede exilpolitische Tätigkeit (zumal in den "Geldgeber-Ländern", zu denen auch Deutschland gehört) zum Anlass von Verfolgungsmaßnahmen genommen wird, sondern dass dies nur bei solchen exponierten (spektakulären, herausgehobenen und nachhaltigen) Tätigkeiten der Fall ist, die sich aus der Sicht des Regimes als ernst zu nehmende Gefahr darstellen (vgl. auch SaarlOVG, a. a. O. S. 34 des Urteilsumdrucks). Angesichts dessen sowie der Vielzahl der in Deutschland bestehenden Exilorganisationen und der Häufigkeit von ihnen durchgeführten Veranstaltungen, zu deren systematischer Beobachtung und Erfassung die togoische Regierung - wie dargelegt - ohnehin nicht im Stande ist, kann demnach grundsätzlich auch bei exilpolitischer Tätigkeit, die über die bloße Mitgliedschaft in togoischen Exilorganisationen oder die Teilnahme an Veranstaltungen dieser Organisationen hinausgeht - etwa die Ausübung von Parteiämtern mit "Außenwirkung" (z.B. das Amt des Vorsitzenden) sowie die Organisation von Veranstaltungen und z.B. das Auftreten als Redner - , keine beachtlich wahrscheinliche Verfolgungsgefahr angenommen werden; hinzukommen muss vielmehr, dass es sich um eine im vorbeschriebenen Sinne exponierte Tätigkeit handelt, die aus der Sicht des togoischen Regimes eine ernst zu nehmende Gefahr darstellt.